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Die nachfolgende Stellungnahme entnehmen wir der Zeitschrift Grenzeloos in den Niederlanden, die sie am 8. April 2025 publizierte. Grenzeloos wird von der Organisation Socialistische Alternatieve Politiek (SAP) herausgegeben. Die SAP ist der Vierten Internationale angeschlossen, einem Netzwerk sozialistischer Parteien und Organisationen, die weltweit für eine ökosozialistische Alternative eintreten. Mit der Publikation auf Deutsch wollen wir zur Diskussion in den deutschsprachigen Ländern anregen. Wie bereits die von uns am 21. März veröffentlichte Stellungname der belgischen Gauche Anticapitaliste / SAP Anticapitalisten (Stroming voor een Antikapitalistisch Project) verbindet auch die SAP-Grenzeloos den Widerstand gegen die europäische Aufrüstung mit der Solidarität dem Widerstand der Ukraine gegen die russischen Besatzungstruppen und mit einem umfassenden Sicherheitsverständnis in Europa sowie der absoluten Dringlichkeit gegen die Erderhitzung zu kämpfen. Wir wollen dazu beitragen, diese Aspekte in einer gemeinsamen europäischen ökosozialistischen Orientierung zu verknüpfen. Mit demselben Ziel hatten wir im Juni 2024 die Erklärung Ukraine: a People’s Peace not an Imperial Peace / Ukraine: ein Frieden der Bevölkerungen, kein imperialer Frieden mitinitiiert. Siehe dazu auch den Artikel Frieden in der Ukraine und ökosozialistische Perspektiven in Europa von Christian Zeller (Red.)
1. Als Reaktion auf Trumps Haltung zur Ukraine und zur NATO gibt es konkrete Pläne, Europa „aufzurüsten“, die europäischen Armeen massiv auszubauen und die Bevölkerung auf Krieg vorzubereiten – auch in Westeuropa. Diese Entwicklung ist sehr besorgniserregend und die dafür vorgebrachten Argumente sind falsch und heuchlerisch.
2. „Sicherheit“ ist das Schlagwort, unter dem die Militarisierung Europas betrieben wird. Die Sicherheit der europäischen Bevölkerung wird jedoch in erster Linie durch die ökologische Krise bedroht, die auch in Europa bereits Hunderte von Todesopfern und enorme Schäden verursacht und in den kommenden Jahren zu noch viel schwereren Katastrophen führen wird. Sie wird durch den Zusammenbruch der sozialen und medizinischen Einrichtungen, durch Armut, Ernährungsunsicherheit und (epidemische) Krankheiten verstärkt und eine neue Pandemie ist keineswegs ausgeschlossen.
3. Mehr noch als mit der Verteidigung der Ukraine (für die es genügend Waffen gibt) hat der aktuelle Ruf nach einer „Aufrüstung“ Europas mit dem Versuch zu tun, Europa mit dem Wegfall der USA als Verbündeten als eigenständige geopolitische Akteurin auf die Landkarte zu setzen und der europäischen (Militär-)Industrie auf Kosten der wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften der arbeitenden Klasse den Rücken zu stärken.
4. Die Argumentation, dass es beim Kampf in der Ukraine um die Verteidigung der „westlichen demokratischen Werte“ geht, ist unsinnig. Europas Unterstützung und Mitschuld am Völkermord in Gaza zeigen einmal mehr deutlich, wie heuchlerisch diese westlichen Werte sind. Die wahre Bedrohung für die Freiheit und die demokratischen Errungenschaften im Westen geht nicht von Russland (oder China) aus, sondern von Trump, Le Pen, Wilders usw. und von den Parteien, die mit ihnen kooperieren und sie unterstützen.
5. Trumps „Make America great again“ findet sein Gegenstück in Putins Bestreben, ein großes und starkes Russland wiederherzustellen. So wie Trump nach Grönland, Panama und Kanada greift, will Putin möglichst große Teile des ehemaligen Zar:innenreichs wieder unter russische Kontrolle bringen. Und dafür ist er bereit, eine riesige Streitmacht einzusetzen und das Leben von vielen Hunderttausend Soldat:innen zu opfern (vor allem von ethnischen und kulturellen Minderheiten in der Russischen Föderation und ausländischen Söldner:innen, auch aus Nordkorea), natürlich zusätzlich zu den massiven Zerstörungen und enormen Verlusten auf ukrainischer Seite.
6. Durch hybride Formen der Kriegsführung (Desinformationskampagnen, Cyberangriffe, Unterstützung der extremen Rechten usw.) versucht Russland, die westlichen Länder, die die Ukraine unterstützen, zu destabilisieren, prorussische politische Kräfte zu stärken und russlandfreundliche Regierungen an die Macht zu bringen. Es ist jedoch falsch zu behaupten, dass Putin auf einen militärischen Angriff auf Westeuropa aus ist oder gar dazu in der Lage wäre. (In drei Jahren Krieg ist es Russland nicht gelungen, mehr als etwa ein Fünftel des ukrainischen Territoriums einzunehmen, und die europäischen Armeen und ihre Bewaffnung sind dem, was Russland mobilisieren kann, völlig überlegen.)
7. Im Krieg in der Ukraine geht es darum, die Souveränität der Ukraine gegen den mörderischen imperialistischen Angriff Russlands zu verteidigen. Dabei verteidigen wir die Ukraine bedingungslos, so wie wir beispielsweise auch die Palästinenser:innen (und die Gesellschaften im Libanon und Syrien) gegen die mörderischen Angriffe Israels verteidigen. Und so wie wir auch die Selbstbestimmung und Souveränität der Völker Grönlands, Panamas und Kanadas, sowie Taiwans und jedes anderen Landes verteidigen.
8. Dass die Ukraine trotz des heldenhaften Kampfes ihres Volkes nicht in der Lage war, die russischen Invasor:innen vollständig zu stoppen und von ihrem Territorium zu vertreiben, liegt nicht daran, dass es nicht genügend westliche Waffen gab, sondern daran, dass der Westen der Ukraine gerade genug Waffen gab, um weiterzukämpfen, aber nicht genug, um die russische Invasion zurückzuschlagen. Um sich weiterhin gegen den Faschisten Putin verteidigen zu können und im Interesse des Friedens in Europa sollte die Ukraine daher alle Waffen erhalten, die sie braucht. Die Schulden der Ukraine sollten gestrichen werden. Und eingefrorene russische Vermögenswerte im Wert von 160 Milliarden Euro sollten für die Verteidigung und den Wiederaufbau der Ukraine zur Verfügung gestellt werden.
9. Es ist unglaublich und inakzeptabel, wie jetzt (genau wie während der Corona-Pandemie) alles Erdenkliche möglich und erlaubt ist (riesige Umschichtungen in den Staatshaushalten, Aufhebung der europäischen Haushaltsregeln, Anpassung aller möglichen Regeln usw.), was im Rahmen des Kampfes gegen die Klimakrise nicht unternommen wurde und wird, und wie – unter dem Deckmantel der Bekämpfung einer imaginären Bedrohung (eines russischen Angriffs auf Westeuropa) – Maßnahmen gegen die allzu reale Bedrohung durch die Klimakrise nicht ergriffen oder sogar rückgängig gemacht werden.
10. Es ist wichtig, dass die Linke eine klare Position zur „Aufrüstung“ bezieht. Diese Position sollte eine Reihe von Elementen kombinieren:
- Die bedingungslose Verteidigung der Ukraine und des Rechts der Ukraine, jene Waffen zu besitzen, die zur Verteidigung gegen die russische Aggression notwendig sind.
- Die klare Ablehnung der Argumentation, dass „Aufrüstung“ notwendig sei, um „freie westliche Werte“ zu verteidigen.
- Die Verurteilung von Waffenlieferungen und jeglicher Form von politischer und militärischer Unterstützung für Länder, die andere Länder und Völker bedrohen und angreifen, wie zum Beispiel Israel.
- Die Verteidigung der sozialen Rechte und wirtschaftlichen Errungenschaften der arbeitenden Klasse und eine angemessene Klimapolitik.
11. Eine generell pazifistische Haltung und die Ablehnung jeglicher Waffenlieferungen und militärischer Unterstützung (auch an die Ukraine) führen nur dazu, das Recht des Stärkeren zu akzeptieren, und ermutigt zu weiteren militärischen Aggressionen. Es reicht nicht aus, für den Frieden als einen Zustand einzutreten, in dem es keine ständigen bewaffneten Kämpfe zwischen zwei Seiten mehr gibt. Ein wirklich dauerhafter und gerechter Frieden ist nur möglich, wenn es Freiheit und demokratische Selbstbestimmung gibt. Eine linke Friedenspolitik setzt sich für den Frieden ein, indem sie den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung unterstützt.
12. Wir erkennen zwar das Recht der ost- und nordeuropäischen Länder an, der NATO beizutreten, aber es gibt allen Grund, sich weiterhin für die Abschaffung der NATO und anderer Militärblöcke und ihre Ersetzung durch eine viel umfassendere Sicherheitsstruktur einzusetzen. Es gibt auch allen Grund, gegen den enorm teuren NATO-Gipfel in Den Haag zu opponieren.
13. Anstatt dafür zu sorgen, dass die Gewinne der Rüstungsindustrie auf ein noch nie dagewesenes Niveau steigen, sollte diese Industrie verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Die Waffenlieferungen an reaktionäre Regime wie Saudi-Arabien, Israel, Ägypten, Indien usw. sollten sofort gestoppt werden, und die verfügbaren Waffen sollten an die Ukraine geliefert werden.
14. Die gegenwärtige Entwicklung, dass in der undemokratischen Europäischen Union weitreichende Entscheidungen getroffen werden, die das Leben und das Wohlergehen von Hunderten von Millionen Europäer:innen betreffen, ohne dass die Menschen ein Mitspracherecht haben, macht einmal mehr deutlich, dass die EU durch demokratische europäische Institutionen ersetzt werden muss, in denen das Leben und das Wohlergehen der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die Interessen von Unternehmen und der Schutz der freien Marktkräfte.
15. Wir stehen für eine echte Sicherheitspolitik, die sich nicht an den Interessen der Wirtschaft und der freien Marktkräfte orientiert, sondern bei der die Interessen der Bürger:innen im Mittelpunkt stehen. Die größte Bedrohung für die Sicherheit ist die Klimakrise, die das Ergebnis einer Gesellschaft und einer Wirtschaft ist, in der es letztlich um Unternehmensgewinne und die Interessen der Kapitaleigner:innen geht. Deshalb kämpfen wir für eine antikapitalistische ökosozialistische Alternative. Dabei stehen wir immer auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten und kämpfen für Demokratie und Selbstbestimmung, gegen Militarismus und für einen wirklich nachhaltigen Frieden. Gegen die „Wiederaufrüstung“ Europas.
Referenzen
Diese Stellungnahme wurde am 8. April 2025 von der Webzeitschrift Grenzeloos in den Niederlanden publiziert. Grenzeloos wird von der Organisation Socialistische Alternatieve Politiek (SAP) herausgegeben.
Bildquelle: Einen Punkt setzen. Erstellt mit Canva Premium