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Durch antifaschistische und ökologische Klassenpolitik kann Die Linke stärkste Partei links der Mitte werden
Abstract: Die Linke hat ein beeindruckendes Comeback hingelegt. Aber es ist noch mehr möglich. Sie kann stärkste politische Kraft links der Mitte werden. Erfolgreich war die Partei aufgrund einer antifaschistischen Klassenpolitik, einer starken Basiskampagne, zuspitzender Öffentlichkeits-arbeit und einem extrem starken Teamplay – aber auch aufgrund Fehler anderer Parteien und glücklicher Rahmenbedingungen. Die neue Wählerschaft wünscht sich soziale Gerechtigkeit, aber auch Klimapolitik und den Schutz der Demokratie. Will Die Linke weiter gewinnen, muss sie ihre antifaschistische und ökologische Klassenpolitik weiterentwickeln und bereit sein, eigene Widersprüche und Schwächen zu bearbeiten.
1. Der Rechtsruck und das Comeback der Linken
Die Bundestagswahl drückte einen klaren gesellschaftlichen Rechtsruck aus[1]. Der Linken gelang gerade vor diesem Hintergrund eine Viele überraschende Renaissance. Mit fast 9 Prozent schaffte sie einen beeindruckenden Wiedereinzug in den Bundestag. Nur Wochen vorher lag sie in Umfragen bei 3 Prozent. Sie baute eine neue Wähler:innenkoalition aus eher Jüngeren, aus höher Qualifizierten, aus überdurchschnittlich vielen gewerkschaftlich organisierten Angestellten und aus Erwerbslosen auf. Nach der Wahl erreichte sie in ersten Umfragen sogar zwischen 10 und 12 Prozent. Und: Innerhalb von etwa fünf Monaten hat Die Linke fast 60.000 Mitglieder gewonnen, im Spätherbst hatte sie etwa 49.000 Mitglieder, Anfang März über 110.000. Laut einer Nachwahlbefragung des Umfrageinstitutes INSA verorten sich heute etwa ein Drittel der Wähler*innen links der Mitte. Kopf an Kopf mit der SPD findet die Linke heute bei etwa einem Viertel dieser Linken Unterstützung, die Grünen noch bei 20 Prozent[2]. Aber wie genau ist der Partei dieser Wiederaufstieg gelungen?
Die Neugeburt der Linken ist Ergebnis harter Arbeit, entscheidende Schritte der Erneuerung wurden ab Januar 2023 vorbereitet, im Sommer 2023 wurde der sog. Plan 25 beschlossen, ohne den Die Linke heute nicht da stünde, wo sie steht[3] – im September fand eine große „Linke Zukunftskonferenz“ in Berlin statt[4]. Verführerisch ist der Gedanke, für den Erfolg bei der Bundestagswahl ließe sich ein einzelner Grund ausmachen. Weder war es einfach die in der Partei seit Spätsommer 2024 intensiver diskutierte Fokussierung auf soziale Themen, noch für sich genommen die beeindruckende Haustürkampagne der Partei. Es ist komplizierter. Will Die Linke ihren Erfolg wiederholen und sogar noch stärker werden, ist es wichtig die verschiedenen Zutaten des Wahlsieges genau zu betrachten, um Richtiges zu stärken und Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Meines Erachtens lag es an einer flexiblen Auslegung einer fast linkspopulistisch anmutenden Strategie, an einer antifaschistischen Klassenpolitik, die von einer starken Basiskampagne getragen und durch eine exzellente Social Media-Kampagne bekannt gemacht worden ist. Hinzu kamen günstige Umstände und Fehler anderer Parteien, die der Linken das Feld bereiteten – etwa die Preisgabe der sozialen Frage durch die anderen Parteien, die krasse Polarisierung in der Asylpolitik, die gemeinsame Abstimmung von Union, BSW und FDP gemeinsam mit der AfD, aber auch das für die SPD und Grünen faktisch aussichtslose Rennen um das Kanzleramt. Auf diese günstigen Rahmenbedingungen kann sich Die Linke zukünftig allerdings nicht verlassen.
Eine gründliche Analyse führt uns nicht nur zum Erfolgsrezept, sondern deckt auch Schwächen auf, die Die Linke bearbeiten muss, wenn sie weiterhin erfolgreich sein und dauerhaft Kräfteverhältnisse nach links verschieben will. Ratsam ist dabei ein genauerer Blick auf die Anliegen und Sorgen derjenigen, die sich in der neuen Wähler:innenkoalition wiederfinden. Auf diese Weise lassen sich auch Hinweise darauf finden, wie Die Linke noch stärker werden kann. Es ist heute durchaus realistisch, dass sie zur führenden Partei links der Mitte wird – ein Projekt 15% ist machbar, wenn sie eine antifaschistische und ökologische Klassenpolitik entwickelt. Die Linke sollte dieses Ziel strategisch verfolgen, auch um neue politische Mehrheitsverhältnisse und vielleicht sogar Bündnismöglichkeiten im Land zu ermöglichen.
Ich werde versuchen, diesen Gedanken im Weiteren plausibel zu machen. Ich gehe zunächst auf die Wahlergebnisse, die linke Wählerschaft, die Erklärung des Erfolgs und die Motive der Linkswähler:innen ein. Besonderes Augenmerk widme ich der Basiskampagne (im Kern: zuhörende Haustürkampagne), die ein ganz besonderer und wichtiger Teil des Wahlkampfes war. Abschließend werde ich auf einige Probleme und Herausforderungen eingehen und strategisch-praktische Schlussfolgerungen ziehen (4), die Die Linke befähigen würde, um Führung im politischen Raum links der Union zu kämpfen.
Auch wenn Die Linke erstaunlich sicher wieder in den Bundestag eingezogen ist, muss man mit dem Offensichtlichen beginnen: Das war der große Wahlerfolg der Rechten, insbesondere der postfaschistischen AfD. Mitte-links erlitt eine immense politische Niederlage. SPD und Grünen hatten vor 20 Jahren, als die damalige Rot-Grüne Regierung 2005 die Mehrheit verlor, gemeinsam noch etwa 20.03 Mio. Stimmen auf sich vereint. Bei dieser Bundestagswahl waren es noch nur noch 13.91 Stimmen. Gegenüber 2021 verlor die SPD rund 3.75 Mio. Stimmen, ein Rückgang um fast 32%. 2.48 Mio. Wähler:innen gingen nach rechts, 1.76 Mio. an die Union, der Rest an die AfD. Die Grünen kamen im Vergleich dazu noch glimpflich davon, sie haben per Saldo etwa 1.1 Mio. Stimmen verloren, ein Minus von rund 15%. Große Siegerin der Stunde ist die AfD – inhaltlich, weil sie mit ihrer fremdenfeindlichen Politik die anderen Parteien getrieben hat, und infolgedessen auch an der Urne. 2021 hatten etwa 4.81 Mio. Menschen den Postfaschisten ihre Stimme gegeben, jetzt waren es 10.33 Mio.
Diese Wahl fand nicht nur aufgrund der misslungenen Ampelpolitik statt, dieses Platzen der Koalition steht auch für das Scheitern einer moderaten sozialen und ökologischen Reform des Kapitalismus von oben. Dazu bestand nicht nur bei den Teilen der oberen Mittelklasse und des Bürgertums keine Bereitschaft, die in der FDP organisiert sind. Die Ausrichtung der Unionsparteien deutet auch den Widerwillen an, der in anderen Teilen der deutschen Oberklasse besteht. Nimmt man noch den großen „Aufrüstungskonsens“ dazu, der zwischen SPD, Union, Grünen und FDP bestand, und deren fehlende Bereitschaft, sich mit den Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee in Gaza kritisch auseinander zu setzen, erklärt das, weshalb sich Die Linke als politische Alternative neu profilieren konnte.
Die Wahlkampagne der Linken war vor diesem Hintergrund ein großer Erfolg. Die Linke hat, nimmt man die Vorgeschichte der PDS hinzu, das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte errungen. Legt man die Zahl der für sie abgegebenen absoluten Stimmen zu Grunde, war die Zustimmung nur 2009 im Schatten der größten Krise des Kapitalismus seit 1929 größer. Die Wahlbeteiligung in den verschiedenen Wahljahren unterschied sich, dennoch zeigen die absolut abgegebenen Stimmen die Stärke des Bedürfnisses an, das an einer dezidiert sozialistischen Partei besteht.

2. Aufgabe: Führend werden links der Union
Das Rezept für erfolgreiche Wahlkampagnen geht laut einschlägigen Ratgebern so: Man braucht eine nach außen einig auftretende Partei, die so Stärke, Stabilität und Vision ausstrahlt; nötig ist innere Solidarität, die die Mitglieder begeistert und Wählern sympathische Menschen zeigt; eine klare Zielsetzung, wen man für die Wahl der eigenen Partei mobilisieren will; ein zu diesem Ziel passender Forderungskatalog, eine Vision der besseren Gesellschaft und eine Erzählung, wie und wieso man die Anliegen der eigenen Anhänger eigentlich erreichen wird. Kandidat:innen müssen nicht supercharismatisch sein (Kohl, Merkel, Jeremy Corbyn, Bernie Sanders – noch Fragen?), aber glaubwürdig. Dazu gehört auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die durchdringt, weil sie einen erkennbaren roten Faden hat, und nicht nur an Überzeugungen, sondern auch an grundlegenden Gefühlen anknüpfen kann[5]. Für eine linke Partei, die nicht im Establishment mitschwimmt, ist es außerdem nötig Menschen direkt ansprechen zu können: als Garant dafür, überhaupt mit ihnen ins Gespräch zu kommen und als Möglichkeit, Zweifelnde zu überzeugen.
Die Linke hat all das – verrückt genug – 2025 richtig gemacht[6]. Aber das ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit. Seit Anfang 2023 wurde im Umfeld der Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan, noch unter den Bedingungen Abspaltung von der Partei, die Erneuerung der Partei vorbereitet, im Juni 2023 „Unser Plan 25: Comeback einer starken Linken“ beschlossen. Darin wurde angestrebt das inhaltliche Profil zu klären, die Partei zu einigen, Streitfragen solidarisch zu klären, den politischen Gebrauchswert der Linken stärker herauszustellen und die Partei stärker in die Gesellschaft zu öffnen und offensiv neue Mitglieder zu gewinnen. Dafür wurden Geldmittel und auch Personalressourcen zur Verfügung gestellt, in der Parteizentrale ein sog. „Erneuerungs-Hub“ aufgebaut. Im Parteibeschluss aus dem Sommer 2023 heißt es im Schlusssatz: „Wir ziehen souverän wieder in den Bundestag ein.“ Es ist wunderbar, wenn ein Plan funktioniert.[7] Dass er funktionieren konnte, hatte auch damit zu tun, dass ehrenamtlich Aktive ihn mit Leben füllten, mit entwickelten und Wirklichkeit machten. Wichtig dafür war auch die sog. „Linke Zukunftskonferenz“, die im September 2023 von Mitgliedern in Berlin veranstaltet wurde[8]. Hier wurden zentrale Ideen der Parteierneuerung diskutiert – was gehört zum Profil einer modernen sozialistischen Partei, was z.B. können wir von den Wahlerfolgen der KPÖ in Österreich oder der PTB in Belgien lernen, wie wichtig ist Organizing und Haustürwahlkampf für die Partei oder auch: wie geht ökologische Klassenpolitik? Unter der Asche des Alten, wurde etwas Neues geschaffen.
Grund für den Erfolg bei den Bundestagswahlen ist eine flexible Auslegung der Strategie[9], soziale Themen in den Vordergrund zu stellen, Arbeiter:innen und Angestellte direkt anzusprechen und die Klassenungleichheit offensiv zum Thema zu machen[10]. Das wurde in der Partei unter „thematische Fokussierung“ diskutiert. In der flexiblen Auslegung dieser Strategie trat allerdings noch etwas anderes hervor: eine Art antifaschistische Klassenpolitik, die wir weiterentwickeln sollten. Oder anders gesagt: Die Wahlkampagne gibt einige Hinweise darauf, dass und wie wir unsere Partei zu einer stärkeren linken Partei machen können – mit dem Ziel einer modernen sozialistischen Volkspartei[11].
Es ist der Linken gelungen eine neue Wählerkoalition aus eher jungen Menschen, aus höher Qualifizierten, insbesondere aus Angestellten und Erwerbslosen aufzubauen, die vermehrt im Westen als im Osten leben. Soziale Anliegen sind diesen Wähler:innen sehr wichtig, aber Sorgen um Klima/Umwelt und die Entwicklung der Demokratie treiben große Teile dieser Koalition ebenso um. Dieses Wähler:innenbündnis ist das Ergebnis einer erfolgreichen Kampagne und der strategischen Wahl, die die Partei getroffen hat. Sie ist aber auch eine Folge einer außergewöhnlichen politischen Situation, besonderer politischer Umstände, die so vermutlich nicht bleiben werden. Will Die Linke ihren Wahlerfolg wiederholen, muss sie ihre Strategie weiterentwickeln – in Richtung einer sozialistischen Klassenpolitik, die antifaschistisch und ökologisch ist.
Die Linke muss den Neuaufbau in Ost- und Westdeutschland voranbringen, sich im Westen stärker verankern und im Osten Stärken ausbauen und ihr Fundament erneuern. Leitender Anspruch muss es sein, die Dominanz von SPD und Grünen im politischen Mitte-Links-Raum zu brechen und selbst führend zu werden.Die bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen sind dafür wichtige Etappen – auch in etlichen westdeutschen Städten ist es angesichts der Bundestagswahlergebnisse nicht verwegen, ernsthaft ins Rennen um das Bürgermeisteramt einzusteigen. Möglich ist das alles aufgrund der politischen Situation und der politischen Leerstellen beider konkurrierender Parteien einerseits, aufgrund des enormen Mitgliederzuwachses seit Oktober/November 2024 andererseits. Über 100.000 Genoss:innen zählt Die Linke nun – in wenigen Monaten eine Verdopplung. „Es handelt sich faktisch um eine Neugründung der Partei: rund 60% (genau: 59,9%) der Mitglieder der Linken sind seit der Bundestagswahl 2021 eingetreten, mehr als 50% seit dem Abgang von Wagenknecht.“[12] Die Linke hat die Chance die Dominanz von SPD und Grüne unter den sozial orientierten und progressiv denkenden Menschen zu brechen – gelingen kann das aber nur, wenn auch politische Stolpersteine angegangen werden, die dabei im Weg liegen.

3. Die soziale Zusammensetzung der linken Wähler:innenschaft
Parteien haben nie eine homogene Wählerschaft, in der Regel handelt es sich um Wählerkoalitionen aus verschiedenen Klassen, sozialen Schichten oder Milieus. Das heißt immer auch: Die Wähler:innen aus unterschiedlichen Schichten müssen nicht dieselben Anliegen und Interessen haben, sie können sich teilweise sogar widersprechen. Die Aufgabe einer Partei ist es immer, eine solche Koalition aufzubauen, also Politik im Alltag, in den Parlamenten und in der Öffentlich so zu machen, dass unterschiedliche Anliegen nicht in Widerspruch zueinander geraten, sondern eine gemeinsame Perspektive bekommen[13].
Der Linken, darauf deuten die bisher vorliegenden Daten hin, ist es gelungen eine Mitte-Unten-Koalition aus jüngeren Hochqualifizierten, besonders vielen gewerkschaftlich organisierten „Angestellten“ und Erwerbslosen aufzubauen. Sozial (nicht zahlenmäßig) betrachtet ist Die Linke damit fast Volkspartei. Aber eben nur fast. Mittelalte Menschen wählen uns lediglich durchschnittlich, Alte und Arbeiter:innen (noch) unterdurchschnittlich.
Die linke Wählerschaft ist in der Tendenz jung[14]. 25% der 18 bis 24-Jährigen und 16% der 25 bis 34-Jährigen stimmten für die Linke, aber nur 8% der 35 bis 44-Jährigen und 5% der 45-59-Jährigen.

Darüber hinaus ist die Linken-Wählerschaft besser qualifiziert und relativ gleich verteilt über die Tätigkeiten, die bei Wahlbefragungen erhoben werden. 5% Prozent derjenigen, die einen Hauptschulabschluss haben, stimmte demnach für die Linke, 8 Prozent der Realschüler:innen, 13 Prozent derjenigen, die ein Abitur haben und 10 Prozent der Hochschulabsolventen.

Das passt zur gesellschaftlichen Entwicklungsrichtung: Unter den jungen Jahrgängen der 15-28-Jährigen haben heute rund 43 Prozent ein Abitur und etwa 31 Prozent einen Realschulabschluss. Umgekehrt heißt das allerdings auch, dass Die Linke unter der Gruppe der Jungen, die es sozial besonders schwer haben (aufgrund eines Bildungsabschlusses Hauptschule, der zunehmend entwertet wird), zu schlecht abgeschnitten hat. Hier gibt es Luft nach oben.
Unter denen, die angaben Arbeiter:innen zu sein, gaben ihr 8 % die Stimme, 9 % der Angestellten, 7% der Selbständigen, 5 % der Rentner:innen und 13% der Erwerbslosen. Unter Gewerkschaftsmitgliedern hat Die Linke leicht überdurchschnittlich gut abgeschnitten, von diesen gaben ihr 9,9 % die Stimme – unterdurchschnittlich wenige gewerkschaftlich organisierte Arbeiter (7,8%), stark überdurchschnittlich viele gewerkschaftliche organisierte Angestellte (worunter im Selbstverständnis auch Pflegekräfte, Verkaufspersonal usw. fallen dürften), hier waren es 12,3%.
Langfristig hat sich die Wählerschaft von Ost- nach Westdeutschland verschoben. 2002 wurden rund 12 % aller Stimmen, die die PDS gewinnen konnte, in Westdeutschland (ohne Westberlin) abgegeben. Von den 2025 errungenen Stimmen, wurden rund 70 % im Westen (ohne Westberlin) errungen. 2009 waren es etwa 58%, 2017 bereits rund 66%. Von einer Ostpartei kann 2025 keine Rede mehr sein, auch wenn anteilig immer noch mehr Stimmen im Osten gewonnen wurden als dort anteilig lebten (Ende 2023 lebten in Ostdeutschland, ohne Ostberlin, rund 15 % aller Deutschen). In Berlin gewann die PDS 2002 11 % all ihrer Stimmen, 2025 waren es ungefähr 9 Prozent. Die Erneuerung der Partei muss im Osten wie im Westen vorankommen. Die Erfolge im Westen zeigen: Die Chance einer Verbreiterung und besseren sozialen Verankerung der linken Parteibasis im Westen ist da. Jetzt muss sie genutzt werden.
Dass Die Linke eine Mitte-Unten-Wählerkoalition aufbauen konnte, will ich abschließend anhand einiger Eindrücke aus der Stadt Göttingen zeigen, die ich am besten kenne. In Göttingen haben wir insgesamt 17,6% der Zweit- und 13,5% der Erststimmen gewonnen. In aller Vorläufigkeit: Durch verschiedene Wahlkampfmittel, nicht zuletzt aber mittels einer lang angelegten und intensiven Haustürkampagne (über 10.000 geklingelte Türen), ist es uns gelungen neben sehr hohem Zuspruch unter eher akademisch Qualifizierten auch bei unteren und unteren-mittleren Schichten sehr gute Unterstützung zu gewinnen. Das sei hier nur beispielhaft gezeigt anhand einzelner Wahlbezirke. Um Missverständnisse zu vermeiden: Hier geht es lediglich um die Veranschaulichung einer Tendenz, nicht um eine systematische Auswertung[15].

Grone Süd beispielsweise ist ein stark migrantisch geprägter Stadtteil, in dem es seit Herbst letzten Jahres ein linkes Ladenlokal gibt. Der Holtenser Berg gilt als relativ armer Stadtteil, in dem insbesondere die AfD stark ist (32-34%). Im Stadtvergleich haben wir in diesen drei Wahlbezirken zwar unter-, im Bundesvergleich aber immer noch deutlich überdurchschnittlich abgeschnitten. In allen dargestellten Bezirken haben wir Haustürgespräche geführt, im Holtenser Berg allerdings nur ein mal. Im Vergleich hierzu seien die noch höheren Werte aus Wahlbezirken mit höheren Anteilen von akademisch ausgebildeten Personen dargestellt. Auch in diesen Wahlbezirken haben wir Haustürgespräche geführt, insbesondere Jüngere aber auch über unser Mittun in Protesten gegen rechts ansprechen können.

4. Momentum für Die Linke: Was erklärt den Erfolg?
Misserfolge verantworten immer andere, Erfolge dagegen stets man selbst. Das ist eine Faustregel im politischen Betrieb. Verantwortliche Funktionäre der Linken wären gut beraten, sie zu vergessen. Tatsächlich kommen eine Reihe von Bedingungen zusammen, die erklären, warum Die Linke relativ stark abgeschnitten hat. Einige haben mit der Tagespolitik und den strategischen (Fehl-) Entscheidungen anderer Parteien zu tun, etliche aber auch mit den richtigen Entscheidungen und Weichenstellungen in der Partei selbst. Und vielleicht sollte man an dieser Stelle festhalten: Es war ein Rennen gegen die verlorene Zeit. Das BSW hat die Zerstörung der Linken bis zum letztmöglichen Zeitpunkt aus der Linken heraus betrieben – erst im Januar 2024 gründeten Wagenknecht und Co. ihre eigene Partei, der Imageschaden für Die Linke war fast total. Politik ist Zeit. Und bis zur Europawahl im Juni fehlten wertvolle Monate, um in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen zu werden, denn als auf Grund gelaufener Kahn, als zerstritten und in etlichen zentralen politischen Fragen uneins. Das hätte schief gehen können – ganz so, wie sich die Strategen des BSW das ausgerechnet hatten mit Blick auf die Europa- und Landtagswahlen.
Je weniger Zeit blieb, desto schwerer war es für Die Linke glaubhaft für linke Positionen zu stehen. Richtige Weichenstellungen wurden dennoch vorgenommen in dieser Zeit. Dazu gehörte etwa die Orientierung auf eine lang angelegte Erneuerungs- und Vorwahlkampagne, die bereits im Spätsommer 2023 angeschoben wurde, dazu gehörte die gezielte Öffnung in die gesellschaftliche Linke und dazu gehörte an vielen Orten die „Erneuerung von unten“. Und dazu gehörte die strategische Debatte über eine neue linke Erzählung, ein gezieltere Kampagnenführung, ein linkspopulistisch anmutendes Framing und die Notwendigkeit, eine neue Parteispitze zu wählen – nicht, weil die alte vieles falsch gemacht hätte (sie hat vieles richtig gemacht), sondern weil Aufbruch manchmal eben neue Gesichter braucht. Dass Janine Wissler und Martin Schirdewan diesen Übergang eingeleitet haben, gehört eben auch zu den Bedingungen des jetzigen Erfolgs[16]. Die Linke ging deshalb im Dezember 2024 unterschätzt ins Rennen.
Die Bundestagswahl war geprägt von der gescheiterten Regierung (Preissteigerungen/Reallohnverluste, anhaltende Bedeutung hoher Mieten, gescheiterter Klimaumbau, Aufrüstung im Rahmen des Ukrainekrieges und des neuen heiß-kalten Krieges), der erwartbaren Kanzlerschaft von Friedrich Merz (kein Momentum, das Wähler zur SPD und Grünen gebracht hätte) und der gewachsenen Zustimmung zur AfD (verbunden mit Ereignissen, die die Gefahr von Rechts ins Bewusstsein brachte: Remigrationspläne Anfang 2024, gemeinsame Abstimmung von Union, FDP und BSW mit der AfD). Zu den besonderen Bedingungen gehört sicherlich wie unpopulär die Kanzlerkandidat:innen waren: „Keiner/keinem sind die Herzen der Wähler:innen zugeflogen. Im Gegenteil, sowohl die alten als auch die neuen Kandidat:innen hatten mit starken Vorbehalten gegen ihre Person zu kämpfen.“[17]
Für Die Linke ist so eine günstige Situation entstanden, die durch eine flexible Auslegung der Wahlkampagne genutzt werden konnte. Die Kampagne selbst sah es vor im Wesentlichen die soziale Frage und die Oben-Unten-Spaltung zu bearbeiten, und auf diese Weise auch am Rande („Ist Dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht“) die Katastrophe der Erderhitzung zum Thema zu machen (ähnlich war es mit der Frage von Krieg und Frieden) – in anderen Fragen aber Haltung zu zeigen. Auf diese Art waren die Partei in der Lage über die Mutter aller Probleme im Land zu sprechen, über die Ungleichverteilung des Reichtums, und über alle daraus folgenden Schieflagen und konkreten Probleme für die Menschen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Laut ARD-Deutschlandtrend sahen in den großen Unterschieden zwischen Arm und Reich 77 % der Befragten Anfang Januar das größte Problem für das Zusammenleben in Deutschland – weder die Grünen und die SPD, noch das BSW haben diese Tiefenstimmung durch eine Zuspitzung ihrer Kampagne aufgenommen. Das waren strategische Fehler, durch die der Linken das politische Feld in dieser Hinsicht zu großen Teilen überlassen wurde. Gut ergänzt wurde die Bearbeitung der sozialen Oben-Unten-Spaltung durch die Erzählung, die praktisch durch Haustürkampagne und Heizkostenaktion unterfüttert wurde, Die Linke wolle anders Politik machen: zuhörend, ausgehend von den Menschen und ihren Alltagssorgen: „Mit dem Programm, das sich mit dem Kapital und den Superreichen ernsthaft anlegen will um die Krisen unserer Zeit im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation zu meistern, besteht weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal im politischen Betrieb.“[18]
Dem politischen Moment allein wurde das aber noch nicht gerecht. Erst durch das antifaschistische und antirassistische Momentum, das durch die Trumpwahl in den USA, den Bruch der Ampelkoalition, durch die Dominanz der Anti-Migrationspositionen und die Abstimmungsvorhaben der CDU gemeinsam mit der AfD entstanden ist, wurde Die Linke zusätzlich zu einem anziehenden Projekt. Das sollte man sich nicht als einfachen und direkten Zusammenhang vorstellen (ein Ereignis à politische Folge), sondern eher als die Herausbildung einer Stimmung, die das Nachdenken der Menschen beeinflusste. Ereignisse spielen gleichwohl eine Rolle, weil an ihnen und in ihnen etwas hervortreten kann, was vorher bereits entstanden war. An solchen Ereignissen entzünden sich dann die Leidenschaften.
Die Ankündigung und Abstimmung des 5-Punkte-Plans der CDU war ein solches Ereignis. Das Vorgehen der CDU steht dabei sowohl für die Zuspitzung in der Migrationsdebatte als auch für ein antifaschistisches Erschrecken. In den Befragungen des Umfrageinstitutes Insa kletterte Die Linke zwischen dem 03.01.2025 und dem 30.01. langsam von 3 auf 4%. Diese gute Entwicklung war auch eine Folge der sozialen Kampagnenführung. Aber eben nicht allein. Einen Boost gab es erst mit der migrationspolitischen Zuspitzung und der antifaschistischen Polarisierung – mit der Linken als klarstem Pol von Humanität, Internationalismus und Antifaschismus. Am 24.01. hatte Merz angekündigt die CDU-Entwürfe zur Abstimmung zu bringen, am 30.01. wurden sie im Parlament behandelt. In der Umfrage, die zwischen dem 31.1 und 03.02. durchgeführt wurde, kletterte Die Linke erstmalig auf 5%, danach rasch auf 6 und 6,5%[19].

Dass Die Linke in diesem Zusammenhang anziehend wurde, war nur möglich, weil die Partei sich nicht weggeduckt, sondern klar Position bezogen hat – durch ein Framing und Erzählungen, die nicht ganz gelungen (weil improvisiert), aber dennoch wirkungsvoll waren. Jan van Aken hat klare Kante in den Talkshows gezeigt, Heidi Reichinnek eine großartige Rede gehalten. Beides ist in den sozialen Medien und der Presse aufgegriffen worden und hat unsere Außenwirkung geprägt. Die Linke war – und das war bereits in den Wochen vorher so, als die Zuspitzungen in der Migrationsdebatte zunahmen – in der Öffentlichkeit nicht nur DIE Sozialpartei, die Milliardäre und Millionäre angriff, sondern auch DIE Asyl- und Pro-Migrationspartei. Das hatte auch eine Bewegungsseite, weil sie an vielen Orten kurz nach der Merz-AfD-Abstimmung in den örtlichen Protesten glaubhafte Stimme war. Dass eine klare antirassistische und menschenrechtspolitische Positionierung wichtig war für den Wahlerfolg, deuten zumindest auch die hohen Zustimmungswerte unter deutschen Muslimen an. 29 Prozent stimmten für Die Linke, mutmaßlich aufgrund der Haltung in der polarisierten Migrationsdebatte und der klaren Kritik an den Menschen- und Völkerrechtsverletzungen der israelischen Regierung in Gaza[20].
Beides muss in einem Zusammenhang betrachtet werden, Verteilungs- und Sozialpolitik und Antifaschismus/Antirassismus. Man könnte auch sagen: Der Zusammenhang einer antifaschistischen Klassenpolitik erklärt den Erfolg – einer Linken, die ohne Komplexe zu ihrem Internationalismus stand. In diesem Zusammenhang ist es aber wichtig hervorzuheben, wie das geschah. Im Vordergrund stand die Verteidigung von Mindeststandards. In diesem Sturm musste die Partei ohne eigene ausgearbeitetes Einwanderungskonzept und ohne überlegte politische Erzählung auskommen.
Die Klimafrage hingegen spielte für den Wahlerfolg eine etwas geringere Rolle – aber sie spielte eine. Das zeigt bereits der Blick darauf, wer eigentlich die neuen Mitglieder der Linken sind und was ihnen wichtig ist. Zumindest für einen guten Teil der neuen Mitglieder kann man gespitzt sagen: Teile des linken Flügels der Klimabewegung und dessen Anhängerschaft haben sich selbst in den vergangenen zwei Jahren die Partei zunehmend angeeignet – explosiv seit November 2024. Das dürfte auch für politische Orientierungen in den entsprechenden Schichten und Milieus stehen, aus denen die Neumitglieder zumindest zu einem größeren Teil kommen. Enttäuschung von den Grünen in Regierung ermöglichte das Eindringen in dieses Spektrum. An Die Linke binden werden sich diese Menschen auf Dauer nur, wenn sie auch eine linksökologische Politik macht. Zusammenfassend lässt sich sagen: Ab Anfang Januar hat die Partei zunehmend einen progressiven Linkspopulismus im Handgemenge vertreten, der sehr rot war, der aber eben auch internationalistisch nach außen wirkte – und grün auf die politisierten Teile der jüngeren Generation, die sich selbst gut informieren, selbst in der Klimabewegung aktiv waren oder diese unterstützten.
5. Sorgen und Anliegen der Linken-Wähler:innen
Das drückt sich auch in den Sorgen und Anliegen derjenigen aus, die Die Linke gewählt haben. Gefragt, was für sie wahlentscheidend gewesen sei, gaben 51% der Linkswählenden die Soziale Sicherheit an, 18% Klima + Umwelt, 9% Innere Sicherheit und 8% Friedenssicherung. Gefragt nach den größten eigenen Sorgen, die sie umtrieben, fiel das Bild anders aus:
- 84% sorgten sich, dass Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr sei;
- 82%, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlage zerstört;
- 72% sorgten sich, dass der Einfluss Russlands auf Europa weiter zunimmt;
- 72% sorgten sich, dass „wir“ schutzlos Putin und Trump ausgeliefert werden;
- 60% sorgten die Geldprobleme im Alltag;
- 60% die starken Preisanstiege, so dass Rechnungen nicht mehr gezahlt werden können.
In diesen Werten drückt sich m.E. aus, welche Bedeutung Klimapolitik und die Verteidigung der Demokratie für die linke Wählerschaft haben – und für die möglichen zukünftigen Anhänger:innen der Linken: Denn für 91% der Grünenwähler ist Klimapolitik sehr wichtig, aber auch für 76% der SPD-Wähler. 64 % unserer Wähler:innen meinten, es werde zu wenig für den Klimaschutz getan, das stimmte für 55% der SPD-Wähler:innen, für 80% der Grünen-Wähler:innen und sogar für 24% der BSW-Wähler:innen.
Auch die Sorgen über Trump und Putin sollten in erster Linie als Ausdruck einer demokratischen Grundhaltung interpretiert werden, sind beide doch in der Öffentlichkeit prominente Gesichter der neuen Internationale der Rechtsautoritären. Ist die antifaschistisch-demokratische Grundhaltung, die darin aufscheint, ein Anknüpfungspunkt für Die Linke, sind die Sorgen und Bedrohungsgefühle eine Herausforderung. Denn es gibt momentan schlicht kein ausgearbeitetes eigenes linkes Sicherheits- und Verteidigungskonzept, das als Teil einer überzeugenden Entspannungspolitik für unsere Zeit gelten könnte, um auf diese Sorgen einzugehen. Klar ist nur, dass die Politik einer Freiheitspartei, die Die Linke ist, „(…) nicht darin bestehen kann, sich einem apologetischen angeblichen ‚Realismus‘ zu fügen, der die geopolitischen Großmächte Einflusssphären unter Missachtung von Völkerrecht und Volkssouveränität unter sich aufteilen lässt.“[21] Eine überzeugende linke Sicherheitspolitik ergibt sich daraus noch nicht. Diese Archillesverse wurde auch von Grünen und SPD erkannt: Ein guter Teil gerade der Jüngeren hat Die Linke (das gilt bereits für viele ihrer neuen Mitglieder) trotz der friedens- und außenpolitischen Positionen gewählt, die ihr zugeschrieben werden, nicht wegen dieser.
6. Die Bedeutung der Basiskampagne
Der Linkspopulismus der linken Wahlkampagne war rebellisch und er war – und das ist wichtig – einnehmend, weil die Gesichter der Partei warm, energisch, glaubwürdig und klug wirkten. Möglich war das aber nur, weil wichtige organisationspolitische Entscheidungen getroffen worden waren. Dazu gehört die Verbesserung der Social-Media-Arbeit – über TikTok wurde bereits viel geschrieben und gesagt[22], es gilt aber für die Öffentlichkeitsstrategie insgesamt, in der eine Grunderzählung (Wir gegen die Oberen, für die arbeitenden Menschen etc.) durchgehalten wurde.
Mindestens genauso wichtig ist aber, dass im Rahmen einer Haustürkampagne an vielen Orten eine echte Basismobilisierung stattfand. Drei Dinge sind dabei m.E. entscheidend gewesen. Erstens sind seit September tatsächlich an vielen Orten zunächst kleine, dann wachsende Wahlkämpfer:innenschwärme an die Haustüren gegangen. Sie konnten auch diejenigen erreichen, die sich frustriert abwenden wollten, die schwankten oder auch – auch das kam zumindest in Göttingen immer wieder auch vor – eigentlich das BSW oder die AfD wählen wollten. Die Auswirkung dieser Kampagne auf die Wahlergebnisse insgesamt (beim Gewinn der Direktmandate ist sie eindeutig da) muss noch systematisch aufgearbeitet werden. Es gab etliche auch große Kreisverbände, in denen es keinen Haustürwahlkampf gegeben hat und trotzdem sehr starke Wahlergebnisse erzielt wurden. Ein niedersächsisches Beispiel ist die Stadt Oldenburg. Für Göttingen lässt sich aber sagen: Da, wo Haustürwahlkampf gemacht wurde, ist es gelungen auch in den Vierteln, in denen Menschen mit wenig Geld leben, starke Stimmzuwächse zu erzielen. Zweitens entstand vor Ort aufgrund der Basiskampagne eine Dynamik, in der auch andere Formen des aktiv Wahlkampf besser gemacht werden konnten (Flyern, Infostände, Wahlkampffeste…). Die Haustürgespräche waren in Göttingen z.B. die zentrale Achse des Wahlkampfes, an ihm beteiligten sich – in sehr unterschiedlichem Maße – rund 120 Menschen. Das schuf insgesamt eine Aufbruchstimmung. Wir haben in diesem Zusammenhang in der gesamten Stadt und auch in Teilen des großen ländlichen Teils unseres Wahlkreises unsere Infomaterialien verteilen können – nach Rückmeldung etlicher Bürger:innen im Gespräch (zugegeben, eine sehr subjektive Grundlage, um das zu bewerten) ein Anstoß, sich mit unseren Positionen und der Partei zu beschäftigen. Das gilt ausdrücklich für Schwankende, die sich fragten, ob sie SPD, Grüne oder Linke wählen sollten. Und drittens konnte neuen Mitgliedern aufgrund der aktiven Basiskampagne direkt ein Mitmachangebot gemacht werden. Nicht zu unterschätzen ist das neue Bild, das Die Linke durch Tausende aktive Basismitglieder nach außen abgab: Einer aktiven Partei, die sich wirklich für die Menschen und ihre Anliegen interessiert.
Auf diese Weise ist es gelungen sowohl von den beiden mittelinken Parteien als auch aus dem Nicht-Wählerspektrum Wähler:innen zu gewinnen. Am stärksten hat Die Linke von den Grünen und der SPD gewonnen. Von allen verlorenen 1.45 Mio. Stimmen der Grünen ging fast die Hälfte an Die Linke. Das zeigt auch: Die Linke war als linksgrüne Partei erfolgreich. Gleichzeitig hat sie nach rechts verloren: An die AfD immer noch 110.000 Stimmen und an das autoritär-soziale BSW 350.000. Sicherlich wird sich ein Teil der Abgewanderten eine weniger russlandkritische Außenpolitik gewünscht haben – ein anderer Teil dürfte durch den Rechtskurs des BSW in der Gesellschafts- und Umweltpolitik angezogen worden sein. Insgesamt dürfte die Wählerschaft der Linken 2025 nach diesem kleinen „Austausch“ auch in diesen Fragen fortschrittlicher denken, als in der Vergangenheit.
Eine Strategie, in erster Linie enttäuschte Grünenwähler:innen zu gewinnen, gab es in der Linken zu keinem Zeitpunkt in den letzten Jahren. Allerdings wurde das von Kritiker:innen des Parteivorstandes insbesondere letztes Jahr wiederholt behauptet – verbunden mit dem Hinweis, diese Strategie sei gescheitert, Grünenwähler:innen seien nicht oder kaum zu gewinnen. Bei der Bundestagswahl jedenfalls ist gerade das nun der Linken besonders gut gelungen. Die Stimmengewinne sind beachtlich. Aber nur im Zusammenspiel mit den Gewinnen von der SPD und aus dem Nicht-Wähler:innenspektrum haben sie den Erfolg gesichert.
Auch 2025 galt: Die Wahlbeteiligung war da am geringsten, wo Menschen mit niedrigen Einkommen und formal niedrigen Bildungsabschlüssen leben[23]. An den Zugewinnen, die Die Linke gegenüber 2021 erringen konnte (nur die gewonnenen Stimmen werden betrachtet), machten die Gewinne von den Grünen rund 41% aus, die von der SPD 33%, aus dem Nicht-Wähler:innenspektrum 17%[24]. Das ist für die zukünftige Strategiedebatte entscheidend. Es muss darum gehen, die Rest-Dominanz von SPD und Grünen im Mittelinks-Lager zu brechen, indem einerseits deren „linksaffine Wählerschaft“ weiter angesprochen, gleichzeitig Nicht-Wähler erreicht und die sozialen Anliegen der nicht fest-rechten Teile der AfD-Wähler aufgegriffen werden. Zur Erinnerung: Unter Nicht-Wählern sind überdurchschnittlich viele Menschen mit niedrigen Einkommen, ältere Menschen und Arbeiter:innen, die sich von der vorherrschenden Politik abgehängt fühlen.

7. Strategische Schlussfolgerungen – Projekt 15%
Die neue Lage – vermutlich eine Neuauflage der Großen Koalition (allerdings mit einem Juniorpartner SPD) – bietet einer klaren linken Opposition viel Raum. Auch die Grünen werden sich allerdings in der Opposition neu ausrichten, indem sie sich – wie bereits in der Vergangenheit – sozial nach links öffnen. Und erwartbar sind angesichts der Sondierungsergebnisse insgesamt weitere Aufrüstung in offener Höhe (die Schuldenbremse soll allein für den Verteidigungsetat geöffnet werden), trotz etwa 50 Mrd. pro Jahr Investitionen in Infrastruktur (500 Mrd. Sondervermögen auf 10 Jahre) im besten Fall sozialer Stillstand, eher Verschlechterungen und weitere Unzufriedenheit in dem, was an sozialdemokratischen Wähler:innenmilieus noch vorhanden ist. Damit werden zugleich grundlegende Teilursachen der AfD-Erfolge bleiben.
Vor diesem Hintergrund ist es für Die Linke wichtig, eigene Schwächen und Widersprüche zu bearbeiten, und strategische Schlussfolgerungen zu ziehen, die sie tatsächlich in die Lage versetzen, zur führenden Kraft im Mitte-Links-Spektrum zu werden. Führend ist man nicht unbedingt, weil man die meisten Stimmen gewinnt – führend kann man auch sein, weil man sich die stärkste wirkliche politische Unterstützung der aktiven Zivilgesellschaft erarbeitet und in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen die Vorschläge macht, auf die andere reagieren müssen. Hegemonial sind wir, wenn andere unsere Ideen auf ihren Lippen tragen, und sei es, um sie zu verneinen.
Gegenüber der SPD und den Grünen ist daher eine Doppelstrategie nötig: Durch harte Auseinandersetzung und Kritik muss Die Linke ihren eigenen politischen Gebrauchswert deutlich machen (warum Die Linke unterstützen, nicht SPD und Grüne?) und diejenigen ansprechen, die von beiden Parteien bereits heute politisch abgehängt worden sind. In dieser Hinsicht ist ein strategischer Trennungsstrich nötig, der klar und deutlich gezogen wird. Aber das allein wäre ungenügend, weil so keine Umsetzungsperspektive für die eigenen Vorschläge geöffnet wird. Und weil die Gemeinsamkeiten ausgeblendet werden, die es zwischen Linke, SPD und Grünen zumindest der Papierlage nach gibt – und da, wo Sozialdemokraten, Grüne und Linke gemeinsam in Bündnissen, Gewerkschaften und Betriebs/Personalräten, Bewegungen oder Initiativen arbeiten. Der Trennungsstrich muss daher durch Angebote zur Zusammenarbeit ergänzt werden, die ehrlich gemeint sind, um konkrete Verbesserungen durchzusetzen.
Im Folgenden werde ich nun einige strategische Schlussfolgerungen ziehen, um das Projekt einer zuspitzenden linkspopulistischen, antifaschistischen und ökologischen Klassenpolitik zu umreißen, die helfen könnte, Die Linke zum starken Pol im Parteienstreit zu machen. Das ist die Voraussetzung, um auch den zunehmenden Einfluss der AfD unter Arbeiter:innen und einfachen Angestellten zu stoppen und politisches Land zurückzugewinnen. Denn auch das ist klar: Wenn Die Linke die Mehrheitsverhältnisse im Land verändern will, muss sie den Einfluss der AfD in den unteren Einkommensschichten brechen. Dafür ist eine nüchterne Betrachtung der AfD-Anhängerschaft nötig, bei der zwischen Rassisten und Fremdenfeinden auf der einen Seite und Menschen auf der anderen Seite unterschieden wird, die sich eine Sündenbockideologie aneignen, um damit soziale und politische Leiderfahrungen zu verarbeiten, aber nicht verfestigt rechts sind. Wie groß diese beiden Teile jeweils sind, ist umstritten. Als „Klassenlinke ohne Komplexe“ muss Die Linke aber versuchen Letztere zu erreichen. Gerade dabei gilt: Es bringt nichts den eigenen Internationalismus und die eigenen ökologischen Überzeugungen zu verschweigen. Es geht eher darum, die sozialen Interessen der AfD-Wähler:innen ehrlich anzusprechen und sie – wahrheitsgemäß – davon zu überzeugen, dass der Gegner nicht in Schlauchbooten zu uns kommt, sondern mit dem Privatflugzeug fliegt. Um das zu können ist es ratsam, Erfahrungen mit organisierender und unterstützender politischer Arbeit z.B. in Stadtteilen (siehe unten) auszuwerten und damit weiterzumachen, und zugleich ein verbreitetes politisches Unbehagen an Konzern- und Lobbymacht aufzugreifen.
Die Linke als Motor der Demokratisierung: Ein grundlegendes politisches Merkmal unserer Zeit ist das doppelte Unbehagen an der Demokratie. Damit meine ich zum einen die Angst vor Faschisierung und Rechtsruck, zum anderen die Kritik an Lobby- und Konzernmacht, die weit in der Bevölkerung verbreitet ist, insbesondere auch bei Nicht-Wähler:innen. Ein weiterverbreitetes Gefühl ist, man sei von den politisch Etablierten vergessen worden. An beides hat Die Linke in der Wahlkampagne angesetzt, zum einen mit dem Anspruch, „anders Politik machen zu wollen“, zum anderen durch die klare antifaschistische Haltung. Dieses doppelte politische Unbehagen an der Demokratie lässt sich durch einen demokratiezentrierten Linkspopulismus aufgreifen: Es geht uns um die Gleichheit und Gleichwürdigkeit aller Bürger:innen und den Aufbau einer wirklichen sozialen Demokratie, in der die Gleichheitsansprüche auch verwirklicht werden. Zu diesem linken Republikanismus gehört es auch – als Wirtschaftsrepublikanismus – dafür zu werben, die gemeinsame demokratische Entscheidung auf wirtschaftliche Angelegenheiten auszuweiten. Ein solcher Linkspopulismus ist voraussetzungsvoll, weil die Angst vor der Faschisierung die Neigung bei den Menschen stärken kann „die Demokratie an sich zu verteidigen“ und den Schulterschluss aller Demokraten zu fordern. Die linke Demokratieerzählung muss m.E. antifaschistisch und in diesem Sinne republikanisch sein, und zugleich abgehobene Politik im Interesse der Milliardärs- und Millionärsklasse angreifen[25] – im Namen der sozialen Gleichheit und Freiheit der abhängig Beschäftigten. Die Partei braucht eine ausgearbeitete Erzählung. Diese muss um Alltagsbeispiele angeordnet werden und eine demokratische Vision eröffnen: Wie sähe ein demokratischeres Land aus? Und vor allen Dingen ist eine ernsthafte Debatte über die antifaschistische Strategie nötig. Linke Wirtschafts- und Sozialpolitik ist wichtig, ohne Frage. Aber linker Antifaschismus lässt sich darauf auch nicht reduzieren.
Politik für die arbeitenden Familien: Es ist sehr gut, dass Die Linke die Partei der jungen Wähler:innen geworden ist. Eine sozialistische Partei, die die jungen Menschen nicht gewinnen kann, hat ein Problem. An diesen Erfolgen ist anzuknüpfen, um sie auszubauen. Aber es ist auch insofern eine Herausforderung, als junge Menschen gegenüber älteren in Deutschland längst in der Minderheit sind. Die 18 bis 24-Jährigen zählten Ende 2023 lediglich 6,15 Mio. Menschen, inklusive Nicht-Staatsbürger. Das waren nur rund 7% aller in Deutschland lebenden Menschen. Zum Vergleich: Allein diejenigen, die 82 Jahre oder älter waren, machten Ende 2023 ganze 6 Prozent der Bevölkerung aus. Die 60-65-Jährigen ganze 9%. Zur Erinnerung: Unter den 35-44-Jährigen erreichte Die Linke „nur“ 8%, unter den 45-59-Jährigen 5% und unter den 60+ 4%. Unter den 25-34-Jährigen stimmten 14% für Die Linke. Das ist eine sehr gute Ausgangssituation, um insbesondere im Spektrum der 25-45-Jährigen um politisches Land zu kämpfen. Um das zu erreichen sollte Die Linke stärker die „arbeitenden Familien“ ansprechen und deren Sorgen und Nöte noch gezielter aufgreifen. Es ist völlig richtig, Die Linke steht schon immer für eine soziale Familienpolitik, das Gros ihrer Vorschläge (z.B. in der Bildungs- und Sozialpolitik) ermöglicht Familien ein besseres Leben. Dazu gehört z.B. der breitflächige Ausbau von Betreuungs-, Erziehungs- und Unterstützungsangeboten[26]. Aber in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und in ihren politischen Erzählungen kommen Familien so gut wie nicht vor. Diese Gefühlslandschaft überlassen Linke den Konservativen, Sozialdemokreten und Rechten. Der Grund ist klar. Zum einen sind Familien eben auch Orte von Zwang und Unfreiheit, zum anderen wollen Linke andere Lebensentwürfe nicht ausgrenzen. Familien sind aber auch Orte der Liebe, der (geteilten) Sorge- und Reproduktionsarbeit, in guten Familien des Gemeinsinns. Diese Sorge(n)-Welt ist überwiegend die Welt der 25-50-Jährigen – und die sollten Linke politisch ansprechen. „Politik für arbeitende Familien“ würde es ihr zugleich erlaubten, gezielt wieder stärker den Bogen zu Problemen wie Altersarmut, Rentenpolitik und Pflege zu schlagen: Soziale Probleme, die gerade für diejenigen besonders wichtig sind, die am wenigsten links gewählt haben, für die Ü-60-Jährigen.
Klassenmobilisierung und Nicht-Wähler:innenstrategie: Je niedriger die Einkommen und die formalen Bildungsabschlüsse, desto niedriger die Wahlbeteiligung. Nicht-Wähler:innen sind natürlich keine einförmige Gruppe, es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum Menschen nicht wählen. Ein Grund ist, dass Menschen, die eigentlich linke Ansprüche und Forderungen haben, immer wieder enttäuscht wurden und sich nicht mehr vertreten sahen/sehen. Diese Demobilisierung ist ein Erfolgsgarant für die anderen Parteien – um so mehr, als es der AfD gelingt, rechte Nicht-Wähler:innen zur Wahl zu motivieren. Auch Die Linke hat jetzt in erheblichem Maße Zustimmung von Nicht-Wähler:innen gewonnen. Diese Nicht-Wähler:innenstrategie muss ausgebaut werden, um noch gezielter frustrierte oder politische schwankende Teile insbesondere der unteren Arbeiter:innen- und Mittelklasse gewinnen zu können. Die breite Basis- und Haustürwahlkampagne hat gezeigt, wie das geht: Hin zu den Leuten ins Gespräch, denn Frust und politische Unentschiedenheit lassen sich durch nichts besser angehen als durch das direkte Gespräch. Es ist aber mehr nötig. Der hinter den Haustürgesprächen steckende Ansatz einer „organisierenden linken Politik“ muss weiter vermittelt und verbreitet werden. Denn zum einen wollte Die Linke ihre Gesprächspartner ja nicht nur begeistern sie zu wählen, sondern sie auch einladen bei ihr mitzumachen. Zum anderen ist das Gespräch mit den Bürger:innen nur der sichtbare Teil eines Eisberges gewesen. Der unsichtbare Teil war und ist stets die aktivierende, organisierende und befähigende Organizingarbeit im Hintergrund, durch die mehr Menschen eingeladen und unterstützt werden, sich in die aktive Parteiarbeit einzubringen. In diesem Sinne muss Die Linke das Organizingwissen[27] weiter vermitteln, sie braucht Tausende linke Organizer:innen in der Partei, um noch wirksamer um diejenigen zu kämpfen, die sich abgewandt haben.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass die Partei als Heimat allen einen Ort und auch Mitwirkungsmöglichkeiten bieten muss. Das bedeutet, die Basiskampagnen und die Basisarbeit müssen auch Menschen einladen, die vielleicht nur 2 Stunden im Monat für die Partei übrig haben. Die Linke braucht Organizer:innen, sie braucht Aktivist:innen und sie braucht ein vielschichtiges Mitmachangebot für die, die weniger Zeit haben.
Internationalistische Klassenpolitik: Der Bundestagswahlkampf hat gezeigt, dass sich Die Linke die Fragen nicht aussuchen kann, auf die sie in der Öffentlichkeit antworten muss. Es hilft auch nicht, die eigenen Antworten zu verstecken oder abzumildern. Die politischen Gegner:innen werden der Linken ihre Positionen immer und immer wieder um die Ohren hauen. Im TV, in den sozialen Medien und im Straßenwahlkampf. Das gilt für alle Themen, insbesondere aber für das Thema Asyl und Einwanderung. Für Die Linke, die Partei der arbeitenden Klassen sein will, ist das schon deshalb ein wichtiges Thema, weil ein großer Teil der Arbeiter:innenklasse heute auf eine eigene Einwanderungsgeschichte zurückblicken kann. Es gibt Bereiche der deutschen Wirtschaft – die Fleischindustrie ist das bekannteste Beispiel, es gilt aber auch für Teile der Lagerlogistik, der Pflege oder der Systemgastronomie -, in denen heute ohne Arbeitsmigrant:innen und Geflüchtete überhaupt nichts mehr geht. Die Dämonisierung von Zuwander:innen ist fester und zentraler Teil konservativer und (post-)faschistischer Strategien, mehrheitsfähig zu sein. Die Anti-Migrationspolitik wird bleiben. Man kann sie nicht ausblenden, weil sozialistische Klassenpolitik versuchen muss die Spaltung der arbeitenden Klasse zu überwinden. Der einzige gangbare Weg ist es selbstbewusst und vorbereitet damit umzugehen. Das bedeutet: Um politisch weiter Land zu gewinnen muss Die Linke ihre soziale Klassenerzählung systematisch mit einer „pro-migrantischen“ Erzählung verbinden. Es ginge um eine multikulturelle Klassenerzählung, die Menschen, die nach Deutschland kommen, als Teil der arbeitenden Klassen anspricht und sichtbar macht, die Herausforderungen, die durch Zuwanderung auch entstehen nicht leugnet, sondern anspricht und eigene Lösungsvorschläge vorbringt – und die den eigenen Internationalismus betont und nicht verschämt verschweigt. Das bedeutet aber eben auch: Wie über Zuwanderung und zugewanderte Menschen gesprochen wird, ist nicht egal – es geht um ein gezieltes multikulturelles und pro-migrantisches Klassenframing, über das Die Linke nicht verfügt. Politisch zu unterfüttern wäre dies durch eigene Vorschläge für ein linkes Einwanderungskonzept. Das ist auch deshalb entscheidend, weil Zuwanderung in die Arbeitsmärkte in Zukunft ein wichtiges Thema sein wird – schlicht und einfach, weil Unternehmen nach passend qualifizierten Arbeitskräften verlangen. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass bis 2025 jährlich allein 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt werden.
Ökologische Klassenpolitik: Die Klimakrise ist eine soziale Krise, die Klimafrage immer schon eine Klassenfrage. Ihre Entwicklung wird unser Leben prägen und wir müssen alles dafür tun, um das Schlimmste zu verhindern. Nötig ist ein grundlegender Richtungswechsel, sogar ein tiefer Bruch in den Produktions- und Lebensweisen, für die wir Mehrheiten gewinnen müssen. Aber auch wahlstrategisch ist „die Klimafrage“ entscheidend, weil sie für große Teile des mittelinken Wähler:innenspektrums sehr wichtig ist. Die Grünen werden in der Opposition sich erneut versuchen als glaubhafte Klimapartei zu positionieren – Wähler:innen, die Die Linke von ihnen gewonnen haben (immerhin 41 Prozent der reinen Zugewinne), können auch wieder wechseln. Will die Partei sie halten und die Teile der SPD-Wähler:innen erreichen (über 50 Prozent), die der Meinung sind, die heutige Klimapolitik reiche nicht aus, muss sie sich weiter als soziale Klimapartei profilieren. Dazu gehören neben guten Konzepten auch eine offensivere klimapopulistische Erzählung, wie sie in der Wahlkampagne bereits vorkam, aber stärker ausgebaut werden muss: In dieser Klassen-Klimapolitik geht es um die Verantwortung der Reichen für die Finanzierung des ökologischen Umbaus, um wirklich wirksame Maßnahmen, um die demokratische Beteiligung der Arbeiter:innen an Entscheidungen, und um Schutz und Sicherheit aller normalen Leute.
Antworten auf das Regierungsdilemma: Die Linke hat dieses mal von einer besonderen Situation profitiert. Es war klar, dass weder SPD, noch Die Grünen eine Chance hatten, den Kanzler zu stellen. Der Wechsel zur CDU-geführten Regierung war sicher. In dieser Situation kam, anders als 2021, keine soziale Wechselstimmung hin zu einer anderen Regierung auf. Damit war es für Die Linke „einfach“ sich als Opposition aufzustellen. Auch diejenigen, die sich eine fortschrittliche Regierung wünschen, hatten es damit relativ leicht uns als Oppositionspartei zu wählen. Diese komfortable Situation könnte aber bereits bei der nächsten Bundestagswahl vorbei sein. Deshalb muss eine Antwort auf die zukünftige Frage gefunden werden, warum Menschen links wählen sollten, wenn die Partei für einen Regierungswechsel nicht zur Verfügung steht. Kurz: Die Linke braucht eine durchdachte radikalreformistische Erzählung, die diejenigen ansprechen kann, die eine bessere Regierung haben wollen, und diejenigen, und die sich Opposition wünschen. Wenn Die Linke wachsen will, muss sie all diejenigen ansprechen, die im Zweifelsfall ansonsten die wählen, die regieren werden (das ist an sich ein wohlüberlegte Angriff der Grünen in der letzten Wahlkampfwoche gewesen, der nur deshalb nicht funktioniert hat, weil die Grünen massiv Wähler:innen enttäuscht hatten, zu stark Koalitionsbereitschaft gegenüber der Union signalisierten und Habeck weit weg war von Kanzlerchancen). Eine solche Erzählung hat und hatte Die Linke nicht. 2021 war beispielsweise die ins Spiel gebrachte Losung, sie würde für „Mehrheiten jenseits der CDU“ werben, keine Werbung für Die Linke. „CDU raus aus der Regierung“ übersetzten viele Wähler:innen eben für sich so, dann eben gleich Grüne oder SPD zu wählen.
Linke Sicherheits- und eine neue Entspannungspolitik: Eine große Archillesferse des linken Wahlerfolges ist die Außenpolitik. In einem größeren Teil der Gesellschaft greifen die Sorgen vor autoritären und aggressiven Staaten um sich – auch unter denen, deren Herzen für eine sozial gerechte und demokratischere Republik schlagen. Entscheidend ist daher nicht allein, welche Erkenntnisse und richtigen Einsichten Linke in die Weltpolitik haben, sondern wie sie überzeugend auf dieses Sorgen reagieren. Die oben dargestellten Werte von Infratest-Dimap veranschaulichen das Problem für die neue Wähler:innenschaft. Unter den Anhängern von Grünen und SPD sieht das aber nicht anders aus. Die Partei wird damit schnell umgehen müssen, denn SPD und Grüne setzen mit ihren Angriffen genau da an. Wahr ist allerdings auch: Auch die Ängste vor militärischer Eskalation greifen um sich – und wenn man Politiker:innen von Union bis Grünen zuhört, dann nicht zu unrecht.
Aus den letzten Wahlkämpfen (Landtagswahl 2022 und Europawahl 2024, ebenso wie aus dem Bundestagswahlkampf) habe ich gleichwohl den starken Eindruck gewonnen, ein nennenswerter Teil der Wähle stimmt für Die Linke trotz der bisherigen Antworten, nicht aufgrund dieser Antworten. Das muss nicht so sein in der neuen multipolaren Welt, in der auch die NATO durch die Trump-USA faktisch infrage gestellt ist, und mehrere autoritäre Staaten und Staatenblöcke miteinander in Konflikt geraten[28]. Die sicherheitspolitischen Antworten der anderen Parteien sind auf Biegen und Brechen enggeführt auf militärische Reaktionen und die zukünftige militärische Erschließung von Einflussräumen und Rohstoffen. Das ist eine offensive Unsicherheitspolitik. Linke Sicherheitspolitik muss zuallererst Realitätssinn einklagen und darauf pochen, Unsicherheiten zu verringern und Gewaltkonflikte zu vermeiden, zuallererst auf zivile Lösungen zu setzen – ausgehend von einer eigenen kooperative Verteidigungspolitik, die auf strukturell defensive Abwehr angelegt ist. Entscheidend ist dabei, eine solche Verteidigungspolitik ernsthaft auszuarbeiten und eine Haltung an den Tag zu legen, die keinen Zweifel daran lässt, dass Die Linke für Freiheit und Demokratie eintritt in einer Welt, in der imperiale Mächte internationales Recht mit Füßen treten.
Für die Tagesdebatten ist dabei erst einmal Selbstbewusstsein angesagt: Der Wert der Linken ist es, „dass es im Bundestag wenigstens eine Stimme gibt, die nicht einfach mitmarschiert, sondern die Renaissance des Militärischen in Frage stellt. Ohne dabei entweder naiv oder mutwillig – wie die Kremlparteien AfD und BSW – die reale Bedrohung der europäischen Ordnung durch Putins Russland zu ignorieren.“[29] Gerade deshalb muss die Partei an einem überzeugenden Konzept der Entspannungspolitik arbeiten – nur dann kann sie für das Nein zur Aufrüstung und Militarisierung auch mehr Unterstützung gewinnen. Es wäre ratsam sowohl von den Fragen und Sorgen der Menschen im Land auszugehen, als auch von den Umbrüchen in der Welt. Die Linke könnte hier sogar Vorreiterin sein. Denn Die USA unter Trump scheinen von der sog. „westlichen Wertegemeinschaft“ wenig übrig lassen zu wollen, alte Bündnissysteme können in kürzester Zeit bereits überholt wirken, die Treue in den Zentralen der SPD, FDP und Union gegenüber Washington zur absurden Pose werden. Die Aufgabe der Linken wäre es, eine antiimperialistische Politik auf Höhe der Zeit auszuformulieren – zu der eben auch gehören muss, wie Sicherheit und demokratische Selbstbestimmung gewahrt werden kann gegenüber Großmächten, die – ob Ukraine oder Grönland – beanspruchen, Grenzen verschieben zu können. Das sozialdemokratische Konzept der Entspannungspolitik jedenfalls, auf das sich viele in der Linken gerne berufen, stand immer auf zwei Säulen. Es wäre aus einer linkssozialistischen Perspektive weiter zu entwickeln. Die eine Säule war es auf Diplomatie und „Wandel durch Annäherung“ zu setzen, also Spannungen abzubauen und demokratische Fortschritte in den Partnerländern der Entspannungspolitik durch mehr Austausch mit ihnen zu ermöglichen. Die zweite Säule war die Idee einer strukturell defensiven Verteidigung. Beides war eine Einheit – und fraglich wäre, wie genau gute Verteidigung heute aussehen würde, ohne das Wettrüsten mitzumachen, das Spannungen und Unsicherheiten noch vergrößern wird.
8. Zum Schluss: Die strategische Wahl
Die Linke hat ein beeindruckendes Comeback hingelegt, das viele Kommentatoren und Beobachter überrascht hat. Übersehen wurde von vielen die richtigen Weichenstellungen, die seit Anfang 2023 in der Partei vorgenommen wurden. Im Sommer 2023 mündeten die in den sogenannten „Plan 25“. Damit begann Die Linke strategisch an ihrer Erneuerung zu arbeiten. Sie ging deshalb im Herbst 2024 auch nicht als Kahn ins Rennen, der Schiffbruch erlitten hatte. An vielen Orten hatten Ehrenamtliche die Erneuerung vorangetrieben. Parteizentrale und Bundestagsgruppe hatten wichtige Schritte eingeleitet – es blieben und bleiben große Aufgaben und Herausforderungen. Aber Die Linke ging als Rennboot an den Start, das gerade wieder flott gemacht wurde. Das zeigt: Wenn die Partei zusammenhält, wenn sie geeint nach außen auftritt und strategisch einen Plan verfolgt, kann sie gewinnen. Auch jetzt hat sie die strategische Wahl: Sie hat die Chance stärkste Partei links der Mitte zu werden, wenn sie das Richtige tut.
41 Prozent ihrer Neuwähler:innen hat sie von den Grünen, 33 Prozent von der SPD und 17 Prozent aus den Nicht-Wähler:innenspektrum gewonnen. Wenngleich man die vorliegenden Daten der Wahlbefragungen mit Vorsicht interpretieren muss: Diese Menschen scheinen sich soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, sozialen Klimaschutz, antifaschistisch-demokratische Politik und eine auf den Schutz von Demokratie orientierte Außenpolitik zu wünschen. Das legen auch Daten über die Einstellungen der SPD- und Grünenwähler:innen nach der Bundestagswahl 2021 nahe[30], die bei der Wahl 2025 zusammen fast 75 Prozent der neugewonnenen Linkewähler:innen ausmachten. Will Die Linke weiter gewinnen, muss sie ihre antifaschistische und ökologische Klassenpolitik weiterentwickeln. Dazu gehört es auch weiter um Nicht-Wähler:innen zu ringen und sich zu bemühen den sozial wütenden Rand der AfD-Wähler:innenschaft anzusprechen. Es muss darum gehen, die gesellschaftliche Verankerung der Partei zu stärken und die bisherige Wähler:innenkoalition zu verbreitern, indem unterschiedliche Anliegen und Interessen verbunden werden. Um das zu schaffen, muss Die Linke bereit sein, eigene Widersprüche und Schwächen zu bearbeiten, und Stärken auszubauen.
Einige Baustellen, auf denen die Partei solidarisch gemeinsam anpacken müsste, habe ich abschließend dargestellt: eine kluge Strategie gegenüber Grünen und SPD entwickeln, mehr das Unbehagen an der Demokratie und deren Krise aufgreifen, die aktive Basisarbeit ausbauen, arbeitende Familien ansprechen, die antifaschistische, internationalistische und ökologische Klassenpolitik stärken, eine überzeugende Regierungs- und Machterzählung entwickeln und an einer linken Sicherheits- und Entspannungspolitik arbeiten, die die Angst und Sorgen vor Autokraten einerseits, militärischer Eskalation andererseits aufgreift.
Einer selbstbewussten und lernfreudigen „Linken ohne Komplexe“ kann das gelingen. Dann ist es möglich die Kräfteverhältnisse im Land wieder nach links zu verschieben und den momentanen Rechtsblock aus Union und AfD (rund 49 Prozent der Stimmen) zu schlagen – die Zukunft ist offen. Und vielleicht ist sie rot.
Referenzen
Bildquelle: Foto basierend auf Tyler Moore auf Unsplash
[1] Ich schreibe diesen Text aus der Perspektive eines ehrenamtlich Aktiven der Linken. Ich habe im wissenschaftlichen Beraterkreis des ehemaligen Parteivorsitzenden Bernd Riexinger mitgearbeitet, strategische Debatten im Umkreis der ehemaligen Vorsitzenden Janine Wissler begleitet, bin seit 2020 Kreissprecher des linken Kreisverbandes Göttingen Osterode. Außerdem bin ich Mitglied im Landesvorstand der Partei in Niedersachsen. 2021 war ich Direktkandidat zur Bundestagswahl, 2022 zur Landtagswahl, 2024/25 erneut zur Bundestagswahl. Wir haben in Göttingen 2021, 2022 und 2024/25 Wahlkämpfe gemacht, bei denen Haustürgespräche eine wichtige Rolle spielten. Als Direktkandidat habe ich in den vergangenen Jahren sehr viele Bürgergespräche führen dürfen. Wenn ich im Folgenden meine Eindrücke über Stimmungen und Einstellungen unter Wähler:innen und Sympathisant:innen schildere und diese nicht durch Umfragen belege, dann beziehe ich mich auf diese Gespräche. Es handelt sich also um politische Alltagsempirie.
[2] INSA-News, Ausgabe 497. Emailnewsletter des Umfrageinstitutes INSA
[3] Siehe hierzu den Beschluss des Parteivorstandes aus dem Juni 2023: Unser Plan 25: Comeback einer starken Linken. https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2022-2024/detail-beschluesse-pv/unser-plan-2025-comeback-einer-starken-linken/
[4] Siehe hierzu: https://bewegungslinke.org/zukunftskonferenz/ Und zur Veranstaltung selbst: https://www.dielinke-zukunftskonferenz.de/
[5] Frank Stauss (2013): Höllenritt Wahlkampf. Ein Insider-Bericht. München.
[6] Mario Candeias (2025): Die Linke – Ein Wintermärchen. Zeitschrift Luxemburg https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/die-linke-ein-wintermaerchen/
[7] Unser Plan 25. Comeback für eine starke Linke. https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2022-2024/detail-beschluesse-pv/unser-plan-2025-comeback-einer-starken-linken/
[8] Siehe hierzu: https://bewegungslinke.org/zukunftskonferenz/ Und zur Veranstaltung selbst: https://www.dielinke-zukunftskonferenz.de/
[9] Ines Schwerdtner und Jan van Aken (2025): Das Comeback der Linken. https://www.rosalux.de/news/id/53139/das-comeback-der-linken
[10] Thomas Goes: Stolpern, hinfallen, aufstehen (2024): 21 Thesen zur Krise und Erneuerung der Linken. https://www.links-bewegt.de/de/article/875.stolpern-hinfallen-und-aufstehen.html
[11] Thomas Goes (2024): Eine moderne linke Volkspartei. https://www.links-bewegt.de/de/article/899.eine-moderne-linke-volkspartei.html
[12] Moritz Warnke, Bundestagswahl 2025, S. 8. Siehe oben.
[13] Bruno Amable und Stefano Palombarini (2018): Von Mitterand zu Macron. Über den Kollaps des französischen Parteiensystems. Frankfurt/Main.
[14] Siehe hierzu und zu den anderen Daten zur sozialen Zusammensetzung der Wählerschaft: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/umfrage-linke.shtml
[15] Siehe diese Daten: https://votemanager.kdo.de/20250223/03159016/praesentation/uebersicht.html?wahl_id=596&stimmentyp=1&id=ebene_6
[16] Mario Candeias (2025): Die Linke – Ein Wintermärchen. (Siehe oben.
[17] Catrina Schläger, Jan Niklas Engels, Nicole Loew (2025): Analyse der Bundestagswahl 2025. S. 12. https://www.fes.de/bundestagswahl
[18] Moritz Warnke (2025): Die Bundestagswahl 2025, S. 5.
[19] Siehe hier die Lange Reihe zu Insa: https://www.wahlrecht.de/umfragen/insa.htm
[20] Özgür Özvatan: Von der AfD umworben, zur Linken neigend: So stimmten Wähler mit Migrationshintergrund ab https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/migrantische-waehler-koennten-bundestagswahl-bald-erheblich-mitentscheiden
[21] Alban Werner: Unverhoffte dritte Chance. https://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/unverhoffte-dritte-chance/
[22] Marco Saal: Die Linke und der spektakuläre Siegeszug auf Instagram und TikTok. https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/analyse-zur-bundestagswahl-die-linke-und-der-spektakulaere-siegeszug-auf-instagram–tiktok-226236
[23] Catrina Schläger, Jan Niklas Engels, Nicole Loew: Analyse der Bundestagswahl 2025, S. 15.
[24] Tagesschau 23. Feb. 2023 https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/analyse-wanderung.shtml
[25] Thomas Goes: Welche Strategien gegen den Rechtsrutsch? https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/mit-wem-gegen-rechts/
[26] Siehe auch die Debatte um den sog. Infrastruktursozialismus: Mario Candeias/Barbara Fried/Hannah Schurian/Moritz Warnke (2020): Reichtum des Öffentlichen. https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/reichtum-des-oeffentlichen/
[27] Robert Maruschke: Linkes Organizing. https://www.rosalux.de/publikation/id/41297/linkes-organizing
[28] Kavita Krishnan (2022): Multipolarität – Das Mantra des Autoritarismus. emanzipation 6.1, S. 161–172 https://emanzipation.org/2023/01/multipolaritaet-das-mantra-des-autoritarismus/
[29] Pascal Beucker: Der Pazifismus der Linkspartei. https://taz.de/Der-Pazifismus-der-Linkspartei/!6070203/
[30] Siehe z.B. Steffen Mau/Thomas Lux/Linus Westheuser (2024): Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. S. 351f.