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„Die Linke sollte einen gerechten Frieden für die Ukraine unterstützen, nicht einen Trump-Putin-Deal, um den Aggressor zu beschwichtigen“
Abstract: Denys Pilash ist Politikwissenschaftler, Mitglied der ukrainischen demokratisch-sozialistischen Organisation Sotsialnyi Rukh (Soziale Bewegung)[1] und Herausgeber der linken Zeitschrift Сommons.[2] In diesem breit angelegten Interview mit Federico Fuentes für LINKS International Journal of Socialist Renewal [3] erörtert Pilash die Reaktionen in der Ukraine auf das jüngste Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie die Auswirkungen der Wende der US-Politik gegenüber Russland auf die Ukraine und die Welt. Er skizziert auch die Bedrohung durch die aufstrebende globale Achse der extremen Reaktion, die von den USA, Israel und Russland angeführt wird, und argumentiert, warum die Linke einen erneuerten Internationalismus verteidigen muss, der sich allen Unterdrücker:innen entgegenstellt.
Federico Fuentes: Wie waren die Reaktionen in der Ukraine auf das jüngste Treffen zwischen Trump und Zelensky?
Denys Pilash: Die Reaktionen waren vorhersehbar: Empörung. Es herrscht Einigkeit darüber, dass Trump und [Vizepräsident JD] Vance versucht haben, nicht nur Selenskyj, sondern auch die Ukraine und ihr Volk zu demütigen. Sie zeigten keinerlei Respekt vor der Ukraine und gaben auf zynische Weise dem Opfer die Schuld. Sie erwiesen sich als Tyrannen, die sich auf die Seite eines anderen Tyrannen stellten, der Krieg gegen die Ukraine führt. Nach dem, was ich von Menschen, auch in der Armee, gehört habe, sind sie wütend auf die derzeitige US-Regierung. Sie haben das Gefühl, dass die Ukraine zu einem sehr nachteiligen „Deal“ erpresst wird, bei dem wir unsere Ressourcen als Gegenleistung für nichts hergeben: keine Sicherheitsgarantien, keine Gewinne, nichts. Es handelt sich einfach um einen Deal, bei dem die Ukraine für alles zahlen muss, nicht der Aggressor.
Das ist das Gegenteil von dem, wofür sich unsere Organisation, Sotsialnyi Rukh (Soziale Bewegung) und die ukrainische Linke im weiteren Sinne eingesetzt haben. Wir haben gefordert, dass die Auslandsschulden der
Ukraine gestrichen werden. Wir haben gesagt, dass der Wiederaufbau der Ukraine mit dem Reichtum der russischen und ukrainischen Oligarchien finanziert werden sollte, der im postsowjetischen Raum geplündert wurde und nun im Westen und in Steuerparadiesen lagert. Ein Teil dieses Vermögens wurde von den europäischen Regierungen eingefroren und sollte für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden. Im Moment geschieht allerdings genau das Gegenteil.
Es gibt also eine Menge Unzufriedenheit mit Trump. Nur eine sehr kleine Minderheit hegt weiterhin einige Illusionen über Trump. Diese Leute glauben, Selenskyj hätte gehorsamer sein und einfach abnicken sollen, denn wenn man Trumps riesiges Ego besänftige, werde er einem zuhören. Aber die Art und Weise, wie viele führende Politiker:innen der Welt versucht haben, mit Trump Geschäfte zu machen, ist nicht nur verabscheuungswürdig, sondern hat Trump, Vance und [Elon] Musk nur in ihrem Glauben bestärkt, dass sie weder im Inland noch auf internationaler Ebene auf starken Widerstand stoßen und mit allem durchkommen können.
Das einigermaßen optimistische Ergebnis ist vielleicht, dass die Menschen ihre Illusionen verlieren, nicht nur in Trump, sondern auch in seine rechtskonservative Politik. Vor Trumps Amtsantritt, als er absurde Behauptungen über die Beendigung des Krieges innerhalb von 24 Stunden aufstellte, gab es in der Ukraine viel Hoffnung für Trump. Die Hoffnungen waren groß, dass Trumps Unberechenbarkeit irgendwie dazu beitragen würde, den Lauf der Dinge zu ändern, und dass er vielleicht auf magische Weise ein günstiges Ende des Krieges herbeiführen könnte. Jetzt hassen fast alle Trump. Und sie sehen eine direkte Verbindung zwischen Trumps und Putins harter rechter Politik. Für sie sind Trump und Putin letztlich dasselbe: zwei Herrscher zweier Großmächte, die der Welt die Herrschaft der Gewalt aufzwingen wollen, wo der Stärkere die Bedingungen diktiert.
Es gibt verschiedene Erklärungen für die 180-Grad-Wende in der Politik der USA gegenüber der Ukraine. Wie erklärst Du dir das?
Es gibt viele Erklärungen, zum Beispiel, dass dies Teil einer tiefgreifenden Strategie ist, um Russland von China abzulösen. Aber es ist schwer, eine besonders kohärente Vision für Trumps Außenpolitik zu erkennen. Was wir jedoch sehen können, ist eine sehr klare ideologische Botschaft. Trump, Vance und Musk sagen der Welt und insbesondere Europa im Wesentlichen: „Wir erklären euch den Krieg“. Sie sagen damit: „Wir wollen rechtsextreme und neofaschistische Kräfte überall an die Macht bringen, und wir werden nur mit diesen faschistischen, autoritären Führern zusammenarbeiten.“
Es ist bezeichnend, dass die einzigen Personen, die jetzt vom Weißen Haus begrüßt und respektiert werden, Kriegsverbrecher sind, die vom ICC [Internationaler Strafgerichtshof] gesucht werden. Schaut bloß wie [der israelische Premierminister Benjamin] Netanjahu bei seinem jüngsten Besuch begrüßt wurde. Oder wie die Trump-Administration über Putin spricht. Trump vermeidet es stets, Putin für den Krieg verantwortlich zu machen oder ihn als Diktator zu bezeichnen, und spricht stattdessen lieber über seine starke Führung. Andere, die sie gerne begrüßen, sind diejenigen, die mit dem in Verbindung gebracht werden, was wir jetzt den „Elon-Gruß“ nennen können: die Alternative für Deutschland, [der argentinische Präsident Javier] Milei und andere Parteien und politische Führer:innen der extremen Rechten, die die Werte des Ultrakonservatismus, des Marktfundamentalismus und des Neofaschismus vertreten.
Es zeichnet sich eindeutig eine neue Achse ab, die Trump, Putin, Netanjahu, die extreme Rechte in Europa und verschiedene autoritäre Regime in der ganzen Welt zusammenbringt. Das konnte man bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung über den Resolutionsentwurf [zur Verurteilung des russischen Krieges] sehen, der von der Ukraine und etwa 50 Mitunterzeichnern [am dritten Jahrestag der russischen Invasion] vorgelegt wurde. Zu denen, die dagegen stimmten, gehörten natürlich Russland, aber auch die USA, Israel, [Viktor] Orbans Ungarn, die Militärjuntas im Putschgürtel in Westafrika, Nordkorea usw. Sogar Mileis Argentinien, das sich zuvor als ultra-pro-ukrainisch bezeichnet hatte, enthielt sich der Stimme; Milei konnte sich nicht dazu durchringen, Papa Trump zu kritisieren.
Wenn es um die USA, Russland und Israel geht, gibt es eine klare Übereinstimmung der Interessen bei ihrer Vision für die Welt. Es ist eine Vision, die Putin seit langem vertritt und die er als „Multipolarität“ bezeichnet. In dieser Vision steht es Russland beispielsweise frei, im postsowjetischen Raum zu tun, was es will, während die USA in der westlichen Hemisphäre tun können, was sie wollen. Natürlich haben die USA in dieser Region seit vielen Jahren eine imperialistische Politik betrieben. Aber was wir jetzt sehen – mit Trumps expansiven Ansprüchen auf Grönland, Kanada, Panama und dem Druck auf lateinamerikanische Staaten, angefangen mit Mexiko – ist, dass sie nicht einmal mehr versuchen, diese Tatsache zu verbergen.
Gemäß diesem Szenario ist China die einzige Großmacht, die Trump als echte Konkurrenz ansieht, so dass er Russland auf seiner Seite haben will. Aber Trumps Bündnis mit Putin lässt sich nicht einfach mit Geopolitik erklären. Der Rückgriff auf rein geopolitisches Denken unter Verzicht auf eine Klassenanalyse ist die Achillesferse eines Großteils der heutigen Linken. Trump und Putin sind Vorbilder für die globale extreme Rechte. Sie teilen die Vision einer konservativen Ordnung, die darauf abzielt, das Erbe der Aufklärung zu demontieren, und sie wollen diese nationalistische, chauvinistische und ausgrenzende Vision auf der ganzen Welt verbreiten. Das ist die Erklärung für diese Allianz.
Und dieses Bündnis hat etwas mit Klasseninteressen zu tun. Die reaktionärsten Teile der herrschenden Klasse im Westen ergreifen die Chance, die Überreste des Wohlfahrtsstaates zu demontieren und die Zugeständnisse, die die Arbeiter:innen- und sozialen Bewegungen im 20. Jahrhunderts erkämpften, rückgängig zu machen. Wir sehen das beim Angriff, den Musk – der reichste Kapitalist der Welt – in den USA auf die soziale Sicherheit, das Bildungswesen, das öffentliche Gesundheitswesen, auf alles, führt. Sie wollen das umsetzen, was manche Technofeudalismus nennen, ich aber nenne es Ultrakapitalismus auf Steroiden. Auch hier haben Trump und Putin eine gemeinsame Vision: Der milliardenschwere US-Präsident ist neidisch auf das russische Oligarchen-System, in dem die politischen Führer den Superreichen erlauben, weiter zu plündern, solange sich die Oligarchen nicht in politische Entscheidungen einmischen. Dieses oligarchische System, das auf unkontrollierter oberster Macht beruht, würden Trump und die extreme Rechte gerne im Westen nachahmen.
All dies ist also Teil ihrer gemeinsamen Vision, die Weltordnung so umzugestalten, dass kleinere Nationen und ihre eigene Bevölkerung keine Handlungsmöglichkeiten mehr haben. Sie wollen in jedem Land autoritäre Hierarchien mit harter Hand durchsetzen. Ihr vorsätzlicher Versuch, die Ukraine zu demütigen, war eine klare Manifestation dessen, wie diese Achse der extremen Reaktion glaubt, dass die Welt funktionieren sollte.
Was bedeutet das von Trump vorgeschlagene Abkommen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für den globalen Süden?
Zu dem Abkommen über Seltene Erden ist zunächst einmal zu sagen, dass wir immer noch nicht wissen, was es genau beinhaltet. Tatsächlich wissen wir nicht einmal, ob es ein endgültiges Abkommen gibt. Zweitens: Selbst, wenn das Geschäft zustande käme, beruht es derzeit auf Schätzungen aus Explorationen, die zu Sowjetzeiten durchgeführt wurden. Es gibt also keine Garantie, dass die Ukraine über genügend Seltene Erden verfügt, um das angebliche 500-Milliarden-Dollar-Geschäft zu erfüllen. Was passiert, wenn sich herausstellt, dass es nicht genug Mineralien gibt oder der Abbau zu teuer ist? Das Abkommen scheint zu implizieren, dass die Ukraine die USA durch die Übergabe anderer Ressourcen und anderer Wirtschaftssektoren, insbesondere der Infrastruktur, entschädigen müsste.
Bei diesem Abkommen geht es eindeutig um die Auferlegung eines wirtschaftlichen Kolonialismus. Es kann die Rolle der Ukraine als abhängiges und ausgebeutetes Land nur verfestigen und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für den globalen Süden.
Was ist mit den vorgeschlagenen Friedensgesprächen zwischen Russland und den USA? Welche Bedeutung haben sie?
Wenn diese Vereinbarung zwischen Moskau und Washington, die Ukraine über die Köpfe der Ukrainer:innen hinweg aufzuteilen, zustande kommt, sollte sie den Menschen in der Welt, insbesondere im globalen Süden, als wichtige Lehre dienen. Die Situation ist völlig klar. Die Ukraine wurde als Land an der Peripherie vom benachbarten russischen Imperialismus schlecht behandelt. Darüber hinaus wird das Land jetzt vom US-Imperialismus verkauft. Diese beiden Imperialismen arbeiten gemeinsam an einem dubiosen Geschäft auf Kosten der Ukraine. Das Szenario könnte nicht klarer sein. Es ist, als ob ein sehr plumper marxistischer Drehbuchautor das Skript geschrieben hätte: Wir haben eine Regierung von Milliardären, die von einem clownesken Präsidenten und dem reichsten Menschen der Welt gemeinsam geführt wird, die dreist und offen imperialistisch agiert und klar zum Ausdruck bringt, dass sie mit Putins Russland zusammenarbeitet.
Natürlich hatten wir von der politischen Linken keinerlei Illusionen in die USA. Die Ukrainer:innen haben, genau wie die Kurd:innen in Syrien, verstanden, dass man jede Gelegenheit nutzen muss, um die Unterstützung zu erhalten, die man braucht, um einem Aggressor zu widerstehen. Aber wir haben auch unsere herrschende Klasse kritisiert, die nicht begriffen hat, dass es sich nicht um einen Dialog unter Gleichen handelt, und dass Großmächte sich jederzeit gegen einen wenden können, wenn es ihren Interessen dient. Diese neue Situation lässt jedoch keine Ausreden für diejenigen zu, die meinen, Putins Russland stelle eine Art Gegengewicht zum westlichen und US-amerikanischen Imperialismus dar. Die campistische Denkweise geht davon aus, dass die Imperialismen in ständiger Opposition bleiben und dass der Feind meines Feindes irgendwie mein Freund ist. Es hat sich eindeutig gezeigt, dass dies nicht funktioniert. Unsere derzeitige Situation sollte auch das vereinfachende Argument widerlegen, dass dies alles nur ein Stellvertreterkrieg war. Wenn das der Fall wäre, in wessen Namen würde die Ukraine dann einen Stellvertreterkrieg führen? Die USA sind eindeutig nicht auf der Seite der Ukraine, sondern stehen auf der Seite Russlands. Führt die Ukraine also einen Stellvertreterkrieg im Namen von Dänemark? Lettland?
Leider wissen wir oft nicht, wie es den Menschen in anderen Teilen der Welt geht. Aus diesem Grund hat unsere Zeitschrift Commons das Projekt „Dialoge der Peripherien“ ins Leben gerufen, um Menschen aus der Ukraine und Mittelosteuropa mit Menschen aus Lateinamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Asien zusammenzubringen, damit sie sich über ihre Erfahrungen, ihre Geschichte und das Erbe des Kolonialismus, Neokolonialismus und Imperialismus austauschen können.[4] Unsere Kontexte sind unterschiedlich, aber das Muster der Eroberung, Kolonisierung und Unterwerfung kleinerer Nationen durch Großmächte ist sehr ähnlich.
Was wünschen sich die Ukrainer:innen als Ergebnis der Verhandlungen?
Zunächst einmal ist zu sagen, dass die russische Propaganda zwar alles andere als meisterhaft ist, es aber geschafft hat, den Eindruck zu erwecken, dass die Ukrainer:innen die Kriegstreiber:innen seien, und dass Russland auf der Seite des Friedens stehe, obwohl es die größte Invasion in Europa seit Adolf Hitler entfesselt hat. Sie haben es geschafft, Begriffe wie „Verhandlungen“, „Friedensgespräche“ und „Friedensabkommen“ zu monopolisieren. Aber wenn man sich anhört, was russische Offizielle sagen – ich beziehe mich hier auf Putin und [Außenminister Sergej] Lawrow und nicht auf die Verrückten, die wie Kampfhunde für das Regime agieren –, dann haben sie klar gesagt, dass Russland nicht nur die Gebiete, die es besetzt hat, nicht zurückgeben wird, sondern dass es als Voraussetzung für Friedensgespräche verlangt, dass die Ukraine noch mehr Gebiete abtritt. Dazu gehört auch die Abtretung der gesamten Oblaste Cherson und Saporischschja, einschließlich der Großstadt Saporischschja, die Russland nie besetzen konnte. Es konnte dort keine Scheinreferenden abhalten, um diese Gebiete in seine Verfassung aufzunehmen. Dennoch sagen sie, dies sei Teil der „neuen geopolitischen Realität“, die akzeptiert werden müsse.
Die Wahrheit ist, dass niemand auf der Welt den Frieden in der Ukraine mehr will als die Ukrainer:innen. Die meisten Menschen sind des Krieges müde. Aber das bedeutet nicht, dass sie vor Russland kapitulieren und unser Land und unsere Menschen einfach ausliefern wollen. Sie wissen, dass im Falle einer Teilung der Ukraine die Millionen Menschen, die sich entweder in den besetzten Gebieten aufhalten oder fliehen mussten, nirgendwohin zurückkehren können. Sie wissen, dass ein Ergebnis, das den Aggressor in hohem Maße belohnt, nur Putins autoritäres Regime stärken und noch mehr Unterdrückung bedeuten wird, insbesondere in den besetzten Gebieten. Die Ukrainer:innen haben also zwei Dinge im Sinn, wenn sie über eine Einigung nachdenken: das Schicksal der Menschen in den besetzten Gebieten und die Frage, wie verhindert werden kann, dass Russland den Krieg wieder aufflammen lässt.
In diesem Rahmen gibt es mögliche Bereiche für Vereinbarungen. Die ukrainische Regierung hat zum Beispiel deutlich gemacht, dass sie die illegalen Annexionen Russlands nicht anerkennen wird, da dies einen gefährlichen Präzedenzfall für die Ukraine und die Welt schaffen würde. Sie hat jedoch erklärt, dass sie bereit sein könnte, eine Übergangsregelung zu akzeptieren, wonach die Ukraine nach einem Waffenstillstand zumindest einige der derzeit besetzten Gebiete behält und Verhandlungen über das Schicksal der übrigen Gebiete geführt werden.
Eine weitere wichtige Bedingung, die die ukrainische Regierung gestellt hat, sind Sicherheitsgarantien. Welche Garantien wird es geben, um sicherzustellen, dass Russland einen Waffenstillstand nicht dazu nutzt, um einfach mehr Ressourcen, Menschen und Granaten anzuhäufen und dann den Krieg wieder aufzunehmen? Trump sagt, das werde nicht passieren, weil Putin ihn im Gegensatz zu früheren „schwachen“ US-Präsidenten persönlich respektiere, weil er „stark“ sei. Aber Russland hat seinen hybriden Krieg gegen die Ukraine während Trumps erster Amtszeit nie eingestellt. Trumps Worte bedeuten nichts. Immer mehr Menschen (wenn auch immer noch eine Minderheit) verstehen, dass es keine Aussicht auf eine NATO-Mitgliedschaft gibt – lassen wir hier alle Implikationen und alles, was wir als Linke wissen, was an der NATO falsch ist, beiseite. Aber irgendeine Art von Sicherheitsgarantien, an denen wichtige Akteure beteiligt sind, ist notwendig, um sicherzustellen, dass Russland nicht wieder einmarschiert.
Ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt ist, dass keine Wahlen stattgefunden haben und Selenskyj daher keine Legitimität und kein Mandat für eventuelle Verhandlungen habe. Was sagst Du dazu?
Das ist komisch, denn da gibt es einen Mann, der versucht hat, eine Wahl, die er verloren hat, zu kippen, und einen anderen, der seit 25 Jahren mit Hilfe von Scheinwahlen an der Macht ist und seine politischen Gegner:innen umbringt. Und diese beiden Männer treffen sich in Saudi-Arabien, das von einer nicht gewählten absoluten Monarchie regiert wird, um die Ukraine zu kritisieren, weil sie mitten im Krieg keine Wahlen abgehalten hat.
Tatsache ist, dass man in einem Krieg keine ordentlichen Wahlen abhalten kann, denn um Wahlen abzuhalten, muss man die Sicherheit der Menschen garantieren. Und das kann man nicht, wenn das Land ständig bombardiert wird. Ein weiteres Problem ist die Frage, wie man die Millionen von Menschen beteiligen kann, die gezwungen waren zu fliehen und nun entweder Binnenvertriebene sind oder als Flüchtlinge außerhalb des Landes leben. Und wie stellt man sicher, dass die Soldat:innen an der Front oder die Menschen in den besetzten Gebieten frei wählen können. All diese Probleme erschweren die Durchführung einer fairen Wahl erheblich. Ganz zu schweigen von der ukrainischen Verfassung, die die Abhaltung von Wahlen in Zeiten des Krieges oder des Kriegsrechts verbietet. Aber wenn Russland so sehr daran interessiert ist, dass in der Ukraine Wahlen abgehalten werden, dann sollte es am besten aufhören, ukrainische Städte zu bombardieren.
In Bezug auf die Behauptung, die ukrainischen Behörden seien illegitim, weil Selenskyjs Amtszeit abgelaufen sei, so ist die Antwort darauf dieselbe: Beendet die Feindseligkeiten, dann kann das ukrainische Volk in einer Wahl wählen, wen es will. Aber ich würde Folgendes sagen: Trotz des starken Rückgangs seiner Popularität zeigen Meinungsumfragen, dass Selenskyj in den Augen der ukrainischen Bevölkerung immer noch mehr Legitimität genießt als einige andere Regierungsorgane – und von den Ukrainer:innen sicherlich als viel legitimer angesehen wird als Trump und Putin. Und vergleicht man seine Zustimmungsrate mit der jeder:s anderen Politiker:in in der Ukraine, so gewinnt Selenskyj haushoch. Sein einziger wirklicher Konkurrent scheint General [Walerij] Saluschnyj zu sein, der oberster ukrainischer Militärkommandant war und natürlich kein Freund Russlands ist. Die Unterstellung, dass die Menschen Selenskyj loswerden und einen Präsidenten wählen wollen, der Trump und Putin freundlich gesinnt ist, widerspricht also jeder öffentlichen Umfrage. Wenn in der Ukraine jetzt eine Wahl stattfinden würde, würde Selenskyj bei einem derartig eilig organisierten Wahlverfahren wahrscheinlich mit größerer Leichtigkeit gewinnen. Im Gegensatz dazu haben jene Politiker:innen, die als Trumps Stellvertreter:innen auftreten und behaupten, sie könnten ein besseres Abkommen aushandeln als Selenskyj, eine Popularität von 4 Prozent oder weniger.
Welche neuen Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der aktuellen Situation für die ukrainische Linke?
All das ist eine riesige Herausforderung, nicht nur für die ukrainische Linke, sondern für das gesamte ukrainische Volk. Wenn unsere Zukunft schon vorher unklar war, ist sie jetzt noch prekärer. Aber was die Linke betrifft, so hat die aktuelle Situation deutlich gezeigt, dass der Kaiser nackt ist – all diese Mythen, die Kapitalist:innen und Unternehmer:innen verherrlichen, lösen sich direkt vor den Augen der Menschen auf. Die Art und Weise, wie Trump und Musk über die Ukraine sprechen, hat jede:n entfremdet, die:der Illusionen in diese falschen Idole hatte. Die einzigen, die ihnen noch zujubeln, sind die Rechtsextremen, die wollen, dass die Trump‘sche Reaktion in der Welt triumphiert.
Dieser Moment muss genutzt werden, um den Menschen zu zeigen, dass das Problem nicht bloß die Individuen sind, sondern das kapitalistische System, das solche verachtenswerten Menschen hervorbringt. Wir müssen erklären, dass das Problem der Kapitalismus ist, der darauf beruht, die Kapitaleigentümer:innen auf Kosten der Gesellschaft zu belohnen, und dass dieses System, wenn wir so weitermachen, nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Welt zerstören wird. Es ist auch eine Gelegenheit, unsere Alternativen zum neoliberalen oligarchischen Kapitalismus aufzuzeigen.
Dies erfordert eine wirksame Kampagne zu Themen, die der ukrainischen Arbeiter:innenklasse zugutekommen, die den größten Preis für diesen Krieg zahlen muss. Wir müssen die Arbeiter:innen stärken und Vorschläge für die Umgestaltung der ukrainischen Wirtschaft unterbreiten. Nicht nur um des Wohlergehens der Menschen willen, sondern weil dies in Zeiten des Krieges notwendig ist. Wenn wir in der Lage sein wollen, uns angemessen zu verteidigen, brauchen wir eine gut funktionierende Kriegswirtschaft, ein Gesundheitssystem, eine Abteilung für Wissenschaft und Forschung usw. All diese Dinge sind miteinander verbunden und für die Entwicklung der Wirtschaft unerlässlich. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass in der Wiederaufbauphase soziale Belange, nicht die Interessen des Privatkapitals im Vordergrund stehen. Dies erfordert die Zurücknahme oligarchischer Privatisierungen und die Überführung strategischer Sektoren der Wirtschaft in öffentliches Eigentum.
Es bedeutet auch, sich weiterhin gemeinsam mit anderen Linken zu organisieren – mit Genoss:innen aus den verschiedenen sozialistischen und anarchistischen Milieus, mit Gewerkschafter:innen, mit fortschrittlichen sozialen Bewegungen –, um diejenigen zu unterstützen, deren Leben durch den Krieg zerrüttet wurde, sowie diejenigen, die sich bewaffneten Widerstand beteiligen, sei es in der Armee oder bei der Erbringung wichtiger Dienstleistungen. Wir müssen auf diesen Verbindungen und Strukturen aufbauen, um politische Subjekte zu entwickeln, die den Weg für revolutionäre Veränderungen ebnen können.
Natürlich ist dies nicht nur eine Herausforderung für die ukrainische Linke, sondern für die Linke überall. Wir befinden uns in einem Moment extremer Polarisierung, in dem extrem reaktionäre Kräfte eine Dynamik erreicht haben, die es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab. Putins Einmarsch in der Ukraine und Trumps Pläne für den Gazastreifen verstärken sich gegenseitig und verstärken die Reaktion in der ganzen Welt. Trump und Putin planen, die Welt in eine noch schlimmere Hölle zu verwandeln. Solange sie nicht auf einen echten und koordinierten Widerstand stoßen, werden ultrakonservative und faschistische Kräfte weiterhin in einem Land nach dem anderen die Macht übernehmen.
Unsere Klassenfeinde vereinen sich auf globaler Ebene. Wir müssen also wirklich anfangen, darüber nachzudenken, wie wir als Linke uns international vereinigen können. Um dies zu erreichen, ist unter anderem ein konsequenter Internationalismus erforderlich. Das bedeutet, dass wir keine Ausreden mehr finden dürfen, um uns der Solidarität zu entziehen. Wir müssen aufhören zu versuchen, zu bestimmen, welche Völker irgendwie unterstützungswürdiger sind als andere, oder überhaupt nicht unterstützungswürdig, weil sie irgendwie vom falschen Unterdrücker unterdrückt werden. Wir müssen an der Seite aller unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt stehen.
Es gibt aufrichtige Progressive, die die neue Situation in der Ukraine als positiv ansehen (zumindest im Vergleich zu dem, was vorher geschah), weil sie glauben, dass sie dazu beitragen könnte, dem Gemetzel ein Ende zu setzen, oder aus Angst vor einer Eskalation des Krieges zu einem Atom- oder Weltkrieg. Was würdest Du ihnen entgegnen?
Tatsächlich haben wir enorme Solidarität und Unterstützung von Genoss:innen aus aller Welt erfahren. Aber wir haben auch erlebt, dass sich Progressive nicht nur weigern, Partei zu ergreifen, sondern sich sogar weigern, uns zuzuhören. Wir wissen, woher das kommt. In vielen Fällen entspringt das aus einem Gefühl der Machtlosigkeit. Dies führt dazu, dass die Menschen auf die Idee zurückgreifen, dass, wenn eine andere Kraft das bestehende System (oder zumindest den großen Imperialismus) in irgendeiner Weise in Frage stellen kann, dies vielleicht etwas Raum für Veränderungen schaffen könnte. Aber ein solches Denken stellt einen klaren Bruch mit linker Politik dar. Letztlich hat es mehr mit zynischer Realpolitik oder der „realistischen“ Vision von Politik zu tun.[5] Sie stellt eine Abkehr von der Klassenpolitik dar und ersetzt den Kampf für eine Alternative zum Kapitalismus durch die bloße Befürwortung irgendwelcher antiwestlicher Regime.
Wir können sehen, dass diese Art des Denkens der rechten konservativen Mentalität sehr ähnlich ist. Die Konservativen machten die kubanische Revolution dafür verantwortlich, dass die Welt während der Kubakrise an den Rand eines Atomkonflikts geriet. Damals sagten sie: „Kuba ist so eigensinnig, weil es sowjetische Raketen will, die die USA gefährden könnten“, und beschuldigten die „verrückten Kubaner“, den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Heute hört man dasselbe, nämlich dass die Ukrainer:innen irgendwie „Kriegstreiber:innen seien, die mit dem Dritten Weltkrieg spielten“. Heute hört man das nicht nur vom rechtsextremen milliardenschweren US-Präsidenten, sondern auch von einigen Linken. Hingegen sind die Aggressoren diejenigen, die den Dritten Weltkrieg wirklich wollen. Es ist Putin, der den Dritten Weltkrieg riskiert und keine Rücksicht auf Menschenleben nimmt, nicht einmal auf russische. Dennoch hört man immer noch Leute auf der Linken, die den Ukrainer:innen die Schuld geben und sie beschuldigen, „bis zur:m letzten Ukrainer:in“ kämpfen zu wollen.
Was die Kriegsvermeidung angeht, so gibt es in der Tat kein historisches Beispiel, bei dem die Belohnung oder Beschwichtigung eines Aggressors funktioniert hätte. Aber es gibt viele Beispiele dafür, wie dies den Weg zum Zweiten Weltkrieg ebnete, etwa als die internationale Gemeinschaft im Wesentlichen nichts unternahm, um den Sieg der Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg zu verhindern. Selbst die stalinistische Sowjetunion, die der spanischen Republik Hilfe leistete, nahm im Gegenzug Spaniens Goldreserven an sich – ähnlich wie Trump es mit den Seltenen Erden der Ukraine tun will. In ähnlicher Weise ließen Großbritannien und Frankreich die spanischen Republikaner:innen unter dem Deckmantel der „Nichteinmischung“ einfach im Stich. Sie arbeiteten auch direkt mit Hitler zusammen, um die Tschechoslowakei, das wohl demokratischste Land in der Region, zu zerschlagen, aber auch das hat den Zweiten Weltkrieg nicht verhindert. Auch der Molotow-Ribbentrop-Pakt [sogenannter Hitler-Stalin-Pakt im August 1939 zwischen der Sowjetunion und Deutschland] hat Deutschland nicht davon abgehalten, die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg anzugreifen. Das Muster hat sich also immer und immer wieder wiederholt.
Das Problem dieser progressiven Kräfte ist, dass sie keine wirkliche Alternative vorschlagen können. Sie geben schöne pazifistische und in vielen Fällen idealistische Slogans von sich wie „wir müssen über den Tellerrand hinausschauen“, „Krieg ist niemals die Antwort“ und „gebt der Diplomatie eine Chance“. Letztlich sind die Lösungen, denen sie folgen, jedoch dieselbe Realpolitik, die von den Großmächten vertreten wird: Die Imperialisten sollen darüber verhandeln, wie sie kleinere Länder aufteilen und die Welt in Einflusssphären aufteilen. Diejenigen, die eine solche Logik vertreten, sollten sich wirklich einmal in unsere Lage versetzen und sich überlegen, wie das von unserer Seite aus aussieht. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie okkupiert, gefoltert und ermordet würden, aber Andere dies als einen Beitrag zur Umgestaltung der Weltordnung zum Besseren ansehen würden? Die Realität ist, dass unsere derzeitige Situation nur dazu beitragen wird, die Welt zum Schlechteren zu verändern.
Diejenigen, die sich an diese Rhetorik klammern, werden sich zunehmend mit den Kräften der extremen Reaktion auf eine Linie begeben, die Teil der neuen faschistischen Internationale sind, die von den USA und Russland (und offenbar auch Israel) angeführt wird. Denn wenn man mit ihren Plänen für die Ukraine einverstanden ist, ist man auch mit ihren Plänen für das palästinensische Volk einverstanden, weil man damit einverstanden ist, dass sich imperialistische Mächte zusammentun, um einseitig zu entscheiden, was mit kleineren Nationen geschieht.
Wie kann die internationale Linke dem ukrainischen Volk und der ukrainischen Linken im Besonderen in diesen turbulenten Zeiten am besten helfen?
Das Erste, was ich sagen würde, ist, dass die Linke den Kampf in euren eigenen Ländern gegen eure eigenen herrschenden Klassen, gegen eure eigenen reaktionären Kräfte, die sich mit ähnlichen Kräften auf der ganzen Welt zusammenschließen, nicht aufgeben darf. Um dem ukrainischen Volk zu helfen, müsst ihr als erstes eure eigenen Kämpfe fortsetzen.
Das Zweite ist, sich auf eine internationalistische Plattform zu stellen, die sich gegen alle Aggressor:innen, alle Unterdrücker:innen, alle Imperialist:innen wendet. Heute bedeutet das, Wege zu finden, um dem ukrainischen Volk zu helfen, anstatt die Pläne kriecherischer Diktator:innen und Ultrakapitalist:innen zu unterstützen. Die Ukraine ist ein wichtiger Kampf für die Linke. Schöne Slogans wie „das Leiden muss irgendwie enden“, „der Krieg muss irgendwie enden“ reichen nicht aus, um das Leiden und den Krieg zu beenden. Dazu braucht es einen gerechten und nachhaltigen Frieden. Bei diesen sogenannten „Friedens“-Verhandlungen zwischen Putin und Trump geht es jedoch lediglich darum, den Aggressor zu belohnen und zu weiteren Aggressionen einzuladen.
Gegen die Realpolitik, die wir heute auf der Linken sehen, brauchen wir also einen erneuerten Internationalismus, um der Trump-Administration entgegenzutreten, die einen globalen rechtsextremen Angriff auf das anführt, was von progressiven Kräften und sozialen Errungenschaften in der ganzen Welt übrig geblieben ist. Jedes Mal, wenn Trump eine Erklärung abgibt, in der er fordert, dass ganze Nationen aufhören zu existieren und US-Staaten werden, oder damit droht, Teile anderer Länder zu annektieren, erhält man nur eine sehr kleinlaute Antwort von der internationalen Gemeinschaft. Viele haben Angst. Aber wir als Linke dürfen keine Angst haben, nicht einmal im Angesicht des schlimmsten kapitalistischen Albtraums. Es heißt, jetzt oder nie. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es vielleicht kein Morgen geben. Wir könnten uns stattdessen alle unter der Fuchtel extrem autoritärer, faschistischer Regime wiederfinden, die versuchen, die Welt nach ihren Vorstellungen umzugestalten – ein netter großer Spielplatz für die brutalsten und reichsten Menschen der Welt.
Referenzen
Das Interview erschien zunächst am 13 März 2025 in LINKS International Journal of Socialist Renewal[6]. Wir danken Denys Pilash und Federico Fuentes dafür, dass wir das Interview auf Deutsch publizieren können. Übersetzung: Christian Zeller
Titelbild erstellt mit Canva.
[1] Соціальний рух | Пряма демократія. Відкрита бухгалтерія рух https://rev.org.ua/
[2] Commons: Journal of Social Criticism | Спільне https://commons.com.ua/en/
[3] Links International Journal of Socialist Renewal https://links.org.au/
[4] Commons Journal Special Project “Dialogues of the peripheries” https://commons.com.ua/en/dialogues-peripheries/
[5] Der Realismus in den internationalen Beziehungen ist eine Denkschule in den Politikwissenschaften, die davon ausgeht, dass jeder Staat in erster Linie selber überleben will und darum mächtiger als seine potentiellen Gegner sein wolle. Der betrachtet den Staat als homogen und das internationale System als hierarchisch [Anm. d. Übersetzers].
[6] Denys Pilash & Federico Fuentes: ‘The left should support a just peace for Ukraine, not a Trump-Putin deal to appease the aggressor’: An interview with Ukrainian socialist Denys Pilash LINKS 13 March 2025 https://links.org.au/left-should-support-just-peace-ukraine-not-trump-putin-deal-appease-aggressor-interview-ukrainian
[7] Соціальний рух | Пряма демократія. Відкрита бухгалтерія рух https://rev.org.ua/