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Die syrischen popularen Klassen müssen sich organisieren, um die ursprüngliche Ziele der syrischen Revolution zu verwirklichen.
Ist das ägyptische Modell des Staatsstreichs in Syrien möglich? Sind das alte Regime und seine Überbleibsel die Hauptbedrohung für Syrien? Oder besteht die Hauptgefahr heute darin, dass die HTS und die sie unterstützenden regionalen und internationalen Kräfte versuchen, einen neuen Autoritarismus durchzusetzen? In diesem ausführlichen Artikel beantwortet Joseph Daher diese Fragen, indem er zunächst die Bedrohung durch die Überreste des alten Regimes und anschließend die Politik der HTS (Hai’at Tahrir asch-Scham) zur Konsolidierung ihrer Macht über das neue Syrien analysiert.
Der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad ist Teil der Kontinuität der revolutionären Prozesse, die 2011 im Nahen Osten und in Nordafrika begannen. Der Sturz des Regimes der Familie Assad, das seit 1970 an der Macht war, ist das Ergebnis der Kämpfe, die seit dem Volksaufstand im März 2011 geführt wurden. Die von bewaffneten Oppositionsgruppen geführte Militäroffensive, die im November 2024 begann, versetzte dem Regime einige Wochen später im Dezember seinen letzten Schlag.
Es werden viele Fragen zur Zukunft Syriens gestellt, insbesondere zu den hauptsächlichen Bedrohungen für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Einige liberale und demokratische Kommentator:innen, Intellektuelle und Aktivist:innen haben sich auf die „feloul“ oder Überbleibsel des alten Regimes konzentriert, insbesondere auf den Sicherheitsdienst und das Militär, von denen heute die größte Gefahr für das Land ausgehe. In den sozialen Netzwerken ist oft von einem ägyptischen Szenario die Rede, was sich auf den von Sisi angeführten Putsch gegen den Präsidenten Mursi, Mitglied der Muslimbrüder, im Juli 2013 bezieht.
Auf der anderen Seite gibt es einen Teil der Kommentator:innen und Demokrat:innen, die der derzeitigen HTS-geführten Regierung kaum oder gar nicht kritisch gegenüberstehen. Sie bescheinigen der salafistischen Gruppe im Allgemeinen, dass sie die Übergangsphase gut gemeistert hat.
In diesem Artikel soll untersucht werden, welches die größten Bedrohungen für die demokratische Zukunft Syriens sind, die für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit für alle im Lande steht. Dabei wird zunächst die Bedrohung durch die Überreste des alten Regimes analysiert und anschließend die Politik der HTS zur Konsolidierung ihrer Macht im neuen Syrien untersucht.
Was war das Wesen des Assad-Regimes?
Zunächst ist es wichtig zu analysieren, was das Wesen des alten Regimes war. Die Familie Assad hatte in Syrien ein despotisches und patrimoniales Regime errichtet. Hierbei handelte es sich um eine absolute autokratische und erbliche Macht, die dadurch funktionierte, dass die Staatsmacht in den Händen einer kleinen Gruppe von Personen lag, die durch familiäre, tribale, konfessionelle und klientelistische Verbindungen miteinander verbunden waren, symbolisiert durch den von Baschar al-Assad und seiner Familie geführten Präsidentenpalast. Die Streitkräfte wurden von einer Prätorianergarde (eine Truppe, die den Herrschenden und nicht dem Staat verpflichtet ist) beherrscht, die durch die Vierte Division unter der Führung von Mahir al-Assad repräsentiert wurde, wie dies auch bei den wirtschaftlichen Mitteln und den Schalthebeln der Verwaltung der Fall ist. Das syrische Regime hat eine Art Klientelkapitalismus entwickelt, der von einer kleinen Gruppe von Geschäftsleuten beherrscht wurde, die vollständig vom Präsidentenpalast abhängig waren (Baschar al-Assad, Asma al-Assad und Mahir al-Assad) und ihre von diesem garantierte Vormachtstellung ausnutzten, um ein beträchtliches Vermögen anzuhäufen. Der Rentier-Charakter der Wirtschaft verstärkte auch den patrimonialen Charakter des Staates. Mit anderen Worten: Die Machtzentren (politisch, militärisch und wirtschaftlich) innerhalb des syrischen Regimes konzentrierten sich auf eine Familie und deren Clique, die Assads, ähnlich wie in Libyen unter Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein im Irak oder den Golfmonarchien. Dies treibt das Regime dazu, alle ihm zur Verfügung stehende Gewalt anzuwenden, um seine Herrschaft zu schützen.
Der Aufbau des modernen Patrimonialstaates begann unter der Führung von Hafis al-Assad, nachdem er 1970 an die Macht gekommen war. Er baute systematisch einen Staat auf, in dem er seine Macht durch verschiedene Mittel wie Konfessionalismus, Regionalismus, Tribalismus und Klientelismus sichern konnte, die über informelle Netzwerke von Macht und Patronage gesteuert wurden. Dies ging einher mit einer harten Repression gegen jede Form von Dissens. Diese Instrumente ermöglichten es dem Regime, Gruppen, die verschiedenen Ethnien und religiösen Gruppen angehörten, zu integrieren, zu stärken oder zu unterwandern. Dies wurde auf lokaler Ebene durch die Zusammenarbeit verschiedener dem Regime unterstellter Akteur:innen umgesetzt, darunter staatliche oder Baath-Funktionär:innen, Geheimdienstmitarbeiter:innen und prominente Mitglieder der lokalen Gesellschaft (Geistliche, Stammesangehörige, Geschäftsleute usw.), die bestimmte Ortschaften verwalteten. Hafis al-Assad ebnete auch den Weg für den Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung, die im Gegensatz zur früheren radikalen Politik der 1960er Jahre stand.
Mit dem Machtantritt von Baschar al-Assad im Jahr 2000 wurde der patrimoniale Charakter des Staates erheblich gestärkt, wobei insbesondere das Gewicht des Klientelkapitals zunahm. Die beschleunigte neoliberale Politik des Regimes führte zu einer zunehmenden Verschiebung der sozialen Basis des Regimes, die ursprünglich aus Bauern und Bäuerinnen, Regierungsangestellten und einigen Teilen der Bourgeoisie bestand, hin zu einer Regimekoalition, in deren Zentrum die Klientelkapitalist:innen stehen – die gewinnsüchtige Allianz politischer Mittelsleute (angeführt von der Familie von Assads Mutter, Machluf) und der das Regime unterstützenden Bourgeoisie und der oberen Mittelschicht. Diese Verschiebung ging einher mit der Entmachtung der traditionellen korporatistischen Organisationen der Arbeiter:innen und Bäuer:innen und ihrer Klientelnetzwerke und der Kooptation von Unternehmensgruppen und höheren Mittelschichten an ihrer Stelle. Allerdings konnte dies die frühere Unterstützungsbasis weder ausgleichen noch kompensieren. Ganz allgemein haben der zunehmende patrimoniale Charakter des Staates und die Schwächung des Parteiapparats der Baath-Partei und der korporatistischen Organisationen dazu geführt, dass klientelistische, tribale und konfessionelle Verbindungen immer wichtiger wurden, was sich auch in der Gesellschaft niederschlug.
Nach dem Aufstand von 2011 stützten sich die Repression und die Politik des Regimes weitgehend auf seine alte und neue Hauptunterstützungsbasis: Klientelkapitalist:innen, Sicherheitsdienste und hohe religiöse Institutionen, die mit dem Staat verbunden sind. Gleichzeitig nutzte das Regime seine klientelistischen, konfessionellen und tribalen Netzwerke, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Während des Krieges verhinderte der sich vertiefende alawitische sektiererische und klientelistische Aspekt des Regimes größere Desertionen, während klientelistische Verbindungen als wesentliche Elemente dienten, um die Interessen unterschiedlicher sozialer Gruppen an das Regime zu binden.
Die Basis des Regimes zeigte den Charakter des Staates und die Art und Weise, wie die Machtelite mit dem Rest der Gesellschaft, oder genauer gesagt in diesem Fall mit ihrer Basis, durch eine Mischung aus modernen und archaischen Formen sozialer Beziehungen verbunden war, und nicht durch eine konstruierte und große Zivilgesellschaft. Das Regime musste sich vor allem auf Zwangsmaßnahmen stützen, zu denen repressive Maßnahmen und die Erzeugung von Angst gehörten, aber nicht nur. Das Regime konnte in der Tat auch auf die Passivität oder zumindest nicht aktive Opposition großer Teile der städtischen Regierungsangestellten und allgemeiner der Mittelschicht in den beiden größten Städten Damaskus und Aleppo zählen, obwohl ihre Vororte oft Brutstätten der Revolte waren. Dies war Teil der vom Regime auferlegten passiven Hegemonie.
Darüber hinaus zeigte diese Situation, dass sich die Basis des Regimes nicht auf Sektoren und Gruppen aus der alawitischen und/oder religiösen Minderheit beschränkte, auch wenn diese vorherrschend waren, sondern Persönlichkeiten und Gruppen aus verschiedenen Konfessionen und Ethnien umfasste, die dem Regime ihre Unterstützung zusicherten. Ganz allgemein agierten große Teile der durch konfessionelle, tribale und klientelistische Verbindungen mobilisierten Basis des Regimes zunehmend als Agent:innen der Unterdrückung durch das Regime.
Diese Widerstandsfähigkeit hatte ihren Preis und erhöhte zudem die Abhängigkeit des Regimes von ausländischen Staaten und Akteuren erheblich. Die bestehenden Merkmale und Tendenzen des Regimes wurden verstärkt. Eine kleine Gruppe von Klientelkapitalist:innen konnte ihre Macht erheblich ausbauen, da große Teile der syrischen Bourgeoisie das Land verlassen hatten und dem Regime ihre politische und finanzielle Unterstützung massiv entzogen. Diese Situation zwang das Regime zu einem immer räuberischeren Verhalten, um der im Land verbliebenen Unternehmer:innenklasse die immer notwendigeren Einnahmen abzupressen. Gleichzeitig wurden die klientelistischen, konfessionellen und tribalen Züge des Regimes noch verstärkt. Die konfessionelle alawitische Identität des Regimes wurde gestärkt, vor allem in Schlüsselinstitutionen wie der Armee und in geringerem Maße in den staatlichen Verwaltungen. Gleichzeitig wuchs jedoch in den letzten Jahren in der alawitischen Bevölkerung die Frustration über die anhaltende Verarmung der Gesellschaft und die Ausschreitungen der Milizen des Regimes auch gegen sie.
Generell ist dies der Grund, warum die Auffassung, das Regime sei ausschließlich alawitisch, trotz der Alawitisierung einiger Institutionen, insbesondere des bewaffneten Repressionsapparats, nicht die Dynamik der Macht und des Herrschaftssystems erfasst. Außerdem dient das Regime nicht den politischen und sozioökonomischen Interessen der gesamten alawitischen Bevölkerung, ganz im Gegenteil. Die steigende Zahl der Todesopfer in der Armee und anderen Milizen betraf viele Alawit:innen; die Unsicherheit und die zunehmende wirtschaftliche Not haben in der alawitischen Bevölkerung zu Spannungen geführt und die Feindseligkeit gegenüber den Regimevertreter:innen geschürt.
Die Betrachtung des Regimes als ausschließlich alawitisch, ungeachtet der Alawitisierung der Institutionen, insbesondere des bewaffneten Unterdrückungsapparats, wird der Dynamik der Macht und des Herrschaftssystems nicht gerecht.
Der Sturz des Regimes hat seine strukturelle Schwäche in militärischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht bewiesen. Es brach zusammen wie ein Kartenhaus. Das ist kaum verwunderlich, denn es schien klar, dass die Soldat:innen angesichts ihrer schlechten Bezahlung und Bedingungen nicht für das Assad-Regime kämpfen würden. Sie zogen es vor, zu fliehen oder einfach nicht zu kämpfen, anstatt ein Regime zu verteidigen, für das sie nur wenig Sympathie hegen, zumal viele von ihnen zwangsrekrutiert worden waren.
Die Abhängigkeit des Regimes von seinen ausländischen Verbündeten war für sein Überleben entscheidend geworden und offenbarte seine Schwäche. Russland, Assads wichtigste internationale Unterstützung, hat die Kräfte und Ressourcen in den eigenen imperialistischen Krieg gegen die Ukraine umgeleitet. Infolgedessen war das russische Engagement in Syrien wesentlich geringer als bei ähnlichen Militäroperationen in den vergangenen Jahren. Die beiden anderen Hauptverbündeten des Regimes, die libanesische Hisbollah und der Iran, wurden von Israel seit dem 7. Oktober 2023 dramatisch geschwächt. Tel Aviv hat die Führung der Hisbollah, einschließlich Hassan Nasrallah, ermordet, ihren Kader durch die Pager-Angriffe dezimiert und ihre Streitkräfte im Libanon bombardiert. Die Hisbollah steht definitiv vor ihrer größten Herausforderung seit ihrer Gründung. Israel hat auch eine Reihe von Angriffen auf den Iran durchgeführt und dessen Schwachstellen aufgedeckt. In den letzten Monaten hat es auch die Bombardierung iranischer und Hisbollah-Stellungen in Syrien verstärkt.
Da ihre wichtigsten Unterstützer:innen beschäftigt und geschwächt waren, befand sich die Diktatur Assads in einer verwundbaren Position. Aufgrund all ihrer strukturellen Schwächen, der mangelnden Unterstützung durch die von ihr beherrschte Bevölkerung, der Unzuverlässigkeit ihrer eigenen Truppen und ohne internationale und regionale Unterstützung war sie nicht in der Lage, dem Vormarsch der Rebellen standzuhalten, und ihre Herrschaft über eine Stadt nach der anderen brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
In diesem Zusammenhang können wir sagen, dass der Präsidentenpalast politisch tot ist. Assads Familie hat das Land verlassen, die Vierte Division unter der Führung von Mahir al-Assad existiert nicht mehr als organisierte Militäreinheit, und was von den wichtigsten Netzwerken der Macht übrig geblieben ist, ob es sich nun um klientel-kapitalistische, religiöse oder tribale Netzwerke handelt, ist irrelevant geworden und auf eine kleine Anzahl von Personen ohne Macht reduziert. In der Zwischenzeit haben einige Stammesoberhäupter, religiöse Führungspersonen und Wirtschaftskammern ihre Loyalität gegenüber den neuen Machthabenden bekundet, was dadurch symbolisiert wird, dass sie die neue syrische Flagge angenommen haben.
Rückkehr des alten Regimes?
Ist das Modell des ägyptischen Staatsstreichs unter diesem Gesichtspunkt für Syrien denkbar? Sind das alte Regime und seine Überbleibsel die Hauptbedrohung für Syrien? Meiner Meinung nach ist dies eine problematische Analyse. Es gibt zwei zentrale Aspekte, die miteinander verbunden sind: Die Verschiedenartigkeit in der Natur des Regimes und der Bedrohung kann nicht auf Einzelpersonen, sondern muss auf Machtstrukturen zurückgeführt werden.
Im Gegensatz zu Syrien bedeutete der Sturz des Diktators Husni Mubarak zunächst nicht das Ende des ägyptischen Regimes. Im Falle Ägyptens war das politische System eher eine Form des Neopatrimonialismus. Vetternwirtschaft und Klientelismus waren im ägyptischen Regime durch die Mubarak-Familie präsent und sind es auch heute noch unter dem derzeitigen Regime von Sisi. Mit anderen Worten: ein institutionalisiertes autoritäres republikanisches System mit einem mehr oder weniger großen Maß an staatlicher Autonomie gegenüber den Herrschenden, die abgelöst werden können. In der Tat sind die Streitkräfte im ägyptischen Staat die zentrale Institution der politischen Herrschaft und Macht. Keine Familie besitzt den Staat so sehr, dass sie mit ihm machen kann, was sie will, wie im Falle des syrischen Regimes unter der Familie Assad. Der ägyptische Staat wird vielmehr kollegial vom militärischen Oberkommando beherrscht. Dies erklärt, warum sich das Militär 2011 schließlich von Mubarak und seiner Entourage trennte, um das Regime zu schützen. Gamal Mubarak[1] und seine Gefolgsleute wurden aus der Regierungskoalition geworfen, und die Netzwerke der ehemaligen Regierungspartei, der Nationaldemokratischen Partei (NDP), sowie die Macht des Innenministeriums wurden im Verhältnis zu den Streitkräften geschwächt.
Auch die Machtübernahme der Muslimbruderschaft mit der Wahl von Mursi zum Präsidenten im Jahr 2012 bedeutete nicht das Ende des ägyptischen Regimes, das vom Oberkommando des Militärs kontrolliert wurde. Vielmehr versuchten Mursi und die Bruderschaft von den ersten Tagen des Aufstands im Jahr 2011 an, ein direktes Bündnis mit der Armee einzugehen, da sie deren politisches Gewicht und ihre repressive Rolle über Jahrzehnte hinweg sehr wohl kannten. Von den ersten Tagen der Revolution an fungierte die Bruderschaft bis nach dem Sturz von Mursi im Juli 2013 als Bollwerk gegen Kritik und Proteste gegen das Militär. Davor denunzierten sie diejenigen, die gegen die Armee protestierten, als Konterrevolutionär:innen und Aufwiegler:innen. Die von den Muslimbrüdern befürwortete Verfassung vom Dezember 2012 schützte den Haushalt des Militärs weiterhin vor der parlamentarischen Kontrolle und garantierte die Macht der Streitkräfte. Mursi und die Bruderschaft lehnten die Volks- und Arbeiter:innenmobilisierungen in Ägypten ab, unterdrückten sie sogar und verteidigten die Armee. Tatsächlich ernannte Mursi Sisi zum Armeechef, wohl wissend, dass er Demonstrant:innen inhaftiert und gefoltert hatte.
Trotz der Bemühungen der Bruderschaft um Zusammenarbeit mit der Armee stürzte diese Mursi und unterdrückte massiv die Bewegung der Muslimbruderschaft und alle Formen der Opposition, einschließlich der Linken und Demokrat:innen. Letztendlich vertraten die Armee und die Bruderschaft unterschiedliche Flügel der Kapitalist:innenklasse mit unterschiedlichen regionalen Hinterleuten, die keine Einigung erzielen konnten. Die weitaus mächtigere Armee beschloss schließlich, ihre direkte diktatorische Herrschaft durchzusetzen, zum Nachteil aller in Ägypten. Sisi hat das repressivste Regime geschaffen, das Ägypten seit Jahrzehnten gesehen hat, ein diktatorisches neoliberales Regime, das die Sparempfehlungen des IWF auf brutalste Weise umgesetzt hat, was zu massiver Verarmung und enormer Inflation führte.
In diesem Zusammenhang wurde zu keinem Zeitpunkt und bis heute das Zentrum der Macht in Ägypten gestürzt, ganz im Gegenteil. Im Falle Syriens sind, wie oben erläutert, die mit dem Präsidentenpalast verbundenen Machtstrukturen nicht mehr vorhanden, weshalb Vergleiche mit dem ägyptischen Szenario nicht sinnvoll sind.
Dennoch können Einzelpersonen des ehemaligen Regimes, insbesondere aus den Milizen, den Sicherheitsdiensten und der Vierten Division, eine Gefahr für die Stabilität Syriens darstellen. Sie haben ein Interesse daran, das Aufkeimen von konfessionellen Konflikten zu fördern, vor allem in den Küstengebieten, wo sie sich seit dem Sturz des Assad-Regimes weitgehend niedergelassen haben, und in geringerem Maße auch in Homs. Dies spiegelte sich in den Angriffen gegen HTS-Kräfte in der Nähe der Küstenstadt Tartus wider, bei denen am 25. Dezember 14 Menschen getötet und 10 verwundet wurden. Als Reaktion darauf starteten die HTS-Kräfte Angriffe, um „die Überreste der Assad-Milizen zu verfolgen“. Auch der Iran hat ein Interesse daran, durch konfessionelle Spannungen Instabilität zu schaffen, indem er Personen benutzt, die mit seinen Netzwerken im Lande verbunden sind.
Einige der Überreste des früheren Regimes wurden auch bei den jüngsten Protesten in Homs und in den Küstengebieten mobilisiert, nachdem in den sozialen Netzwerken ein Video kursierte, das die Vandalisierung eines alawitischen Schreins in Aleppo zeigt, die einige Wochen vor der Veröffentlichung dieses Artikels stattfand. Diese Demonstrationen dürfen jedoch nicht nur als von außen, vom Iran oder von Überbleibseln des alten Regimes gesteuert angesehen werden, vielmehr gibt es in Teilen der alawitischen Bevölkerung Ängste vor der neuen herrschenden Akteurin, der HTS, und Aufrufe zur Rache nach dem Sturz des Assad-Regimes.
Aus diesem Grund ist die Zunahme von bisher isolierten oder zumindest nicht systematischen Vorfällen mit konfessionellem Charakter seit dem Sturz des Regimes zu beachten, insbesondere die Hinrichtungen und Ermordungen aus Rache. Dies gilt für Personen, die in Verbrechen des früheren Regimes verwickelt waren, wobei sich häufig politische und konfessionelle Gründe für die Rache vermischen, insbesondere bei den Alawit:innen. Die Verbrechen des Assad-Regimes haben die syrische Gesellschaft zerrissen und ein Erbe von Gräueltaten und weit verbreitetem Leid hinterlassen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, koordinierte Maßnahmen zu ergreifen, um den unmittelbaren Bedürfnissen der Opfer gerecht zu werden und Mechanismen für einen umfassenden und langfristigen Rahmen für die Übergangsjustiz zu schaffen. Die Bewältigung des Vermächtnisses der systemischen Brutalität des Assad-Regimes ist für die Schaffung eines nachhaltigen und friedlichen Weges unerlässlich. Die Übergangsjustiz kann eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Racheakten und der Zunahme konfessioneller Spannungen spielen.
Neben einem Prozess zur Förderung der Übergangsjustiz und der Bestrafung aller an Kriegsverbrechen beteiligten Personen, ob aus dem alten Regime oder anderen bewaffneten Oppositionsgruppen, kann nur ein neuer politischer Zyklus, der eine breite Beteiligung der Bevölkerung von unten ermöglicht, um verschiedene demokratische und soziale Fragen zu entscheiden und anzugehen, die Stabilität auf lange Sicht wiederherstellen.
(Erste) Schlussfolgerung
Die Überreste des alten Regimes, insbesondere die Sicherheitsdienste und das Militär, stellen, wie bereits erwähnt, kurzfristig eine Bedrohung für die Stabilität in Syrien dar. Sie müssen gestoppt und für ihre Verbrechen verurteilt werden.
Auch wenn die Bedrohung durch diese Personengruppen nicht zu unterschätzen ist, so stellen sie doch keine Bedrohung in Form einer Rückkehr an die Macht und der Wiedereinführung einer Diktatur dar. Sie verfügen nicht über die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Mittel, um ein solches Ziel zu erreichen. Es ist wichtig, die Natur des Assad-Regimes und den Unterschied zum ägyptischen Szenario zu verstehen. Während das alte Regime in Syrien strukturell tot ist, was sich im Verschwinden des Präsidentenpalastes und seiner Netzwerke widerspiegelt, sind in Ägypten die Machtzentren innerhalb des militärischen Oberkommandos an der Macht geblieben, trotz des Sturzes von Mubarak im Jahr 2011 und der Herrschaft von Mursi zwischen Juli 2012 und Juli 2013.
Das Verständnis dieser Dynamik ist auch wichtig, um vor den Anschuldigungen zu warnen, die von einigen Kommentator:innen und Medien, die der neu regierenden Akteurin HTS nahestehen, gegen jede:n erhoben werden, die:der sie kritisiert oder gegen sie demonstriert. Auf diese Weise sollen Einzelpersonen und Gruppen und ihre politischen Forderungen diskreditiert werden. In ähnlicher Weise wurde vor einigen Wochen gegen eine Demonstration für einen demokratischen und säkularen Staat in Damaskus der Vorwurf des „feloul“ erhoben, weil mehrere Personen – manchmal zu Unrecht – beschuldigt wurden, Anhänger:innen des alten Regimes zu sein. Ungeachtet der Tatsache, dass sich unter den Tausenden und mehr Demonstrant:innen mehrere Personen befanden, die möglicherweise Anhänger:innen des früheren Regimes waren, bestand das eigentliche Ziel darin, die Demonstration und die mit ihr verbundenen Forderungen zu diskreditieren. Darüber hinaus besteht die Bereitschaft, einige Themen wie Säkularismus und Sozialismus als mit dem alten Regime verbunden und/oder als westlich importiert darzustellen, um sie zu diskreditieren.
Dies steht in der Tat im Zusammenhang mit dem zweiten Teil des Artikels. Auch hier gilt: Wenn einzelne Gruppen des alten Regimes eine Bedrohung für die Stabilität des Landes darstellen, so liegt eine große Gefahr für ein demokratisches und fortschrittliches Syrien in der Konsolidierung der Macht der HTS und der ihr angeschlossenen Syrischen Nationalen Armee (SNA), die von der Türkei und Katar unterstützt werden.
Die Konsolidierung der Macht der HTS oder eine Bedrohung für ein zukünftiges demokratisches und fortschrittliches Syrien
Die führende Rolle der HTS bei der Militäroffensive, die im Dezember 2024 zum Sturz des Assad-Regimes führte, hat der Organisation und ihrem Anführer Ahmed al-Scharaa (al-Dschaulani) große Popularität verschafft. Sie profitieren seither von einer Art „revolutionärer“ Legitimität, die sie nutzen, um ihre Herrschaft in den von der HTS beherrschten Regionen politisch und militärisch zu festigen.
Zwar hat sich die Gruppe politisch und ideologisch weiterentwickelt und ihre transnationalen dschihadistischen Ziele aufgegeben, um eine Akteurin zu werden, die innerhalb des syrischen nationalen Rahmens zu agieren versucht, doch bedeutet dies nicht, dass sie eine demokratische Gesellschaft unterstützt und Gleichheit und soziale Gerechtigkeit fördert, ganz im Gegenteil.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es wichtig zu analysieren, wie sie versuchen, ihre Macht in der Gesellschaft zu konsolidieren und eine neue autoritäre Ordnung zu errichten.
Die HTS festigt ihre Macht
Nach dem Sturz des Regimes traf Ahmed al-Scharaa zunächst mit dem ehemaligen Premierminister Mohammed al-Dschalali zusammen, um den Machtwechsel zu koordinieren, bevor er Mohammad al-Baschir zum Leiter der Übergangsregierung ernannte, der für die laufenden Geschäfte zuständig war. Al-Baschir hatte zuvor die Heilsregierung geleitet. Er wird auf jeden Fall bis zum 1. März 2025 im Amt bleiben. Die neue Regierung setzt sich ausschließlich aus Personen zusammen, die aus den Reihen der HTS stammen oder ihr nahestehen.
Ahmed al-Scharaa hat auch neue Minister, Sicherheitsbeauftragte und Gouverneure für verschiedene Regionen ernannt, die der HTS oder ihr nahestehenden bewaffneten Gruppen der SNA angehören. So wurde beispielsweise Anas Khattab (auch bekannt als Abu Ahmad Hudud) zum Leiter des Geheimdienstes ernannt. Er ist Gründungsmitglied von Dschabhat al-Nusra und war der wichtigste Sicherheitsbeauftragte der dschihadistischen Gruppe. Ab 2017 leitete er die inneren Angelegenheiten und die Sicherheitspolitik der HTS. Nach seiner Ernennung kündigte er die Umstrukturierung der ihm unterstellten Sicherheitsdienste an.
Auch der Aufbau der neuen syrischen Armee geht auf das Konto von Ahmed al-Sharaa und der mit ihm verbundenen Kräfte. Sie ernannten HTS-Befehlshaber zu hochrangigen Offizieren, wie den neuen Verteidigungsminister und einen langjährigen Spitzenbefehlshaber der HTS, Murhaf Abu Kasra, der zum General ernannt wurde.
Bei der Neuzusammensetzung der syrischen Armee versucht die HTS-Regierung auch, ihre Kontrolle und Vorherrschaft über die zersplitterten bewaffneten Gruppen des Landes zu festigen, indem sie ihre Maßnahmen und diesen Prozess damit rechtfertigt, dass sie allen anderen Akteur:innen das Tragen von Waffen außerhalb der staatlichen Kontrolle verbietet und dass das syrische Verteidigungs- und Innenministerium die einzigen beiden Organisationen sind, die Waffen besitzen dürfen. Die Vereinigung aller bewaffneten Gruppen zu einer neuen syrischen Armee ist zwar nicht per se abzulehnen, aber große Teile der drusischen Gemeinschaft in Suwaida und der Kurd:innen im Nordosten sind nach wie vor dagegen, wenn nicht gewisse Garantien wie Dezentralisierung und ein wirklich demokratischer Übergangsprozess gegeben sind.
In einem seiner jüngsten Interviews erklärte Ahmed al-Scharaa auch, dass die Organisation künftiger Wahlen bis zu vier Jahre und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung bis zu drei Jahre dauern könnte. Gleichzeitig war ursprünglich für den 4. und 5. Januar 2025 eine „Syrische Nationale Dialogkonferenz“ mit 1.200 Teilnehmer:innen geplant, die jedoch auf einen unbekannten Termin verschoben wurde. Es wurden keine Angaben darüber gemacht, wie diese Persönlichkeiten ausgewählt wurden, außer dass jedes Gouvernement durch 70 bis 100 Persönlichkeiten vertreten sein wird, wobei alle Segmente aus verschiedenen sozialen und wissenschaftlichen Schichten sowie Vertreter:innen der Jugend und der Frauen berücksichtigt werden.
Syrische Anwält:innen haben kürzlich eine Petition gestartet, in der sie freie Gewerkschaftswahlen fordern, nachdem die neuen Behörden einen nicht gewählten Gewerkschaftsrat eingesetzt haben.
Die HTS ist bestrebt, ihre Macht zu konsolidieren und gleichzeitig einen kontrollierten Übergang zu vollziehen, indem sie versucht, Ängste im Ausland zu zerstreuen, Kontakte zu regionalen und internationalen Mächten herzustellen und als legitime Kraft anerkannt zu werden, mit der man verhandeln kann. Ein Hindernis für eine solche Normalisierung ist die Tatsache, dass die HTS von den Vereinigten Staaten, der Türkei und den Vereinten Nationen nach wie vor als terroristische Organisation eingestuft wird, während Syrien weiterhin mit Sanktionen belegt ist. Darüber hinaus unterzeichnete US-Präsident Joe Biden am 23. Dezember im Rahmen des National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2025 die Verlängerung der Anwendung des Caesar-Gesetzes bis zum 31. Dezember 2029, trotz des Sturzes des Regimes von Baschar al-Assad. Dieser fünf Jahre zuvor vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump unterzeichnete Text sieht Sanktionen gegen alle Akteur:innen – auch Ausländer:innen – vor, die das syrische Regime beim Erwerb von Ressourcen oder Technologien unterstützen, die seine militärischen Aktivitäten stärken oder zum Wiederaufbau Syriens beitragen.
Es sind jedoch bereits Elemente erkennbar, die für eine Änderung der Haltung der regionalen und internationalen Hauptstädte gegenüber der HTS sprechen. Ankara ist eindeutig die wichtigste politische und militärische Unterstützerin des neuen Syriens, während Katar eine wichtige Rolle als wirtschaftliche Stütze spielen wird. Gleichzeitig bemüht sich al-Scharaa um den Aufbau von Beziehungen zu anderen arabischen Staaten, regionalen und internationalen Akteur:innen. So traf der HTS-Führer in Damaskus mit einer saudischen Delegation zusammen und lobte die ehrgeizigen Entwicklungspläne des saudischen Königreichs unter Verweis auf dessen Projekt Vision 2030 und äußerte sich optimistisch über die künftige Zusammenarbeit zwischen Damaskus und Riad. Für Saudi-Arabien und die anderen Golfmonarchien wird die Entwicklung der Beziehungen zu den neuen syrischen Führern davon abhängen, ob sie in der Lage sind, ihre Bedenken hinsichtlich des politischen Charakters des Landes auszuräumen und zu verhindern, dass Syrien zu einer weiteren Quelle der regionalen Instabilität wird. Eine syrische Delegation besuchte das saudische Königreich, der insbesondere der Außenminister, der Verteidigungsminister und der Leiter der Geheimdienste angehörten.
Auch auf der Ebene der westlichen Mächte ist ein Richtungswechsel zu erkennen, auch in den Vereinigten Staaten. Die Leiterin der Abteilung Naher Osten in der amerikanischen Diplomatie, Barbara Leaf, sagte nach einem Treffen mit Ahmed al-Scharaa in Damaskus Ende Dezember 2024, sie hätten ein „gutes, sehr produktives und ausführliches Gespräch“ über die Zukunft des politischen Übergangs in diesem Land geführt. Sie bezeichnete Ahmed al-Scharaa auch als „pragmatischen Mann“ und kündigte an, dass Washington das Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen Dollar, das seit 2013 wegen seiner Rolle in der Dschabhat al-Nusra auf ihn ausgesetzt war, zurückziehen werde.
Auch die jüngsten Äußerungen von al-Scharaa über eine Auflösung der HTS könnten einige dieser Probleme lösen.
Israel stellt jedoch nach wie vor eine Bedrohung für die Stabilität Syriens dar und ist insbesondere nicht an einem Demokratisierungsprozess interessiert. Nach dem Sturz des Assad-Regimes, das Israel Stabilität an seinen Grenzen garantiert hat, weitete die israelische Besatzungsarmee ihre Besetzung syrischer Gebiete aus, indem sie in den syrischen Teil des Berges Hermon auf den Golanhöhen eindrang und über 480 Angriffe auf Flugabwehrbatterien, Militärflugplätze, Waffenproduktionsstätten, Kampfflugzeuge und Raketen durchführte. Raketenschiffe trafen die syrischen Marineeinrichtungen des Hafens von Al-Bayda und des Hafens von Latakia, wo 15 syrische Marineschiffe angedockt waren. Diese Angriffe zielen darauf ab, die militärischen Kapazitäten Syriens zu zerstören, um zu verhindern, dass sie gegen Israel eingesetzt werden können. Damit wird auch die Botschaft vermittelt, dass die israelische Besatzungsarmee jederzeit für politische Instabilität sorgen kann, sollte die künftige Regierung eine feindliche Haltung einnehmen, die nicht den Interessen Israels dient.
Islamischer Neoliberalismus
Nach dem Sturz des Assad-Regimes steht Syrien vor vielen Herausforderungen, insbesondere was die wirtschaftliche Erholung und den Wiederaufbau des Landes betrifft. Schon jetzt werden die Kosten für den Wiederaufbau auf 250 bis 400 Milliarden Dollar geschätzt, und die Sanktionen stellen nach wie vor ein Hindernis für eine baldige Verbesserung der Lage dar.
Das Fehlen einer sicheren und stabilen wirtschaftlichen Situation in Syrien ist ein schwerwiegendes Hindernis für die Ankurbelung in- und ausländischer Investitionen. Ausländische Direktinvestitionen (ADI) sind in der Tat begrenzt und seit 2011 meist auf den Iran und Russland beschränkt. Die Golfstaaten könnten zwar daran interessiert sein, in dem Land zu investieren, um ihren Einfluss zu vergrößern, doch die Rolle, die die HTS derzeit spielt, könnte ein Hindernis darstellen, da sie von zahlreichen regionalen Staaten negativ wahrgenommen wird.
Der diplomatische Berater von VAE-Präsident Scheich Muhammad, Anwar Gargasch, erklärte beispielsweise, dass „die Zusammensetzung der neuen Kräfte an der Macht und ihre Verbindungen zu den Muslimbrüdern und al-Qaida recht beunruhigende Indikatoren sind“.
Auch die Instabilität des syrischen Pfunds ist ein großes Problem. Nach dem Sturz des Regimes stieg sein Wert auf dem Schwarzmarkt zwar massiv an, bevor er sich bei 15.000 SYP für einen US-Dollar stabilisierte, aber es ist noch ein weiter Weg zu gehen. Die mangelnde Stabilität des SYP schmälert die Attraktivität potenzieller schneller und mittelfristiger Renditen und Gewinne aus Investitionen in dem Land.
Außerdem stellen sich Fragen in Bezug auf die Regionen im Nordwesten, die seit mehreren Jahren die türkische Lira verwenden, um die durch die starke Abwertung des SYP angeschlagenen Märkte zu stabilisieren. Die Wiedereinführung des syrischen Pfunds als Hauptwährung in diesen Gebieten könnte problematisch sein, wenn keine Stabilität erreicht wird.
Gleichzeitig sind Infrastrukturen und Verkehrsnetze schwer beschädigt. Die hohen Produktionskosten, der Mangel an wichtigen Rohstoffen und Energieressourcen (insbesondere Heizöl und Strom) sind weitere Probleme. Syrien leidet auch unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, und es ist noch nicht klar, ob diejenigen, die diese Qualifikationen besitzen, zurückkehren werden.
Auch der Privatsektor, der zumeist aus kleinen und mittleren Unternehmen mit begrenzten Kapazitäten besteht, muss nach mehr als 13 Jahren Krieg noch stark modernisiert und wieder aufgebaut werden. Die staatlichen Mittel sind ebenfalls stark eingeschränkt, was auch die Investitionen in die Wirtschaft, insbesondere in die produktiven Sektoren, begrenzt.
Hinzu kommt, dass 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, was ihre Kaufkraft sehr schwächt und sich daher negativ auf den Binnenkonsum auswirkt. Denn obwohl es in Syrien nicht an Arbeit mangelt, werden die Menschen nicht ausreichend bezahlt, um ihren täglichen Bedarf zu decken. Vor diesem Hintergrund sind die Syrer:innen mehr und mehr auf Geldüberweisungen angewiesen, um zu überleben.
Einige Vertreter:innen der neuen Regierung, wie Ahmed al-Scharaa selbst, kündigten an, dass sie in den kommenden Tagen die Löhne der Arbeiter:innen um 400 Prozent anheben werden, so dass der Mindestlohn 1.123560 SYP (etwa 75 US-Dollar) betragen wird. Dies ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus, um den Lebensunterhalt der Menschen angesichts der anhaltenden Krise bei den Lebenshaltungskosten zu sichern. Das Medienunternehmen Kassioun schätzte im Oktober 2024, dass die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine fünfköpfige syrische Familie in Damaskus 13,6 Millionen SYP (ca. 1.077 US-Dollar) betrugen. Das Minimum lag bei 8,5 Mio. SYP (ca. 673 US-Dollar).
Hinzu kommt, dass der Einfluss ausländischer Mächte in Syrien nach wie vor eine Quelle der Bedrohung und Instabilität ist, wie die jüngste Invasion Israels und die kontinuierliche Zerstörung der militärischen Infrastrukturen gezeigt haben. Nicht zu vergessen die ständigen Angriffe und Drohungen der Türkei im Nordosten Syriens, insbesondere in den mehrheitlich von Kurd:innen bewohnten Gebieten.
Eines der größten Probleme inmitten der Ungewissheit im Land ist das Fehlen eines alternativen politischen Wirtschaftsprogramms bei der Mehrheit der führenden politischen Akteur:innen, einschließlich der HTS.
Die HTS hat keine Alternative zum neoliberalen Wirtschaftssystem, und ähnlich wie die Dynamik und die Formen des klientelistischen Kapitalismus unter dem vorherigen Regime ist die Gruppe bestrebt, diese Praktiken in den Unternehmensnetzwerken (bestehend aus alten und neuen Persönlichkeiten) auszubauen. In den vergangenen Jahren hat die Heilsregierung die Entwicklung des Privatsektors begünstigt und enge Geschäftspartner der HTS und von al-Dschaulani begünstigt.
In der Zwischenzeit wurden die meisten sozialen Dienste – insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen – von NGOs und INGOs bereitgestellt.
Bassel Hamwi, der Präsident der Handelskammer von Damaskus, sagte, dass die von der HTS eingesetzte neue syrische Regierung nach dem Sturz des Regimes den Wirtschaftsführer:innen gesagt habe, dass sie ein Modell der freien Marktwirtschaft übernehmen und das Land in die Weltwirtschaft integrieren werde. Hamwi wurde im November 2024, wenige Wochen vor dem Sturz von Assad, in sein derzeitiges Amt „gewählt“. Er ist auch Präsident des Verbands der syrischen Handelskammern.
Al-Scharaa und sein Wirtschaftsminister haben auch zahlreiche Treffen mit Vertreter:innen dieser Wirtschaftskammern und Geschäftsleuten aus verschiedenen Regionen abgehalten, bei denen sie ihre wirtschaftlichen Visionen erläuterten und sich die Beschwerden der Geschäftsleute anhörten, um deren Interessen gerecht zu werden. Die große Mehrheit der Vertreter:innen der verschiedenen Wirtschaftskammern des alten Regimes ist immer noch in ihren Positionen.
Letztlich wird dieses neoliberale Wirtschaftssystem in Verbindung mit dem Autoritarismus der HTS wahrscheinlich zu sozioökonomischen Ungleichheiten und einer anhaltenden Verarmung der syrischen Bevölkerung führen, die zu den Hauptgründen für den Aufstand von 2011 gehörten.
Der neue, der HTS nahestehende Wirtschaftsminister bekräftigte diese neoliberale Ausrichtung wenige Tage nachdem er gesagt hatte, dass „wir von einer sozialistischen Wirtschaft … zu einer freien Marktwirtschaft übergehen werden, die die islamischen Gesetze respektiert“. Unabhängig davon, dass es völlig abwegig ist, das frühere Regime als sozialistisch zu bezeichnen, spiegelt sich die Klassenorientierung des Ministers deutlich in der Betonung wider, dass „der private Sektor … ein effektiver Partner und Beitrag zum Aufbau der syrischen Wirtschaft sein wird“.
Arbeiter:innen, Bäuer:innen, Staatsbedienstete, Gewerkschaften und Berufsverbände wurden in der künftigen Wirtschaft des Landes mit keinem Wort erwähnt.
Letztlich hängt der Prozess des Wiederaufbaus mit den sozialen und politischen Kräften zusammen, die an der Zukunft des Landes beteiligt sein werden, sowie mit dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen. In diesem Zusammenhang ist der Aufbau autonomer gewerkschaftlicher Massenorganisationen unerlässlich, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung zu verbessern und ganz allgemein für demokratische Rechte und ein Wirtschaftssystem zu kämpfen, das auf sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit beruht.
Reaktionäre Ideologie
In ähnlicher Weise hat die HTS mehrere Erklärungen und Entscheidungen abgegeben, die ihre reaktionäre Ideologie unterstreichen.
So wurden beispielsweise Erklärungen von HTS-Vertreter:innen zur Rolle der Frauen in der Gesellschaft abgegeben, die sich auch auf ihre Fähigkeit beziehen, in bestimmten Bereichen zu arbeiten. So erklärte Obeida Arnaut, HTS-Mitglied und Sprecher für politische Angelegenheiten des Kommandos für militärische Operationen (CMO), in einem Interview am 16. Dezember, dass die „Rollen der Frauen mit dem übereinstimmen müssen, was Frauen leisten können. Wenn wir zum Beispiel sagen, dass eine Frau Verteidigungsministerin werden soll, entspricht das dann ihrem Wesen und ihrer biologischen Veranlagung? Zweifelsohne nicht“.
Einige Tage später antwortete Aischa al-Dibs, die neu ernannte Leiterin des syrischen Frauenministeriums und bisher einzige Frau in der syrischen Übergangsregierung, auf die Frage nach dem „Raum“, der feministischen Organisationen im Land eingeräumt würde, dass sie willkommen seien, wenn „die Aktionen dieser Organisationen das Modell, das wir aufbauen wollen, unterstützen“, und fügte hinzu: „Ich werde nicht den Weg für diejenigen öffnen, die nicht mit meinem Denken übereinstimmen.“ Im weiteren Verlauf des Interviews entwickelte sie eine reaktionäre Vision von der Rolle der Frau in der Gesellschaft, indem sie die Frauen aufforderte, „nicht über die Prioritäten ihrer gottgegebenen Natur hinauszugehen“ und „ihre erzieherische Rolle in der Familie“ zu kennen.
Darüber hinaus hat das syrische Bildungsministerium Änderungen am Lehrplan vorgenommen, die auf eine eher islamisch-konservative Sichtweise abzielen. So wurde die Evolutionstheorie aus dem wissenschaftlichen Lehrplan gestrichen, Jüd:innen und Christ:innen werden nun als diejenigen bezeichnet, die vom wahren Weg „abgekommen“ sind, und Verweise auf die „Verteidigung der Nation“ wurden durch die „Verteidigung Allahs“ ersetzt. Nach viel Kritik an diesen Änderungen gab der Bildungsminister am nächsten Tag bekannt, dass „die Lehrpläne in allen syrischen Schulen so bleiben, wie sie sind, bis Fachausschüsse gebildet werden, die die Lehrpläne überprüfen und kontrollieren. Wir haben lediglich angeordnet, dass alles gestrichen wird, was das gestürzte Assad-Regime verherrlicht, und wir haben in allen Schulbüchern Bilder der syrischen Revolutionsflagge anstelle der Flagge des gestürzten Regimes aufgenommen…“ Einige der vorgenommenen Änderungen wurden also wieder rückgängig gemacht.
Es reicht also nicht aus, unklare Erklärungen zur Toleranz gegenüber religiösen oder ethnischen Minderheiten oder zur Achtung der Rechte der Frauen abzugeben. Es geht vor allem darum, ihre Rechte als gleichberechtigte Bürger:innen anzuerkennen, die über die Zukunft des Landes mitbestimmen. Generell haben die HTS-Vertreter:innen ihre Vorliebe für eine islamische Staatsführung und die Anwendung der Scharia klar zum Ausdruck gebracht.
Keine Lösung für die kurdische Frage
Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass die HTS bereit ist, die Forderungen der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und der AANES[2] zu unterstützen, insbesondere was die nationalen Rechte der Kurd:innen betrifft. Schließlich sind die nordöstlichen Regionen reich an natürlichen Ressourcen, insbesondere an Erdöl und Landwirtschaft, und damit strategisch und symbolisch wichtig. Letztendlich unterscheidet sich die HTS nicht vom Syrischen Nationalrat und der Nationalen Koalition der Oppositions- und Revolutionskräfte – Oppositionsakteur:innen im Exil, die den kurdischen nationalen Rechten feindlich gegenüberstehen.
Die Türkei ist nach dem Sturz des Assad-Regimes zur wichtigsten regionalen Akteurin in Syrien geworden. Durch die Unterstützung der HTS festigt Ankara die eigene Macht in Syrien. Abgesehen von der Zwangsrückführung syrischer Flüchtlinge und der Nutzung künftiger wirtschaftlicher Chancen in der Wiederaufbauphase besteht das Hauptziel der Türkei darin, die kurdischen Autonomiebestrebungen zu vereiteln und insbesondere die AANES zu untergraben. Dies würde einen Präzedenzfall für die kurdische Selbstbestimmung in der Türkei schaffen.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem HTS-Führer Ahmed al-Scharaa, dass die territoriale Integrität Syriens „nicht verhandelbar“ sei und dass die PKK „keinen Platz“ in dem Land habe. Einige Tage später erklärte Präsident Erdoğan, die SDF würden sich entweder von ihren Waffen verabschieden oder in syrischem Boden begraben. Auch die türkische Armee bombardiert seit Ende 2023 kontinuierlich Zivilist:innen und wichtige Infrastrukturen im Nordosten Syriens.
Obwohl die HTS in den letzten Wochen nicht an militärischen Konfrontationen gegen die SDF teilgenommen hat, hat sich die Organisation nicht gegen die von der Türkei geführten Angriffe ausgesprochen, ganz im Gegenteil. Murhaf Abu Kasra, ein hochrangiger Kommandeur der HTS und neu ernannter Verteidigungsminister der Übergangsregierung, erklärte: „Syrien wird nicht geteilt und es wird keinen Föderalismus geben, inschallah. So Gott will, werden all diese Gebiete unter syrischer Autorität stehen.“ Auch al-Scharaa lehnt den Föderalismus ab.
Darüber hinaus erklärte al-Scharaa gegenüber einer türkischen Zeitung, dass Syrien in Zukunft eine strategische Beziehung zur Türkei aufbauen werde, und fügte hinzu: „Wir akzeptieren nicht, dass syrische Gebiete die Türkei oder andere Länder bedrohen und destabilisieren.“ Er erklärte außerdem, dass alle Waffen unter staatliche Kontrolle gestellt werden müssen, auch die in den von den SDF gehaltenen Gebieten.
Dies alles, obwohl SDF-Vertreter:innen Erklärungen abgegeben haben, in denen sie sich um Verhandlungen mit der HTS bemühen. Der SDF-Befehlshaber Mazlum Abdi erklärte, sie seien für eine Dezentralisierung und Selbstverwaltung des Staates, aber nicht für Föderalismus, und seien offen für eine Beteiligung an einer künftigen nationalen syrischen Armee (mit Garantien). Er erklärte, die SDF seien kein verlängerter Arm der PKK und bereit, nicht-syrische Kämpfer:innen sofort nach Abschluss eines Waffenstillstands auszuweisen.
Al-Scharaa erklärte in den letzten Tagen, dass man mit den SDF verhandle, um die Krise im Nordosten Syriens zu lösen, und dass das syrische Verteidigungsministerium kurdische Kräfte in seine Reihen integrieren werde. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie und unter welchen Bedingungen.
Ein Wettlauf mit der Zeit zur Verteidigung eines demokratischen Raums
Die überwiegende Mehrheit der demokratischen gesellschaftlichen Organisationen und Kräfte, die den syrischen Volksaufstand im März 2011 ins Rollen brachten, wurden blutig unterdrückt. In erster Linie durch das syrische Regime, aber auch durch verschiedene bewaffnete islamisch-fundamentalistische Organisationen. Das Gleiche gilt für lokale alternative politische Institutionen oder Einrichtungen, die von den Demonstrant:innen gegründet wurden, wie etwa Koordinationsausschüsse und Gemeinderäte, die Dienstleistungen für die lokale Bevölkerung erbrachten. Dennoch gibt es im gesamten syrischen Staatsgebiet und insbesondere im Nordwesten Syriens einige zivile Gruppen und Netzwerke, die allerdings meist mit NGO-ähnlichen Organisationen verbunden sind und eine andere Dynamik als zu Beginn des Aufstandes aufweisen.
Gleichzeitig haben sich auch andere Formen des Kampfes entwickelt, wenn auch mit geringerer Intensität. So finden beispielsweise im Gouvernement Suwaida, das hauptsächlich von der drusischen Minderheit bewohnt wird, seit Mitte August 2023 Proteste und Streiks statt. Generell hat die Protestbewegung immer wieder die Bedeutung der Einheit Syriens, der Freilassung politischer Gefangener und der sozialen Gerechtigkeit betont und gleichzeitig die Umsetzung der UN-Resolution 2254 gefordert, die einen politischen Übergang vorsieht. Es sind die lokalen Netzwerke und Gruppen, die kürzlich die langjährige Aktivistin Muhsina al-Mahithaui zur Gouverneurin der Provinz Suwaida gewählt haben.
Auch in anderen Städten und Regionen, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, insbesondere in den Gouvernements von Daraa und in geringerem Maße in den Vororten von Damaskus, kam es gelegentlich zu Protesten, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang.
Diese Formen des Dissenses bildeten teilweise die Grundlage für den Aufstand in den Tagen vor dem Sturz der Assad-Dynastie.
Die Erfahrungen, die in den ersten Jahren des Volksaufstands gesammelt wurden, die die dynamischste Phase des zivilen Volkswiderstands darstellten, sind durch die Überlieferung der Aktivist:innen, die diese Erfahrungen gemacht haben, und durch die beispiellose Dokumentation des Aufstands, einschließlich Schriften, Videoaufnahmen, Zeug:innenaussagen und anderer Beweismittel, erhalten geblieben. Dieses umfangreiche Dokumentationsarchiv der zivilen Widerstandsbewegung kann in das Gedächtnis der Bevölkerung einfließen und eine wichtige Ressource für diejenigen bilden, die in Zukunft Widerstand leisten.
Nach dem Ende des Assad-Regimes haben sich lokale Initiativen vervielfacht, um lokale Komitees oder Netzwerke von Aktivist:innen in verschiedenen Regionen zu gründen, um die Selbstorganisation und die Beteiligung von unten zu fördern und den zivilen Frieden zu gewährleisten. Es hat bereits Demonstrationen gegeben, vor allem um bestimmte reaktionäre Äußerungen gegen Frauen anzuprangern.
Dennoch müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass ein unabhängiger demokratischer und fortschrittlicher Block, der in der Lage ist, sich zu organisieren und den neuen Machthabern klar entgegenzutreten, fehlt. Der Aufbau eines solchen Blocks wird Zeit brauchen. Er wird die Kämpfe gegen Autokratie, Ausbeutung und alle Formen der Unterdrückung verbinden müssen. Er wird Forderungen nach Demokratie, Gleichheit, kurdischer Selbstbestimmung und Frauenbefreiung erheben müssen, um die Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten des Landes zu stärken.
Um solche Forderungen voranzutreiben, muss dieser fortschrittliche Block Volksorganisationen – von Gewerkschaften über feministische Organisationen bis hin zu kommunalen Organisationen und nationalen Strukturen – auf- und umbauen, um sie zusammenzubringen. Dies erfordert die Zusammenarbeit zwischen demokratischen und progressiven Akteur:innen in der gesamten Gesellschaft.
Darüber hinaus wird eine der wichtigsten Aufgaben darin bestehen, die zentrale ethnische Spaltung des Landes, die zwischen Araber:innen und Kurd:innen, zu überwinden. Die fortschrittlichen Kräfte müssen einen klaren Kampf gegen den arabischen Chauvinismus führen, um diese Spaltung zu überwinden und die Solidarität zwischen diesen Bevölkerungsgruppen zu stärken. Dies ist eine Herausforderung seit Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2011 und muss auf fortschrittliche Weise angegangen und gelöst werden, damit die Menschen im Land wirklich befreit werden können.
Schlussfolgerung
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die HTS eher das Ergebnis der Konterrevolution unter Führung des syrischen Regimes ist, das den Volksaufstand und seine demokratischen Organisationen blutig niedergeschlagen und sich zunehmend militarisiert hat. Der Aufstieg dieser Art von islamisch-fundamentalistischen Bewegungen hat verschiedene Ursachen, darunter die anfängliche Unterstützung ihrer Ausbreitung durch das Regime, die Unterdrückung der Protestbewegung, die zur Radikalisierung einiger Elemente führte, eine bessere Organisation und Disziplinierung ihrer Gruppen und schließlich die Unterstützung durch das Ausland.
In der Folge bildete die HTS wie andere bewaffnete islamische fundamentalistische Organisationen in vielerlei Hinsicht den zweiten Flügel der Konterrevolution nach dem Assad-Regime. Ihre Vision von der Gesellschaft und der Zukunft Syriens steht im Gegensatz zu den ursprünglichen Zielen des Aufstands und seiner umfassenden Botschaft von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit. Ihre Ideologie, ihr politisches Programm und ihre Praktiken haben sich als gewalttätig erwiesen, nicht nur gegenüber den Kräften des Regimes, sondern auch gegenüber demokratischen und fortschrittlichen Gruppen, sowohl zivilen als auch bewaffneten, ethnischen und religiösen Minderheiten und Frauen.
Um eine demokratische und fortschrittliche Gesellschaft zu bewahren und für sie zu kämpfen, reicht es nicht aus, den derzeitigen HTS-Behörden Vertrauen zu schenken oder ihnen gute Noten für die Regierungsführung und die Bewältigung der Übergangsphase geben, sondern man muss eine unabhängige Gegenmacht aufbauen, die sich aus demokratischen und fortschrittlichen Netzwerken und Vereinigungen zusammensetzt. Der Zeitrahmen für die Organisation von Wahlen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung oder die Auswahl von Persönlichkeiten in einer „Konferenz des nationalen Dialogs“ können Gegenstand von Debatten und Kritik sein, aber das Kernproblem ist die mangelnde Beteiligung von unten am Prozess dieser Entscheidungsfindung und das Fehlen einer Möglichkeit, Druck auf die HTS auszuüben, damit sie Zugeständnisse macht. Die Entscheidungsfindung liegt allein in den Händen der HTS. Dieser Prozess wird auch von ihren wichtigsten Unterstützern, der Türkei und Katar, mitgetragen, aber ganz allgemein von der großen Mehrheit der regionalen und internationalen Mächte. Insgesamt verfolgen sie ein gemeinsames Ziel, nämlich die (Wieder-)Herstellung einer autoritären Stabilität in Syrien und der Region. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich die regionalen und imperialen Mächte einig sind. Jede hat ihre eigenen, oft antagonistischen Interessen, aber sie wollen keine Destabilisierung des Nahen Ostens und Nordafrikas.
Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft liegt nach dem Sturz von Assad in der Luft. Dies alles hängt mit der Fähigkeit der Syrer:innen zusammen, die Kämpfe von unten wieder aufzubauen. Derzeit sind die Macht und die Kontrolle der HTS über die Gesellschaft noch nicht vollständig, da ihre personellen und militärischen Kapazitäten noch nicht ausreichen, um ganz Syrien zu beherrschen. Dies gilt es zu nutzen.
Letztlich wird nur die Selbstorganisation der Bevölkerung, die für demokratische und fortschrittliche Forderungen kämpft, den Weg zur tatsächlichen Befreiung und Emanzipation ebnen.
Zumindest jetzt besteht die Möglichkeit dazu, aber wir befinden uns in einem Wettlauf und die syrischen popularen Klassen müssen sich organisieren, um all die Opfer zu verteidigen, die gebracht wurden, um die ursprünglichen Bestrebungen der Revolution nach Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit zu verwirklichen.
Referenzen
Ursprünglich veröffentlicht auf SyriaUntold. Für emanzipation aus dem Englischen übersetzt von Harald Etzbach.
Bildquelle: Syria Untold
[1] Gamal Mubarak ist ein Sohn des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Er fungierte unter anderem als stellvertretender Generalsekretär und Chef des politischen Komitees der Nationaldemokratischen Partei (NDP), die von 1978 bis 2011 die ägyptische Regierungspartei war, und galt als designierter Nachfolger seines Vaters [A.d.Ü].
[2] „Autonomous Administration of North and East Syria”, die autonome kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens [A.d.Ü.].