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In den vergangenen Jahren hat sich ein klimapolitischer Konsens breitgemacht: Bis 2030 bzw. bis 2050 soll die Menschheit weltweit „Netto Null“ CO2 ausstoßen. Wie dieses Ziel effektive Klimapolitik in der Gegenwart verhindert und stattdessen auf Wundermittel der Zukunft vertröstet, reflektieren drei Klimaforscher, die geholfen haben das Konzept „Netto Null“ groß zu machen. (Red.)
Manchmal kommt die Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Verschwommene Umrisse nehmen Gestalt an und plötzlich ergibt alles einen Sinn. Hinter solchen Enthüllungen verbirgt sich in der Regel ein viel langsamerer Prozess. In den Hinterköpfen wachsen die Zweifel. Das Gefühl der Verwirrung, dass die Dinge nicht zusammenpassen, nimmt zu, bis etwas “klick” macht. Oder vielleicht schnappt.
Wir drei Autoren dieses Artikels haben zusammen mehr als 80 Jahre damit verbracht, über den Klimawandel nachzudenken. Warum hat es so lange gedauert, bis wir uns zu den offensichtlichen Gefahren des Netto Null-Konzepts geäußert haben? Zu unserer Verteidigung sei gesagt, dass die Prämisse von Netto Null trügerisch einfach ist – und wir geben zu, dass sie uns getäuscht hat.
Die Bedrohung durch den Klimawandel ist die direkte Folge davon, dass zu viel CO2 in der Atmosphäre vorhanden ist. Deshalb müssen wir aufhören, mehr zu emittieren, und sogar einen Teil davon der Atmosphäre wieder entziehen. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt des aktuellen Plans der Staatengemeinschaft, um eine Katastrophe zu vermeiden. In der Tat gibt es viele Vorschläge, wie dies zu bewerkstelligen ist, von der massenhaften Anpflanzung von Bäumen bis hin zu Hightech-Geräten zur direkten CO2-Abscheidung aus der Luft.
Der derzeitige Konsens ist, dass wir die globale Erwärmung schneller aufhalten können, wenn wir diese und andere sogenannte “CO2-Abscheidetechniken” gleichzeitig mit der Reduzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe einsetzen. Hoffentlich werden wir gegen Mitte dieses Jahrhunderts “Netto Null” erreichen. Dies ist der Punkt, an dem alle verbleibenden Emissionen von Treibhausgasen durch Technologien ausgeglichen werden, die sie aus der Atmosphäre entfernen.
Im Prinzip ist dies eine großartige Idee. Leider trägt sie in der Praxis dazu bei, den Glauben an die technologische Rettung aufrechtzuerhalten und das Gefühl für die Dringlichkeit, die Emissionen jetzt einzudämmen, zu vermindern.
Wir haben schmerzlich feststellen müssen, dass die Idee der Netto Null-Emissionen einem rücksichtslosen, leichtfertigen “Jetzt verbrennen, später bezahlen”-Ansatz Vorschub geleistet hat, der die CO2-Emissionen weiter in die Höhe getrieben hat. Außerdem hat sie die Zerstörung der Natur durch die zunehmende Abholzung der Wälder beschleunigt und das Risiko weiterer Zerstörungen in der Zukunft stark erhöht.
Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass die Menschheit ihre Zivilisation auf der Grundlage von Versprechungen über zukünftige Lösungen aufs Spiel gesetzt hat, müssen wir in die späten 1980er Jahre zurückgehen, als der Klimawandel auf die internationale Bühne kam.
Schritte in Richtung Netto Null
Am 22. Juni 1988 war James Hansen Verwalter des Goddard-Instituts für Weltraumstudien der NASA – eine prestigeträchtige Position, aber außerhalb der akademischen Welt weitgehend unbekannt.
Am Nachmittag des 23. Juni war Hansen auf dem besten Weg, der berühmteste Klimaforscher der Welt zu werden. Dies war das unmittelbare Ergebnis seiner Aussage vor dem US-Kongress, in der er nachwies, dass sich das Erdklima erwärmt und dass der Mensch die Hauptursache dafür ist: “Der Treibhauseffekt ist nachgewiesen, und er verändert jetzt unser Klima”.
Hätten wir damals auf Hansens Aussage hin gehandelt, wären wir in der Lage gewesen, unsere Gesellschaft mit einer Rate von etwa 2% pro Jahr zu dekarbonisieren, um uns eine Zwei-Drittel-Chance zu geben, die Erwärmung auf nicht mehr als 1,5°C zu begrenzen. Das wäre eine enorme Herausforderung gewesen, aber die Hauptaufgabe hätte darin bestanden einfach die zunehmende Nutzung fossiler Brennstoffe zu stoppen und gleichzeitig die künftigen Emissionen gerecht zu verteilen.
Vier Jahre später gab es einen Hoffnungsschimmer, dass dies möglich sein würde. Auf dem Erdgipfel von Rio 1992 einigten sich alle Nationen darauf, die Konzentration von Treibhausgasen zu stabilisieren, um sicherzustellen, dass sie keine gefährliche Störung des Klimas verursachen. Auf dem Kyoto-Gipfel 1997 wurde versucht, dieses Ziel in die Praxis umzusetzen. Doch im Laufe der Jahre wurde die ursprüngliche Aufgabe, für unsere Sicherheit zu sorgen, immer schwieriger, da die Nutzung fossiler Brennstoffe immer weiter zunahm.
Etwa zu dieser Zeit wurden die ersten Computermodelle entwickelt, die die Treibhausgasemissionen mit den Auswirkungen auf die verschiedenen Wirtschaftssektoren verknüpften. Diese hybriden Klima- und Wirtschaftsmodelle werden als „Integrierte Bewertungsmodelle“ bezeichnet. Sie ermöglichten es den Modellierer:innen, wirtschaftliche Aktivitäten mit dem Klima zu verknüpfen, indem sie beispielsweise untersuchten, wie Veränderungen bei Investitionen und Technologie zu Veränderungen bei den Treibhausgasemissionen führen könnten.
Sie schienen wie ein Wunder: Man konnte politische Maßnahmen am Computerbildschirm ausprobieren, bevor man sie umsetzte, was der Menschheit kostspielige Experimente ersparte. Sie entwickelten sich schnell zu einem wichtigen Leitfaden für die Klimapolitik. Eine Vorrangstellung, die sie bis heute behalten.
Leider haben sie zugleich die Notwendigkeit eines tiefgreifenden kritischen Denkens beseitigt. Solche Modelle stellen die Gesellschaft als ein Geflecht von idealisierten, emotionslosen Käufer:innen und Verkäufer:innen dar und ignorieren somit komplexe soziale und politische Realitäten oder sogar die Auswirkungen des Klimawandels selbst. Ihr implizites Versprechen lautet, dass marktbasierte Ansätze immer funktionieren werden. Dies bedeutete, dass sich die Diskussionen über politische Maßnahmen auf diejenigen beschränkten, die für die Politiker:innen am bequemsten waren: schrittweise Änderungen von Gesetzen und Steuern.
Die USA sollten zu Klimaschutzmaßnahmen veranlasst werden, indem man ihnen erlaubte, ihre Wälder als CO2-Senken anzurechnen. Die USA argumentierten, dass sie bei guter Bewirtschaftung ihrer Wälder in der Lage wären, eine große Menge Kohlenstoff in Bäumen und Böden zu speichern, die von ihren Verpflichtungen zur Begrenzung der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas abgezogen werden sollte. Am Ende setzten die USA ihren Willen weitgehend durch. Ironischerweise waren die Zugeständnisse alle vergeblich, da der US-Senat das Abkommen nie ratifizierte.
Es gab die Vorstellung eine Zukunft mit mehr Bäumen könnte die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas in der Gegenwart ausgleichen. Da die Modelle problemlos Zahlen liefern konnten, die den CO2-Gehalt in der Atmosphäre so weit sinken ließen, wie man wollte, konnten immer ausgefeiltere Szenarien erforscht werden. Diese verringerten die gefühlte Dringlichkeit, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Durch die Einbeziehung von CO2-Senken in klimaökonomischen Modelle wurde eine Büchse der Pandora geöffnet.
Hier liegt der Ursprung der heutigen Netto Null-Politik.
Mitte der 1990er Jahre lag das Hauptaugenmerk jedoch auf der Steigerung der Energieeffizienz sowie der Umstellung auf andere Energieträger (z. B. der Umstieg von Kohle auf Gas in Großbritannien). Außerdem wurde auf das Potenzial der Kernenergie hingewiesen, große Mengen kohlenstofffreien Strom zu liefern. Man hoffte, dass solche Innovationen den Anstieg der Emissionen aus fossilen Brennstoffen schnell umkehren würden.
Um die Jahrtausendwende war jedoch klar, dass diese Hoffnungen unbegründet waren. Angesichts ihrer Grundannahme eines schrittweisen Wandels wurde es für Wirtschafts-Klimamodelle immer schwieriger, gangbare Wege zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels zu finden. Als Reaktion darauf begannen die Modelle, immer mehr Beispiele für die Abscheidung und Speicherung von CO2 einzubeziehen: Technologien, mit denen CO2 aus Kohlekraftwerken entfernt und anschließend tief unter der Erde auf unbestimmte Zeit gelagert würde.
Dass dies prinzipiell möglich ist, hatte sich bereits gezeigt: Seit den 1970er Jahren wurde komprimiertes CO2 aus fossilem Gas abgetrennt und dann in einer Reihe von Projekten in den Untergrund gepresst. Diese Enhanced-Oil-Recovery-Programme waren so konzipiert, dass Gase in Ölbohrlöcher gepresst wurden, um das Öl zu den Bohrinseln zu treiben und so mehr Öl zu fördern – Öl, das später verbrannt wurde, wodurch noch mehr CO2 in die Atmosphäre gelangte.
Die Abscheidung und Speicherung von CO2 bot den Vorteil, dass das CO2 nicht mehr zur Förderung von Öl verwendet, sondern im Boden belassen und der Atmosphäre entzogen würde. Diese versprochene bahnbrechende Technologie würde eine klimafreundliche Kohle und damit die weitere Nutzung dieses fossilen Brennstoffs ermöglichen. Doch lange bevor die Welt Zeugin eines solchen Vorhabens wurde, war das hypothetische Verfahren in klimawirtschaftliche Modelle eingeflossen. Letztlich gab die bloße Aussicht auf Abscheidung und Speicherung von CO2 den politischen Entscheidungsträger:innen einen Ausweg aus der dringend notwendigen Reduzierung der Treibhausgasemissionen.
Der Aufstieg von Netto Null
Als sich die internationale Klimagemeinschaft 2009 in Kopenhagen traf, war klar, dass Abscheidung und Speicherung von CO2 aus zwei Gründen nicht ausreichen würden.
Erstens gab es die entsprechenden Technologien noch nicht. Es gab keine Anlagen zur Abscheidung und Speicherung von CO2, die in Kohlekraftwerken in Betrieb waren, und es bestand keine Aussicht, dass diese Technologie in absehbarer Zukunft irgendeinen Einfluss auf die steigenden Emissionen aus der zunehmenden Kohlenutzung haben würde.
Das größte Hindernis für die Umsetzung waren im Wesentlichen die Kosten. Die Motivation, große Mengen Kohle zu verbrennen, besteht darin, relativ billigen Strom zu erzeugen. Die Nachrüstung von Kohlenstoffwäschern in bestehenden Kraftwerken, der Aufbau der Infrastruktur für den Transport des abgeschiedenen Kohlenstoffs und die Entwicklung geeigneter geologischer Lagerstätten erforderten enorme Summen. Daher besteht die einzige Anwendung der Kohlenstoffabscheidung in der Praxis – damals wie heute – in der Verwendung des abgeschiedenen Gases im Rahmen von Programmen zur verbesserten Ölgewinnung. Abgesehen von einem einzigen Demonstrationsprojekt wurde noch nie CO2 aus dem Schornstein eines Kohlekraftwerks abgeschieden und anschließend unterirdisch gelagert.
Ebenso wichtig ist, dass 2009 immer deutlicher wurde, dass selbst die von den politischen Entscheidungsträger:innen geforderten schrittweisen Reduktionen nicht möglich sein würden. Dies hätte selbst dann gegolten, wenn die Abscheidung und Speicherung von CO2 bereits funktioniert hätte. Die Menge an CO2, die jedes Jahr in die Luft gepumpt wurde, bedeutete, dass der Menschheit die Zeit davonlief.
Da die Hoffnungen auf eine Lösung der Klimakrise wieder schwanden, wurde ein weiteres Wundermittel benötigt. Es musste eine Technologie gefunden werden, die den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht nur verlangsamt, sondern sogar umkehrt. Die Klima- und Wirtschaftsmodellierer:innen, die bereits in der Lage waren, pflanzliche CO2-Senken und geologische CO2-Speicher in ihre Modelle einzubeziehen, griffen zunehmend auf die “Lösung” zurück, beides zu kombinieren.
So kam es, dass sich Bioenergy Carbon Capture and Storage, kurz BECCS, schnell als die neue Rettertechnologie herauskristallisierte. Durch die Verbrennung von “ersetzbarer” Biomasse wie Holz, Feldfrüchten und landwirtschaftlichen Abfällen anstelle von Kohle in Kraftwerken (und die anschließende Abscheidung des CO2 aus dem Schornstein des Kraftwerks und seine unterirdische Speicherung), könnte BECCS Strom erzeugen und gleichzeitig CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Denn wenn Biomasse wie beispielsweise Bäume wächst, saugt sie CO2 aus der Atmosphäre auf. Durch das Anpflanzen von Bäumen und anderen Bioenergiepflanzen und die Speicherung des bei ihrer Verbrennung freigesetzten CO2 könnte der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entzogen werden.
Mit dieser neuen Lösung in der Hand hat sich die internationale Gemeinschaft nach wiederholten Misserfolgen neu formiert, um einen weiteren Versuch zu unternehmen, unsere gefährlichen Eingriffe in das Klima zu begrenzen. Die Bühne war bereitet für die entscheidende Klimakonferenz 2015 in Paris.
Eine Pariser Fehldämmerung
Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen die 21. UN-Klimakonferenz beendete, ertönte ein großes Gebrüll in der Menge. Menschen sprangen auf, Fremde umarmten sich, Tränen traten in die vom Schlafmangel blutunterlaufenen Augen.
Die Emotionen, die am 13. Dezember 2015 gezeigt wurden, waren nicht nur für die Kameras bestimmt. Nach wochenlangen zermürbenden Verhandlungen auf höchster Ebene in Paris war endlich ein Durchbruch erzielt worden. Entgegen allen Erwartungen hatte sich die internationale Gemeinschaft nach jahrzehntelangen Fehlstarts und Misserfolgen endlich darauf geeinigt, das Nötige zu tun, um die globale Erwärmung auf deutlich unter 2°C, vorzugsweise auf 1,5°C, im Vergleich zu vorindustriellen Werten zu begrenzen.
Das Pariser Abkommen war ein überwältigender Sieg für diejenigen, die durch den Klimawandel am meisten gefährdet sind. Reiche Industrienationen werden durch den globalen Temperaturanstieg zunehmend betroffen sein. Aber es sind die niedrig gelegenen Inselstaaten wie die Malediven und die Marshallinseln, die unmittelbar existenziell bedroht sind. Wie ein späterer UN-Sonderbericht deutlich machte, würde die Zahl der Todesopfer durch heftigere Stürme, Brände, Hitzewellen, Hungersnöte und Überschwemmungen erheblich steigen, wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen.
Aber wenn man etwas tiefer gräbt, kann man eine andere Emotion entdecken, die am 13. Dezember 2015 in den Delegierten lauerte: Zweifel. Es fällt uns schwer, eine:n Klimawissenschaftler:in zu nennen, der/die das Pariser Abkommen damals für machbar hielt. Inzwischen haben uns einige Wissenschaftler:innen gesagt, das Pariser Abkommen sei “natürlich wichtig für die Klimagerechtigkeit, aber nicht umsetzbar” und “ein völliger Schock, denn niemand hielt eine Begrenzung auf 1,5°C für möglich”. Anstatt die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, kam ein hochrangiger Wissenschaftler, der am IPCC beteiligt war, zu dem Schluss, dass wir bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf mehr als 3°C zusteuern würden.
Anstatt uns unseren Zweifeln zu stellen, haben wir Wissenschaftler:innen beschlossen, immer ausgefeiltere Fantasiewelten zu konstruieren, in denen wir sicher wären. Der Preis, den wir für unsere Feigheit zahlen müssen, ist, dass wir den Mund halten müssen, wenn es um die immer absurder werdende Notwendigkeit geht, CO2 auf dem gesamten Planeten zu entfernen.
Im Mittelpunkt stand BECCS, weil dies damals die einzige Möglichkeit war, in klimaökonomischen Modellen Szenarien zu finden, die mit dem Pariser Abkommen in Einklang stehen würden. Anstatt sich zu stabilisieren, waren die weltweiten CO2-Emissionen seit 1992 um etwa 60 % gestiegen.
Leider war BECCS, genau wie alle anderen Lösungen, zu schön, um wahr zu sein.
In den vom Weltklimarat (IPCC) erstellten Szenarien mit einer 66%igen oder besseren Chance, den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen, müssten mit BECCS jährlich 12 Milliarden Tonnen CO2 entfernt werden. BECCS in diesem Umfang würde massive Anpflanzungsprogramme für Bäume und Bioenergiepflanzen erfordern.
Die Erde braucht auf jeden Fall mehr Bäume. Die Menschheit hat etwa drei Billionen Bäume gefällt, seit wir vor etwa 13.000 Jahren mit der Landwirtschaft begonnen haben. Doch anstatt den Ökosystemen die Möglichkeit zu geben, sich von den menschlichen Eingriffen zu erholen und die Wälder nachwachsen zu lassen, bezieht sich BECCS im Allgemeinen auf spezielle Plantagen im industriellen Maßstab, die regelmäßig zur Gewinnung von Bioenergie geerntet werden, anstatt den Kohlenstoff in den Stämmen, Wurzeln und Böden der Wälder zu speichern.
Die beiden effizientesten Biokraftstoffe sind derzeit Zuckerrohr für Bioethanol und Palmöl für Biodiesel – beide werden in den Tropen angebaut. Endlose Reihen von solchen schnell wachsenden Monokulturen oder anderen Bioenergiepflanzen, die in kurzen Abständen geerntet werden, zerstören die biologische Vielfalt.
Schätzungen zufolge würde BECCS zwischen 0,4 und 1,2 Milliarden Hektar Land beanspruchen. Das sind 25% bis 80% aller derzeit bewirtschafteten Flächen. Wie soll das erreicht werden, wenn gleichzeitig 8-10 Milliarden Menschen um die Mitte des Jahrhunderts ernährt werden sollen, ohne dass die einheimische Vegetation und die biologische Vielfalt zerstört werden?
Die Anpflanzung von Milliarden von Bäumen würde riesige Mengen Wasser verbrauchen – und das an Orten, an denen die Menschen ohnehin schon durstig sind. Eine zunehmende Bewaldung in höheren Breitengraden kann sich insgesamt erwärmend auswirken, weil der Ersatz von Grasland oder Feldern durch Wälder bedeutet, dass die Landoberfläche dunkler wird. Dieses dunklere Land absorbiert mehr Energie von der Sonne, so dass die Temperaturen ansteigen. Die Konzentration auf die Entwicklung riesiger Plantagen in ärmeren tropischen Ländern birgt das Risiko, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden.
Außerdem wird oft vergessen, dass Bäume und das Land im Allgemeinen bereits große Mengen an CO2 aufnehmen und speichern, was als natürliche terrestrische CO2-Senke bezeichnet wird. Ein Eingriff in diese Senke könnte sowohl die Senke stören als auch zu einer doppelten Bilanzierung führen.
Da diese Auswirkungen immer besser verstanden werden, hat der Optimismus in Bezug auf BECCS abgenommen.
Hirngespinste
Angesichts der dämmernden Erkenntnis, wie schwierig das Pariser Klimaziel angesichts der ständig steigenden Emissionen und des begrenzten Potenzials von BECCS sein würde, tauchte in politischen Kreisen ein neues Schlagwort auf: das “Overshoot-Szenario“. Die Temperaturen dürften kurzfristig auf über 1,5°C ansteigen, müssten dann aber bis zum Ende des Jahrhunderts durch eine Reihe von Maßnahmen zur Beseitigung von CO2-Emissionen gesenkt werden. Das bedeutet, dass “Netto Null” eigentlich “Netto Negativ” bedeutet. Innerhalb weniger Jahrzehnte müssen wir unsere Zivilisation von einer, die derzeit jährlich 40 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre pumpt, auf eine umstellen, die netto zehn Milliarden Tonnen abbaut.
Die massenhafte Anpflanzung von Bäumen zur Gewinnung von Bioenergie oder als Ausgleichsmaßnahme war der jüngste Versuch, die Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe aufzuhalten. Doch der ständig wachsende Bedarf an CO2-Bindung rief nach mehr. Aus diesem Grund hat sich die Idee der direkten Luftabscheidung durchgesetzt, die nun von einigen als die vielversprechendste Technologie überhaupt angepriesen wird. Sie ist im Allgemeinen ökologisch verträglicher, da für ihren Betrieb deutlich weniger Land benötigt wird als für BECCS, einschließlich des Landes, das für die Energieversorgung mit Wind- oder Sonnenkollektoren benötigt wird.
Leider wird weithin angenommen, dass die direkte Luftabscheidung aufgrund ihrer exorbitanten Kosten und ihres Energiebedarfs, falls sie jemals in großem Maßstab eingesetzt werden kann, nicht mit BECCS konkurrieren kann, das einen unersättlichen Appetit auf erstklassige landwirtschaftliche Flächen hat.
Es sollte nun klar werden, wohin die Reise geht. Sobald die Fata Morgana einer magischen technischen Lösung verschwindet, taucht eine andere, ebenso wenig praktikable Alternative auf, um ihren Platz einzunehmen. Die nächste steht schon in den Startlöchern – und sie ist sogar noch grauenhafter. Sobald wir erkennen, dass Netto Null nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht erreicht werden kann, wird wahrscheinlich Geo-Engineering – der absichtliche und groß angelegte Eingriff in das Klimasystem der Erde – als Lösung zur Begrenzung des Temperaturanstiegs angeführt werden.
Eine der am meisten erforschten Geoengineering-Ideen ist das Management der Sonneneinstrahlung – die Freisetzung von Millionen von Tonnen Schwefelsäure in die Stratosphäre, die einen Teil der Sonnenenergie von der Erde weg reflektieren soll. Es ist eine verrückte Idee, aber einige Wissenschaftler:innen und Politiker:innen meinen es todernst, trotz erheblicher Risiken. Die National Academies of Sciences der USA haben beispielsweise empfohlen, in den nächsten fünf Jahren bis zu 200 Millionen US-Dollar bereitzustellen, um zu erforschen, wie Geoengineering eingesetzt und reguliert werden könnte. Die Finanzierung und Forschung in diesem Bereich wird mit Sicherheit deutlich zunehmen.
Schwierige Wahrheiten
Im Prinzip ist an den Vorschlägen zur Beseitigung von CO2 nichts Falsches oder Gefährliches. Die Entwicklung von Methoden zur Verringerung der CO2-Konzentration kann sogar ungemein spannend sein. Es geht darum, Wissenschaft und Technik einzusetzen, um die Menschheit vor einer Katastrophe zu bewahren. Was hier gemacht wird, ist wichtig. Es gibt auch die Erkenntnis, dass die Abscheidung von CO2 notwendig sein wird, um einen Teil der Emissionen aus Sektoren wie der Luftfahrt und der Zementherstellung aufzufangen. Es wird also eine kleine Rolle für eine Reihe von verschiedenen Ansätzen zur Beseitigung von CO2 geben.
Problematisch wird es, wenn davon ausgegangen wird, dass diese in großem Maßstab eingesetzt werden können. Dies ist praktisch ein Blankoscheck für die weitere Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Beschleunigung der Zerstörung von Lebensräumen.
Technologien zur CO2-Reduzierung und Geoengineering sollten als eine Art Schleudersitz betrachtet werden, der die Menschheit vor schnellen und katastrophalen Umweltveränderungen bewahren könnte. Genau wie ein Schleudersitz in einem Düsenflugzeug sollte er nur als allerletztes Mittel eingesetzt werden. Politiker:innen und Unternehmen scheinen es jedoch durchaus ernst zu meinen, wenn sie hochspekulative Technologien einsetzen, um unsere Zivilisation in eine nachhaltige Richtung zu bewegen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um nichts anderes als Märchen.
Der einzige Weg, die Menschheit zu bewahren, ist die sofortige und anhaltende radikale Senkung der Treibhausgasemissionen auf sozial gerechte Weise.
Wissenschaftler:innen sehen sich in der Regel als Dienende der Gesellschaft. In der Tat sind viele von ihnen als Beamt:innen angestellt. Diejenigen, die an der Schnittstelle zwischen Klimawissenschaft und Politik arbeiten, ringen verzweifelt mit einem zunehmend schwierigen Problem. In ähnlicher Weise arbeiten auch diejenigen, die sich für Netto Null einsetzen, um die Barrieren im Klimaschutz zu durchbrechen, mit den allerbesten Absichten.
Die Tragödie besteht darin, dass ihre gemeinsamen Bemühungen nie in der Lage waren, eine wirksame Herausforderung für einen klimapolitischen Prozess darzustellen, der nur die Erforschung einer engen Bandbreite von Szenarien zulässt.
Den meisten Wissenschaftler:innen ist es ausgesprochen unangenehm, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, die ihre tägliche Arbeit von umfassenderen sozialen und politischen Anliegen trennt. Es gibt echte Befürchtungen, dass es ihre Unabhängigkeit bedrohen könnte, wenn sie als Befürworter:innen oder Gegner:innen bestimmter Themen gesehen werden. Die Wissenschaft ist eines der vertrauenswürdigsten Berufsfelder. Vertrauen ist sehr schwer aufzubauen und leicht zu zerstören.
Aber es gibt noch eine andere unsichtbare Linie, die zwischen der Wahrung der wissenschaftlichen Integrität und der Selbstzensur verläuft. Als Wissenschaftler:innen wird uns beigebracht, skeptisch zu sein und Hypothesen rigorosen Tests und Befragungen zu unterziehen. Aber wenn es um die vielleicht größte Herausforderung für die Menschheit geht, zeigen wir oft einen gefährlichen Mangel an kritischer Analyse.
Unter vier Augen äußern Wissenschaftler:innen erhebliche Skepsis gegenüber dem Pariser Abkommen, BECCS, Kompensationsmaßnahmen, Geoengineering und Netto Null. Doch in der Öffentlichkeit – von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – gehen wir still unserer Arbeit nach, beantragen Fördermittel, veröffentlichen Arbeiten und unterrichten. Der Weg zu einem katastrophalen Klimawandel ist mit Machbarkeitsstudien und Folgenabschätzungen gepflastert.
Anstatt den Ernst unserer Lage anzuerkennen, beteiligen wir uns stattdessen weiter an der Fantasie von Netto Null. Was werden wir tun, wenn die Realität uns einholt? Was werden wir unseren Freund:innen und Verwandten sagen, wenn wir uns jetzt nicht zu Wort melden?
Es ist an der Zeit, unsere Ängste zu äußern und gegenüber der Gesellschaft ehrlich zu sein. Die derzeitigen Netto Null-Strategien werden die Erwärmung nicht auf 1,5°C begrenzen, weil sie nie dazu gedacht waren. Sie wurden und werden immer noch von der Notwendigkeit angetrieben, den Fortbestand der Wirtschaft zu schützen, nicht das Klima. Wenn wir die Menschen in Sicherheit bringen wollen, müssen wir die CO2-Emissionen jetzt stark und nachhaltig senken. Das ist der ganz einfache Prüfstein, der auf alle klimapolitischen Maßnahmen angewandt werden muss. Die Zeit des Wunschdenkens ist vorbei.
Der Text ist im Original auf Englisch auf The Conversation erschienen und wurde von Florian Sheldon für emanzipation übersetzt.
Bildquelle: die Natur sichert ihre Existenz indem sie findige Fallen hervorgebracht hat, doch nur der Mensch im Kapitalismus stellt seinen Fortbestand in Frage, indem er sich seine eigene konstruiert…
Venusfliegenfalle von Andi Superkern auf Unsplash