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Rivalitäten in einer fragmentierten Welt
Die Invasion Russlands in die Ukraine zeugt von seinem Imperialismus. Aber der Imperialismus ist auch eine Struktur des globalen Raums, der von einigen wenigen Ländern beherrscht wird. Diese stützen sich in einer ihnen eigenen Weise auf ihre wirtschaftliche Macht und ihre militärischen Fähigkeiten. In diesem globalen Raum wird die Wechselwirkung zwischen dem neuen Zyklus der Militarisierung und der Verschärfung des wirtschaftlichen Wettbewerbs immer intensiver. Die Menschheit ist, wie in früheren Zeiten des Imperialismus, mit größten Gefahren konfrontiert.
1. Die Eingliederung Russlands in die Weltwirtschaft: Von Jelzin zu Putin
Russland trat nach dem Ende der UdSSR in eine kapitalistische Dynamik ein, und von Anfang an trieben die Reformen der Jelzin-Regierung die Integration in den Weltmarkt voran. Die Entwicklung eines „Oligarchenkapitalismus“ wurde von amerikanischen und russischen Ökonom:innen entworfen und an finanzieller Unterstützung des IWF mangelte es nie. Die auf Initiative des IWF und der Weltbank eingeführten Programme wurden von Jeffrey Sachs, einem Professor in Harvard und einer ihrer Befürworter, als “Schocktherapie” bezeichnet.[1]In den ehemals “sozialistischen” Ländern führten diese Vorgaben zu einer, wie Marx es nannte, “ursprünglichen Akkumulation des Kapitals”, die auf den brutalsten Methoden beruht, um die Arbeitskraft in Bewegung zu setzen.
Die herrschende Klasse in Russland, die als “Oligarchen” bezeichnet wird, aber typisch kapitalistisch ist, hatte sich im Zuge der Reformen (der Perestroika) gebildet, die Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren in der UdSSR eingeleitet hatte. Ihr schlossen sich die Manager der Fabriken an, die im Zuge der “Schocktherapie” privatisiert wurden. Ende der 1990er Jahre beherrschten drei oder vier Oligarchengruppen die russische Wirtschaft und Politik.[2] Nachdem Russland 1992 dem IWF beigetreten war, hatten sie die russischen Wirtschaft in der „Globalisierung“ verankert. Die Streiks der Kohlebergarbeiter:innen im Mai 1998, die organisierte Plünderung der natürlichen Ressourcen, die Zahlungsunfähigkeit Russlands bezüglich seiner Staatsschulden im Jahr 1998 und die Unterwerfung der Regierung Jelzin unter die Vorherrschaft des transatlantischen Blocks (siehe unten) zeugten von den dramatischen sozialen Folgen der primitiven Akkumulation (Absinken der Lebenserwartung, Verlust sozialer Rechte, sinkende Einkommen usw.). Sie führten allerdings zur Ablösung von Präsident Jelzin durch Putin. Die gemeinsame Erklärung von Bill Clinton und Boris Jelzin aus dem Jahr 1993, in der sie die „Einheit“ innerhalb des euroatlantischen Raums von Vancouver bis Wladiwostok bekräftigten, mündete letztendlich in einen Zusammenbruch Russlands und einer Expansion der NATO, die bereits in einem 1997 veröffentlichten Dokument zur nationalen Sicherheit als „inakzeptabel“ bezeichnet wurde.[3]
Wladimir Putin hat eine ernsthafte Reorganisation bzw. Säuberung des russischen Staatsapparats vorgenommen. Seine Wirtschaftspolitik wurde um einen starken Staat herum neu aufgebaut und stützte sich auf den militärisch-industriellen Apparat, die Festlegung geplanter Ziele und sogar einige Renationalisierungen. Einer seiner Berater, der Russland 2013 im Streit mit ihm verließ und Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) wurde, erinnert daran, dass das Ziel der Reformen in den 2000er Jahren eine radikale Verbesserung des Geschäftsklimas war, um ausländische Investitionen anzuziehen.[4] Im Jahr 2011 trat Russland der WTO bei.
Wladimir Putin hielt also am Ziel fest, Russland in die Globalisierung zu integrieren. Er hatte keineswegs die Absicht, zu einer Art Aufbau des „Kapitalismus in einem Land“ zurückzukehren, um Stalins Vision zu paraphrasieren. Im Jahr 2008 begrüßte eine der einflussreichsten amerikanischen Denkfabriken (Think Tanks) dies und betonte, , dass „Russland ein natürlicher Teil der internationalen Gemeinschaft ist und seine wirtschaftliche Integration [in die Welt; C. S.] nutzt, um seiner Wirtschaft zu ermöglichen, seine Ziele zu erreichen.“[5] Im Jahr 2019 platzierte die Weltbank Russland immer noch auf Platz 31 ihrer Rangliste der Länder nach der Mühelosigkeit, Geschäfte zu machen; also einen Platz vor Frankreich.[6] Seit 2003 dient dieser Jahresbericht, der auf 41 Kriterien basiert und von bekannten neoklassischen Ökonom:innen entworfen wurde, dazu, die Notwendigkeit von Deregulierungsmaßnahmen und der Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen und Dienstleistungen zu rechtfertigen. Dann wurde der Skandal bekannt, dass einige Rankings auf Druck von Regierungen gefälscht wurden (Russland wurde jedoch nicht belastet). Ein Elend! Der IWF hat die Empfehlungen für eine gute Regierungsführung, die er den Bevölkerungen auferlegt, nicht auf sich selbst und seine Führungsfiguren angewandt.
Die großen Konzerne selbst schätzten Putins wirtschaftliche Ambitionen, wie der ehemalige CEO von BP (dem achtgrößten Konzern der Welt) erklärte: „Weit davon entfernt, als Lehrlings-Diktator angesehen zu werden, galt Putin als der große Reformer, der die Ställe ordentlich ausmisten würde.“[7] Und um keine lange Litanei zu machen, zitieren wir abschließend den CEO von BlackRock, dem größten Investmentfonds der Welt: „In den frühen 1990er Jahren wurde Russlands Eingliederung in das globale Finanzsystem begrüßt. Anschließend wurde es mit dem globalen Kapitalmarkt verbunden und besonders stark mit Westeuropa verknüpft.“[8]
Alles in allem hat die Regierung Putin die Ausbreitung des Kapitalismus in Russland und seine Integration in den Weltmarkt uneingeschränkt unterstützt, allerdings unter der Bedingung, dass die strenge Kontrolle über Wirtschaft und Bevölkerung aufrechterhalten bleibt.
Die Wirtschaftspolitik war einige Jahre lang von Erfolg gekrönt. Das BIP und das Haushaltseinkommen stiegen, ausländische Investitionen flossen und die Exporterlöse nahmen zu. Dieser wirtschaftliche Aufschwung erschöpfte sich Ende der 2000er Jahre. Das starke Wachstum des BIP (+7% pro Jahr zwischen 1999 und 2008) wurde praktisch von einer Stagnation abgelöst: Zwischen 2009 und 2020 überschritt die BIP-Wachstumsrate 1% pro Jahr nicht mehr. Tatsächlich war die Phase des starken Wachstums das Ergebnis der massiven Akkumulation der Öl- und Gasrente. Zwischen 1999 und 2008 verfünffachte sich die Förderung von Öl und Gas und ihr Preis hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt. Da keine umfassende industrielle Diversifizierung stattgefunden hat, sind die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen auch heute noch weiterhin stark von den Öl- und Gaseinnahmen abhängig. So betrug 2018 der Anteil des Öl- und Gassektors 39% an der Industrieproduktion, an den Exporten 63% und an den Einnahmen des russischen Staatshaushalts 36% (Quelle: OECD). Diese Sucht nach Renten ist umso gefährlicher, als die Preise für diese natürlichen Ressourcen und ihre Entwicklung auf den weitgehend von Finanzlogiken beherrschten Warenmärkten (Rohstoffe und Agrargüter) noch erhöht werden.

Die aktiven ausfließenden Direktinvestitionen Russlands (blau) im Verhältnis zu den weltweiten ausfließenden Direktinvestitionen (braun) beliefen sich 2013 auf 4,3% und 2018 auf 4,6%.
Quelle: Autor nach Daten der Weltbank
Die einfließenden Direktinvestitionen aus dem Rest der Welt nach Russland und die ausfließenden aus Russland in den Rest der Welt, die durch die Übernahme von Unternehmen (Fusionen und Aneignungen) und den Bau neuer Produktionsstätten getätigt werden, werden von Ökonom:innen genau beobachtet, da sie die Internationalisierung des Kapitals widerspiegeln. Abbildung 1 zeigt die drei Perioden, in denen die ausländischen Direktinvestitionen in Russland und aus Russland heraus zu erkennen sind: von 1991 bis 2000 der Einbruch unter Jelzin, das starke Wachstum zwischen 2000 und 2008, und seit 2008 der Abwärtstrend, trotz eines vorübergehenden Aufschwungs (2016-2018).
Putins zentrales Ziel war es, das geopolitische Gewicht Russlands im globalen Raum wiederherzustellen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit baute er die Rüstungsindustrie wieder auf, die in den Jahren unter Jelzin ins Wanken geraten war. Die Zahl der Rüstungsunternehmen sank von 1.800 im Jahr 1991 auf 500 im Jahr 1997 und ihre Produktion (militärisch und zivil) ging um 82% zurück.[9] Putin reorganisierte die Industrie, führte zentralisierte Exportstrukturen ein und hielt nach der Krise von 2008 ein starkes Wachstum der Militärausgaben aufrecht, wodurch ihr Anteil am BIP bis 2017 (aufgrund der Stagnation) mechanisch anstieg. Die Ausgaben für Waffensysteme machen ungefähr 62-65% des Militärbudgets aus (das auch Personal- und Betriebsausgaben umfasst), ein Anteil, der weit über dem der entwickelten Industrieländer liegt.[10] Eine Vorstellung vom Vermögensabfluss vermittelt der Indikator Militärausgaben/BIP: Der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP bewegte sich in den 2010er Jahren zwischen 4,2 und 2,5% und lag damit etwas höher als in den Vereinigten Staaten. Putin hat also die beiden treibenden Kräfte – die Oligarchen und den militärisch-industriellen Apparat –, die das postsowjetische Russland strukturierten, gestärkt, um seinen internationalen Status wiederherzustellen.
Gegen Ende der 2000er Jahre ging die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit wachsenden militärischen Ambitionen einher. Kriege zu führen ist umso teurer, je mehr die Wirtschaft stagniert. Je Mehr Krieg geführt wird, desto mehr werden die produktiven Sektoren angezapft, sei es durch die Integration ziviler Aktivitäten (Autos, Fluggesellschaften usw.) in Rüstungskonglomerate oder durch die Verpflichtung von Bergbau- und Energieunternehmen, bestimmte Produkte von Rüstungsunternehmen zu kaufen.[11] Hinzu kommt, dass Hunderte russische Rüstungsunternehmen, die bis zur Annexion der Krim im Jahr 2014 von der ukrainischen Industrie mit einer Reihe von elektronischen Subsystemen beliefert wurden, andere Lieferanten finden mussten. Schließlich ist der Anteil der russischen Waffenverkäufe im weltweiten Waffenhandel seit 2014 deutlich zurückgegangen.
Es ist verlockend, eine lineare Kausalbeziehung zwischen Russlands zunehmendem Militarismus einerseits und seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und dem anhaltenden Rückgang seiner Stellung in der Weltwirtschaft andererseits herzustellen, ohne dass die Richtung der Kausalität klar ist. Tatsächlich existieren die Wechselbeziehungen, und sie verstärkten sich in den vergangenen Jahrzehnten. Der Zerfall des Sowjetregimes in den 1980er Jahren hat den militärisch-industriellen Apparat nicht zerstört. Er wurde auch nicht von der von den Oligarchen der Regierung Jelzin beschlossenen Privatisierung der Unternehmen weggespült. Putin gab dem militärisch-industriellen Apparat die Macht zurück, die er vorübergehend eingebüßt hatte, und richtete ihn auf das Ziel aus, Russland wieder zu einem „Rang in der Welt“ zu verhelfen.
Die Invasion in die Ukraine vervollständigt einen militärischen Interventionismus, der sich in den 2000er Jahren beschleunigte. Er erklärt sich durch die tiefgreifenden inneren Veränderungen, die Russland nach dem Amtsantritt Putins erlebte. Aber das militärische Auftreten Russlands wurde ebenso sehr durch die Umwälzungen der internationalen geopolitischen und wirtschaftlichen Ordnung erleichtert, die das bilden, was ich als den „Moment von 2008“ bezeichnet habe und die die Periode der beispiellosen Dominanz der Vereinigten Staaten beendeten, die mit dem Verschwinden der UdSSR 1991 begonnen hatte. Vier große Ereignisse fassen diese Transformation zusammen: die Finanzkrise von 2008, welche die Volkswirtschaften der Industrieländer und vor allem der Vereinigten Staaten und der EU schwächte, der Aufstieg Chinas zu einer geoökonomischen Macht, das Verzetteln der amerikanischen Armee im Irak und in Afghanistan und der explosionsartige Volksaufstand (der „Arabische Frühling“), der den Maghreb und den Nahen Osten erschütterte. Diese Veränderungen im globalen Raum wurden zunächst vom russischen Imperialismus in seiner Peripherie ausgenutzt. Der Krieg in der Ukraine ist in der Tat das letzte Glied einer Kette von Invasionen, die Wladimir Putin beschlossen hatte: in Tschetschenien (1999-2000), in Georgien zur Unterstützung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens (2008), in der Ukraine, um die Unabhängigkeit der Regionen Luhansk und Donezk zu unterstützen und die Krim an Russland anzugliedern (2014), und die Entsendung von Truppen zur Niederschlagung von Protesten in Kasachstan (Januar 2022). Wladimir Putin nutzte die neue internationale Lage auch, um seine militärischen Positionen im Nahen Osten durch die Intervention der russischen Armee gegen das syrische Volk zu festigen, das seit 2011 ebenfalls seinen „Arabischen Frühling“ lostrat. Die russische Intervention erfolgte im Namen der einvernehmlichen Parole „Krieg gegen den Terrorismus“.
2. Ein jahrhundertealter Imperialismus?
Der Begriff des Imperialismus ist mit der russischen Invasion in die Ukraine wieder aufgetaucht. Er war praktisch verschwunden, mit Ausnahme der radikalen Kritiker der internationalen Politik der USA, von denen die meisten den Begriff „Imperium“ bevorzugen. Der Begriff wurde jedoch bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von den neuen Denkern des Kapitalismus verwendet. Robert Cooper, diplomatischer Berater von Tony Blair und dann Javier Solana, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, fasste die vorherrschende Stimmung zusammen, indem er von der Notwendigkeit eines „liberalen Imperialismus“ sprach, der in der Lage sei, Krieg gegen den anderen Teil der Menschheit zu führen, den er als „Barbaren“ bezeichnete. Der „liberale“, „humanitäre“ Imperialismus sei die „Bürde des westlichen Menschen“ im Zeitalter der Globalisierung. Die Kriege in Afghanistan, im Irak und in Libyen sind die blutbefleckten Banner dafür.
Heute verwenden die meisten Kommentatoren den Begriff des Imperialismus in einem völlig entgegengesetzten Sinn als vor zwanzig Jahren, als sie damit das Verhalten der USA und des Westens rechtfertigten. Nunmehr beschreibt der russische Imperialismus eine Invasion, die sich wieder mit dem direkten Einsatz von Waffengewalt verbindet, um neue Gebiete zu erobern, und laut denselben Kommentatoren steht der Krieg in der Ukraine in einer jahrhundertealten, russischen Tradition. Eine einflussreiche, US-amerikanische Denkfabrik zitiert eine Erklärung von Katharina II. aus dem Jahr 1772, um „eine direkte Kontinuität mit den beiden russischen Imperien herzustellen: dem ersten unter der Führung den Romanow-Zaren (1727-1917) und dem zweiten mit der UdSSR.“[12] Ein erfahrener französischer Kommentator stellt fest, dass „sein gegenwärtiger Zar, Wladimir Putin“, die imperialen Ambitionen des russischen Reiches fortsetze und fragt sich: „Wladimir Putin, auf dem Weg zu einem neuen russischen Imperialismus?“[13]
Diese transhistorischen Verkürzungen sind von sehr geringer analytischer Tiefe. Zwar ist die Geschichte unerlässlich, um die Gegenwart zu erklären, aber sie reicht nicht aus. Wer wäre schon mit einer Analyse zufrieden, die die Neuausrichtung der französischen Armee in der Sahelzone nach ihrem Abzug aus Mali im Jahr 2022 mit der Verkündung des Code Noir durch Ludwig XIV. zur Legalisierung der Sklaverei im Jahr 1685 erklären würde? Noch wichtiger ist, dass die Behauptung einer Unveränderlichkeit des russischen Imperialismus den Mantel des Schweigens über den zwar nur vorübergehenden, aber tiefgreifenden Bruch legt, der zu Beginn des Sowjetregimes vollzogen wurde.[14] Der russische Präsident wirft übrigens mit Verve dem „bolschewistischen und kommunistischen Russland“ vor, das Recht des ukrainischen Volkes (aber auch das der Völker Armeniens, Aserbaidschans, Belarus‘, Georgiens usw.) auf Selbstbestimmung unterstützt zu haben. Zwar hatte Lenin bereits 1914 erklärt: „Was Irland für England war, ist die Ukraine für Russland geworden: Bis zum Äußersten ausgebeutet, erhält sie nichts zurück. Daher verlangen die Interessen des Weltproletariats im Allgemeinen und des russischen Proletariats im Besonderen, dass die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit wiedererlangt.“[15] Lenin war erschrocken über Stalins Verhalten in der Nationalitätenfrage und verstand, was er in die Tat umzusetzen drohte. In einer seiner letzten Schriften vor seinem Tod warnte er vor ihm: „Eine Sache ist die Notwendigkeit, uns gegen die westlichen Imperialisten zusammenzuschließen, die die kapitalistische Welt verteidigen. […] Eine andere Sache ist es, wenn wir selbst, sei es auch nur in Kleinigkeiten, in imperialistische Beziehungen zu den unterdrückten Völkerschaften hineinschlittern und dadurch unsere ganze prinzipielle Aufrichtigkeit, unsere ganze prinzipielle Verteidigung des Kampfes gegen den Imperialismus völlig untergraben.“[16]Auch gegen Stalins Vernichtung des ukrainischen Volkes griff Trotzki die Forderung nach dem „Recht der Nationen auf Selbstbestimmung“, das „natürlich ein demokratisches und kein sozialistisches Prinzip“ sei, auf und forderte eine unabhängige Ukraine gegen „die räuberische Willkürherrschaft der Bürokratie“.[17] Der Rückgriff auf die Geschichte ist zwar sinnvoll, jedoch nur unter der Bedingung, dass er nicht als Ersatz für eine konkrete Analyse dient.[18]
3. Die zeitgenössischen Imperialismen
Der Planet gleicht nicht dem „großen Markt“, den sich die vorherrschenden Wirtschaftstheorien vorstellen. Er stellt einen globalen Raum dar, in dem die Dynamiken der Kapitalakkumulation ständig mit der Organisation des internationalen Staatensystems interagieren. Es muss noch einmal mehr ins Gedächtnis gerufen werden, dass das Kapital ein soziales Verhältnis ist, das politisch um „souveräne“ Staaten herum konstruiert ist und sich in Territorien entfaltet, die durch nationale Grenzen definiert sind. Zwar haben Deregulierungsmaßnahmen es dem Kreditgeldkapital ermöglicht, auf den internationalen Finanzmärkten zu zirkulieren, aber seine räuberische Verwertung hängt letztlich von der produktiven Akkumulation ab, die nach wie vor die Grundlage der Wertschöpfung bildet und per definitionem territorialisiert ist. Die Tendenz „des Kapitals, den Weltmarkt zu schaffen“, die Marx und Engels bereits Mitte des 19. Jahrhunderts analysierten, hat also die nationalen Grenzen nicht abgeschafft, geschweige denn die daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Rivalitäten.
Der globale Raum ist daher höchst ungleich und hierarchisch nach der Macht der Länder gegliedert. Der internationale Status eines Landes hängt von der Leistungsfähigkeit seiner Wirtschaft – Ökonomen bezeichnen dies als internationale Wettbewerbsfähigkeit – und seinen militärischen Fähigkeiten ab. Typischerweise finden sich in den globalen Hierarchien der Wirtschafts- und Militärmächte dieselben Länder wieder. Die wenigen Länder, die das Funktionieren des internationalen Staatensystems – in internationalen Institutionen und durch bi- und multilaterale Abkommen – zu ihrem Vorteil lenken und einen Teil des in anderen Ländern geschaffenen Werts abschöpfen, können als imperialistisch definiert werden. Marxistische Ökonom:innen schlagen mit unterschiedlichen Berechnungsmethoden eine Bewertung der Höhe der Werttransfers zugunsten der dominierenden Länder vor. Guglielmo Carchedi und Michael Roberts schätzen zum Beispiel, dass diese Transfers von 100 Milliarden US-Dollar (konstant) pro Jahr in den 1970er Jahren auf 540 Milliarden US-Dollar (konstant) heute gestiegen sind.[19]
Das Verhalten der imperialistischen Länder ist jedoch nicht einheitlich und die Unterschiede liegen in der Art und Weise, wie sie die Mischung aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und militärischen Kapazitäten kombinieren. Russland mobilisiert massiv seine militärischen Kapazitäten, um seinen globalen Status gegenüber den USA und der Nato zu verteidigen, und es tut dies umso mehr, als seine Wirtschaftsleistung sich verschlechtert (siehe oben). Seine Kriege zur territorialen Eroberung erinnern an die Kolonialisierungskriege der europäischen Länder vor 1914. Allerdings sind die positiven Auswirkungen, die jene auf die europäischen kapitalistischen Länder hatten, heute offensichtlich nicht mehr zu beobachten, auch wenn einige argumentieren, dass Wladimir Putins Ziel darin bestehe, Russland in die Lage zu versetzen, die natürlichen Ressourcen (Gas, Öl, Eisen, Uran, Getreide, bestimmte Grundstoffe, die für die Herstellung von elektronischen Bauteilen erforderlich sind) der Ukraine an sich zu reißen[20] und seinen Zugang zum Schwarzen Meer auszubauen.
Allerdings lässt sich der zeitgenössische Imperialismus heute ebenso wenig auf bewaffnete Eroberung und Kolonialisierung reduzieren wie vor 1914. Die Fähigkeit eines Landes, sich einen Teil des in der Welt geschaffenen Wertes anzueignen, offenbart auch eine von Imperialismen beherrschte Struktur des globalen Raums. Deutschland ist ein eklatantes Beispiel dafür und befindet sich im extremen Gegensatz zu Russlands Haltung. Es profitiert von der Expansion und Offenheit der Weltwirtschaft, aus der es erhebliche Einnahmen bezieht; ein Verhalten, das in der vom politischen Personal in diesem Land im oft verwendeten Ausdruck des „(Regime-) Wandel durch Handel“ zusammengefasst wird.
Die USA sind in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall und einzigartig. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten mit den Ländern Westeuropas einen gegen die UdSSR und China gerichteten „transatlantischen Block“ geschaffen, der auf einem soliden Dreifuß beruht: zunehmende wirtschaftliche Integration von Finanz- und Industriekapital, ein Militärbündnis (NATO) und eine Wertegemeinschaft, die Marktwirtschaft, Demokratie und Frieden miteinander verbindet. Die USA haben im asiatisch-pazifischen Raum Allianzen aufgebaut, die auf demselben Dreifuß beruhen (Japan und die ANZUS, die Australien, Neuseeland und die USA verbindet). Somit können wir davon ausgehen, dass der transatlantische Block nicht nur Nordamerika und Europa, sondern einen geoökonomischen Raum bezeichnet, der auch einige Länder des asiatisch-pazifischen Raums umfasst.
Die militärische Überlegenheit der USA ist unbestreitbar. Auf die USA entfallen 40% der weltweiten Militärausgaben, was etwas mehr als die Gesamtsumme der nächsten neun Länder ist. Ein US-amerikanischer Forscher schätzt, dass es fast 800 Militärbasen in über 70 Ländern gibt, die 86 bis 100 Milliarden US-Dollar jährlich kosten (ungefähr das Doppelte des gesamten jährlichen Verteidigungshaushalts von Frankreich).[21] Diese auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehende, militärische Vormachtstellung hat die Umwandlung des wirtschaftlichen Wettbewerbs in bewaffnete Konflikte innerhalb des transatlantischen Blocks endgültig ausgeschlossen. Die Kluft in den militärischen Kapazitäten zwischen den USA und anderen Ländern wird sich infolge des Krieges in der Ukraine noch vergrößern. Die Biden-Administration kündigte eine seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Erhöhung des Militärbudgets an, die 2023 813 Milliarden US-Dollar erreichen wird.
Frankreich ist wie die USA durch eine internationale Positionierung gekennzeichnet, die wirtschaftliche Präsenz und militärische Fähigkeiten eng miteinander verknüpft, aber man hat verstanden, dass es nicht in der gleichen Liga wie die USA spielt. Sein Status als Atommacht hält es als Weltmacht aufrecht, aber in dem neuen internationalen Umfeld nach 2008 reichen die Interventionen seines Expeditionskorps in Afrika – dessen Stagnation sich offensichtlich abzeichnet – nicht mehr aus, um die Schwächung seines wirtschaftlichen Gewichts in der Welt zu verbergen.
4. Bewaffnete Globalisierung
Die russische Invasion in die Ukraine zerstörte den Mythos der „friedlichen Globalisierung“, der durch die Integration Russlands in die Weltwirtschaft nach dem Untergang der UdSSR sich zu erhärten schien. Dieser Mythos eines friedlichen Kapitalismus wurde von den herrschenden Ökonom:innen verbreitet, die erklärten, dass der Frieden aus der Ausweitung der Marktwirtschaft resultiere, da der Markt die Synthese der individuellen Willensäußerungen freier und souveräner Akteure verwirkliche. Sie fügten hinzu, dass der Frieden durch die Zunahme des Handels- und Finanzaustauschs zwischen den Nationen gestärkt werde, da die wirtschaftliche Interdependenz den Impuls zur Kriegstreiberei reduziere.[22] Die dominierenden Politikwissenschaftler ergänzten die neue Orthodoxie, indem sie hinzufügten, dass die Ausbreitung der Demokratie nach dem Verschwinden der UdSSR den Frieden zwischen den Nationen stärken würde. Thomas Friedman, renommierter Kolumnist der New York Times, übersetzte die neue Orthodoxie in populäre Worte: „Zwei Länder, die McDonald’s-Restaurants haben, führen keinen Krieg“[23], da sie eine gemeinsame Vision teilen. Wurde sein Werk auch ins Russische übersetzt? Die Tatsache, dass es 2022 in Russland 850 Restaurants mit 65.0000 Beschäftigten gibt, wird jedenfalls nicht ausgereicht haben, um Putin zu überzeugen.[24]
Das von Francis Fukuyama verkündete „Ende der Geschichte“ war eingeläutet und die Ökonom:innen und Politolog:innen boten uns eine politische Ökonomie der Globalisierung im PDF-Format (Peace-Democracy-Free markets) an. In Wirklichkeit hatte die Zeit, die durch die Zerstörung der Berliner Mauer eingeleitet wurde, die Kennzeichen einer bewaffneten Globalisierung.[25] Tatsächlich sollte der Fokus, der heute in Europa auf den von Russland gegen die Ukraine geführten Krieg gelegt wird, nicht über das Gesamtbild hinwegtäuschen. Seit 1991 vermehren sich bewaffnete Konflikte: Im Jahr 2020 zählte das UDCP/PRIO 34 bewaffnete Konflikte weltweit. Schätzungsweise 90% der Kriegstoten in den 1990er Jahren waren Zivilist:innen. Im Jahr 2000 zählten die Vereinten Nationen 18 Millionen Flüchtende und Binnenvertriebene, im Jahr 2020 waren es jedoch 67 Millionen. Die meisten dieser Kriege finden in Afrika statt und da sie zwischen Fraktionen innerhalb der Länder ausgetragen werden, wurden sie als „Bürgerkriege“, „ethnische Kriege“ usw. bezeichnet. Folglich wurden sie von den vorherrschenden Denker:innen, insbesondere in der Weltbank, auf eine schlechte interne Regierungsführung in diesen Ländern zurückgeführt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die „lokalen“ Kriege sind keine Enklaven innerhalb einer vernetzten Welt, sie sind über zahlreiche Kanäle in die „real existierende“ Globalisierung eingebunden.[26] Die Plünderung von Ressourcen, die lokale Eliten und „Warlords“ reich macht, treibt die von großen Industriekonzernen aufgebauten Lieferketten an. Ein oft zitiertes Beispiel ist das Coltan/Tantal, das sich in der Demokratischen Republik Kongo befindet und von den großen Konzernen der digitalen Wirtschaft aufgekauft wird . Andere Kanäle verbinden diese Kriege mit Märkten in entwickelten Ländern. Die Regierungseliten, die in der Regel von den Regierungen der imperialistischen Länder unterstützt werden und sie als Mitglieder der „internationalen Gemeinschaft“ (UN) legitimieren, recyceln mithilfe der europäischen Finanzinstitutionen und Steueroasen ihre immensen Vermögen, die sie in diesen Kriegen und durch die Unterdrückung ihrer Völker angehäuft haben.
Auch Kriege im Namen des „liberalen Imperialismus“ wurden geführt. Die USA führten die Operationen mit Unterstützung der NATO an. Sie erhielten im Allgemeinen die Genehmigung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – eine bemerkenswerte Ausnahme war der Irakkrieg 2003 –, obwohl sie über das zulässige Mandat hinausgingen, wie in Serbien (1999) und Libyen (2011). Schließlich dauern große Konflikte in Regionen an, in denen sich Länder befinden, die eine regionale Rolle anstreben (Indien, Pakistan) und im Nahen Osten (Iran, Israel, die Ölmonarchien, Türkei).
Die heutige Welt ist also mit vier Arten von Kriegen konfrontiert: den Putinschen Kriegen, den „Kriegen um Ressourcen“, den Kriegen des „liberalen Imperialismus“ und den regionalen, bewaffneten Konflikten. Zusammen bestätigen sie, dass der globale Raum durch wirtschaftliche und politisch-militärische Rivalitäten zerrissen ist, die in erster Linie die Großmächte plegen.
5. Die Wirtschaft als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln
Kriege sind nicht das einzige Merkmal der heutigen Zeit. Seit 2008 haben sich die Interferenzen zwischen wirtschaftlichem Wettbewerb und geopolitischen Rivalitäten intensiviert. Große Länder mobilisieren nicht nur „zivile“ Mittel wie die Medien und den Cyberspace für militärische Zwecke in den sogenannten „hybriden“ Kriegen. Sie verwandeln den wirtschaftlichen Austausch in ein geopolitisches Schlachtfeld, was zu einer „Militarisierung des internationalen Handels“ (weaponization of trade) führt.[27] Man könnte also die Formel von Clausewitz umkehren und sagen, dass mehr denn je der „wirtschaftliche Wettbewerb die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ ist. Konkret haben die mächtigsten Staaten der G20 die protektionistischen Barrieren ernsthaft erhöht, und um vorzugeben, nicht von den liberalen, von der WTO kontrollierten Regeln abzuweichen, berufen sie sich dabei auf Gründe der nationalen Sicherheit, die im Prinzip eine souveräne Angelegenheit der Staaten bleibt.[28] Die Pandemie hat diese Militarisierung des internationalen Handels noch verstärkt.
Wirtschaftssanktionen, die häufig von westlichen Ländern eingesetzt werden, insbesondere gegen Russland seit der Annexion der Krim 2014, aber auch von den Regierungen Trump und Biden gegen China, verstärken ebenfalls die „Militarisierung des internationalen Handels“. Es werden militärische und nationale Sicherheitsbedenken angeführt, während sehr oft das Ziel der von den Regierungen der westlichen Länder verhängten Sanktionen darin besteht, ihre Großkonzerne zu unterstützen und ihre Industrien zu schützen, auch gegenüber anderen westlichen Ländern.
Die jetzt verhängten Sanktionen gegen Russland, die im Übrigen als Ersatz für eine unmögliche, direkte militärische Intervention der NATO dargestellt werden, stellen jedoch einen qualitativen Sprung dar. Sie sind von beispiellosem Ausmaß, da sie laut Joe Biden „dazu bestimmt sind, Russland für viele Jahre in die Knie zu zwingen“. Sie zielen darauf ab, die Weltwirtschaft wieder auf den transatlantischen Block auszurichten, mit mehr als ungewissen Folgen (siehe weiter unten).
Kriege und „Militarisierung des Handels“ koexistieren heute also mit der durch die Globalisierung erzeugten wirtschaftlichen Interdependenz. Das ist nicht wirklich etwas Neues. Die geringe Distanz zwischen Wirtschaft und Geopolitik war bereits ein Hauptmerkmal der Welt vor 1914 und Marxist:innen machten sie zu einem zentralen Kennzeichen des Imperialismus.[29] Weniger bekannt als Lenin in Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus[30],betont Rosa Luxemburg in ihrer Definition „Der Imperialismus ist der politische Ausdruck des Prozesses der Kapitalakkumulation“[31] diese Wechselwirkung zwischen Ökonomie und Politik, die unmögliche Trennung zwischen Kapitalkonkurrenz und militärisch und militärischen Rivalitäten. Marxist:innen haben den Imperialismus bereits als eine globale Struktur der Kooperation und Rivalität zwischen Kapital und zwischen Staaten analysiert. Eine retrospektive Illusion lässt vergessen, dass die Volkswirtschaften der europäischen Länder bereits vor 1914 stark integriert waren, und das galt sogar für Frankreich und Deutschland, die sich dennoch vorbereiteten, gegeneinander Krieg zu führen.[32] Heute erfolgt ihre Zusammenarbeit durch die Existenz internationaler Wirtschaftsorganisationen wie dem IWF und der Weltbank, die kapitalfreundliche Maßnahmen (die „neoliberale“ Politik) koordinieren und unterstützen. Die Konvergenz der Regierungspolitik gegen die Ausgebeuteten in den imperialistischen Ländern hat als gemeinsamen Hintergrund die Tatsache, dass „die Bourgeois aller Länder gegen die Proletarier aller Länder verbrüdert und vereinigt [sind], trotz ihrer wechselseitigen Bekämpfung und Konkurrenz auf dem Weltmarkte“[33].
Man kann diese Dialektik von Kooperation und Rivalität sogar auf den geopolitischen Bereich anwenden. Bereits am Tag nach der Annahme des Atomwaffenverbotsvertrags bei der UN durch eine erdrückende Mehrheit von Ländern 2017 veröffentlichten die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – China, die USA, Frankreich, das Vereinigte Königreich und Russland – eine gemeinsame Erklärung: „Niemals werden unsere Länder diesen Vertrag unterzeichnen oder ratifizieren, da er keine neuen Standards setzt.“ So präsentieren die Regierungen dieser Länder, die ansonsten eine für die Völker gefährliche Rivalität zur Schau stellen, eine geschlossene Front, um ihre tödlichen Privilegien aufrechtzuerhalten.
Marxistische Analysen des Imperialismus als eines globalen Raums wirtschaftlicher Interdependenz und geopolitischer Rivalitäten wurden aufgrund des Verschwindens von Kriegen zwischen den Großmächten seit 1945 oft für tot erklärt. Es ist richtig, dass zwei Faktoren das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend verändert haben. Zum einen haben die Atomwaffen seit ihrem Einsatz gegen das japanische Volk die besitzenden Staaten davon abgehalten, ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Rivalitäten in eine bewaffnete Konfrontation zu verwandeln. Die Gefahr eines nuklearen Flächenbrandes war auch ein Argument für die USA und die EU, um jede direkte Intervention in der Ukraine abzulehnen. Andererseits hat die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung der USA gegenüber den anderen entwickelten, kapitalistischen Ländern in Europa und Asien jeden Einsatz militärischer Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten innerhalb der „westlichen“ Welt untersagt. Dieser Begriff wird meist als Synonym für die „freie Welt“ verwendet und schließt daher auch asiatische Länder ein.
Diese beiden Hauptmerkmale sind zwar sicherlich Teil der historischen Konjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg, aber sie laden eher dazu ein, die Beiträge der Imperialismustheorien zu aktualisieren, als sie für veraltet zu erklären.
6. Die geopolitische Fragmentierung des Weltmarkts auf der Tagesordnung
Der Krieg in der Ukraine zeitigt bereits zwei wichtige Folgen: das Bestreben der USA, den Zusammenhalt des transatlantischen Blocks zu ihren Gunsten zu stärken, und die Fragmentierung des globalen Raums durch die kombinierten und potenziell verheerenden Auswirkungen von wirtschaftlichem Protektionismus und bewaffneten Konflikten. In einer Rede über den Krieg in der Ukraine vor dem Verband der Führungskräfte US-amerikanischer Großkonzerne erinnerte Präsident Biden daran, dass „wir alle in diesem Raum Kapitalisten sind“. Er sagte, der Krieg in der Ukraine markiere einen „Wendepunkt in der Weltwirtschaft und in der Welt darüber hinaus, wie er alle drei oder vier Generationen vorkommt“. Er fügte hinzu, dass „die Vereinigten Staaten die Führung in der neuen Weltordnung übernehmen müssen, indem sie die freie Welt vereinen“, mit anderen Worten, den transatlantischen Block stärker zusammenschweißen.[34]
Zweifelsfrei ist die neue Weltordnung gegen China gerichtet, das für die USA die größte geopolitische und wirtschaftliche Bedrohung bleibt Die Biden-Administration folgt damit im Wesentlichen der von Donald Trump gegen China betriebenen Politik. Die europäischen Länder hatten ihre Zustimmung zu der Position der Vereinigten Staaten bereits in einem 2020 veröffentlichten Dokument „Eine neue transatlantische Agenda für eine globale Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte, Interessen [sic] und globalen Einflusses“ zum Ausdruck gebracht. Das europäische Dokument bezeichnet China als „systemischen Rivalen“ und stellt fest, dass die „USA und die EU als demokratische Gesellschaften und Marktwirtschaften sich über die strategische Herausforderung durch China einig sind, auch wenn sie sich nicht immer über den besten Weg einig sind, damit umzugehen.“[35] Auch die NATO erklärte Ende März 2022, China stelle „eine systemische Herausforderung“ dar, da es sich weigere, die Rechtsregeln einzuhalten, die die internationale Ordnung begründen.
Die Biden-Administration beabsichtigt, die US-amerikanische Dominanz im transatlantischen Block, die durch Trumps Amtszeit eher geschwächt wurde, zu konsolidieren. Auf militärischer Ebene besteht daran kein Zweifel. In diesem in Europa geführten Krieg hat sich gezeigt, dass die Anstrengungen im Bereich der Verteidigung der EU-Länder nur unter US-amerikanischer Vorherrschaft stattfinden können. Die NATO stärkt im Moment ihre Einheit und widerlegt Emmanuel Macrons Bemerkung über ihren „hirntoten Zustand“.
Ein noch wichtigeres Ziel der US-Regierung ist die Festigung ihrer wirtschaftlichen Führungsrolle gegenüber ihren Verbündeten. Denn der Krieg wird den wirtschaftlichen Wettbewerb innerhalb des transatlantischen Blocks selbst nicht beseitigen, sondern eher verschärfen. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland führen in den USA zu weniger heftigen negativen Auswirkungen als in Europa, wo Deutschland nach wie vor der größte Konkurrent der USA bleibt. Donald Trump hatte es sogar zu einem fast ebenso wichtigen Ziel wie China gemacht. Präsident Biden geht anders vor, aber er hat von Deutschland das bekommen, was er seit seiner Wahl vergeblich gefordert hatte: die endgültige Betriebseinstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 und das Ende der Lieferungen von russischem Gas, was Deutschland vor eine kurz- und vielleicht auch mittelfristige Herausforderung stellt.[36]
Die Fragmentierung des globalen Raums ist mit den Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland bereits in vollem Gange. Zwei wichtige Maßnahmen wurden ergriffen: der Ausschluss eines Teils der russischen Banken aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT – dem über 11.000 Finanzinstitute angehören und dessen Datenzentrum sich in Virginia (USA) befindet – und das Verbot, von der russischen Zentralbank gehaltene US-Dollar zu akzeptieren. Die USA setzen also wieder einmal ihren politischen Trumpf ein, nämlich die Ausgabe der internationalen Währung, die für den internationalen Zahlungsverkehr verwendet wird und die im Jahr 2022 etwa 60% (gegenüber 70% im Jahr 2000) der von allen Zentralbanken gehaltenen Reserven ausmacht.
Diese Maßnahme ist jedoch zweischneidig: Sie schwächt die Finanzkraft Russlands, birgt aber auch ein Risiko für die USA. Zunächst einmal stellen Ökonomen auf technischer Ebene fest, dass das Halten von Dollars auf den Garantien der Federal Reserve (der Zentralbank der Vereinigten Staaten) und damit dem Vertrauen in die Möglichkeit der unbegrenzten Verwendung der US-Währung als Zahlungsmittel beruht. Nun bestätigt die amerikanische Regierung jedoch durch das Einfrieren der von der russischen Zentralbank gehaltenen Vermögenswerte in US-Dollar, dass ihre eigenen strategischen Interessen Vorrang vor der Achtung der ordnungsgemäßen Funktionsweise der internationalen Währung haben. Zweitens wird diese einseitige Maßnahme auf politischer Ebene die Suche nach Alternativen zum US-Dollar beschleunigen. China hat 2015 ein internationales Zahlungssystem auf der Grundlage Renminbi eingerichtet., das zwar noch immer begrenzt einsetzbar und brauchbar ist, aber zur Umgehung des US-Dollars genutzt werden könnte. Alles in allem wird die „Militarisierung des Dollars“, um einen Ausdruck der Financial Times[37] zu verwenden, die geopolitischen Auseinandersetzungen verstärken. Denn die USA befinden sich nicht mehr in der hegemonialen Situation der Nachkriegszeit, die es ihnen ermöglichte, auch ihren europäischen Verbündeten ein internationales Währungssystem – materialisiert in dem Abkommen von Bretton Woods 1944 – aufzuzwingen, in dem „der Dollar so gut wie Gold ist“. Der „Moment 2008“ enthüllte eine völlig andere Konstellation wirtschaftlicher Machtverhältnisse als die der Nachkriegszeit. Der Krieg in der Ukraine offenbart bereits die geopolitischen Spiele, die hier am Werk sind. Die Bemühungen der Biden-Administration, eine gemeinsame Front der „freien Welt“ gegen autoritäre Regime zu bilden, stoßen auf Schwierigkeiten, da Indien, die „größte Demokratie der Welt“, und Israel, das von den westlichen Medien als „einzige Demokratie im Nahen Osten“[38] bezeichnet wird, ihre Beziehungen zu Russland aufrechterhalten.
Ein viel beachteter Finanzanalyst erklärt, dass „Kriege oft die Vorherrschaft einer Währung beenden und ein neues Währungssystem entstehen lassen“. Dementsprechend prophezeit er ein neues Bretton-Woods-System, denn „wenn die Krise (und der Krieg) vorbei ist, dürfte der US-Dollar schwächer sein und auf der anderen Seite könnte der Renminbi, unterstützt durch einen Währungskorb, stärker sein“[39].
Der Krieg in der Ukraine und das Bestreben der Biden-Administration, den transatlantischen Block zu konsolidieren, werden die Fragmentierung des globalen Raums verstärken, und die seit der Krise von 2008 aufgekommenen Diskurse über die „Deglobalisierung“ nehmen zu.[40] Im Anschluss an die Finanzkrise von 2008 stagnierte der internationale Handel. Dann hat die Gesundheitskrise die Fragilität der Art und Weise der Internationalisierung des Kapitals hervorgestrichen. Sie hat zu einem Anstieg des Protektionismus geführt, der zu Versorgungsunterbrechungen innerhalb der von den großen globalen Konzernen aufgebauten Wertschöpfungsketten sowie zu einer Verlagerung von Produktionsaktivitäten aufgrund von geopolitischen Kriterien und der Sicherheit des Zugangs zu Ressourcen führte. Allerdings braucht das Kapital den globalen Raum mehr denn je, um die Masse des produzierten Werts, vor allem aber den Teil, der vom Kapital angeeignet wird – was Marx als Mehrwert bezeichnet – zu erhöhen. Unter diesem Gesichtspunkt wurde die 2008 begonnene Krise nicht wirklich überwunden. Und das ist sie umso weniger, als die Wertabschöpfung durch das Finanzkapital noch nie so stark war.
Die Impulse, die die Dynamik des Kapitals antreiben, sich ständig neue Märkte zu erschließen, sind wohl gemerkt vorhanden, aber sie sind mit nationalen Rivalitäten verflochten, die sich aus dem Wettbewerb zwischen dem von großen, finanzindustriellen Konzernen kontrollierten Kapital ergeben. Trotz aller radikalen Reden über den „globalen Kapitalismus“ und die Entstehung einer „transnationalen Kapitalistenklasse“ sind die Konzerne nach wie vor an ihr Herkunftsland gebunden und beziehen einen Großteil ihrer Profite dank der staatlichen Institutionen, die ihnen die gesellschaftspolitischen Bedingungen für die erfolgreiche Akkumulation ihres Kapitals garantieren.
Die imperialistische Aggression gegen Russland wirkt wie ein chemischer Niederschlag, denn sie beschleunigt bereits am Werk befindliche Tendenzen. Der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den Kapitalen der Länderblöcke und -bündnisse verwandelt sich durch eine kontinuierliche Verschiebung in eine bewaffnete Konfrontation. Und schon jetzt zeitigt er tödliche gesellschaftliche Folgen in Dutzenden von Ländern des Südens, die von den Großmächten abhängig sind.
7. Der falsche Schein
Einige kritische Analysen des Kapitalismus reservieren den Begriff des Imperialismus auch heute noch ausschließlich für die USA. Ihre Autoren scheinen nicht über die Zahl hinaus zählen zu können und sprechen Putins Russland von dieser Bezeichnung frei. Die Fixierung auf den US-amerikanischen „Monoimperialismus“ lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass „die Feinde meiner Feinde meine Freunde sind“.
Die Existenz einer internationalen Architektur auf der Grundlage interimperialistischer Rivalitäten festzustellen, wie es dieser Artikel getan hat, entbindet nicht von einer konkreten Analyse des Krieges in der Ukraine und rechtfertigt noch weniger die Intervention der russischen Armee. Das Recht der Völker auf freie Selbstbestimmung sollte die Richtschnur für alle sein, die sich auf den Antiimperialismus berufen.[41] Die Unterstützung des ukrainischen Volkes wird so zu einer selbstverständlichen Forderung, ohne die Kritik an der russischen Invasion mit Parolen wie „Nein zum Krieg“ oder der Rede von einem „russisch-ukrainischen Krieg“ einzuschränken; Formulierungen, die in Wirklichkeit den Unterschied zwischen dem angreifenden und dem angegriffenen Land verschleiern. Das ukrainische Volk ist Opfer und internationale Solidarität ist erforderlich.[42]
Diejenigen in den Reihen der Linken, die sich weigern, die russische Aggression zu verurteilen, behaupten, Russland werde von den an seinen Grenzen stationierten NATO-Armeen bedroht und führe einen „Verteidigungskrieg“. Es ist unbestreitbar, dass die NATO nach dem Ende der UdSSR ihre Basis ausgeweitet und die meisten Länder Mittel- und Osteuropas in diesen wirtschaftlich-militärischen Block integriert hat. Das ist zu bedauern. Aber die Moskau unterordneten Regimes, die wirtschaftliche Unterdrückung und Repression der Freiheiten kombinierten, haben mir ihrer abstoßenden Wirkung auf die osteuropäischen Bevölkerungen diese Ausdehnung erleichtert. Diese Völker erlebten den „Panzersozialismus“, den die neostalinistische UdSSR und ihre Satelliten in Ostberlin (1953), Budapest (1956) und Prag (1968) sowie in Polen (1981) praktizierten.
Darüber hinaus ist das Argument der Bedrohung durch die NATO natürlich umkehrbar. Länder in der Nähe Russlands können russische Waffen fürchten. Die russische Oblast Kaliningrad (eine Million Einwohner, früher die deutsche Stadt Königsberg), die an der Ostsee liegt und mehrere hundert Kilometer von Russland entfernt ist, hat gemeinsame Grenzen mit Polen und Litauen. Diese russische Exklave beherbergt große Streitkräfte, die mit taktischen Atomraketen, Boden-See- und Boden-Luft-Raketen ausgerüstet sind.
Man kann also nicht bei den gegenseitigen Bedrohungen zwischen den Großmächten stehen bleiben, da sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Grundlage des Militarismus und ihres „Wettrüstens“ waren. Im Kontext ihrer interimperialistischen Rivalitäten waren eine Länder Aggressoren und andere in einer defensiven Position. Die Rollen waren zudem austauschbar, weshalb sich diejenigen, die sich auf den Internationalismus beriefen, weigerten, eine der beiden gegnerischen Seiten zu unterstützen. Der Krieg in der Ukraine ist jedoch kein Krieg zwischen imperialistischen Mächten, sondern wird von einem Imperialismus gegen ein souveränes Volk geführt. Er ist die absolute Verneinung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, es sei denn, man ist der Ansicht, dass das ukrainische Volk nicht existiert.
Der Verzicht einer auf der Souveränität der Bevölkerung basierenden Analyse führt zu einer Verdinglichung des Staates und in der aktuellen Situation zu der Auffassung, dass Wladimir Putin im Recht ist, da er sich durch die Ausweitung der NATO bedroht, ja sogar „gedemütigt“ fühlt. Diese Position legitimiert die Errichtung eines „cordon sanitaire“ durch Russland, der durch die Annexion der Ukraine erfolgte, die in der Folge von Stalin und Putin als Provinz Großrusslands betrachtet wird. Diese Position, die unter dem Deckmantel des Antiimperialismus gegen die USA daherkommt, entspricht der sogenannten „realistischen“ Strömung in den internationalen Beziehungen. Diese analysiert die Welt durch das Prisma rationaler Staaten, die ihre Interessen verteidigen, weshalb es „in einer idealen Welt wunderbar wäre, wenn die Ukrainer ihr eigenes politisches System und ihre Außenpolitik frei wählen könnten“, aber „wenn man eine Großmacht wie Russland vor der Tür hat, muss man vorsichtig sein“[43]. In der Welt dieser „realistischen Theorien“ existieren die „Realitäten“ des Selbstbestimmungsrechts der Völker oder der internationalen Solidarität der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen nicht.
Bis zum Eintreffen der „idealen Welt“ besteht die unmittelbare Aufgabe darin, den von Russland geführten Krieg in der Ukraine und die extremen Gefahren anzuprangern, die die Menschheit durch die Fortsetzung der interimperialistischen Rivalitäten erleidet.
Dieser Artikel ist erstmals auf Französisch am 19. April 2022 in der Webzeitschrift À l’encontre erschienen. Er wurde von John Will für emanzipation ins Deutsche übersetzt und von Christian Zeller redaktionell überarbeitet.
Quellen
[1] Vgl. https://www.jeffsachs.org/newspaperarticles/zw4rmjwsy4hb9gw37npgs97bmn9b9
[2] Vgl. Anastasia Nesvetailova, Globalization and Post-Soviet Capitalism. Internalizing Neoliberalism in Russia, in: Internalizing Globalization, London 2005, S. 238-254
[3] Vgl. Jakob Hedenskog/Gudrun Persson, Russian security policy, in: Fredrik Westerlund/Susanne Oxenstierna (Herausgeber), Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective- 2019, Stockholm Dezember 2019.
[4] Vgl. Sergey Guriyev, 20 Years of Vladimir Putin. The Transformation of the Economy, Moscow Times, 16. August 2019.
[5] https://www.cis.org/analysis/russias-2020-strategic-economic-goals-and-role-international-integration
[6] Vgl. https://www.doingbusiness.org/content/dam/doingBusiness/media/Annual-Reports/English/DB2019-report_web-version.pdf
[7] Tom Wilson, Oligarchs, power and profits. The history of BP in Russia, Financial Times, 24. März 2022.
[8] „To our shareholders“, 24. März 2022.
[9] Vgl. Alexei G. Arbatov, Military Reform in Russia. Dilemmas, Obstacles, and Prospects, International Security 4.1998.
[10] Vgl. Fredrik Westerlund/Susanne Oxenstierna (Herausgeber), Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective – 2019, Stockholm Dezember 2019.
[11] Vgl. Pavel Luzin, The Inner Workings of Rostec, Russia’s Military-Industrial Behemoth, 1. April 2019, https://www.wilsoncenter.org/blog-post/the-inner-workings-rostec-russias-military-industrial-behemoth.
[12] Lukasz Adamski, Vladimir Putin’s Ukraine playbook echoes the traditional tactics of Russian imperialism, 3. Februar 2022, https://wwww.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/vladimir-putins-ukraine-playbook-echoes-the-traditional-tactics-of-russian-imperialism/.
[13] Dominique Moïsi, https://institutmontaigne.org/blog/vladimir-poutine-en-marche-vers-un-nouvel-imperialisme-russe?_wrapper_format=html.
[14] Zur Diskrepanz zwischen Lenins Zielen und der Realität der „Sowjetisierung“ der nichtrussischen Länder, siehe Zbigniew Marcin Kowalewski, Impérialisme russe, Inprecor 609-610, Oktober-Dezember 2014, https://inprecor.fr/~1750c9878d8be84a4d7fb58c~/article-Imp%C3%A9rialisme-russe?id=1686.
[15] Zitiert nach Rohini Hensman, in: Les cahiers de l’antidote, „Special Ukraine“, Nummer 1, 1. März 2022.
[16] W. I. Lenin, Zur Frage der Nationalitäten oder der „Autonomisierung“, 31. Dezember 1922, in: ders., Werke, Band 36, 1900-1923, Berlin 1962, 590-596, hier 596.
[17] Leo Trotzki, Die Unabhängigkeit der Ukraine und die sektiererischen Wirrköpfe, in: ders., Schriften, Band 1.2, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur1936-1940, herausgegeben von Helmut Dahmer, Hamburg 1988, 1238-1252.
[18] Um diese Dimension zu berücksichtigen, siehe den Artikel von Denis Paillard, Poutine et le nationalisme grand russe, 4. April 2022, https://alencontre.org/laune/poutine-et-le-nationalisme-grand-russe.html.
[19] Vgl. https://thenextrecession.wordpress.com/2021/09/30/iippe-2021-imperialism-china-and-finance/. Die Autoren beschäftigen sich ausschließlich mit den wirtschaftlichen Dimensionen des Imperialismus.
[20] Vgl. Jason Kirby, In taking Ukraine, Putin would gain a strategic commodities powerhouse, Globe And Mail, 25. Februar 2022.
[21] Vgl. David Vine, Base Nation. How U.S. Military Bases Abroad Harm America and the World, New York 2015.
[22] In seiner „Rede über die Frage des Freihandels“ (1848) spottete Marx bereits über diese These: „[D]ie Ausbeutung in ihrer kosmopolitischen Gestaltung mit dem Namen der allgemeinen Brüderlichkeit zu bezeichnen ist eine Idee, die nur dem Schoß der Bourgeoisie entspringen konnte“, siehe Karl Marx, Rede über die Frage des Freihandels, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Band 4, Berlin 1972, 444-458, hier 455.
[23] Thomas Friedman, Globalisierung verstehen. Zwischen Marktplatz und Weltmarkt, aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, München 2000. Es stimmt, dass er unmittelbar danach hinzufügte, dass „McDonald’s ohne McDonnell Douglas nicht gedeihen kann“. McDonnell Douglas war damals einer der größten amerikanischen Hersteller von Kampfflugzeugen.
[24] Vgl. https://corporate.mcdonalds.com/corpmcd/en-us/our-stories/article/ourstories.Russia-update.html.
[25] Vgl. Claude Serfati, La mondialisation armée. Le déséquilibre de la terreur, Paris 2001.
[26] Vgl. Audrey Aknin/Claude Serfati, Guerres pour les ressources, rente et mondialisation, Mondes en développement 143, 3.2008.
[27] Siehe zum Beispiel J. Pisani-Ferry, Europe’s economic response to the Russia-Ukraine war will redefine its priorities and future, Peterson Institute for International Economics, 10. März 2022
[28] Ich habe die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Weltwirtschaft in folgendem Artikel nachgezeichnet: Claude Serfati, La sécurité nationale s’invite dans les échanges économiques internationaux, Chronique Internationale de l’IRES 1-2.2020.
[29] Vgl. Claude Serfati, Un guide de lecture des théories marxistes de l’imperialisme, Revue Periode 2018, https://www.revueperiode.net/guide-de-lecture-les-theories-marxistes-de-limperialisme/.
[30] Der Imperialismus ist „eine Epoche der Herrschaft des monopolistischen Finanzkapitals und weist laut Lenin folgende Merkmale auf: „Bildung von Monopolen, neue Rolle der Banken, des Finanzkapitals und der Finanzoligarchie, Kapitalexport, Aufteilung der Welt unter kapitalistischen Gruppen, Aufteilung der Welt zwischen Großmächten.“ Diese Merkmale sind nicht veraltet.
[31] Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, in: dies., Gesammelte Werke, Berlin 1975, 5-411, hier 391.
[32] Siehe zum Beispiel im Fall der Metallindustrie, einer Industrie, die für die Aufrüstung von entscheidender Bedeutung ist, Carl Strikwerda, The Troubled Origins of European Economic Integration. International Iron and Steel and Labor Migration in the Era of World War I, The American Historical Review 98, 4.1993.
[33] Karl Marx/Friedrich Engels, Reden über Polen, in: dies., Werke, Band 4, Berlin 1972, 416-418, hier 416.
[34] Joe Biden, Remarks by President Biden Before Business Roundtable’s CEO Quarterly Meeting, 21. März 2022, https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2022/03/21/remarks-by-president-biden-before-business-roundtables-ceo-quarterly-meeting/.
[35] European Commission/High Representative of the Union for Foreign Affairs and Security Policy, Joint Communication to the European Parliament, the European Council and the Council. A new EU-US agenda for global change, Brüssel 2. Dezember 2020, https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/joint-communication-eu-us-agenda_en.pdf.
[36] Die russische Regierung hat die seit dem Einmarsch in der Ukraine zweitweise stockenden Gaslieferungen nach Deutschland ab Ende August 2022 selber eingestellt. Die deutsche Regierung und Wirtschaft konnten eine Energiekrise durch den Bezug von teurerem Gas aus anderen Herkunftsländern vermeiden [Anm. Red.].
[37] Valentina Pop/Sam Fleming/James Politi, Weaponization of finance. How the west unleashed ‘shock and awe’ on Russia, Financial Times, 6. April 2022, https://www.ft.com/content/5b397d6b-bde4-4a8c-b9a4-080485d6c64a.
[38] Zu diesem Thema, siehe Nathan Thrall, The Seperate Regimes Delusion. Nathan Thrall on Israel’s apartheid, London Review of Books, Jahrgang 43, 2.2021.
[39] Zoltan Pozsar, We are witnessing the birth of a new world monetary order, 21. März 2022, https://www.credit-suisse.com/about-us-news/en/articles/news-and-expertise/we-are-witnessing-the-birth-of-a-new-world-monetary-order-202203.html.
[40] Siehe zum Beispiel die Erklärung des Geschäftsführers von BlackRock, dem größten Investmentfonds der Welt, an die Aktionäre, Larry Fink, To our shareholders. Larry Fink’s 2022 chairman’s letter, 24. März 2022, https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-chairmans-letter.
[41] Siehe das Interview von Yuliya Yurchenko mit Ashley Smith, Yuliya Yurchenko, Kampf für die ukrainische Selbstbestimmung, Emanzipation, 5. Mai 2022, https://emanzipation.org/2022/05/kampf-fuer-die-ukrainische-selbstbestimmung.
[42] Vgl. Pierre Rousset/Mark Johnson, En solidarité avec la résistance ukrainienne, pour un mouvement international contre la guerre, Contretemps, 4. April 2022, https://www.contretemps.eu/ukraine-invasion-russe-mouvement-anti-guerre-rousset-johnson/.
[43] Isaac Chotiner, Why John Mearsheimer blames the U.S. for the crisis in Ukraine, The New Yorker, 1. März 2022, https://www.newyorker.com/news/q-and-a/why-john-mearsheimer-blames-the-us-for-the-crisis-in-ukraine.