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Einige Gedanken zur ökosozialistischen Taktik und Strategie
Unabhängig davon, was man davon hält Pipelines in die Luft zu jagen, hat Andreas Malm [1] unter Linken in der Umweltbewegung eine wichtige Debatte über Taktik und Strategie angestoßen. Er spricht die strategische Herausforderung an, wie wir uns organisieren sollten, um eine katastrophale Klimakrise abzuwenden, und welche Taktiken dabei am effektivsten sind.
Malm zufolge ist es unmöglich, den Kapitalismus rechtzeitig zu stürzen, um den Klimawandel aufzuhalten [2], und er plädiert daher für den Aufbau einer Umweltbewegung, die in der Lage ist, so viel Druck auf die kapitalistischen Staaten auszuüben, dass sie gezwungen sind, zu handeln, auch gegen ihre eigenen Klasseninteressen. Er legt das in seinem Werk nicht vollständig dar, aber er scheint zu glauben, dass sich der Sozialismus später aus diesem Prozess entwickeln könne [3]. Das unmittelbare Anliegen sei jetzt jedoch, die Klimakrise zu bewältigen, bevor sie jegliche Grundlage für eine angemessene Lebensqualität zerstört, sei es im Sozialismus oder in einem anderen System.
Diese Art von Argument, dass die Zeit nicht reiche erst den Sozialismus aufzubauen und wir uns daher zuerst auf dringendere Fragen konzentrieren müssen, hat linke Politik seit Jahrhunderten verfolgt. Die irische Version gab der nationalen Unabhängigkeit Vorrang vor sozialistischem Wandel, die Anliegen der Arbeiter:innenschaft mussten warten. In Anbetracht der unendlichen Vielfalt der vom Kapitalismus hervorgerufenen Missstände kämpfen zwangsläufig viele unmittelbar wichtige Anliegen um ihren Vorrang. Wenn die nationale Unabhängigkeit nicht schon dringend genug ist, dann ist es sicher das Überleben unserer Spezies?
Zuerst Klimakollaps aufhalten: das doppelte Problem dieses Arguments
Einerseits geht es davon aus, dass es möglich sei, den Klimakollaps abzuwenden und den Kapitalismus fortzusetzen. Wenn aber der Kapitalismus und der Schutz der Umwelt, einschließlich des Klimasystems und der Biodiversität, grundsätzlich unvereinbar sind [4], dann ist es der Kern der strategischen Herausforderung mit dem Kapitalismus zu brechen und ihn durch Ökosozialismus zu ersetzen, um die Klimakatastrophe abzuwenden und mit den bereits entstandenen Schäden gerecht umzugehen.
Andererseits geht es davon aus, dass unmittelbare Ziele (wie das Abwenden der Klimakatastrophe, nationale Befreiung, Gleichstellung der Geschlechter oder Rassen) und Ökosozialismus als Fernziel im Widerspruch zueinander stünden – dass also die für unsere unmittelbaren Ziele notwendigen Taktiken mit dem Endziel Ökosozialismus unvereinbar seien. Oder, alternativ, dass wir vielleicht Glück haben werden, es aber unmöglich sei, irgendetwas davon im Voraus zu planen, wir uns also einfach nur durchwursteln, uns auf das Unmittelbare konzentrieren und Brände bekämpfen, wo sie entstehen.
„Mit dem Kapitalismus zu brechen und ihn durch Ökosozialismus zu ersetzen, ist der Kern des strategischen Problems, die Klimakatastrophe abzuwenden und mit den bereits entstandenen Schäden gerecht umzugehen.“
Genau diese Fokussierung auf unmittelbare Ziele und die Erwartung, dass sich der Sozialismus irgendwann von selbst entwickeln würde, veranlasste Lenin und Trotzki dazu, gegen die Reformisten in der Zweiten Internationale über die Unterscheidung zwischen Taktik und Strategie zu polemisieren.
In den Lehren des Oktobers vertrat Trotzki die Ansicht, dass bestimmte Kämpfe zu gewinnen Teil einer Strategie sein sollte, um den Krieg zu gewinnen, und dass es sich nicht um einmalige oder gar Pyrrhussiege handeln sollte:
„Unter Taktik in der Politik verstehen wir, in Analogie zur Militärwissenschaft, die Kunst, isolierte Operationen durchzuführen. Unter Strategie verstehen wir die Kunst der Eroberung, d.h. der Machtergreifung…
…Die Strategie hebt natürlich die Taktik nicht auf. Die Fragen der Gewerkschaftsbewegung, der parlamentarischen Tätigkeit usw. verschwinden nicht, aber sie erhalten jetzt eine neue Bedeutung als untergeordnete Methoden eines gemeinsamen Kampfes um die Macht. Die Taktik wird der Strategie untergeordnet.” [5]
Ebenso stützte Lenin seinen Modus Operandi auf das, was der ungarische Marxist György Lukács die „Aktualität der Revolution“ nannte, was bedeutet, dass die „Untersuchung jedes einzelnen Tagesproblems … gleichzeitig zu einem Grundproblem der Revolution wurde“ [6]. Das soll nicht heißen, dass wir so tun sollen, als stünde eine sozialistische Revolution unmittelbar bevor, sondern dass wir uns bei der Entwicklung von Taktiken und Strategien ständig fragen sollten, wie diese oder jene Aktion zu einem grundlegenden Bruch mit dem Kapitalismus und einer ökosozialistischen Transformation der Gesellschaft beiträgt.
Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten!
Eines können wir mit Sicherheit sagen: Wir sollten keine Taktiken anwenden, die unseren strategischen Zielen direkt zuwiderlaufen. Beispiele dafür sind: Koalitionen mit pro-kapitalistischen Establishment-Parteien; ausschließlich in sichere konventionelle Taktiken zu vertrauen, die das System nicht herausfordern oder stören; schlecht durchdachte Aktionen, die Menschen aus der Arbeiter:innenklasse entfremden, deren Unterstützung wir brauchen, um zu gewinnen (wie beispielsweise die Blockade eines U-Bahn-Zuges in London durch Extinction Rebellion im Jahr 2019, die Pendler:innen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln (!) zur Arbeit fahren, wütend machte); oder die wahltaktisch motivierte Anbiederung an Gruppen, die ihre Vorgärten verteidigen und umweltfreundliche Maßnahmen wie Fahrrad- oder Busspuren ablehnen.
Solche Taktiken mögen unmittelbare Erfolge wie Regierungseinfluss, Publicity oder gewählte Mandate erzielen, sind aber langfristig kontraproduktiv, weil sie unsere Fähigkeit untergraben, eine unabhängige antikapitalistische Organisation, Massenunterstützung in der globalen Arbeiter:innenklasse in ihrer ganzen multirassischen, multigeschlechtlichen und multinationalen Vielfalt und ein ökosozialistisches Bewusstsein zu entwickeln. Das sind drei grundlegende Bausteine einer transformatorischen ökosozialistischen Strategie.
Unabhängige antikapitalistische Organisierung
Die unabhängige Organisierung von Lohnabängigen, Umweltaktivisten und denjenigen, die in ihrem Alltagsleben vom Kapitalismus ausgebeutet, untergeordnet und unterdrückt werden, ist entscheidend, wenn wir eine unabhängige Kraft und Gegenmacht zur Herrschaft des fossilen Kapitals aufbauen wollen. Das bedeutet, dass wir Bewegungen aufbauen müssen, die finanziell und politisch unabhängig von der kapitalistischen Klasse sowie den politischen Parteien und Staaten sind, die deren Interessen vertreten. Wir müssen also diese Bewegungen in unserer kollektiven „gesellschaftlichen Macht“ als Lohnabhängige verankern, als die wir die Wirtschaft und Gesellschaft durch unsere bezahlte und unbezahlte Arbeit am Laufen halten, anstatt von Spenden der Reichen, Regierungen oder Unternehmen abhängig zu sein. Hierzu brauchen wir „Außenseiter“-Taktiken wie Märsche, Demonstrationen, direkte Aktionen und Streiks, nicht „Insider“-Lobbyarbeit, die von Verbindungen mit Eliten abhängt.
Nur wenn wir unsere Unabhängigkeit bewahren, können wir manche Fehler vermeiden. So unterstützen Friends of the Earth und Stop Climate Chaos (zwei internationale Netzwerke von Umwelt- und Klima-NGOs – red.)trotz der schrecklichen Bilanz der Grünen Partei in Koalition mit den rechten Parteien das Regierungsprogramm (in Irland – red.). Es sollte jedoch allen klar sein, dass die etablierten Parteien, die für die Zerstörung unserer Umwelt verantwortlich sind, nicht diejenigen sind, die das Problem beheben können. Wenn aber Nichtregierungsorganisationen keine wirkliche Alternative zu Insider-Taktiken haben und in einigen Fällen stark von staatlicher Finanzierung abhängig sind, gehören sie zu den letzten, die das verstehen.
Stattdessen muss ein klarer Fokus auf die Organisierung und den Aufbau unserer kollektiven Macht im Mittelpunkt all unserer Taktiken stehen, bei allem, was wir tun. In Irland und auf internationaler Ebene sollte ein kurzfristiger Schwerpunkt auf der Vorbereitung großer, störender Demonstrationen rund um den COP-26-Gipfel im November liegen. Dies wird die erste Machtdemonstration der Bewegung für Klimagerechtigkeit seit Beginn der Pandemie sein und kann dazu beitragen, die radikalsten Flügel der Bewegung zu vereinen und Massenunterstützung aufzubauen.
„Wir sollten uns ständig fragen, wie diese oder jene Aktion zu einem grundlegenden Bruch mit dem Kapitalismus und zu einer ökosozialistischen Transformation der Gesellschaft beitragen kann.“
Was wir brauchen, ist eine Einheitsfront aus Umwelt-, sozialer Gerechtigkeits-, Frauen-, LGBTQ+-, antirassistischer und Arbeiter:innenbewegungen.
In Irland bedeutet dies, dass wir gemeinsam mit FridaysforFuture, Talamh Beo, Save our Sperrins, Arbeiter:innenbei Dublin Bus und Bord na Móna, Aktivist:innen von Right to Nature, Pendlerkampagnen, linken Gewerkschafter:innen, antifaschistischen Aktivist:innen und vielen anderen marschieren und uns mit ihnen zusammenschließen. Es bedeutet, dass wir für die Bedürfnisse der am stärksten Ausgegrenzten und Unterdrückten wie für unsere eigenen eintreten – von Transsexuellen bis hin zu den Rechten der Travellers (irische Nomaden – red.).
Entscheidend ist auch, dass wir linke Aktivist:innen nicht selbstgefällig und selbstzufrieden sein dürfen und meinen, wir hätten alle Antworten – so als ob unsere Rolle einfach darin bestehe, Perlen sozialistischer Weisheit an Umwelt- oder Gerechtigkeitsaktivist:innen weiterzugeben, die zwar das Herz am rechten Fleck haben, denen aber der richtige theoretische Rahmen fehle, um die Welt zu verstehen. Diese Art von Haltung ist in der Linken nur allzu häufig anzutreffen und führt dazu, dass linke Aktivist:innen gleichzeitig als herablassend gegenüber denjenigen erscheinen, mit denen sie sich zu verbünden versuchen, und als ignorant gegenüber den Themen, für die sich diese einsetzen. Viele Linke haben erst spät ein Umweltbewusstsein entwickelt, aber das hat sie nicht davon abgehalten, so zu tun, als seien sie genauso kompetent wie langjährige Aktivist:innen. Wenn es um Klimaschutz angeht, muss die Linke auf die Umweltaktivist:innen hören, die Wissenschaft gründlich studieren und aufhören, sich einzubilden, dass der Sozialismus auf magische Weise alle Umweltprobleme lösen werde. Es wird wahrscheinlich Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern, um den Schaden rückgängig zu machen, den der Kapitalismus bereits für unser Klima und die Artenvielfalt angerichtet hat. Sinnvolle Schritte in Richtung Nullemissionen müssen jetzt erkämpft werden, als Teil des Kampfes für eine ökosozialistische Transformation, und können nicht auf später verschoben werden. Die Anliegen der Arbeitenden können nicht warten, aber die Umwelt auch nicht!
Massenunterstützung und demokratische Vielfalt der Taktiken
In einem Punkt hat Malm Recht: Die Zeit, in der wir uns ausschließlich auf routinierte Taktiken wie Märsche und Demonstrationen, Petitionen oder E-Mail-Kampagnen verlassen können, ist vorbei. Die Lage ist einfach zu ernst und zu dringlich, um uns auf sichere konventionelle Protestformen zu beschränken. Wir müssen eine Vielfalt von Außenseitertaktiken anwenden und jede wirklich nützliche taktische Waffe einsetzen, die uns zur Verfügung steht.
Dazu gehören zunehmend störende Aktionen, die den fossilen Kapitalismus direkt herausfordern, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Massenunterstützung auf sich ziehen und die Bewegung aufrütteln, indem sie dessen Aura der Unbesiegbarkeit durchbrechen. Anstatt Top-Down Taktiken wie das Einreichen von Beschwerden gegen Bauvorhaben oder gerichtliche Anfechtungen zu verfolgen, sollten wir versuchen, neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe direkt von unten zu blockieren, um immer mehr Menschen aktiv in die Bewegung für radikale Klimagerechtigkeit einzubinden. Streiks, Blockaden, Besetzungen, Massenboykotte, dramatische Störaktionen, wie sie von Extinction Rebellion (XR) erfolgreich durchgeführt wurden, und möglicherweise sogar sorgfältig ausgewählte Sabotageaktionen können eingesetzt werden.
Einige Aktionen werden symbolisch sein, andere werden darauf abzielen, die Umwelt direkt zu schützen. Wir könnten uns organisieren, um die Entwicklung neuer Datenzentren, Flüssiggasanlagen oder Parkplätze zu blockieren und um Grünflächen oder die Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer zu schützen. Ein „schlafender Riese“ in unserem Arsenal ist die Verantwortung der Arbeitenden für den Arbeitsprozess, vor allem in wichtigen Industrien, die auf eine umweltfreundliche Produktion umgestellt werden müssen, wie die fossilen Brennstoffe und die Automobilindustrie sowie ein Großteil der Fleisch- und Milchwirtschaft. Streiks für einen gerechten Übergang können unsere mächtigste und störendste Waffe sein und den Weg in eine ökosozialistische Zukunft der Arbeiter:innenkontrolle über die Wirtschaft weisen.
Die Ziele für unsere Aktionen müssen sorgfältig ausgewählt werden. Angesichts der Notwendigkeit, massenhafte Unterstützung zu gewinnen, sollten wir Taktiken vermeiden mit denen wir riskieren die Menschen aus der Arbeiter:innenklasse zu verprellen. Wir sollten gegen Luxuskonsum und Brown Thomas (Kaufhauskette für Luxusartikel –red.) vorgehen, aber nicht gegen Leute, die bei Penneys einkaufen, wie es XR leider in seiner Rebellionswoche 2019 [7] getan hat, oder indem wir – wie es die Grüne Partei vorgeschlagen hat – in Supermärkten „3-für-1-Angebote“ anprangern, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Gedankenlose Aktionen und Rhetorik von gut betuchten Umweltschützer:innen haben viel zu verantworten. Indem sie davon ausgehen, dass alle gleichermaßen für Umweltschutzmaßnahmen aufkommen können, und gleichgültig die Kosten des Klimawandels mittels regressive Kohlenstoffsteuern auf Geringverdiener:innen abwälzen, haben sie „grüne“ Anliegen bei vielen Menschen in ein schlechtes Licht gerückt und sie negativ mit höheren Steuern und Lebenshaltungskosten assoziiert.
„Ein schlafender Riese in unserem Arsenal ist die Verantwortung der Arbeitenden für den Arbeitsprozess, insbesondere in den Schlüsselindustrien, die auf grüne Produktion umgestellt werden müssen…“
Die Aktionen sollten sich stattdessen gegen die profitorientierte Umweltzerstörung und einen offensichtlichen kapitalistischen Feind richten. Es sind die großen Umweltverschmutzer, die zahlen sollen. Die „Blutgeldtour“ von XR durch das Londoner Finanzviertel mit der Forderung, alle Investitionen in fossile Brennstoffe sofort einzustellen, ist ein gutes Beispiel. Die Sprecherin von XR Unify, Bhavini Patel, erklärte:
„Der heutige Protest unterstreicht, dass Rassen-, Sozial- und Klimagerechtigkeit miteinander verwoben sind… Die Gewinnabschöpfung hat zu Rassenungleichheit, sozialer Ungleichheit und Klimakollaps geführt. Das hängt alles zusammen, und wenn wir Gerechtigkeit wollen, müssen wir für alle drei Dinge Gerechtigkeit fordern, damit wir als Menschen gleich sind.” [8]
Ähnliche Aktionen wurden in kleinerem Rahmen von XR Ireland mit einem Marsch durch das internationale Finanzdienstleistungszentrum in Dublin im Jahr 2019 [9] durchgeführt, doch wurde dies vermutlich von dem Protest gegen Penneys überschattet. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Ziele sorgfältig auszuwählen, zumal die Mainstream-Medien nur darauf warten, Fehler anzuprangern.
Ein anderer Fehler, den Linke häufiger machen, ist es, automatisch lokale Basiskampagnen zu unterstützen, selbst wenn deren Ziele der Entwicklung eines ökosozialistischen Bewusstseins das für einen gerechten Übergang zu Nullemissionen nötig ist, zuwiderlaufen. Sich lokalen Kampagnen gegen neue öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrradinfrastrukturen nicht zu widersetzen oder sie sogar stillschweigend zu unterstützen ist ein Beispiel dafür. Die Linke muss klarer und prinzipieller sagen, auf welcher Seite sie steht – auf der Seite der Nutzer:innen öffentlicher Verkehrsmittel aus der Arbeiter:innenklasse, der Kinder, die sichere Räume zum Gehen, Laufen und Spielen brauchen, der Radfahrer:innen und des Klimas. Unsere Antwort auf solche Kampagnen sollte nicht darin bestehen, dem Wunsch der Autofahrer:innen nachzugeben, ohne Rücksicht auf die sozialen oder ökologischen Kosten überall hinfahren zu können. Stattdessen müssen wir für ökosozialistische Lösungen einstehen wie beispielsweise kostenlose, häufige und schnelle öffentliche Verkehrsmittel [10], eine demokratische Planung von Städten und Gemeinden, um die Notwendigkeit des Autofahrens zu verringern, und den allgemeinen Zugang zu emissionsarmen persönlichen Mobilitätshilfen wie Fahrrädern, E-Bikes und E-Scootern.
Der Aufbau vielfältiger unabhängiger Bewegungen all derer, die vom Kapitalismus ausgebeutet und unterdrückt werden, und insbesondere Lohnabhängigen in Schlüsselindustrien wie dem Transportwesen und der Landwirtschaft zu gewinnen, werden entscheidend sein, um solche taktischen Fehler zu vermeiden. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Arbeiter:innen- und die Umweltbewegung zusammenbringen können. Bei „Dublin Bus“ droht ein Arbeitskampf – können wir Umweltaktivist:innen und Lohnabhängige im Allgemeinen dazu bringen, den Kampf der Busfahrer:innen gegen die Privatisierung und die Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen zu unterstützen? Und können wir die Busfahrer:innen dazu bringen, einen kostenlosen, umweltfreundlichen und häufigen öffentlichen Verkehr zu fordern? Hierbei können wir von den Erfahrungen von FridaysforFuture und ökosozialistischen Aktivist:innenen in Deutschland bei der Unterstützung von Streiks der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr viel lernen. [11]
Damit eine wirksame Vielfalt von Taktiken demokratisch beschlossen werden kann, müssen demokratische Strukturen entwickelt werden. Selbst kleine Aktionen einzelner Gruppen können eine große – positive oder negative – Wirkung auf die Bewegung als Ganzes haben und sollten daher demokratisch diskutiert und erörtert werden. Dies wurde von einigen in der Umweltbewegung abgelehnt, ist aber von entscheidender Bedeutung, wenn wir zu den effektivsten Taktiken gelangen wollen – die nicht nur stören und Aufmerksamkeit erregen, sondern Massenunterstützung aufbauen und unsere Bewegungen für die Zukunft stärken.
Sich eine ökosozialistische Zukunft vorstellen
Die Umweltbewegung ist stark in apokalyptischen Vorhersagen über den Klimakollaps, viel weniger aber mit optimistischen Visionen über eine alternative Zukunft. Eine Sache, die wir aus der Geschichte revolutionärer Bewegungen lernen können, ist, dass eine inspirierende Vision von einem besseren Leben unerlässlich ist, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Die Französische Revolution versprach liberté, égalité, fraternité, die Russische Revolution Frieden, Land und Brot.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat Fortschritte in diese Richtung gemacht, indem sie die Idee eines Green New Deal (GND) und einer Just Transition entwickelte. Leider werden beide Begriffe zunehmend vom pro-kapitalistischen Mainstream auf seine Weise übernommen, so dass wir deutlicher machen müssen, dass jeder effektive GND oder jede Just Transition antikapitalistisch und ökosozialistisch sein muss. Wir müssen auch klarstellen, was die Kernelemente eines ökosozialistischen GND bzw. Transition sind, die Aktivist:innen und ein Massenpublikum ansprechen können und sie überzeugen, ja, dies ist eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt! Es geht um die Frage, was gegenwärtig der Parole „Frieden, Land und Brot“ entspricht?
Der Publizist George Monbiot hat den Slogan „private Suffizienz, öffentlicher Luxus“ vorgeschlagen. Der zweite Teil klingt gut für mich, der erste Teil nicht so sehr. „Ausreichend“ (sufficient) ist der Begriff, der verwendet wird, um eine Wasserqualität zu beschreiben, die in der Bucht von Dublin knapp über „schlecht“ liegt! Private „Sicherheit“ oder „Komfort“ klingt verlockender, aber vielleicht müssen wir die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat ganz überwinden. Sie ist so grundlegend für den Kapitalismus, dass sie uns im Weg steht, wenn wir versuchen, uns Alternativen vorzustellen.
“Was entspricht heute der Parole “Frieden, Land und Brot” der russischen Revolution?“
Was sind also unsere griffigsten Parolen? Für mich ist es so etwas wie “Gleichheit, Sicherheit / Komfort und Freiheit / Freizeit” (natürlich brauchen wir einen besseren Slogan!).
Ganz oben auf meiner Wunschliste steht das Potenzial für viel mehr Freizeit. Es geht darum, dass wir uns von der Doppelbelastung durch sinnlose bezahlte Arbeit – deren einziger wirklicher Zweck darin besteht, Profite für die Kapitalist:innen zu erwirtschaften, ohne Rücksicht auf die Kosten für Mensch und Umwelt – und die äußerst ineffiziente Privatisierung der Hausarbeit im Kapitalismus befreien. Diese zwingt jeden einzelnen Haushalt dazu, ständig zu kochen und zu putzen, während solche mühsamen Aufgaben kollektiv organisiert werden könnten und zwar mit viel weniger Emissionen und Lebensmittelverschwendung.
Jason Hickel weist in seinem Buch Less is More (Weniger ist mehr) [12] darauf hin, wie ungewöhnlich das heutige Niveau der bezahlten Arbeitszeiten in der Geschichte ist. Vor dem Kapitalismus hatten die spanischen Bauern fünf Monate Urlaub im Jahr! Sie arbeiteten nur so viel, wie nötig war, um sich eine aus ihrer Sicht gute Lebensqualität zu sichern. Eine postkapitalistische Gesellschaft ohne die Notwendigkeit eines ständigen exponentiellen Wachstums würde dasselbe tun, aber auf einem viel höheren Lebensstandard. Angesichts der enormen technologischen Fortschritte der letzten Jahrhunderte sollte dies mit noch weniger Arbeit möglich sein. Eine Vier-Tage- oder 30-Stunden-Woche ohne Lohneinbußen wäre nur der Anfang. Keynes sagte eine 15-Stunden-Woche im Kapitalismus in zwei Generationen voraus. Ohne ein parasitäres 1 Prozent der Weltbevölkerung, das die Hälfte des Reichtums der Welt monopolisiert, könnte dies tatsächlich möglich sein.
Unsere grundlegende Forderung muss daher die nach Gleichheit sein. Um die Grundlage für reichlich Freizeit und ein komfortables Leben für alle zu schaffen, ohne die Ökosysteme zu zerstören, von denen alles menschliche Leben abhängt, müssen wir mit dem gescheiterten kapitalistischen Modell des ungleichen exponentiellen Wachstums brechen und zu einer massiven Umverteilung des Reichtums und einer demokratisch geplanten Transition hin zu Nullemissionen übergehen. Am wichtigsten ist, dass das, was Marx als Produktionsmittel bezeichnete – Land, Produktions- und technologische Kapazitäten sowie das Investitionskapital, das notwendig ist, um all das in Gang zu setzen – aus den privaten Händen einiger weniger in das kollektive Eigentum aller übergehen muss. Dies würde eine demokratische Planung eines gerechten Übergangs zu Nullemissionen ermöglichen, die die negativen Auswirkungen auf die Menschen minimiert und die Vorteile maximiert.
Ein kleiner Schritt wäre die Abschaffung der Kohlenstoffsteuer auf den unvermeidlichen Verbrauch fossiler Brennstoffe durch Arbeiterfamilien, die es sich nicht leisten können, ihre Häuser umzurüsten oder ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren müssen, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Stattdessen müssten der emissionsintensive Luxusverbrauch der Wohlhabenden, wie Geländewagen, Privatjets, Yachten, Business-Class-Flüge und übermäßig große Häuser besteuert werden. Größere Schritte wären eine ökosoziale Transitionssteuer auf Unternehmensgewinne und die Enteignung der fossilen Brennstoffindustrie.
„Am wichtigsten ist, dass das, was Marx als Produktionsmittel bezeichnete – Grund und Boden, Produktions- und technologische Kapazitäten sowie das Investitionskapital, das notwendig ist, um all das in Gang zu setzen – aus den privaten Händen einiger weniger in das kollektive Eigentum aller überführt werden muss.“
All dies ist notwendig, um die kollektive Sicherheit und den Komfort einer hochwertigen öffentlichen Kinderbetreuung, Bildung, Wohnraum, Gesundheitsfürsorge, Verkehrsmittel, gesunde und schmackhafte Lebensmittel, die kohlenstoffarm und abfallfrei produziert werden und für alle frei zugänglich sind, und den notwendigen raschen Übergang zu erneuerbaren Energien zu finanzieren. Wenn all diese Elemente eines „guten Lebens“ demokratisch beschlossen und flächendeckend zur Verfügung gestellt werden, kann dies dazu beitragen, die seit langem bestehenden sozialen Ungleichheiten zu beseitigen und eine große Zahl hochwertiger Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zu schaffen. Es hat wenig Sinn, die „Freizeit“ zu verlängern, wenn Frauen sie mit unbezahlter Hausarbeit verbringen, oder den Wohlstand umzuverteilen, wenn Schwarze, Braune und LGBTQ+-Menschen weiterhin bei der Wohnungssuche, bei der Arbeit oder im religiösen Bildungswesen diskriminiert werden. Um wirklich gleichberechtigt zu sein, muss die Gleichheit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und politisch sein.
Konsistenz ist der Schlüssel
Zu Beginn dieses Artikels habe ich argumentiert, dass der wesentliche rote Faden, der sich durch all unsere Taktiken zieht, der ständige Verweis auf das strategische Endziel der ökosozialistischen Transformation der Gesellschaft sein muss, die notwendig ist, um den drohenden Kollaps des Klimas und der Artenvielfalt der Erde abzuwenden und die bereits entstandenen Schäden zu beseitigen. Das bedeutet, dass wir in unseren Forderungen konsistent sein und darüber nachdenken sollten, wie sie alle zusammenpassen, insbesondere wie wir die manchmal konkurrierenden Anforderungen einer Massenunterstützung und einem effektiven Schutz der Umwelt miteinander verbinden und wie wir entscheiden können, welche Themen und Kampagnen wir unterstützen und vorantreiben sollen. Eines der Hauptverdienste des Marxismus ist, dass er einen ganzheitlichen Rahmen zur Analyse der Gesellschaft, der Umwelt und der Wirtschaft sowie für Interventionen zu deren Veränderung bietet. Eine ökosozialistische Strategie sollte dies widerspiegeln.
Dieser Text ist im Original auf Englisch im Rupture Magazine Issue 5 im November 2021 erschienen.
Anmerkungen
[1] Malm, Andreas (2021): How to Blow Up a Pipeline. London: Verso
[2] Malm, Andreas (2015): Fossil Capital: The Rise of Steam-Power and the Roots of Global Warming, S. 469-470, London: Verso
[3] Interview with Rupture Radio, 15 March 2021.
https://anchor.fm/ruptureradio/episodes/ATR—How-to-Blow-Up-a-Pipeline-w-Andreas-Malm-esif3b
[4] O’Dwyer, Diana (2021): ‘Debate: Should We Ally with “green” Capitalists? No.’ Rupture Issue 3, Spring 2021.
[5] Trotsky, Leon (1924): ‘Chapter 1: We Must Study the October Revolution’, in The Lessons of October, 1924.
[6] Lukács, György (1924): ‘Chapter 1 – The Actuality of the Revolution’, in Lenin: A Study on the Unity of His Thought, 1924.
[7] MacNamee, Alanna. ‘Extinction Rebellion Target Penneys with Protest Fashion Show’, EVOKE.ie, 9 October 2019.
[8] Gayle, Damien. ‘Extinction Rebellion Targets City of London in “Blood Money” Protest’, The Guardian, 27 August 2021.
[9] Heffernan, Breda, Doherty, Caroline and Dillon, Fiona, ‘Extinction Rebellion begins week of action with march through Dublin’, Irish Independent, 9 October 2019.
[10] O’Dwyer, Diana. ‘Free, Frequent & Fast: Public Transport & the Right to Mobility’. Rupture Issue 4, Summer 2021.
[11] Rother, Nicholas. ‘Strike Together: Strengthening the Climate Movement & Trade Unions’. Rupture Issue 3, Spring 2021.
[12] Hickel, Jason. Less Is More: How Degrowth Will Save the World (Cornerstone Digital, 2020).