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Ich habe das von Ulrich Thielemann, Tanja von Egan-Krieger und Sebastian Thieme initiierte «Memorandum besorgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler» vom März 2012 unterzeichnet, weil ich die Intention teile, nicht jedes Argument, das die Initiatoren verwenden. Denn sie haben Recht, der Zustand der ökonomischen Wissenschaft in Deutschland, Österreich, in Europa und nicht nur dort, ist niederschmetternd erbärmlich – die Krise bringt es an den Tag. Daher verdient jeder auch noch so zaghafte Versuch der «Kritik der politischen Ökonomie», wie Marx Das Kapital untertitelte, Unterstützung. Marx hat Das Kapital als ein «furchtbares missile» bezeichnet, das den Bürgern an den Kopf geworfen worden sei. Das Memorandum ist kein furchtbares missile, das war offenbar auch gar nicht beabsichtigt. Aber es ist auch kein harmloses Wattebäuschchen, immerhin wird der Finger auf die Wunde der Wirtschaftswissenschaften gelegt, auf ihre Einseitigkeit, soziale und politische Irrelevanz, das großsprecherische Gehabe ihrer Repräsentanten, auf die unsäglichen Fehleinschätzungen, die offensichtlich einem Mangel an theoretischer Seriosität geschuldet sind. Diese Kritik schmerzt und zwingt hoffentlich zum Überdenken der selbst gehegten Positionen.
Natürlich ist es irritierend, dass in dem Memorandum das Wort «Kritik» nicht vorkommt. Das ist ein Mangel, weil so die gemachten Vorschläge im vorgegebenen Rahmen des Wissenschaftssystems und der (vor)herrschenden Denkmuster verbleiben. Die Institutionen werden nicht grundsätzlich in Frage gestellt, die Karriereleitern und Förderungspraktiken auch nicht, die herrschenden Theorien werden nur ultraleicht und nicht radikal kritisiert. Dabei gäbe es für mehr Disziplin (im Sinne der Wissenschaftsdisziplin) viele Gründe. Wer den Film Inside Job von Charles Ferguson gesehen hat, wird sich an die beschämende Präsentation der Elite der US-Ökonomen, an die offenen Lügen, an die Fälschungen, faulen Ausreden und die Geldgeilheit ihrer Repräsentanten erinnern – und sich vielleicht schämen, dass man diese Bande von Hanswursten vielleicht sogar ernst genommen hat oder ernst genommen hätte (…)