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Israels völkermörderischer Krieg in Gaza hat eine beispiellose Welle des weltweiten Protests und der Aufmerksamkeit für Palästina ausgelöst. Viele Millionen Menschen sind auf die Straße gegangen, Protestcamps haben sich über Universitäten auf der ganzen Welt ausgebreitet, mutige Aktivist:innen haben Häfen und Waffenfabriken blockiert, und es gibt eine tief sitzende Erkenntnis, dass eine globale Kampagne des Boykotts, der Desinvestition und der Sanktionen gegen Israel jetzt mehr denn je notwendig ist. Die Stärke dieser breiten Massenbewegungen wurde durch die enorme Aufmerksamkeit verstärkt, die die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) erregte – ein Fall, der nicht nur die Realität des israelischen Völkermordes, sondern auch deutlich gemacht hat, wie konsequent die führenden westlichen Staaten die israelischen Aktionen im Gazastreifen und darüber hinaus deutlich ermöglichen.
Doch trotz dieses weltweiten Aufschwungs der Solidarität mit Palästina gibt es nach wie vor einige Fehlvorstellungen darüber, wie Palästina im Allgemeinen diskutiert und dargestellt wird. Allzu oft wird die Politik zu Palästina nur durch die Brille Israels, des Westjordanlands und des Gazastreifens betrachtet, wobei die breitere regionale Dynamik des Nahen Ostens und der globale Kontext, in dem der israelische Siedlerkolonialismus agiert, ignoriert werden. In diesem Zusammenhang wird die Solidarität mit Palästina häufig auf die Frage der massiven Menschenrechtsverletzungen Israels und der anhaltenden Verstöße gegen das Völkerrecht reduziert – die Tötungen, Verhaftungen und Enteignungen, denen die Palästinenser:innen seit fast acht Jahrzehnten ausgesetzt sind. Das Problem mit diesem Menschenrechtsansatz ist, dass er den palästinensischen Kampf entpolitisiert und nicht erklärt, warum die westlichen Staaten Israel weiterhin so eindeutig unterstützen. Und wenn diese entscheidende Frage der westlichen Unterstützung aufgeworfen wird, verweisen viele auf eine „Pro-Israel-Lobby“ in Nordamerika und Westeuropa als Ursache. Das ist eine falsche und politisch gefährliche Sichtweise, die die Beziehung zwischen westlichen Staaten und Israel grundlegend falsch einschätzt.
Mein Ziel in diesem Beitrag ist es, einen alternativen Ansatz zum Verständnis Palästinas zu präsentieren. Dieser Ansatz ist von der weiteren Region und dem zentralen Platz des Nahen Ostens in unserer auf fossile Brennstoffe ausgerichteten Welt geprägt. Mein Hauptargument ist, dass der Kampf für Palästina von zentraler Bedeutung für jeden zukünftigen Erfolg der Bewegung für Klimagerechtigkeit ist. Das liegt nicht an der Umweltzerstörung durch Israels Angriff auf den Gazastreifen oder an den Erdgasreserven im Mittelmeer. Vielmehr liegt es daran, dass der israelische Siedlerkolonialismus – und die daraus resultierende 80-jährige Enteignung der Palästinenser:innen – der entscheidende Pfeiler der US-amerikanischen Vorherrschaft im Nahen Osten ist, dem globalen Zentrum des fossilen Kapitalismus. Es besteht eine untrennbare Verbindung zwischen unserer von fossilen Brennstoffen angetriebenen Welt, der US-amerikanischen Macht und der Gewalt, die dem palästinensischen Volk angetan wird.
Die uneingeschränkte Unterstützung der USA und führender europäischer Staaten für Israel lässt sich nicht außerhalb dieses Kontextes verstehen. Als Siedlerkolonie hat Israel die Aufrechterhaltung der westlichen imperialen Interessen im Nahen Osten unterstützt. Es hat diese Rolle neben der anderen wichtigen Säule der US-Kontrolle in der Region wahrgenommen: den ölreichen arabischen Monarchien am Golf, vor allem Saudi-Arabien. Die sich rasch entwickelnden Beziehungen zwischen dem Golf, Israel und den USA sind für das Verständnis der gegenwärtigen Situation von wesentlicher Bedeutung, insbesondere angesichts der relativen Schwächung der US-amerikanischen globalen Macht.
Nachkriegsveränderungen und der Nahe Osten [1]
In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmten zwei große globale Veränderungen die sich wandelnde Weltordnung. Die erste war eine Revolution in den Energiesystemen der Welt: das Aufkommen von Öl als weltweit wichtigstem fossilen Brennstoff, der Kohle und andere Energiequellen in den führenden Industrieländern verdrängte. Dieser Übergang zum Öl fand zuerst in den USA statt, wo der Verbrauch von Öl 1950 jenen von Kohle übertraf, gefolgt von Westeuropa und Japan in den 1960er Jahren. In den wohlhabenden Ländern, die in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vertreten sind, machte Erdöl 1950 weniger als 28 % des Gesamtverbrauchs an fossilen Brennstoffen aus; Ende der 1960er Jahre hatte es einen Mehrheitsanteil. Dank seiner höheren Energiedichte, seiner chemischen Flexibilität und seiner leichten Transportierbarkeit trieb Öl den boomenden Nachkriegskapitalismus an und bildete die Grundlage für eine Reihe neuer Technologien, Industrien und Infrastrukturen. Dies war der Beginn dessen, was Wissenschaftler:innen später als „Große Beschleunigung“ bezeichneten – eine massive und anhaltende Ausweitung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, die Mitte des 20. Jahrhunderts begann und unaufhaltsam zum heutigen Klimanotstand geführt hat.
Diese globale Umstellung auf Öl stand in engem Zusammenhang mit einer zweiten großen Veränderung der Nachkriegszeit: der Konsolidierung der USA als führende wirtschaftliche und politische Macht. Der wirtschaftliche Aufstieg der USA hatte bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begonnen, doch erst der Zweite Weltkrieg machte die USA endgültig zur dynamischsten Kraft im globalen Kapitalismus, der nur noch die Sowjetunion und ihre Verbündeten gegenüberstanden. Die US-amerikanische Macht entstand aus der Zerstörung Westeuropas während des Krieges in Verbindung mit der Schwächung der europäischen Kolonialherrschaft über weite Teile der so genannten Dritten Welt. Als Großbritannien und Frankreich ins Hintertreffen gerieten, übernahmen die USA die Führung bei der Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Architektur der Nachkriegszeit, einschließlich eines neuen globalen Finanzsystems, in dessen Zentrum der US-Dollar stand. Mitte der 1950er Jahre hatten die USA einen Anteil von 60 % an der weltweiten Produktionsleistung und etwas mehr als ein Viertel des globalen BIP – und 42 der 50 größten Industrieunternehmen der Welt waren US-amerikanische Unternehmen.
Diese beiden globalen Veränderungen – die Hinwendung zum Öl und der Aufstieg der US-amerikanischen Macht – hatten tiefgreifende Auswirkungen auf den Nahen Osten. Einerseits spielte der Nahe Osten eine entscheidende Rolle bei der globalen Umstellung auf Öl. Die Region verfügte über reichhaltige Ölvorkommen, die sich Mitte der 1950er Jahre auf fast 40 % der nachgewiesenen Weltreserven beliefen. Das Öl des Nahen Ostens befand sich außerdem in der Nähe vieler europäischer Länder, und die Kosten für seine Förderung waren wesentlich niedriger als die Kosten für die Ölförderung in anderen Teilen der Welt. So konnten scheinbar unbegrenzte Mengen kostengünstigen Öls aus dem Nahen Osten zu Preisen, die unter denen von Kohle lagen, nach Europa geliefert werden, während gleichzeitig sichergestellt wurde, dass die heimischen US-Ölmärkte von den Auswirkungen der steigenden europäischen Nachfrage abgeschirmt blieben. Die Konzentration der europäischen Ölversorgung auf den Nahen Osten vollzog sich in bemerkenswert kurzer Zeit: Zwischen 1947 und 1960 verdoppelte sich der Anteil des aus der Region stammenden Öls in Europa von 43 % auf 85 %. Dies ermöglichte nicht nur die Entstehung neuer Industrien (z. B. der Petrochemie), sondern auch neue Formen des Verkehrs und der Kriegsführung. Ohne den Nahen Osten hätte es den Übergang zum Erdöl in Westeuropa womöglich nie gegeben.
Der Großteil der Ölreserven des Nahen Ostens konzentriert sich auf die Golfregion, insbesondere auf Saudi-Arabien und die kleineren arabischen Golfstaaten sowie auf den Iran und den Irak. Während der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurden diese Länder von autokratischen Monarchien regiert, die von Großbritannien unterstützt wurden (mit Ausnahme von Saudi-Arabien, das nominell unabhängig vom britischen Kolonialismus war). Die Ölförderung in der Region wurde von einer Handvoll großer westlicher Ölfirmen kontrolliert, die den Herrschern dieser Staaten Renten und Lizenzgebühren für das Recht zur Ölförderung zahlten. Diese Ölfirmen waren vertikal integriert, das heißt sie kontrollierten nicht nur die Förderung des Rohöls, sondern auch die Raffination, den Transport und den weltweiten Verkauf des Öls. Die Macht dieser Unternehmen war immens, denn ihre Kontrolle über die Infrastrukturen des Ölverkehrs ermöglichte es ihnen, alle potenziellen Konkurrenten auszuschließen. Die Eigentumskonzentration in der Ölindustrie übertraf bei weitem diejenige in jeder anderen Branche; tatsächlich wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als 80 % aller weltweiten Ölreserven außerhalb der USA und der UdSSR von nur sieben großen US-amerikanischen und europäischen Unternehmen kontrolliert – den so genannten „Sieben Schwestern“.
Israel und die antikoloniale Erhebung
Als sich der Nahe Osten in den 1950er und 1960er Jahren zum Zentrum der Weltölmärkte entwickelte, sahen sich die Ölfirmen trotz ihrer enormen Macht mit einem großen Problem konfrontiert. Wie überall auf der Welt forderten eine Reihe mächtiger nationalistischer, kommunistischer und anderer linker Bewegungen die vom britischen und französischen Kolonialismus unterstützten Herrscher heraus und drohten, die sorgfältig aufgebaute regionale Ordnung zu stören. Am deutlichsten wurde dies in Ägypten, wo der von den Briten unterstützte Monarch, König Farouk, 1952 durch einen Militärputsch unter der Führung des populären Offiziers Gamal Abdel Nasser gestürzt wurde. Nassers Machtübernahme erzwang den Abzug der britischen Truppen aus Ägypten und führte dazu, dass der Sudan 1956 seine Unabhängigkeit erlangte. Die neu gewonnene Souveränität Ägyptens wurde 1956 mit der Verstaatlichung des britisch-französisch kontrollierten Suezkanals gekrönt – eine Aktion, die von Millionen von Menschen im gesamten Nahen Osten gefeiert wurde und mit einer gescheiterten Invasion Ägyptens durch Großbritannien, Frankreich und Israel einherging. Während Nasser diese Schritte unternahm, wuchsen anderswo in der Region antikoloniale Kämpfe, vor allem in Algerien, wo 1954 ein Guerillakrieg für die Unabhängigkeit gegen die französische Besatzung einsetzte.
Obwohl dies heute oft übersehen wird, waren diese Bedrohungen der langjährigen Kolonialherrschaft auch in den ölreichen Golfstaaten zu spüren. In Saudi-Arabien und den kleineren Golfmonarchien war die Unterstützung für Nasser groß. Verschiedene linke Bewegungen protestierten gegen die Käuflichkeit, Korruption und prowestliche Haltung der herrschenden Monarchien. Welche Folgen dies haben konnte, zeigte sich im benachbarten Iran, wo 1951 mit Mohammed Mossadegh ein populärer nationaler Führer an die Macht gekommen war. Eine der ersten Amtshandlungen Mossadeghs war die Übernahme der britisch kontrollierten Ölgesellschaft Anglo-Iranian Oil Company (der Vorläuferin der heutigen BP) im Rahmen der ersten Ölverstaatlichung im Nahen Osten. Diese Verstaatlichung stieß auf große Resonanz in den benachbarten arabischen Staaten, wo der Slogan „Arabisches Öl für die Araber“ inmitten der allgemeinen antikolonialen Stimmung weit verbreitete Popularität erlangte.
Als Reaktion auf die Verstaatlichung des iranischen Erdöls inszenierten US-amerikanische und britische Geheimdienste 1953 einen Putsch gegen Mossadegh, der eine prowestliche Regierung an die Macht brachte, die dem iranischen Monarchen Mohammad Reza Shah Pahlavi treu ergeben war. Der Putsch war der Auftakt zu einer anhaltenden konterrevolutionären Welle, die sich gegen radikale und nationalistische Bewegungen in der gesamten Region richtete. Der Sturz Mossadeghs demonstrierte auch eine wichtige Veränderung in der regionalen Ordnung: Während Großbritannien eine wichtige Rolle beim Putsch spielte, übernahmen die USA die Führung bei der Planung und Durchführung der Operation. Es war das erste Mal, dass die US-Regierung einen ausländischen Herrscher in Friedenszeiten stürzte. Die Beteiligung der CIA an diesem Staatsstreich war ein wichtiger Vorläufer für spätere US-Interventionen wie den Staatsstreich in Guatemala 1954 und den Sturz von Salvador Allende in Chile 1973.
In diesem Zusammenhang entwickelte sich Israel zu einem wichtigen Bollwerk der US-amerikanischen Interessen in der Region. In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts war Großbritannien der wichtigste Förderer der zionistischen Kolonisierung Palästinas gewesen und unterstützte auch nach der Gründung Israels im Jahr 1948 das zionistische Staatsbildungsprojekt. Doch als die USA in der Nachkriegszeit die britische und französische koloniale Vorherrschaft im Nahen Osten ablösten, wurde die US-amerikanische Unterstützung für Israel zum Dreh- und Angelpunkt einer neuen regionalen Sicherheitsordnung. Der entscheidende Wendepunkt war der Krieg von 1967 zwischen Israel und führenden arabischen Staaten, in dem das israelische Militär die ägyptischen und syrischen Luftstreitkräfte vernichtete und das Westjordanland, den Gazastreifen, die (ägyptische) Sinai-Halbinsel und die (syrischen) Golanhöhen besetzte. Der Sieg Israels erschütterte die Bewegungen der arabischen Einheit, der nationalen Unabhängigkeit und des antikolonialen Widerstands, die sich am deutlichsten in Nassers Ägypten herausgebildet hatten. Er bestärkte auch die USA darin, anstelle Großbritanniens zum wichtigsten Schirmherrn des Landes zu werden. Von diesem Moment an begannen die USA, Israel jährlich mit militärischer Ausrüstung und finanzieller Unterstützung im Wert von Milliarden von Dollar zu versorgen.
Die Bedeutung des Siedlerkolonialismus
Der Krieg von 1967 hat gezeigt, dass Israel eine mächtige Kraft ist, die gegen jede Bedrohung der US-amerikanischen Interessen in der Region eingesetzt werden kann. Dabei gibt es jedoch eine entscheidende Dimension, die oft nicht beachtet wird: Israels besondere Stellung bei der Unterstützung der US-amerikanischen Macht hängt unmittelbar mit seinem inneren Charakter als Siedlerkolonie zusammen, die auf der fortgesetzten Enteignung der palästinensischen Bevölkerung beruht. Siedlerkolonien müssen ständig daran arbeiten, Strukturen der rassistischen Unterdrückung, der Klassenausbeutung und der Enteignung zu festigen. Infolgedessen handelt es sich in der Regel um hoch militarisierte und gewalttätige Gesellschaften, die auf externe Unterstützung angewiesen sind, um ihre materiellen Privilegien in einem feindlichen regionalen Umfeld aufrechtzuerhalten. In solchen Gesellschaften profitiert ein erheblicher Teil der Bevölkerung von der Unterdrückung der indigenen Völker und versteht seine Privilegien in rassistischen und militaristischen Kategorien. Aus diesem Grund sind Siedlerkolonien viel verlässlichere Partner westlicher imperialer Interessen als „normale“ Klientenstaaten. Arabische Klientelregime – wie das heutige Ägypten, Jordanien und Marokko – werden immer wieder durch politische Bewegungen innerhalb ihrer eigenen Grenzen herausgefordert und sind stets gezwungen, dem Druck von unten nachzugeben und zu reagieren. Aufgrund der Verlässlichkeit des Zionismus unterstützte der britische Kolonialismus diesen als politische Bewegung im frühen zwanzigsten Jahrhundert – und darum engagierten sich die USA nach 1967 für Israel.
Das bedeutet nicht, dass die USA Israel „kontrollieren“ oder dass es nie Meinungsverschiedenheiten zwischen den US-amerikanischen und der israelischen Regierungen darüber gibt, wie diese Beziehung aufrechterhalten werden sollte. Aber Israels Fähigkeit, einen permanenten Zustand des Krieges, der Besatzung und der Unterdrückung aufrechtzuerhalten, wäre ohne kontinuierliche US-amerikanische Unterstützung (sowohl materiell als auch politisch) stark gefährdet. Im Gegenzug ist Israel ein loyaler Partner und ein Bollwerk gegen Bedrohungen der US-amerikanischen Interessen in der Region. Israel hat auch global gehandelt, indem es repressive, von den USA unterstützte Regime in der ganzen Welt unterstützt hat – von der Apartheid in Südafrika bis hin zu Militärdiktaturen in Lateinamerika.[2] Alexander Haig, Stabschef des Weißen Hauses 1973-74 unter den Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford sowie Außenminister 1981-82 unter Präsident Reagan, drückte es einmal unverblümt aus: „Israel ist der größte amerikanische Flugzeugträger der Welt, der nicht versenkt werden kann, keinen einzigen amerikanischen Soldaten an Bord hat und sich in einer für die nationale Sicherheit Amerikas kritischen Region befindet.[3]
Die Verbindung zwischen dem inneren Charakter des israelischen Staates und seiner besonderen Stellung in der US-amerikanischen Macht ist vergleichbar mit der Rolle, die die südafrikanische Apartheid für die westlichen Interessen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent spielte. Es gibt allerdings wichtige Unterschiede zwischen der südafrikanischen und der israelischen Apartheid – nicht zuletzt der überwiegende Anteil der schwarzen Bevölkerung Südafrikas an der Arbeiter:innenklasse des Landes (im Gegensatz zu den Palästinenser:innen in Israel) – aber als Siedlerkolonien wurden beide Länder zu zentralen Organisationszentren der westlichen Macht in ihren jeweiligen Nachbarschaften. Wenn wir die Geschichte der westlichen Unterstützung für die südafrikanische Apartheid untersuchen, sehen wir die gleiche Art von Rechtfertigungen, die wir heute im Fall Israels sehen (und die gleiche Art von Versuchen, internationale Sanktionen zu blockieren und Protestbewegungen zu kriminalisieren). Diese Parallelen erstrecken sich auch auf die Rolle bestimmter Personen. Ein wenig bekanntes Beispiel hierfür ist die Reise eines jungen Mitglieds der britischen Konservativen Partei nach Südafrika im Jahr 1989, auf der er sich gegen internationale Sanktionen gegen Südafrika aussprach und begründete, warum Großbritannien das Apartheidregime weiterhin unterstützen sollte.[4] Jahrzehnte später ist dieser junge Tory, David Cameron, 2010 bis 2016 Premierminister und vom 3. November 2023 bis 5. Juli 2024 Außenminister des Vereinigten Königreichs – und einer der führenden Politiker der Welt, der Israels Völkermord in Gaza bejubelt.
Die zentrale Stellung des Nahen Ostens in der globalen Ölwirtschaft verleiht Israel eine ausgeprägtere Stellung in der imperialen Macht, als sie das Apartheid-Südafrika hatte. Beide Fälle zeigen jedoch, warum es so wichtig ist, darüber nachzudenken, wie sich regionale und globale Faktoren mit der internen Dynamik der Klassenbeziehungen und rassistischen Diskriminierung in Siedlerkolonien überschneiden.
Israels wirtschaftliche Integration in den Nahen Osten
Der Nahe Osten gewann für die US-amerikanische Vormachtstellung noch mehr an Bedeutung, nachdem in den 1970er und 1980er Jahren die Erdölreserven in den meisten Teilen der Region (und anderswo) verstaatlicht wurden. Die Verstaatlichung beendete die langjährige direkte westliche Kontrolle über die Rohöllieferungen aus dem Nahen Osten (obwohl US-amerikanische und europäische Unternehmen weiterhin den größten Teil der weltweiten Raffination, des Transports und des Verkaufs dieses Öls kontrollierten). In diesem Zusammenhang bestanden die Interessen der USA in der Region darin, die stabile Versorgung des Weltmarktes mit Öl – in US-Dollar – zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Öl nicht als „Waffe“ zur Destabilisierung des auf die USA ausgerichteten globalen Systems eingesetzt werden würde. Da die erdölproduzierenden Länder am Golf inzwischen Billionen mit dem Export von Rohöl verdienten, waren die USA auch sehr besorgt darüber, wie diese so genannten Petrodollars im globalen Finanzsystem zirkulierten – eine Angelegenheit, die unmittelbar mit der Dominanz des US-Dollars zusammenhängt.
Bei der Verfolgung dieser Interessen konzentrierte sich die US-Strategie vollkommen auf das Überleben der von Saudi-Arabien angeführten Golfmonarchien als wichtige regionale Verbündete. Dies war besonders wichtig nach dem Sturz der iranischen Pahlavi-Monarchie im Jahr 1979, die seit dem Staatsstreich von 1953 eine weitere wichtige Stütze der US-amerikanischen Interessen am Golf gewesen war. Die Unterstützung der USA für die Golfmonarchen manifestierte sich auf vielfältige Weise: unter anderem durch den Verkauf riesiger Mengen militärischer Ausrüstung, die den Golf zum größten Waffenmarkt der Welt machten; durch Wirtschaftsinitiativen, die den Petrodollar-Reichtum des Golfs in die US-amerikanischen Finanzmärkte lenkten; und durch eine ständige US-Militärpräsenz, die bis heute die ultimative Garantie für die monarchische Herrschaft darstellt. Ein entscheidender Moment in den Beziehungen zwischen den USA und den Golfstaaten war der Iran-Irak-Krieg, der von 1980 bis 1988 dauerte und zu den zerstörerischsten Konflikten des zwanzigsten Jahrhunderts zählt (bis zu einer halben Million Menschen kamen ums Leben). Während dieses Krieges belieferten die USA beide Seiten mit Waffen, Finanzmitteln und nachrichtendienstlichen Informationen und sahen darin eine Möglichkeit, die Macht dieser beiden großen Nachbarländer zu schwächen und die Sicherheit der Golfmonarchen weiter zu gewährleisten.[5]
Auf diese Weise stützte sich die US-Strategie im Nahen Osten auf zwei Hauptpfeiler: Israel auf der einen und die Golfmonarchien auf der anderen Seite. Diese beiden Säulen bilden auch heute noch den Kern der US-amerikanischen Macht in der Region; allerdings hat sich ihr Verhältnis zueinander entscheidend verändert. Seit den 1990er Jahren und bis heute hat die US-Regierung versucht, diese beiden strategischen Pole – zusammen mit anderen wichtigen arabischen Staaten wie Jordanien und Ägypten – in einer gemeinsamen Zone zusammenzufassen, die mit der wirtschaftlichen und politischen Macht der USA verbunden ist. Damit dies gelänge, müsste Israel in den weiteren Nahen Osten integriert werden – durch die Normalisierung seiner Beziehungen (wirtschaftlich, politisch, diplomatisch) zu den arabischen Staaten. Dies bedeutete vor allem, dass die seit vielen Jahrzehnten bestehenden formellen arabischen Boykotte Israels beendet werden müssten.
Aus israelischer Sicht ging es bei der Normalisierung nicht nur darum, den israelischen Handel mit und Investitionen in arabischen Staaten zu ermöglichen. Nach einer schweren Rezession Mitte der 1980er Jahre hatte sich die israelische Wirtschaft von Sektoren wie dem Baugewerbe und der Landwirtschaft weg und hin zu einem viel stärkeren Schwerpunkt auf Hightech-, Finanz- und Rüstungsexporten verlagert.[6] Viele führende internationale Unternehmen zögerten jedoch, mit israelischen Firmen (oder in Israel selbst) Geschäfte zu machen, weil die arabischen Regierungen Sekundärboykotte verhängten. [7] Die Aufhebung dieser Boykotte war von entscheidender Bedeutung, um große westliche Unternehmen nach Israel zu locken und israelischen Firmen den Zugang zu ausländischen Märkten in den USA und anderswo zu ermöglichen. Bei der wirtschaftlichen Normalisierung ging es also sowohl darum, den Platz des israelischen Kapitalismus in der Weltwirtschaft zu sichern, als auch um den Zugang Israels zu den Märkten des Nahen Ostens.
Zu diesem Zweck setzten die USA (und ihre europäischen Verbündeten) seit den 1990er Jahren eine Reihe von Mechanismen ein, um die wirtschaftliche Integration Israels in den Nahen Osten voranzutreiben. Einer davon war die Vertiefung der Wirtschaftsreformen – eine Öffnung für ausländische Investitionen und Handelsströme, die sich rasch in der Region ausbreiteten. In diesem Zusammenhang schlugen die USA eine Reihe von Wirtschaftsinitiativen vor, die darauf abzielten, die israelischen und arabischen Märkte miteinander und dann mit der US-Wirtschaft zu verbinden. Eine der wichtigsten Maßnahmen waren die so genannten Qualifying Industrial Zones (QIZs) – in den späten 1990er Jahren in Jordanien und Ägypten eingerichtete Niedriglohn-Fertigungszonen. Die in den QIZ produzierten Waren (hauptsächlich Textilien und Bekleidung) erhielten zollfreien Zugang zu den USA, sofern ein bestimmter Anteil der Vorleistungen für ihre Herstellung aus Israel stammte. Die QIZ spielten eine frühe und entscheidende Rolle bei der Zusammenführung von israelischem, jordanischem und ägyptischem Kapital in gemeinsamen Eigentumsstrukturen und normalisierten so die Wirtschaftsbeziehungen zwischen zwei der arabischen Nachbarstaaten Israels. Im Jahr 2007 meldete die US-Regierung, dass mehr als 70 % der jordanischen Exporte in die USA aus QIZs stammten; in Ägypten wurden 2008 30 % der Exporte in die USA in QIZs hergestellt.[8]
Neben dem QIZ-Programm schlugen die USA im Jahr 2003 auch die Initiative für eine Freihandelszone im Nahen Osten (Middle East Free Trade Area, MEFTA) vor. Ziel der MEFTA war es, bis 2013 eine Freihandelszone für die gesamte Region zu schaffen. Die Strategie der USA bestand darin, mit „befreundeten“ Ländern einzeln zu verhandeln und dabei einen abgestuften sechsstufigen Prozess anzuwenden, der schließlich zu einem vollwertigen Freihandelsabkommen (FTA) zwischen den USA und dem betreffenden Land führen sollte. Diese Freihandelsabkommen waren so konzipiert, dass die Länder ihre eigenen bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA mit den bilateralen Freihandelsabkommen anderer Länder verbinden konnten, um so Abkommen auf subregionaler Ebene im gesamten Nahen Osten zu schließen. Diese subregionalen Abkommen könnten im Laufe der Zeit miteinander verbunden werden, bis sie die gesamte Region abdecken. Wichtig ist, dass diese Freihandelsabkommen auch dazu dienen würden, die Integration Israels in die arabischen Märkte zu fördern, wobei jedes Abkommen eine Klausel enthielt, die das unterzeichnende Land zur Normalisierung der Handelsbeziehungen mit Israel verpflichtete und jeglichen Boykott der Handelsbeziehungen untersagte. Auch wenn die USA ihr Ziel für die Einrichtung der MEFTA im Jahr 2013 nicht erreicht haben, so hat diese Politik doch erfolgreich zu einer Ausweitung des wirtschaftlichen Einflusses der USA in der Region beigetragen, die durch die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und wichtigen arabischen Staaten unterstützt wurde. Bemerkenswerterweise haben die USA heute 14 Freihandelsabkommen mit Ländern in der ganzen Welt geschlossen, davon fünf mit Staaten im Nahen Osten (Israel, Bahrain, Marokko, Jordanien und Oman).
Die Oslo-Abkommen
Der Erfolg der wirtschaftlichen Normalisierung hing jedoch letztlich davon ab, dass sich die politische Situation änderte und die Palästinenser:innen „grünes Licht“ für die wirtschaftliche Integration Israels in die gesamte Region gaben. Der entscheidende Wendepunkt waren die Osloer Verträge, ein Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), das 1993 unter der Schirmherrschaft der US-Regierung auf dem Rasen des Weißen Hauses unterzeichnet wurde. Die Osloer Abkommen baute in hohem Maße auf den kolonialen Praktiken der vorangegangenen Jahrzehnte auf. Seit den 1970er Jahren hatte Israel versucht, eine palästinensische Kraft zu finden, die das Westjordanland und den Gazastreifen in seinem Namen verwalten sollte – eine palästinensische Stellvertreterin für die israelische Besatzung, der den täglichen Kontakt zwischen Palästinenser:innen und dem israelischen Militär auf ein Minimum reduzieren würde. Diese frühen Versuche scheiterten während der Ersten Intifada, einem groß angelegten Volksaufstand, der 1987 (im Gazastreifen) begann. Die Osloer Abkommen beendeten die erste Intifada.
Im Rahmen der Osloer Verträge erklärte sich die PLO bereit, eine neue politische Einheit, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), zu gründen, der begrenzte Befugnisse über die zersplitterten Gebiete des Westjordanlandes und des Gazastreifens eingeräumt werden sollten. Die Palästinensische Autonomiebehörde wurde für ihr Überleben vollständig von externer Finanzierung abhängig – insbesondere von Krediten, Hilfsgeldern und von Israel erhobenen Einfuhrsteuern, die dann an die Autonomiebehörde überwiesen werden. Da die meisten dieser Finanzierungsquellen von westlichen Staaten und Israel stammten, wurde die PA schnell politisch unterworfen. Darüber hinaus behielt Israel die volle Kontrolle über die palästinensische Wirtschaft und die Ressourcen sowie über den Personen- und Warenverkehr. Nach der politischen Teilung des Gazastreifens und des Westjordanlandes im Jahr 2007 richtete die Palästinensische Autonomiebehörde ihren Sitz in Ramallah im Westjordanland ein. Heute wird die PA von Mahmoud Abbas geleitet.[9]
Trotz der üblichen Darstellung der Osloer Abkommen und der anschließenden Verhandlungen ging es dabei nie um Frieden und einen Weg zur palästinensischen Freiheit. Unter den Osloer Abkommen explodierte die israelische Siedlungsexpansion im Westjordanland, die Apartheidmauer wurde gebaut, und es entstanden die ausgeklügelten Bewegungsbeschränkungen, die heute das Leben der Palästinenser:innen bestimmen. Die Osloer Abkommen diente dazu, wichtige Teile der palästinensischen Bevölkerung – Flüchtlinge und palästinensische Bürger:innen Israels – aus dem politischen Kampf auszuschließen und die Frage Palästinas auf Verhandlungen über kleine Gebietsabschnitte im Westjordanland und im Gazastreifen zu reduzieren. Vor allem aber gaben die Osloer Abkommen der Integration Israels in den Nahen Osten den palästinensischen Segen und ebnete den arabischen Regierungen – allen voran Jordanien und Ägypten – den Weg für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel unter der Schirmherrschaft der USA.
Erst nach den Oslo-Abkommen entstanden die Bewegungsbeschränkungen, Sperren, Kontrollpunkte und Militärpuffer, die den Gazastreifen heute umgeben. In diesem Sinne ist das Freiluftgefängnis, das der heutige Gazastreifen ist, selbst eine Schöpfung des Oslo-Prozesses: Ein direkter Faden verbindet die Oslo-Verhandlungen mit dem Völkermord, den wir jetzt erleben. Es ist wichtig, sich dies angesichts der laufenden Diskussionen über mögliche Nachkriegsszenarien in Erinnerung zu rufen. Zur israelischen Strategie gehörte schon immer die regelmäßige Anwendung extremer Gewalt, gepaart mit falschen Versprechungen über international unterstützte Verhandlungen. Diese beiden Instrumente sind Teil desselben Prozesses und dienen dazu, die fortgesetzte Fragmentierung und Enteignung des palästinensischen Volkes zu verstärken. Bei den von den USA geführten Nachkriegsverhandlungen werden mit Sicherheit ähnliche Versuche unternommen werden, um Israels anhaltende Herrschaft über das Leben und das Land der Palästinenser:innen sicherzustellen.
Vorausschauend denken
Die strategische Bedeutung des ölreichen Nahen Ostens für die US-amerikanische Weltmacht erklärt, warum Israel heute der größte kumulierte Empfänger von US-Auslandshilfe in der Welt ist, obwohl es gemessen am Pro-Kopf-BIP die 13. reichste Volkswirtschaft der Welt ist (reicher als Großbritannien, Deutschland oder Japan). Dies erklärt auch die parteiübergreifende Unterstützung Israels durch die politischen Eliten in den USA (und in Großbritannien). Tatsächlich erhielt Israel im Jahr 2021 – unter der Präsidentschaft von Trump und vor dem aktuellen Krieg – mehr US-Militärgelder aus dem Ausland als alle anderen Länder der Welt zusammen.[10] Und, wie dieses Jahr gezeigt hat, geht die US-amerikanische Unterstützung weit über die finanzielle und materielle Unterstützung hinaus, wobei die USA als letzter Rückhalt bei der politischen Verteidigung Israels auf der Weltbühne fungieren.[11]
Wie wir gesehen haben, ist dieses US-amerikanische Bündnis mit Israel nicht zufällig mit der Enteignung des palästinensischen Volkes einhergegangen, sondern es ist sogar darin begründet. Es ist der siedlungskoloniale Charakter Israels, der ihm eine so überragende Rolle bei der Stärkung der US-Macht in der Region verschafft hat. Deshalb ist der Kampf der Palästinenser:innen so wichtig, um den politischen Wandel im gesamten Nahen Osten voranzutreiben – einer Region, die heute die am stärksten sozial polarisierte, wirtschaftlich ungleiche und von Konflikten geprägte Region der Welt ist. Umgekehrt ist der Kampf für Palästina eng mit den Erfolgen (und Misserfolgen) anderer fortschrittlicher sozialer Kämpfe in der Region verknüpft.
Die zentrale Achse dieser interregionalen Dynamik bleibt die Verbindung zwischen Israel und den Golfstaaten. In den zwei Jahrzehnten nach den Oslo-Abkommen betonte die US-Strategie im Nahen Osten weiterhin die wirtschaftliche und politische Integration Israels mit den Golfstaaten. Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess war das Abraham-Abkommen von 2020, in dem sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain bereit erklärten, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Das Abraham-Abkommen ebnete den Weg für ein Freihandelsabkommen zwischen den VAE und Israel, das 2022 unterzeichnet wurde und das erste Freihandelsabkommen Israels mit einem arabischen Staat darstellt. Das Handelsvolumen zwischen Israel und den VAE überstieg 2022 die Marke von 2,5 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2020 waren es gerade einmal 150 Millionen US-Dollar. Auch der Sudan und Marokko haben ähnliche Abkommen mit Israel geschlossen, die durch erhebliche US-amerikanische Anreize vorangetrieben wurden. [12]
Mit dem Abraham-Abkommen unterhalten nun fünf arabische Länder offizielle diplomatische Beziehungen mit Israel. Diese Länder umfassen rund 40 % der Bevölkerung der gesamten arabischen Welt und einige der führenden politischen und wirtschaftlichen Kräfte der Region. Eine entscheidende Frage bleibt jedoch offen: Wann wird Saudi-Arabien diesem Club beitreten? Während es unmöglich ist, dass die VAE und Bahrain dem Abraham-Abkommen ohne die Zustimmung Saudi-Arabiens hätten zustimmen können, hat das saudische Königreich seine Beziehungen zu Israel bisher nicht offiziell normalisiert – trotz einer Vielzahl von Treffen und informellen Verbindungen zwischen den beiden Staaten in den letzten Jahren.
Inmitten des gegenwärtigen Völkermords ist ein Normalisierungsabkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel zweifellos das Hauptziel der US-Planungen für die Nachkriegszeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die saudische Regierung einem solchen Ergebnis zustimmen würde – und wahrscheinlich hat sie dies auch der Regierung Biden gegenüber angedeutet – vorausgesetzt, sie erhält eine Art grünes Licht von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah (vielleicht verbunden mit der internationalen Anerkennung eines palästinensischen Pseudostaats in Teilen des Westjordanlands). Natürlich gibt es erhebliche Hindernisse für dieses Szenario, darunter die anhaltende Weigerung der Palästinenser:innen im Gazastreifen, sich zu unterwerfen, und die Frage, wie der Gazastreifen nach dem Ende des Krieges verwaltet werden soll. Aber der derzeitige US-Plan einer multinationalen arabischen Truppe, die die Kontrolle über den Gazastreifen übernimmt und von einigen der führenden Staaten der Normalisierung – den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Marokko – angeführt wird, wäre wahrscheinlich mit einer saudi-israelischen Normalisierung verbunden.
Angesichts der scharfen Rivalitäten und geopolitischen Spannungen, die sich auf globaler Ebene, insbesondere mit China, abzeichnen, wird es für die Interessen der USA in der Region immer wichtiger, die Golfstaaten und Israel zusammenzubringen. Zwar gibt es keine andere „Großmacht“, die die US-amerikanische Dominanz im Nahen Osten ersetzen könnte, doch hat der politische, wirtschaftliche und militärische Einfluss der USA in der Region in den letzten Jahren relativ stark abgenommen. Ein Indiz dafür sind die wachsenden Interdependenzen zwischen den Golfstaaten und China und Ostasien, die inzwischen weit über den Export von Rohöl aus dem Nahen Osten hinausgehen.[13] Vor diesem Hintergrund – und angesichts der langjährigen Bedeutung Israels für die US-amerikanische Machtposition – würde jeder vom US-Staat gesteuerte Normalisierungsprozess dazu beitragen, die Vorrangstellung der USA in der Region wiederherzustellen, und könnte als entscheidender Hebel gegen den Einfluss Chinas in der Region dienen.
Doch trotz der anhaltenden Diskussionen über Nachkriegsszenarien haben die letzten 76 Jahre wiederholt gezeigt, dass Versuche, die palästinensische Standhaftigkeit und den Widerstand dauerhaft auszulöschen, scheitern werden. Palästina steht heute an der Spitze eines globalen politischen Aufbruchs, der alles übertrifft, was es seit den 1960er Jahren gegeben hat. Inmitten dieses erhöhten Bewusstseins für die palästinensische Situation muss unsere Analyse über den unmittelbaren Widerstand gegen Israels Brutalität im Gazastreifen hinausgehen. Der Kampf für die Befreiung Palästinas steht im Zentrum jeder wirksamen Herausforderung der imperialen Interessen im Nahen Osten. Unsere Bewegungen müssen diese umfassendere regionale Dynamik besser verstehen, insbesondere die zentrale Rolle der Golfmonarchien. Wir brauchen auch ein tieferes Verständnis dafür, wie der Nahe Osten in die Geschichte des fossilen Kapitalismus und die aktuellen Kämpfe für Klimagerechtigkeit eingebunden ist. Die Frage Palästinas kann nicht von diesen Realitäten getrennt werden. In diesem Sinne stellt der außergewöhnliche Überlebenskampf, den die Palästinenser:innen heute im Gazastreifen führen, die Speerspitze des Kampfes um die Zukunft des Planeten dar.
Referenzen
Dieser Artikel von Adam Hanieh wurde erstmals am 13. Juni 2024 auf der Webseite des Transnational Institute publiziert.[14]Adam Hanieh ergänzte den Beitrag leicht für emanzipation. Übersetzung durch Christian Zeller.
Bildquelle: Das Werden der Wassermelone. Foto von Nikolett Emmert auf Unsplash
[1] Weitere Ausarbeitungen und Dokumentationen zu den in diesem Abschnitt genannten Punkten befinden sich in meinem Buch Crude Capitalism: Oil, Corporate Power, and the Making of the World Market (Verso Books, 2024).
[2] International Jewish Anti-Zionist Network: Israel’s Worldwide Role in Repression, 2012 https://www.ebony.com/wp-content/uploads/2014/08/israels-worldwide-role-in-repression-footnotes-finalized.pdf
[3] Aufschlussreich ist, dass die Quelle für dieses Zitat in einem Artikel des ehemaligen israelischen Botschafters in den USA, Michael Oren, mit dem Titel „Der ultimative Verbündete“ zu finden ist. https://embassies.gov.il/washington/Obama_in_Israel/Pages/The-Ultimate-Ally.aspx#:~:text=Secretary%20of%20State%20Alexander%20M,region%20for%20American%20national%20security.%22, ursprünglich publiziert in Foreign Policy, May/June 2011.
[4] Mary Dejevsky: Cameron’s freebie to apartheid South Africa. Independent 26 April 2009. https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/cameron-s-freebie-to-apartheid-south-africa-1674367.html
[5] Toby Craig Jone: America, Oil, and War in the Middle East. Journal of American History, 99 (1), June 2012, Pages 208–218, https://doi.org/10.1093/jahist/jas045
[6] Michael Shalev: The Contradictions of Economic Reform in Israel. Middle East Report 207, Summer 1998. https://merip.org/1998/06/the-contradictions-of-economic-reform-in-israel/
[7] Sekundäre Boykotte bedeuteten, dass ein Unternehmen, das in Israel investiert, beispielsweise, von den arabischen Märkten ausgeschlossen würde..
[8] Weitere Diskussionen über die QIZ, MEFTA und die politische Ökonomie der Normalisierung Israels finden sich in Adam Hanieh, Lineages of Revolt: Issues of Contemporary Capitalism in the Middle East (Haymarket Books, 2013), besonders auf den Seiten 36–38.
[9] Die Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat im Jahr 2006 wurden von der Hamas mit 74 von 132 Sitzen überzeugend gewonnen. Zunächst wurde eine Regierung der nationalen Einheit zwischen der Hamas und der Fatah, der dominierenden palästinensischen Partei, die die Autonomiebehörde kontrolliert, gebildet. Diese Regierung wurde jedoch von der Fatah aufgelöst, nachdem die Hamas 2007 die Kontrolle über den Gaza-Streifen übernommen hatte. Seitdem gibt es in Gaza und im Westjordanland getrennte Behörden.
[10] Gustaf Kilander: How much money does the US give to Israel, and is there more to come? Independent, 01 November 2023.
[11] Neben direkter militärischer und finanzieller Hilfe gibt es noch viele andere Formen der Unterstützung. So gewähren die USA Israel Kreditgarantien in Höhe von Milliarden Dollar, die es dem Land ermöglichen, auf dem Weltmarkt billigere Kredite aufzunehmen. Israel ist eines von nur sechs Ländern in der Welt, die in den letzten zehn Jahren solche Garantien erhalten haben (die anderen sind die Ukraine, Irak, Jordanien, Tunesien und Ägypten)..
[12] Im Falle des Sudan erklärten sich die USA bereit, ein Darlehen in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar zu gewähren und das Land von der Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus zu streichen (obwohl das Normalisierungsabkommen noch nicht ratifiziert wurde). Im Falle Marokkos erkannten die USA die marokkanische Souveränität über die besetzte Westsahara im Gegenzug für die Normalisierung der Beziehungen des Landes zu Israel an.
[13] Adam Hanieh: A transition to where? The Gulf Arab states and the new ‘East-East’ axis of world oil. 16 November 2023 https://www.tni.org/en/article/a-transition-to-where-the-gulf-arab-states-and-the-new-east-east-axis-of-world-oil
[14] Adam Hanieh: Framing Palestine Israel, the Gulf states, and American power in the Middle East. Transnational Institute, 13 June 2024 https://www.tni.org/en/article/framing-palestine