Share This Article
Die offizielle Geschichtsschreibung aus Sicht Washingtons besagt, dass die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki unerlässlich waren, um die japanische Regierung zu zwingen, endlich zu kapitulieren. In Wirklichkeit suchten seit Ende 1944 führende japanische Politiker und seit Mai 1945 die neue Regierung unter Admiral Suzuki einen Kontakt zu Washington, um über die Kapitulation Japans zu verhandeln. Ihre einzige Forderung war, dass Kaiser Hirohito seine Stellung halten kann. Alle Verantwortlichen der US-Regierung und des US-Militärs planten, Japan diese Zusicherung zu geben. Doch der neue Präsident Harry Truman und sein Außenminister James Byrnes zogen diesen Punkt 12 der Erklärung auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 zurück. Der erste Atombombentest hatte funktioniert und der Abwurf der Atombombe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki würde Japan in die Kapitulation zwingen, bevor sich die Rote Armee in der Mandschurei und Nordkorea Japan nähern konnte. Byrnes und Truman wollten, dass die Atombombe die Sowjetunion einschüchtert und den USA die Überlegenheit verschafft, um der ganzen Welt die Bedingungen für den Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg zu diktieren. Die neue Atombombe war gegen Japan, das ohnehin am Ende seiner Kräfte war, nicht unbedingt notwendig, sondern diente als Warnung gegen die UdSSR im bereits beginnenden Kalten Krieg. Um Hiroshima und Nagasaki zu rechtfertigen wurde ein Mythos angefertigt, dass auf diese Weise Hundertausende Leben geschont worden seien, die bei einer Landung US-amerikanischer Truppen auf japanischen Boden gefallen wären. Die beste akademische Geschichtswissenschaft hat seit dreißig Jahren bewiesen, dass das eine Erfindung ist.
Jeder August bringt die Jahrestage der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 zurück. Die Geschichte dieser beiden Atombomben bekannt zu machen, hat im Jahr 2023 eine neue Brisanz erhalten: Wladimir Putin, sein Außenminister Sergueï Lavrov und ihre Generäle drohten mehrfach öffentlich, in ihrem Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung notfalls auf Atomwaffen zurückzugreifen. Ein rechtsradikaler Besessener in der israelischen Regierung zog öffentlich die Möglichkeit in Betracht, eine Atombombe gegen die Menschen in Gaza einzusetzen. Schließlich ist es seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis, dass Israel über Atomwaffen verfügt.
Der Rückblick auf die Vorbereitungen des Atombombeneinsatzes durch die politische und militärische Führung der USA erinnert uns auch daran, wie kriegführende Mächte in einer Eskalationslogik den Einsatz ihrer Mittel steigern, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Das gilt keineswegs nur bei Atomwaffen, sondern auch bei konventioneller Kriegsführung. Die Bombardierung ukrainischer Städte durch die russische Armee und der gegenwärtige Krieg der israelischen Armee gegen die Bevölkerung in Gaza zeigen das in aller Grausamkeit.
Der Kampf gegen die globale Erwärmung und die Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe werden einen enormen Anstieg der Stromerzeugung erfordern. Dies hat den Kernkraftwerken zu einer neuen Legitimität verholfen und viele Länder haben den Bau neuer Kernkraftwerke beschlossen. Die Gefahren einer überhitzten Erde werden gegen die Gefahren der Radioaktivität und des Ausstoßes von radioaktiven Stoffen in die Umwelt, neue Tschernobyls und Fukushimas eingetauscht. Das macht es notwendig, eine neue Anti-Atomkraft-Bewegung aufzubauen, gegen die Atombombe und gegen die Gefahren der zivilen Atomkraft.
1. Der Film Oppenheimer erinnert, aber nicht korrekt
Der kürzlich erschienene, ansonsten sehr gute Film Oppenheimer von Christopher Nolan wiederholt die offizielle These, dass die Atombombe notwendig gewesen sei, um Japan zur Kapitulation zu zwingen, und dass sie das Leben hunderttausender US-amerikanischer und japanischer Soldat:innen verschont habe, die bei den Kämpfen einer Landung US-amerikanischer Truppen auf japanischem Boden gestorben wären.
Dies wird seit mindestens dreißig Jahren von der besten akademischen Geschichtswissenschaft widerlegt. Diese ist jedoch nicht in die Mainstream-Geschichtsschreibung und die Schulbücher eingedrungen. Und die Propaganda Washingtons ist noch immer aktiv.
Als Japan am 11. August 1945 kapitulierte und die GIs nach Hause zurückkehren, ist die öffentliche Meinung in den USA davon überzeugt, dass der Sieg der Atombombe zu verdanken ist. Während sich die Medien mit Erklärungen zur Kernspaltung und den Versprechungen der Atomenergie füllten, äußerten nur wenige Minderheitsstimmen Kritik:
Am 9. August 1945, noch bevor der Abwurf der Nagasaki-Bombe bekannt wurde, richteten der spätere Republikanische Staatssekretär John Foster Dulles (1888-1959), damals ein Führer der presbyterianischen Kirche, und der methodistische Bischof G. Bromley Oxnam, einen dringenden Appell an Präsident Truman und «ersuchten ihn um „Zurückhaltung“ Sie baten ihn, „unser Programm der Luftangriffe auf Japan [vorübergehend auszusetzen], um dem japanischen Volk ausreichend Gelegenheit zu geben, sich auf die neue Situation einzustellen.“»[1]
In einem Interview mit der Sunday Times am 18. August 1946 (das Interview wurde am folgenden Tag, dem 19. August, von der New York Times übernommen) erklärte Albert Einstein: «Ich habe den Verdacht, daß die Angelegenheit (die Entscheidung, die Atombombe einzusetzen) durch den Wunsch vorangetrieben wurde, […] daß man den Krieg im Pazifik unter allen Umständen ohne die Mitwirkung der Russen beenden wollte. Ich bin sicher, daß all das unter Präsident Roosevelt nicht möglich gewesen wäre.» [2]
Am 20. September 1945 erklärte der US-Air Force Generalmajor Curtis E. LeMay, der Kommandeur der strategischen Bombereinheiten, in einer Pressekonferenz: «LeMay:“Der Krieg wäre zwei Wochen später vorbei gewesen, ohne daß die Russen eingetreten wären und ohne die Atombombe.”
Presse: “Ist das Ihre Meinung, Sir? Ohne die Russen und ohne die Atombombe ?”
LeMay: “Die Atombombe hatte nicht das geringste mit dem Ende des Krieges zu tun.”» [3]
Am 5. Oktober 1945 schrieb David Lawrence, der konservative Besitzer der Zeitschrift U.S. News and World Report: «Sprecher der Luftwaffe sagen, es sei gar nicht nötig gewesen, weil der Krieg sowieso schon gewonnen war. Zuverlässige Quellen beweisen, daß Japan viele Wochen vor dem Abwurf der Bombe zur Kapitulation bereit war.»
Am 23. November klagte er: «Wir haben eine schreckliche Waffe eingesetzt, um mehr als 100.000 Männer, Frauen und Kinder in einer Art supertödlicher Gaskammer zu ersticken und einzuäschern. Und das in einem Krieg, der bereits gewonnen war oder leicht ohne die Atombombe hätte gewonnen werden können, wie uns die Sprecher unserer Luftstreitkräfte mitteilen.»[4]
Am 17. November schrieb Captain Ellis Zacharias in der Saturday Evening Post, «daß Führungskräfte in den USA “über eindeutige Informationen aus Japan [verfügt hatten, aus denen hervorging], daß eine mächtige Gruppe in der japanischen Führung seit Anfang 1945 fast täglich darüber beriet, wie und mit welchen Mitteln sich Japan aus einem Krieg lösen könnte, den sie alle für unwiderruflich verloren hielten.”» [5]
Ende November fragte der Kommentator des ABC-Radios Raymond Swing, warum die Bombe ohne vorherige öffentliche Demonstration auf einem unbewohnten Ziel eingesetzt wurde: «Einer der Gründe ist offenkundig. Wir hatten die Bombe gerade fertiggestellt, um sie eine Woche vor dem Eintreten der Russen in den Krieg mit Japan abzuwerfen. Hätte man sich die Zeit für die humanitäre Demonstration genommen, die die Wissenschaftler verlangten, dann hätten wir nicht sagen können, daß die Bombe bei der Kapitulation Japans die Rolle gespielt hat, die wir ihr jetzt zuschreiben können.»[6]
1948 schrieb der britische Physiker Patrick Blackett (1897-1974), Nobelpreisträger 1948, der während des Krieges bei der britischen Admiralität gearbeitet hatte, in seinem in London veröffentlichten Buch über die Atombombe, « … der Abwurf der Atombomben war nicht so sehr die letzte Kriegshandlung des Zweiten Weltkriegs, sondern vielmehr die erste große Kriegshandlung im kalten diplomatischen Kriege mit Russland ….»[7]
Die UdSSR hatte Japan am 7. August 1945, ein Tag nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima, den Krieg erklärt. Der Feldzug der Roten Armee in der Mandschurei und in Nordkorea endete jedoch bereits am 3. September, da die japanische Führung am 2. September 1945 an Bord der USS Missouri im Hafen von Tokio die Kapitulation Japans unterzeichnete.
Der Chemiker James B. Conant (1893-1978), Präsident der Harvard Universität, war 1940 von Präsident Roosevelt in das National Defense Research Committee berufen worden, dem der Informatiker Vannevar Bush (1890-1974), Präsident der Carnegie Foundation, vorstand. In dieser Funktion sollten Conant und Bush zusammen mit Generalstabschef George Marshall (1880-1959) und Verteidigungssekretär Henry L. Stimson das Manhattan-Projekt beaufsichtigen, das streng geheime Projekt zum Bau einer Atombombe, dessen Leitung General Leslie Groves (1896-1970) vom US Corps of Engineers übertragen wurde. Am 16. Juli 1945 waren Bush, Conant und Groves in der Wüste von New Mexico in Alamogordo dabei, als die erste Atombombe Trinity erfolgreich detoniert.
Durch die Öffnung der persönlichen Papiere von Stimson 1959 und Conant in den 1970er Jahren, konnte Stimsons Biograf James G. Hershberg 1993 offenlegen, dass Conant am 23. September 1946, alarmiert durch die spärliche Kritik, an Stimsons Stabschef Harvey Bundy (1888-1963) schrieb, dass eine Autoritätsperson einen offiziellen Bericht veröffentlichen müsse, der als Referenzquelle für die Lehrer:innen der Zukunft dienen solle. Conant befürchtete, dass die Kritik zu einer massiven Friedensbewegung anschwellen könnte, die den Verzicht auf Atomwaffen fordern würde.[8]
Diese Autoritätsperson sollte Henry L. Stimson (1867-1950), der Verteidigungssekretär seit 1940, sein; ein «weiser alter Mann von 73 Jahren », ein Republikaner in einer Regierung der demokratischen Partei. Stimson genoss das besondere Prestige, dass er von 1929 bis 1933 Staatssekretär unter Präsident Herbert Hoover war, nachdem er zuvor Generalgouverneur der Philippinen gewesen war.
Harvey Bundy erstellte einen Plan und schlug vor, dass sein 26-jähriger Sohn McGeorge Bundy (1919-1996) [9] zusammen mit Stimson einen Artikel verfassen solle, der darlegt, dass der Einsatz der Atombombe den Krieg um mehrere Monate verkürzt habe und die für November 1945 auf der Insel Kyushu (Operation Olympic) und für März 1946 auf der Hauptinsel Honshu (Operation Coronet) vorbereiteten Landungen in Japan vermieden habe, die den Tod von Hunderttausenden von US-Soldat:innen und vielleicht einer halben Million japanischer Soldat:innen gekostet hätten; dass auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 niemand geglaubt habe, die Japaner würden zu akzeptablen Bedingungen ohne langwierige Kämpfe kapitulieren; dass es ohne den tatsächlichen Einsatz der Bombe unmöglich gewesen wäre, die Welt davon zu überzeugen, dass die Rettung der Zivilisation in Zukunft von einer angemessenen internationalen Kontrolle der Atomenergie abhängen würde.
Der Artikel erwähnte weder die UdSSR noch die Frage der bedingungslosen Kapitulation, die wir später behandeln werden. Der 20-seitige Artikel, der von Groves durchgesehen und korrigiert und nur von Stimson unterzeichnet wurde, erschien in der Februarausgabe 1947 der renommierten New Yorker Zeitschrift Harper’s Magazine.[10] Die Veröffentlichung wurde sorgfältig wie eine große Medienoperation vorbereitet: 400 Vorabkopien wurden an einflussreiche Journalist:innen und Kommentator:innen, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender geschickt. Die Washington Post und Reader’s Digest veröffentlichten den Artikel in voller Länge, Time und die New York Times druckten Auszüge ab. Der Artikel wurde von allen Seiten mit lobenden Leitartikeln begrüßt und in mehreren Ländern nachgedruckt.[11]
Inzwischen hatte der Kalte Krieg begonnen. Die Autoren des Artikels wollen nun auch die öffentliche Unterstützung für einen möglichen Einsatz der Atombombe gegen die UdSSR verstärken. Bei einer geheimen Sitzung des National War College im Oktober 1947 erklärte Conant, dass im Falle eines Krieges gegen die UdSSR, «wir “wenn es militärisch sinnvoll erschiene, als Erste [Atom-]bomben abwerfen würden.”»[12]
In all seinen Interviews und öffentlichen Erklärungen sowie in seinen zwischen 1955 und 1960 erschienenen Memoiren, übernimmt Harry Truman die Argumentation aus Stimsons Artikel sowie die Angabe, wonach eine Viertelmillion US-amerikanischer und japanischer Soldat:innen dank der Atombombe verschont geblieben worden seien. Die Zahl war eine willkürliche Erfindung. Sie schwankte je nach Anlass zwischen einer «Viertelmillion», einer «halben Million» und sogar einer «Million».
In den 1980er Jahren versuchten zwei Historiker, diese berühmte Zahl in den Schätzungen der US-Generäle im Frühjahr 1945 zu überprüfen. Rufus E. Miles Jr. kam 1985 zu dem Schluss, dass die Zahl nicht mehr als 20.000 betragen haben konnte. Barton Bernstein, der alle Studien und Schätzungen des Generalstabs durchgesehen hatte, kam zum Schluss, dass die vorgesehenen Verluste bei der Landung auf Kyushu im November 1945 und der Invasion auf Honshu im März 1946 nicht mehr als 46.000 getötete US-Soldat:innen betragen hatten. Die Historiker fanden keine Quellen für Hunderttausende, eine Viertelmillion oder eine Million.[13]
Truman sprach auch oft von der «gerechten Rache für den perfiden» Überraschungsangriff der japanischen Marineflieger auf den Stützpunkt Pearl Harbour auf Hawaii am 7. Dezember 1941. Bei diesem Angriff auf diesen Marinestützpunkt waren 2400 Menschen getötet und 1178 verwundet worden. Die Propaganda war auch von Rassismus gegen «die Japs», gegen «die Gelben», geprägt.
2. Archive und persönliche Papiere, die in den 1970er Jahren endlich geöffnet wurden
Unsere Quelle ist ein dickes, 850 Seiten starkes Buch, das 1995 gleichzeitig in New York und London erschien: The Decison to Use the Atomic Bomb von Gar Alperovitz und sieben weiteren Co-Autoren.[14] Das Buch wurde nur ins Deutsche übersetzt: Gar Alperovitz, Hiroshima. Die Entscheidung für den Abwurf der Bombe, Hamburger Edition, 1995.
Gar Alperovitz (1936) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, dessen Doktoratsbetreuerin die keynesianisch-marxistische Ökonomin Joan Robinson (1903-1983) an der Universität Cambridge war. Gar Alperovitz war parlamentarischer Assistent des linksdemokratischen Senators Gaylord Nelson aus Wisconsin, der den Vietnamkrieg ablehnte. Im Jahr 1965 veröffentlichte er seine Dissertation Atomic Diplomacy: Hiroshima and Potsdam. Er hat vor allem über die Wirtschaft der USA geschrieben. Sein Buch aus dem Jahr 1995 ist das Ergebnis der Arbeit eines 30-köpfigen Teams, das seit 1989 die Archive der Regierungs- und Armeedepartemente, die Arbeiten ihrer offiziellen Historiker und die persönlichen Papiere, die Forschern in den 1970er und 1980er Jahren zugänglich gemacht wurden, durchforstete. Die Anwält:innen des Teams forderten und erhielten unter Berufung auf den Freedom of Information Act bestimmte Zugänge. Sie erhielten Unterstützung von den linksgerichteten demokratischen Senatoren Joseph Tydings aus Maryland und John Culver aus Iowa, dem Freund von Senator Edward Kennedy.
Gar Alperovitz und sein Team traten in Briefen, Zeitschriftenartikeln, Interviews und Seminaren in Dialog mit anderen Historikern, die sich mit demselben Material befassten, insbesondere mit japanischen Historikern, sowie mit Barton Bernstein, mit dem es auch Meinungsverschiedenheiten gab, der aber das Manuskript Korrektur gelesen las.[15]
Am vergangenen 5. August 2023 publizierte Gar Alperovitz einen kurzen Artikel in der Los Angeles Times, um seine Schlußfolgerung nochmals zu wiederholen: «U.S. leaders knew we didn’t have to drop atomic bombs on Japan to win the war. We did it anyway» [16]
Gar Alperovitz spart die Verbrechen des japanischen Imperialismus nicht aus: «Das japanische Volk muß sich mit sehr vielen häßlichen Seiten der Geschichte auseinandersetzen – darunter nicht nur Pearl Harbor, sondern auch die Bombardierung Shanghais, die Plünderung [und Massaker] Nankings, die Zwangsprostitution koreanischer Frauen, die Menschenversuche in dem berüchtigten Bataillon 731, die Schrecken des Todesmarsches von Bataan sowie die systematische Folterung und Ermordung von Kriegsgefangenen.
All das erklärt jedoch nicht, wie es zu Hiroshima kommen konnte.» [17]
Hinzu kommen die schlimme Unterdrückung der Arbeiter:innenbewegung, das Verbot der Kommunistischen Partei Japans in 1926 und der Sozialistischen Partei in 1932 sowie die schreckliche Behandlung der Kolonien Japans: Korea, Taiwan, Mandschurei, China, Indochina, Malaysia, Burma, Indonesien, Philippinen.
3. Harry Truman und Jimmy Byrnes
Am 12. April 1945 starb der Präsident der Vereinigten Staaten Franklin Delanoe Roosevelt (1882-1945) plötzlich an einem massiven Schlaganfall. Er war gerade erst im November 1944 gegen seinen Republikanischen Rivalen für eine vierte Amtszeit wiedergewählt worden.
Sein Vizepräsident Harry S. Truman (1884-1972) war plötzlich Präsident, obwohl Roosevelt ihn in so gut wie nichts einbezogen hatte. Das geheime Manhattan Project war ihm unbekannt. Harry Truman war seit 1935 Senator aus Missouri als Vertreter der Demokratischen Partei gewesen. Mit Truman wurde die US-Regierung deutlich nach rechts verschoben. 1941 hatte Senator Truman nichts Geringeres vorgeschlagen, als Deutschland bei seinem Überfall auf die UdSSR zu helfen (sic).[18] Sein Vorgänger im Amt des Vizepräsidenten, Henry A. Wallace, war ein linker Demokrat, der sich mit Roosevelt zerstritten hatte.
Truman wandte sich an seinen Freund James F. Byrnes (1882-1972) in der Demokratischen Partei, der sein Mentor im Senat gewesen war. Byrnes war seit 1931 Senator für Süd Carolina. Zuvor war er seit 1911 Mitglied des Abgeordnetenhauses gewesen. Von 1941 bis 1942 war er Richter am Obersten Gerichtshof, danach von 1942 bis 1943 Direktor für Binnenwirtschaft und von 1943 bis 1944 Direktor des Amtes für Kriegsmobilisierung. Byrnes hingegen war in die Geheimhaltung des Manhattan-Projekts eingeweiht worden.
Aufgrund seiner Rolle und Position hätte Byrnes im November 1944 der Kandidat für die Vizepräsidentschaft sein sollen, doch Roosevelt zog einen weniger südstaatlichen und weniger imposanten Kandidaten vor. Truman beeilte sich, Jimmy Byrnes zum Staatssekretär zu ernennen. Dieser begann sofort sein Amt auszuüben, noch bevor er vom Senat bestätigt wurde. Harry Truman und Jimmy Byrnes verbrachten jeden Tag mehrere Stunden miteinander. Byrnes war Hauptberater und fast ein Co-Präsident. Ein Protokoll dieser Gespräche existiert allerdings nicht oder wurde nicht gefunden. Es sind diese beiden Personen, die über den Abwurf der beiden Atombomben entschieden. Und niemand sonst. Byrnes war sehr verschlossen, ein «sehr machiavellistischer Charakter », wie manche meinten. [19]
Später, nachdem er sich mit Truman zerstritten hatte, wurde Byrnes von 1951 bis 1955 Gouverneur von Süd Carolina, wo er sich der Aufrechterhaltung der Rassentrennung, insbesondere an den Schulen, widmete.
Roosevelt hatte Byrnes nach Jalta zu der Konferenz vom 4. bis 11. Februar 1945 mit Churchill und Stalin mitgenommen. Dort hatte das berühmte Feilschen zwischen Churchill und Stalin um Prozentsätze für die Aufteilung der Ostblockstaaten stattgefunden.
Byrnes hatte in seiner Jugend als Gerichtsschreiber gearbeitet und war ein guter Stenograph. Bei der Rückkehr aus Jalta schickte Roosevelt Byrnes mit seinem Protokoll voraus, mit dem Auftrag, den Senat und die Öffentlichkeit in Washington zu informieren. Byrnes berief eine Pressekonferenz ein, als er aus dem Flugzeug stieg, nachdem er 38 Stunden ohne Pause Flüge aneinandergereiht geflogen war.
Truman berichtete später, dass Byrnes ihm bei einem ihrer ersten Gespräche im Mai 1945 gesagt hatte, dass die Atombombe es den USA nun ermöglichen würde, «bei Kriegsende die Bedingungen des Friedens zu „diktieren“.»[20]
4. Kampf um Polen
Im Januar 1945 ermöglichte der Vormarsch der Roten Armee im von der deutschen Wehrmacht befreiten Warschau eine Regierung der Polnischen Arbeiterpartei/POP einzusetzen, die Stalin im bereits im Juli 1944 von den deutschen Truppen befreiten Lublin gebildet hatte.
Vier Monate vorher, als sich die Rote Armee näherte, hatte die Armia Krajowa des polnischen Widerstands, die sehr stark und zahlreich, aber schlecht bewaffnet, am 1. August 1944 das Stadtzentrum von Warschau erobert. Der Widerstand, der alle Parteien außer den Kommunisten, vor allem aber die Sozialisten vertrat, wollte die Stadt für den Einmarsch der Roten Armee halten. Eine erbitterte Schlacht gegen die Deutschen hatte zwei Monate lang im Stadtzentrum auf dem linken Weichselufer gedauert, während die Rote Armee auf dem rechten Ufer unbeeindruckt stehen geblieben war. In den von der Roten Armee eroberten polnischen Gebieten liquidierte das NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten, Staatssicherheit der UdSSR) die Mitglieder der Armia Krajowa oder deportierte sie in den Gulag. Die alliierte Luftwaffe versuchte, die Aufständischen in Warschau zu versorgen und zu unterstützen.
Am 2. Oktober 1944 musste die Armia Krajowa eine Kapitulation mit den Deutschen unterzeichnen, die Zivilpersonen das Verlassen der Stadt erlaubte und den Kämpfer:innen den Status von Kriegsgefangenen zuerkannte. Einige Wochen später, als sich die deutsche Wehrmacht nach Westen zurückzog, besetzte die Rote Armee das linke Ufer der Weichsel.
In London befand sich jedoch seit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 die Exilregierung der Republik Polen. Die UdSSR hatte damals gleichzeitig mit Erlaubnis Hitlers, den östlichen Drittel Polens besetzt. Mitglieder der polnischen Regierung und des Parlaments sowie Zehntausende Soldat:innen waren über Ungarn und Rumänien nach Westen geflohen und hatten seither in allen Schlachten der Alliierten gekämpft. Der Großteil der polnischen Kriegsmarine hatte sich Großbritannien angeschlossen, und 250 polnische Kampfpiloten hatten die Royal Air Force verstärkt. Die polnische Exilregierung war noch im September 1939 vom Präsidenten der Republik selbst, Ignacy Moscicki, der damals nach Rumänien geflohen war, ernannt worden.
Als die deutsche Wehrmacht im Juni 1941 in Russland einmarschierte und die UdSSR zum Verbündeten der Alliierten wurde, wurde in der UdSSR mit Wladyslaw Anders (1892-1970) einem General, den man soeben aus der Lubianka (dem zentralen Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes) freigelassen hatte, ein Armeekorps aus polnischen Freiwilligen gebildet, die kurz zuvor «amnestiert» (sic) worden waren. Dieses Korps bestehend aus drei Divisionen, 25.000 Männern, 1000 Offizieren durfte sich über den Iran der britischen Armee in Ägypten anschließen.
Die polnische Exilregierung in London vereinte alle politischen Parteien außer den Kommunisten. 1942 weigerte sie sich mit Stalin um die Zukunft Polens zu verhandeln. Im Februar 1945 forderten Roosevelt und Churchill an der Konferenz in Jalta, dass die Londoner Exilregierung nach Warschau zurückkehren könne um eine Koalitionsregierung mit der POP-Regierung zu bilden und freie Wahlen abzuhalten. In Polen stand die Wiederherstellung der legalen bürgerlichen Ordnung von 1939 gegen die Angleichung an die verstaatlichte Wirtschaft der UdSSR unter der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie auf dem Spiel. In Frage stand auch die damalige Verpflichtung von London und Paris, die im September 1939 Deutschland eben den Krieg erklärt hatten, weil sie versprochen hatten Polen zu schützen.
Stalin und die sowjetische Regierung waren unnachgiebig und lehnten jede Infragestellung der „kommunistischen“ Regierung ab. Sie akzeptierten höchstens, dass der Präsident der Exilregierung, Stanislaw Mikolajczyk (1901-1966), nach Warschau zurückkehrte, um Vizepremierminister und für die die Landreform zuständiger Landwirtschaftsminister zu werden. Die Regierung teilte die Ländereien der adligen Großgrundbesitzer unter den Bauern auf. Die Polen in London denunzierten Mikolajczyk als Verräter. 1947 wurden Wahlen abgehalten, die manipuliert wurden: Die POP erhielt 394 Sitze und Mikolajczyks Agrarpartei/PSL 28 Sitze. Mikolajczyk verließ angewidert Polen.[21]
Der Physiker des Manhattan-Projekts, Leo Szilard (1894-1964), Einsteins Freund, berichtete, dass er und zwei weitere Wissenschaftler des Projekts am 28. Mai 1945 mit James Byrnes sprachen. Er berichtete «daß bei diesem Gespräch „Mr. Byrnes nicht argumentierte, daß der Einsatz der Atombombe gegen die Städte in Japan notwendig sei, um den Krieg zu gewinnen. Er wußte damals, ebenso wie die übrige Regierung, daß Japan im Grunde geschlagen war und wir den Krieg in weiteren sechs Monaten gewinnen konnten. Byrnes war damals sehr besorgt über den steigenden Einfluß Rußlands in Europa; (…) [Mr.Byrnes war der Ansicht], daß unser Besitz und die Demonstration der Atombombe Rußland in Europa gefügiger (more manageable) machen würden.”»[22]
Szilard kehrte erschrocken nach Chicago zurück und alarmierte seine Kolleg:innen vom Manhattan-Projekt. Fünf der prominentesten unterzeichneten im Juni 1945 den sogenannten Franck-Report, benannt nach dem Physiker James Franck (1882-1964), der 1925 den Nobelpreis erhalten hatte und Erstunterzeichner war. Dieser an Truman gerichtete Appell wurde im Juli durch eine Petition unterstützt, die von 70 Wissenschaftler:innen des Metallurgical Laboratory der Universität Chicago und der Oak Ridge Anlage unterzeichnet wurde.[23] Sie forderten eine Demonstration der Bombe in einem unbewohnten Gebiet, sprachen sich gegen einen überraschenden Einsatz in Japan aus, verlangten aber, Japan Zeit zu geben, um über eine Kapitulation nachzudenken, und den Vereinten Nationen die Möglichkeit zu geben, eine weltweite Kontrolle über die Atomenergie zu organisieren, um ein atomares Wettrüsten zu verhindern.
Diese Bewegung innerhalb eines streng geheimen Unternehmens war nicht leicht zu organisieren. Dieser Aufruf erreichte Truman nie, weil General Groves, anstatt ihn weiterzuleiten, ihn als «geheim» einstufte und in einer Schublade einschloss.[24]
James Byrnes war besessen von dem, was er in Jalta erlebt hatte: Die Unmöglichkeit, Stalin dazu zu bringen, die Absorption der osteuropäischen Länder rückgängig zu machen. James Byrnes brach eine härtere und bedrohlichere Haltung gegenüber der UdSSR zum Ausdruck. Sie brach mit dem Entgegenkommen Roosevelts und verfolgte eine Politik, die die Atombombe als «diplomatisches» Mittel zur Einschüchterung der UdSSR einsetzte, um Zugeständnisse zu erwirken; zunächst in der Frage Polens und darüber hinaus im von der Roten Armee besetzten Osteuropa.
5. Operation Undenkbar
Churchill hingegen wählte, um das gleiche Problem zu lösen, einen direkteren Weg. Er beabsichtigte die Rote Armee mit Hilfe von wieder mobilisierten Einheiten der deutschen Wehrmacht bis nach Ostpolen zurückzuschlagen. Erst 1998 enthüllte das britische Nationalarchiv diese «Operation Unthinkable» (Operation Undenkbar). Am 28. Mai 1945, drei Wochen nach der Kapitulation Deutschlands, wies Churchill den Chef des Generalstabs, Feldmarschall Alan Brooke, an, einen Plan für einen Angriff der britischen Armee in Deutschland auszuarbeiten, der am 1. Juli 1945 beginnen sollte und bei dem erneut mobilisierte Einheiten der deutschen Wehrmacht zum Einsatz kommen sollten. Der Plan sah zwei Angriffsachsen vor: eine im Norden von Stettin nach Bydgoszcz, und eine weiter südlich von Leipzig nach Breslau/Wroclaw. Es war bekannt, dass in der britischen Besatzungszone die deutschen Streitkräfte einige Wochen lang nicht demobilisiert, sondern nur entwaffnet und in Kasernen gehalten worden waren, während Admiral Dönitz, Hitlers designierter Nachfolger, und sein Stab, weiter im Dienst blieben.
Das britische Kabinett und der Generalstab erschraken, wobei Brooke darauf hinwies, dass man zwar wisse, wann und wo ein Krieg beginne, nicht aber, wann und wo er enden würde. Die Amerikaner stoppten diese Teufelei sofort, während die Sowjets, die davon Wind bekommen hatten, laut aufschrien.[25]
6. Anzeichen, dass Japan kapitulieren könnte
Erst 1955 wurde bekannt, dass die US-Geheimdienste seit 1923 alle verschlüsselten japanischen Nachrichten der Streitkräfte, der Kriegsmarine, des Generalstabs, der Regierung und des Außenministeriums gelesen hatten. Es handelte sich um das MAGIC-Programm. Seine Archive wurden erst 1978 und nur teilweise veröffentlicht:[26] Am 22. Juni 1945 erklärte Kaiser Hirohito auf der Sitzung des Obersten Rates für die Kriegsführung, daß es «auch notwendig ist, einen Plan zu haben, um den Krieg sofort zu beenden.»
Und am 13. Juli stand in einem Telegramm des japanischen Außenministers Togo an Botschafter Sato in Moskau: «Seine Majestät der Kaiser wünscht angesichts der Tatsache, daß der gegenwärtig geführte Krieg täglich schlimmere Folgen zeitigt und der Bevölkerung der kriegführenden Mächte immer größere Opfer abverlangt, von ganzem Herzen, daß er rasch beendet werde.(…)[S]olange England und die Vereinigten Staaten auf einer bedingungslosen Kapitulation beharren, hat das Japanische Kaiserreich keine andere Möglichkeit, als mit all seiner Kraft weiter für die Ehre und das Überleben des Vaterlands zu kämpfen.»[27]
Ebenfalls am 13. Juli 1945 berichtete Allen Dulles (1893-1969), der OSS-Agent in Bern und spätere Direktor der CIA, Folgendes: «Per Jacobsson, schwedischer Staatsangehöriger und Wirtschaftsberater der Bank für Internationale Zahlungen in Basel, ist von Kojiro Kitamura, Direktor der Bank, Vertreter der Yokohama Specie Bank und früherer Finanzattaché in Berlin, angesprochen worden. Kitamura gab Jacobsson zu verstehen, daß er dringend Kontakt mit Vertretern Amerikas aufnehmen wolle und daß die einzige Bedingung, auf der Japan im Zusammenhang mit einer Kapitulation beharren würde, eine gewisse Rücksichtnahme auf die kaiserliche Familie sei.»[28]
Und am 16. Juli schickte Dulles’ Vorgesetzter, Oberst Donovan, Präsident Truman den vollständigen Bericht von Allen Dulles: «In allen Diskussionen mit Jacobsson betonten die japanischen Gesprächspartner lediglich zwei Punkte: a) die Beibehaltung des Kaisers und b) die Möglichkeit, zur Verfassung von 1889 zurückzukehren.» [29]
Das war drei Tage vor dem ersten Atombombentest und fast einen Monat vor dem Abwurf der Bomben auf Japan. Es war ein bedeutendes Angebot. Doch Washington ergriff es nicht.
In Wirklichkeit hatte Japan schon seit langem versucht, sich zu ergeben: Bereits am 24. September 1944 hatte der schwedische Botschafter in Tokio, Wilder Bagge, dem Foreign Office in London mitgeteilt: «Ich höre aus sehr verläßlicher Quelle, daß das Friedensproblem in weiten Zivilkreisen Japans mit wachsender Besorgnis erörtert wird. Ein baldiger Zusammenbruch Deutschlands wird erwartet, und man glaubt nicht, daß Japan dann den Krieg fortsetzen kann.» [30]
Diese «weiten Zivilkreise Japans» waren unter Anderen die ehemaligen Ministerpräsidenten der Vorkriegszeit, die sich im Geheimen wöchentlich trafen, und die wir weiter unten vorstellen werden.
Am 11. Mai 1945 berichtete der US-Minister in Stockholm, Herschel V. Johnson, was der Militärattaché General Makoto Onodera, der offenbar Chef des japanischen Geheimdienstes für ganz Europa war und der mit der schwedischen Königsfamilie und über Prinz Carl Bernadotte mit der US-Gesandtschaft in Stockholm in Kontakt stand, gesagt hatte: « (…) Es sei erkannt worden, daß Japan nicht gewinnen könne und es die bestmögliche Lösung wäre, die Zerstörung von Städten und Kulturstätten zu verhindern. Er erklärte, daß er befugt sei, zu arrangieren, daß ein Mitglied der schwedischen Königsfamilie auf die Alliierten zukomme, um eine Vereinbarung zu erzielen. »[31]
Am 12. Mai 1945 berichtete Oberst Donovan Truman: «Eine Quelle hat am 11. Mai mit dem japanischen Botschafter in der Schweiz, Shunichi Kase, gesprochen. Sie berichtet, daß der Botschafter den Wunsch geäußert habe, bei der Vermittlung einer Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den Japanern und den Alliierten zu helfen. Der Botschafter hält direkte Gespräche mit den Amerikanern und Briten für besser als Verhandlungen über die UdSSR, da diese Möglichkeit das Prestige der Sowjets so sehr steigern würde, daß der gesamte Ferne Osten kommunistisch werden könnte.»[32]
Am 4. Juni 1945 traf ein weiterer Bericht aus der Schweiz ein: «Quelle hat Kontakt mit [Yoshiuro] Fujimura, [Leutnant zur See, Marineattaché in Bern, (1907-1992)] der als einer der wichtigsten Vertreter für Marineangelegenheiten in Europa gilt … Fujimura gab Quelle zu verstehen, daß die Marinekreise, die jetzt die japanische Regierung kontrollieren [?], zur Kapitulation bereit wären, aber, wenn möglich, mit einer gewissen Wahrung des Gesichtes aus diesem Zusammenbruch. Diese Marinekreise legen laut Fujimura besonderen Wert darauf, den Kaiser beizubehalten, um Kommunismus und Chaos zu verhindern. Fujimura hebt hervor, daß Japan sich mit wichtigen Nahrungsmitteln nicht selbst versorgen kann. (…)»[33]
Allen Dulles, auch ein Republikaner, im Mai-Juni 1945 in Bern, wollte diese Kontakte weiterführen und eine Verhandlung einfädeln. Er wurde nach Washington einberufen. Gar Alperovitz schreibt, man wisse nicht warum, und aus diesen Kontakten wurde anscheinend nichts.[34] Viele Friedensfühler wurden ausgestreckt und nicht ergriffen.
7. Die herrschende Klasse Japans strebt eine Kapitulation an
Am 7. April 1945 wurde nach der Einnahme von Okinawa durch die US-Streitkräften eine neue Regierung unter dem alten Admiral Kantaro Suzuki (1868-1948) gebildet. Suzuki hatte als kaiserlicher Großkämmerer am 26. Februar 1936 den Putschversuch der «jungen» nationalistischen Offiziere des Heeres durch ein Wunder überlebt, als seine Mörder den Ministerpräsidenten und drei ehemalige Ministerpräsidenten töten wollten, die alle als zu liberal und auf ein Bündnis mit Großbritannien und den USA ausgerichtet, galten.
Am 5. April 1945 hatte das OSS dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, damals noch Franklin D. Roosevelt, ein Informationsmemorandum übermittelt: «Admiral Suzuki trennen Welten von jener Gruppierung der Kwantung-Armee, die seit dem Militäraufstand am 26. Februar 1936 die Politik Japans bestimmte. […] Suzukis Ernennung sieht nach einem verzweifelten Hilfsarrangement aus, einem Versuch, diese Hardliner kaltzustellen und der Politik dennoch eine neue Ausrichtung zu geben, die, wenn möglich, die Grundlagen für Friedensverhandlungen legen kann.»[35]
Am 22. Juli 1944, nach der Niederlage in der Schlacht von Saipan auf den Marianen Inseln (ebenfalls nach der Landung der Alliierten in der Normandie), wurde General Hideji Tojo, Ministerpräsident seit 1941 und eigentlicher Militärdiktator, zum Rücktritt gezwungen und durch Admiral Mitsumasa Yonai (1880-1948) ersetzt, allerdings mit einem General zur Seite. Admiral Yonai war 1940 Ministerpräsident gewesen, als er vergeblich versucht hatte, Japan aus dem Krieg herauszuhalten. Der Kaiser gibt nun Tojo ausdrücklich zu verstehen, dass er ihn nicht mehr als Ministerpräsident haben will und die Regierung der Kriegsmarine anvertrauen wolle.
Hideji Tojo war seit 1936 der Anführer der Fraktion der Kwantung-Armee, der Besatzungsarmee der Mandschurei, die Japan in den Krieg getrieben hatte.
Das Heer und die Kriegsmarine handelten als gegensätzliche «politische Parteien» in einem Land, wo die linken Parteien seit 1926-1932 und die bürgerlichen Parteien seit 1940 verboten waren. Um dies zu verstehen, müssen wir bis zur Meiji-Revolution von 1868 zurückgehen, die das alte feudale Japan aufgehoben und das moderne Japan geschaffen hatte. Diese Revolution wurde seit den 1850er Jahren von zwei südwestlichen Fürstentümern, Satsuma und Choshú, vorangetrieben. Die Samurais (Junker) aus Satsuma wurden mit beratender Hilfe der britischen Royal Navy für die Gründung der japanischen Kriegsmarine verantwortlich. Die Samurais von Choshú bildeten das Heer mit Hilfe preußischer Berater.
Die japanische Kriegsmarine und das japanische Heer waren also von zwei gegensätzlichen Clans, dem Satsuma-Clan und dem Choshú-Clan, geleitet, die ihre Wurzeln in der feudalen Vergangenheit hatten und einige ihrer Traditionen im 20. Jahrhundert fortgesetzt hatten. Aber vor allem pflegte die japanische Kriegsmarine Traditionen der britischen Royal Navy, während das Heer sich auf die Lehren der deutschen Reichswehr bezog.
1926 fiel der Amtsantritt des jungen Kaisers Hirohito (1901-1989), der bis 1989 herrschen sollte, mit der autoritären Umgestaltung des Staates zusammen, da Japan durch die Wirtschaftskrise 1921-1922, und noch stärker durch jene von 1929-1930, erschüttert worden war. Die Kommunistische Partei Japans wurde 1926 und die Sozialistische Partei 1932 verboten. Geheimbünde junger Offiziere beherrschten die Politik. Sie ermordeten liberale Politiker, Generäle und Admirale, die versuchten, sich ihnen entgegenzustellen. Diese radikalen Bewegungen ultra-nationalistischer Offiziere, vor allem aus dem Heer, setzten die traditionellen Regierungskräfte unter Druck und schufen eine Art japanischen Faschismus und Militärdiktatur, um die Eroberungspläne des japanischen Imperialismus in Asien zu verwirklichen.
Die Siege der ersten Kriegsmonate, der Überraschungsangriff auf Pearl Harbour am 7.Dezember 1941, die Eroberung 1942 aller Kolonien der Westmächte Hongkong, Malaysia, Singapur, Indonesien, Burma, dann die Philippinen und Neuguinea sowie der Zugang zu den Toren Australiens schweißten die japanische herrschende Klasse im Vertrauen auf den Sieg zusammen und verminderten wahrscheinlich die möglichen Zweifel des Kaisers. Die wahnwitzige Propaganda des Tojo-Regimes fanatisierte die Bevölkerung, die man nicht informierte, während alle Dissident:innen inhaftiert oder von der Kenpeitai, der schrecklichen Militärpolizei, überwacht wurden.
Die Niederlagen gegen die US-Navy um Midway im Juni 1942 und bei Guadalcanal Anfangs 1943 ließen in den vernünftigsten Köpfen doch Zweifel aufkommen.
Ab 1943 trafen sich vier ehemalige Ministerpräsidenten wöchentlich, wobei sie sich vor der Kenpeitai versteckten, um gemeinsam die Lage zu studieren. Das waren Baron Wakasuki (1866-1949), der 1931 Ministerpräsident gewesen war und vergeblich versucht hatte, das Heer zu zügeln; Admiral Okada (1868-1952), der von 1934 bis zu seiner gescheiterten Ermordung am 26. Februar 1936 Ministerpräsident gewesen war; Admiral Mitsumasa Yonai, Ministerpräsident im Jahr 1940, der sich gegen das Bündnis mit Nazi-Deutschland gewehrt hatte sowie Prinz Sumamoro Konoye, der 1937 Ministerpräsident gewesen war, als er die Invasion Chinas anführte, und dann 1941, als er einen Krieg mit den USA vermeiden wollte. Damals hatte Konoye versucht, direkt mit Präsident Roosevelt zu verhandeln, indem er bereit war auf Indochina und teilweise auf China zu verzichten, bevor er von Tojo gestürzt wurde.
Durch ihre Kontakte zum Außenministerium erhielten sie die besten Informationen über den Krieg in Europa und die internationalen diplomatischen Beziehungen. Hilfreich war insbesondere der ehemalige Botschafter in London, Shigeru Yoshida (1878-1967), ein Katholik, der Anfang 1945 durch die Kenpeitai eine Zeitlang in einen Kerker gesteckt wurde, nach dem Krieg von 1946 bis 1954 allerdings Ministerpräsident sein wird.
Diese Gruppe war mit Persönlichkeiten aus der kaiserlichen Familie verbunden. Zu nennen sind Prinz Naruhiko Higashikuni (1887-1990), Vetter des Kaisers und General des Heeres, der nach der Kapitulation Ministerpräsident sein wird; Prinz Takamatsu Nobuhito (1905-1987), jüngerer Bruder des Kaisers und Kapitän zur See; und die Kaiserinwitwe Sadako Kujó (1884-1951), die Mutter des Kaisers. Diese Dame stammte aus der Jahrhunderte alten mächtigen Fujiwara-Familie und war in der liberalen und pro-britischen Atmosphäre der Meiji-Zeit aufgewachsen.[36]
Diese Gruppe, in der die Kriegsmarine dominierte, vertrat die alte herrschende Klasse vor der Diktatur des Heeres. Wie jede herrschende Klasse war sie nicht an einen hochmutigen Untergang interessiert, sondern wollte ihre Privilegien auch in der Zukunft bewahren. Diese Gruppe wollte aus dem verlorenen Krieg aussteigen und Japan in die imperialistische Position durch die Exportwirtschaft sicherstellen. Das gelang schließlich in den 1950er Jahren auch.
Diese Gruppe trotzte mit ihrem Druck dem Kaiser nach der schweren Niederlage von Saipan die Entlassung von General Tojo und im April 1945 die Bildung der Regierung Suzuki ab. Die ultra-nationalistischen Militaristen waren also nicht mehr an der Macht. Sie musste jedoch als Kriegsminister General Korechika Anami akzeptieren, der immer wieder für ein Kämpfen bis zum Äußersten plädierte und sich am 15. August 1945 Harakiri begehen sollte.
Von da an unternahm die Suzuki-Regierung diese, oben erwähnten, zahlreichen Versuche, Kontakt mit den USA für Kapitulationsverhandlungen aufzunehmen: in Stockholm, Bern, Lissabon, Moskau und im Vatikan. Ohne Antwort.
Im Mai 1945 ließ General Douglas MacArthur (1880-1964), der alliierte Oberbefehlshaber der Pazifikfront, der durch die US-Abhör- und Geheimdienste über all dies informiert war, den neuen Präsidenten Truman wissen, dass eine Kapitulation Japans rasch erreicht werden könne, wenn nur die Zusicherung gegeben würde, dass der Kaiser auf seinem Thron bleiben könne. Am 28. Mai 1945 besuchte der ehemalige Präsident Herbert Hoover (1874-1964), Roosevelts Vorgänger und ein Freund MacArthurs, beide Republikaner, Präsident Truman, um ihm das Gleiche zu erklären.[37] Sie stießen auf Trumans und Byrnes’ taube Ohren.
Es ist nicht so, als wäre es für Admiral Suzuki und die Mehrheit seiner Regierung leicht gewesen, eine Kapitulation gegen General Anami und die Ultra-Nationalisten des Heeres auszuhandeln. Aber die Unterstützung der Kriegsmarine sowie großer Teile der Aristokratie und des Bürgertums, bei der allgemeinen Erschöpfung aller Bevölkerungsschichten und der wirtschaftlichen Ausweglosigkeit, verliehen ihnen großen Rückhalt. Eine Kontaktaufnahme von Seiten Washingtons mit dem Angebot, den Kaiser beizubehalten, hätte ihr Gewicht vor dem Kaiser, der immer mehr zur Kapitulation neigte, entscheidend gestärkt.
Doch Truman und Byrnes lehnten jegliche Verhandlungen mit der Regierung von Admiral Suzuki ab. Sie setzten den Krieg bis zur äußersten bedingungslosen Kapitulation durch. Wie viele Menschenleben wurden dafür zwischen Mai und August 1945 geopfert?
8. Bedingungslose Kapitulation
Nach dem japanischen Überraschungsangriff am 6. Dezember 1941 auf den US-Navy-Stützpunkt Pearl Harbour auf Hawaii erklärte Washington Deutschland und Japan den Krieg. Churchill und sein Generalstab hielten sich ab dem 22. Dezember 1941 in Washington auf, um ihr Bündnis und ihre Kriegspläne abzustimmen.
Roosevelt und seine Kollegen überraschten die Briten mit der Forderung, daß die Feinde bis zu ihrer bedingungslosen Kapitulation bekämpft werden sollten. Stalin und seine Kollegen waren ähnlich überrascht. Warum sollte man einen Krieg verlängern, indem man sich der Möglichkeit beraubt, einen früheren Waffenstillstand auszuhandeln. Die bedingungslose Kapitulation bedeutet, dass sich der Feind völlig ergibt, dass er bis zu seinem völligen Zusammenbruch bekämpft wird, bis zur vollständigen Besetzung seines Territoriums, also bis sein Territorium und sein Staat dem Sieger absolut zur Verfügung stehen.
Die «bedingungslose Kapitulation» ist ein Erbe des US-Bürgerkriegs, als sie 1865 von den Südstaaten gefordert und errungen worden war, wodurch der Bürgerkrieg beendet wurde. Die von der Unionsarmee verwüsteten Südstaaten wurden von der Bundesarmee besetzt und einige Jahre von Militärgouverneuren verwaltet. Aber den Südstaaten wurde implizit ihre Rückkehr in die Union zugesichert.
Die bedingungslose Kapitulation war auch die Lektion, die die westlichen Bourgeoisien aus dem Ersten Weltkrieg gelernt hatten, als am 11. November 1918 ein Waffenstillstand ausgehandelt wurde, obwohl die deutsche Armee in Frankreich noch nicht einmal vollständig geschlagen war und Deutschland niemals besetzt wurde. Wäre eine bedingungslose Kapitulation durch die geplante Invasion 1919 erzwungen und ganz Deutschland von den Alliierten besetzt worden, hätte die «schreckliche» Erschütterung der deutschen Revolution, die die kapitalistische Ordnung zu stürzen drohte, verhindert oder vielleicht rasch von alliierten Besatzungsarmeen niedergeschlagen werden können. Das hätte auch das Fortbestehen des deutschen Heeres und sein Wiederzuwachs verhindern können.
Die japanische Kriegsregierung verstand, die von ihr verlangte bedingungslose Kapitulation als Ankündigung des Sturzes ihres Kaisers. Hatte nicht die deutsche Niederlage 1918 den Sturz der kaiserlichen Monarchie ausgelöst, als die Alliierten die Abdankung Wilhelms II. forderten.
In der Demokratischen Partei und in den Regierungen der Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry Truman sowie in den Medien in den USA, gab es eine gewisse Linke, die Kaiser Hirohito als Kriegsverbrecher richten, vielleicht sogar hängen wollte, weil er seit der Machtübernahme des Militärs 1936 an der Ausarbeitung der Eroberungspläne des japanischen Imperialismus beteiligt war, vor allem in China im Jahr 1937.[38]
Für alle Japaner:innen wie für die Alliierten bedeutete die Drohung mit dem Sturz von Kaiser Hirohito, dass die japanischen Streitkräfte und ein Großteil der Bevölkerung mit der Energie der Verzweiflung kämpfen und sich niemals ergeben würden. Die Planer:innen des Combined Generalstabs schrieben im April 1945: «Wenn den Japanern keine Definition für “bedingungslose Kapitulation” gegeben wird, die für sie annehmbar ist, gibt es keine Alternative zur Vernichtung, und es besteht keine Aussicht darauf, daß die Drohung einer vollständigen Niederlage eine Kapitulation bewirkt.»[39]
Als Harry Truman am 12. April 1945 Präsident wird, ist es für alle Entscheidungsträger in Washington und London offensichtlich, dass Japan am Ende ist. Mehr als 50 Städte waren zu Trümmern bombardiert worden. Die U-Boote der US Navy hatten gesamte Handelsflotte Japans zerstört. Japan konnte nichts mehr per Schiff zwischen seinen vier Inseln des Mutterlandes transportieren und seine Armeen in Burma, Indonesien, Malaysia, Indochina und China weder versorgen noch zurückholen. Auch die stärkste japanischen Armee, die in der Mandschurei der Roten Armee gegenüberstand, war isoliert. Diese beiden Armeen standen sich seit 1939, als General Georgi Schukow im August 1939 die Japaner in der Schlacht von Khalkin Gol besiegt hatte, gegenüber. Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 versprach Stalin, drei Monate nach der Kapitulation Deutschlands Japan den Krieg zu erklären. Dies wurde für den 7. August 1945 erwartet.
In London und Washington gingen alle Entscheidungsträger davon aus, dass Japan sehr bald kapitulieren würde. Erstens, weil es unter dem Schock des Angriffs der Roten Armee in der Mandschurei wanken würde. Und zweitens, wenn die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation durch eine Zusicherung ergänzt wird, dass Kaiser Hirohito auf seinem Thron bleiben darf. Dies war übrigens auch aus militärischen Gründen geboten, denn nur die Autorität des Kaisers konnte die Aufrechterhaltung der Ordnung in Japan garantieren, sowohl während des Wartens auf die Ankunft der US-Besatzungstruppen als auch nach deren Installation. Zudem konnte nur ein Rundfunkbefehl Hirohitos die zahllosen japanischen Garnisonen, die auf den Pazifikinseln, den Philippinen, in Indonesien, Burma, Malaysia, Indochina und China verstreut waren, dazu bringen, ihre Waffen niederzulegen.
General George Marshall, der Chef des kombinierten Generalstabs der Vereinigten Staaten, machte dies sehr deutlich, zum Beispiel am 18. Juli 1945 beim Treffen der Stabschefs der drei Waffengattungen: «[General Marshall glaubt], der Schock einer Kriegserklärung Rußlands könne die Kapitulation Japans bewirken […] “General Marshall warnte vor jedem Versuch, den Kaiser abzusetzen, weil dies zu einer Verteidigung bis zum letzten Mann von Seiten der Japaner führen würde…” Charles H. Donnely, Sekretär der Joint Chiefs of Staff, 18. Juli 1945.»[40]
Im Übrigen hatte man bei der Kapitulation Italiens im August/September 1943 ein ähnliches Verfahren mit der bedingungslosen Kapitulation gefunden, indem man König Viktor Emanuel III auf dem Thron beließ, mit Marschall Badoglio als Regierungschef.
9. Die Atombombe und die Konferenz von Potsdam
Es wurde vereinbart, dass sich die Großen Drei – Truman, Churchill und Stalin – Ende Juni 1945 in Potsdam treffen würden. Die US-Regierung plante, zusammen mit Churchill und Chiang Kai-shek, von Potsdam aus eine förmliche Erklärung an Japan zu richten, in der Japan ultimativ zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert werden sollte.
Truman und Byrnes wollten nach Potsdam reisen, um von Stalin die Bestätigung zu erhalten, dass er sein Versprechen, Japan am 7. August den Krieg zu erklären, einhalten würde. Aber Truman beantragte eine Verschiebung der Potsdamer Konferenz auf den 17. Juli und erhielt sie. Sie fand schließlich vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof in Potsdam statt.
Als Grund für die Verschiebung gab Truman das Ende des Steuerjahres 1944 an. Heute wissen wir, dass es einen anderen Grund gab: Denn der Test der ersten Atombombe Trinity in der Wüste von New Mexico konnte frühestens am 16. Juli stattfinden. Truman und Byrnes wollten die Bombe in der Tasche haben, um sich mit Stalin zu treffen. Oder wissen, ob sie versagt hatte, bevor sie ihn trafen.
Gar Alperovitz und sein Team zählten nicht weniger als vierzehn Anträge, die bei Truman eingereicht wurden und forderten, dass die geplante Erklärung die beruhigende Nuance in Bezug auf die Position des Kaisers enthalten sollte. Anträge reichten folgende Personen ein:
1. der amtierende Staatssekretär Joseph C. Grew am 28. Mai 1945;[41]]
2. der ehemalige Präsidenten der Vereinigten Staaten Herbert Hoover in einem Brief vom 30. Mai;
3. Grew erneut am 13. Juni 1945;
4. der Berater des Präsidenten Samuel I. Rosemann am 17. Juni.
5.Grew erneut;
6.der stellvertretende Kriegssekretär McCloy am 18. Juni;
7. Admiral Leahy auch am 18. Juni;
8. das Kollegium des Staatssekretariats in einer offiziellen Resolution vom 30. Juni 1945;
9. der Untersekretär für Marine Ralph Bard am 1. Juli 1945;
10. der Kriegssekretär Henry Stimson, mitunterzeichnet von Grew und Sekretär der Marine James V. Forrestal, am 2. Juli 1945;
11. Stimson erneut am 16. Juli;
12. der britische Premierminister Winston Churchill in Potsdam am 18. Juli 1945;
13. die kombinierten Stabschefs am 18. Juli 1945;
14. Stimson noch einmal am 24. Juli 1945 in Potsdam.
Gar Alperovitz schließt die Liste ab: «Die Dienstälteren unter ihnen (der erfahrenen US-Experten) wussten, daß die entscheidende Bedingung für Japans Kapitulation die Zusicherung war, dass der Thron erhalten bleibe.
Die Frage ist warum Truman und Byrnes einen politischen Kurswechsel beschlossen […] und aus der Warnung die spezifischen Zusicherungen für den Kaiser strichen, zu denen alle anderen maßgebenden Beteiligten rieten.»[42]]
«Es ist ebenfalls wichtig, sich daran zu erinnern, daß Grew und Stimson deshalb darauf drängten, daß eine Erklärung mit einer Klarstellung der Kapitulationsforderungen rechtzeitig abgegeben werden sollte, damit die Befürworter eines Friedenschlusses Zeit hatten, Unterstützung für ein Kapitulationsangebot zu organisieren und Widerständen so besser begegnen zu können.»[43]
In Potsdam ließen Byrnes und Truman diesen Punkt 12 des vom Staatssekretariat vorbereiteten Textes streichen und die Erklärung fiel durch ihre Banalität auf, die nichts Neues brachte. Als Japan schließlich am 9. August 1945 kapitulierte, wurde die Stellung des Kaisers dennoch bewahrt.
Am Vorabend des Treffens der Großen Drei am 17. Juli 1945 in Potsdam erfuhren Truman und Byrnes von der erfolgreichen Trinity-Explosion in Alamogordo. Am 21. Juli erhält Truman den ausführlichen Bericht von General Groves und gibt ihn Churchill zum Lesen. Stimson berichtet in seinem Tagebuch, was Churchill daraufhin zu ihm sagte: «[Er] erzählte mir, er habe bei der gestrigen Sitzung der Drei bemerkt, daß Truman offensichtlich durch ein Ereignis sehr ermutigt worden sei und daß er den Russen in höchst nachdrücklicher Weise die Stirn bot und ihnen bezüglich gewisser Forderungen mitteilte, daß sie keineswegs erfüllt würden und daß die Vereinigten Staaten absolut dagegen seien. Er sagte: „Jetzt weiß ich, was mit Truman gestern los war. Ich konnte es nicht verstehen. Als er in die Sitzung kam, nachdem er diesen Bericht gelesen hatte, war er ein anderer Mensch. Er sagte den Russen einfach, wo es langging, und führte überhaupt während der ganzen Sitzung das Kommando.“ Churchill sagte, er verstehe jetzt, wie es zu dieser Aufgekratztheit gekommen sei, und daß er sich genauso fühle. Seine eigene Haltung bestätigte dieses Eingeständnis.[44]
Nicht sicher, ob Trinity funktionieren würde, kamen Truman und Byrnes nach Potsdam, um den Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan zu erwirken. Aber da Trinity gut funktionierte, brauchte die UdSSR nicht mehr in den Krieg gegen Japan einzutreten und deshalb musste man ihr auch nicht mehr die Mandschurei, Korea und vielleicht sogar eine Beteiligung an der Invasion Japans überlassen. Die Atombombe soll eine schnelle Kapitulation Japans bewirken, um Russland den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Außerdem sollte der Kriegseintritt der UdSSR möglichst verzögert werden. Stalin, der sich gerade mit Mao Tse Tung getroffen hatte, wollte, daß die chinesischen Fragen geklärt werden, bevor er in die Mandschurei einmarschiert. Bis dahin hatte Byrnes den chinesischen Außenminister Soong Tzu-Wen, der sich zu diesem Zeitpunkt in Moskau aufhielt, gedrängt, seine Gespräche mit den Sowjets zu beschleunigen. Nun ließ er ihn telegrafisch mitteilen, dass er sie verlängern würde. Es ging ihm darum, den Abwurf der Bombe beschleunigen um Japan in die Kapitulation zu zwingen.
In Potsdam beschloss Truman, Stalin über die Atombombe und ihre erfolgreiche Explosion am 16. Juli in Alamogordo zu informieren. Am 24. Juli beugen sich Truman und sein Übersetzer Charles Bohlen zu Stalin hinunter und flüstern ihm ein paar Worte zu. Die Zeugen sehen, wie Stalin sehr kurz antwortet. Truman wird später berichten, daß Stalin zu ihm sagte: «Ich sehe. Machen Sie guten Gebrauch davon gegen Japan».[45]
Byrnes war überzeugt, daß die USA einen Vorsprung von mehr als zehn Jahren hatten, vielleicht sogar eine absolute Monopolstellung. Die Wissenschaftler:innen des Manhattan Project, die vor dem Krieg mit sowjetischen Atomwissenschaftlern bekannt waren, waren sich da nicht so sicher. Das US-Programm wurde mit Uran aus dem belgischen Kongo und später aus Kanada durchgeführt. Byrnes versuchte vergeblich, alle Uranvorkommen der Welt zu monopolisieren.
Die Spaltung des Uran-235-Atoms war im Dezember 1938 von Otto Hahn, Fritz Straßmann und Lise Meitner entdeckt worden. 1941 stellten die sowjetischen Atomwissenschaftler:innen fest, dass das Thema Kernspaltung aus den westlichen Wissenschaftszeitschriften völlig verschwunden war. Sie ahnten, daß geheime Programme liefen, in Deutschland, Großbritannien und den USA. Das sowjetische Programm wurde 1942 mit Uran aus Tadschikistan gestartet. Die erste sowjetische Atombombe explodierte am 29. August 1949 in Kasachstan. Die westlichen Atomwissenschaftler erkannten dies sofort durch den Nachweis von Spaltprodukten in der oberen Atmosphäre. In wissenschaftlichen und Regierungskreisen in den USA brach die Paranoia aus.
10. Eisenhower und MacArthur waren dagegen
«Nichtfachleute sind oft überrascht, wenn sie erfahren, daß die Bombenabwürfe nach Ansicht vieler Experten mit ziemlicher Sicherheit unnötig waren – und daß Japan wahrscheinlich auf jeden Fall vor November kapituliert hätte. Wir haben bereits angeführt: 1) Walkers Zusammenfassung des unter Fachleuten herrschenden Konsenses in der heutigen Literatur; 2) die Schlußfolgerungen der Strategic Bombing Survey; 3) die Schlußfolgerungen der militärischen Geheimdienststudie des Kriegsministeriums von 1946; 4) die eindrucksvollen Erklärungen von Eisenhower und Leahy; 5) Belege dafür, daß Arnold, Spaatz, LeMay, Nimitz, King, Halsey, MacArthur, Strauss, Bard, McCloy[46], Nitze und viele andere Insider glaubten, der Krieg hätte mit ziemlicher Sicherheit ohne den Einsatz der Atombombe beendet werden können.»[47]
Flottenadmiral William D. Leahy (1875-1959) setzte sich besonders dafür ein, den Einsatz der Atombombe zu vermeiden. Er war seit 1942 Roosevelts Freund und Stabschef gewesen. Er behielt diesen Posten auch unter Truman, genoss jedoch nicht dessen Vertrauen. Er war unter anderem von 1936 bis 1937 Kommandant der Schlachtflotte, von 1938 bis 1939 Direktor für Marineoperationen gewesen und von 1940 bis 1942 ein unglücklicher Botschafter beim Vichy-Regime in Frankreich.
«So erinnerte sich etwa Hanson Baldwin, Militärberichterstatter der New York Times, in einem Interview, daß Leahy „die Angelegenheit, den Fortbestand des Kaisers anzuerkennen, für ein Detail hielt, das leicht zu lösen sei.“ Leahys Sekretärin Dorothy Ringquist entsann sich noch genau, daß Leahy an dem Tag, an dem Hiroshima bombardiert wurde, sagte: „Dorothy, wir werden diesen Tag bereuen. Die Vereinigten Staaten werden dafür büßen müssen, denn man führt keinen Krieg gegen Frauen und Kinder.“ Und im Jahre 1949 berichtete Jonathan Daniels, der Biograph des Präsidenten, Leahy habe sich bitter beklagt: „Truman sagte mir, es sei abgemacht, daß sie sie nur einsetzen würden, aufgrund der Aussagen von Militärs, daß es den Krieg abkürzen und dadurch viele, viele amerikanische Leben retten würde, und nur um militärische Ziele zu treffen.”
„Dann zogen sie natürlich los und töteten so viele Frauen und Kinder wie sie nur konnten, das war genau das, was sie schon die ganze Zeit wollten.“»[48]
Der andere Admiral der Flotte, Ernest J. King (1878-1956), der während des Krieges Oberbefehlshaber der US Navy und Direktor für Marineoperationen war, teilte diese Einschätzung. Gar Alperovitz schreibt, «…daß King Ende Juni zu dem gleichen Schluss gekommen war wie Leahy – daß nämlich der Krieg vor der Invasion im November beendet werden könnte und dass infolgedessen der Einsatz der Atombombe ebenso unnötig wie unmoralisch sei. So berichtete etwa Kings stellvertretender Stabschef, Konteradmiral Bernhard H. Bieri, 1969 in einem Interview, er und seine Kollegen seien sich im Spätfrühling 1945 völlig im klaren darüber gewesen, daß eine Invasion nicht stattfinden würde: “Manche von uns [in Kings Stab] waren der Meinung, [eine Invasion Japans] würde nicht mehr unternommen werden oder erforderlich sein…”»[49]
11. Das Zielkomitee
In seinen öffentlichen Erklärungen und seinen Memoiren schrieb Truman, daß die Atombomben auf militärische Ziele abgeworfen worden seien. Das ist falsch. Hiroshima hatte nur wenige Fabriken, die für die Verteidigung arbeiteten. Diese befanden sich in den Vororten. Das Stadtzentrum war jedoch das Ziel.
Die Ziele für die beiden Atombomben wurden schon sehr früh, im Mai 1945, vom Zielkomitee/Target Committee ausgewählt, dem der britische Physiker William Penney (1909-1991), der ungarische Mathematiker John von Neumann (1903-1957) und General Leslie Groves angehörten.
Von einer ersten Liste japanischer Städte hatte Henry Stimson bereits im März Kyoto, das Groves Favorit war, gestrichen. Stimson hatte zu Recht auf die besondere historische, kulturelle und religiöse Bedeutung dieser Stadt hingewiesen und hinzugefügt, daß er 1893 auf seiner Hochzeitsreise dort gewesen war. [50]
Hiroshima wurde ausgewählt, weil es eine Stadt war, die noch nie von der US-Luftwaffe bombardiert worden war und auch nicht bombardiert werden sollte. Eine mittelgroße Stadt, die in einem Bergkessel am Meer lag. Die Berge verstärkten die Wirkung der Bombe, die so eingestellt war, dass sie in 500 Metern Höhe explodierte. Das Ziel war es, die Kapitulation zu beschleunigen, und deshalb mussten die Gemüter sehr stark erschüttert werden.
«In Anbetracht heutiger Forschungsergebnisse, die zeigen daß Hiroshima von nur geringem militärischen Interesse und kein wichtiger Hafen war und daß es deshalb als Ziel ausgesucht wurde, weil große Industrieanlagen gemieden werden sollten, müssen wir uns erneut der besonderen Diktion zuwenden, die Truman in seiner Erklärung vom 9. August verwendete: Hiroshima sei ausgewählt worden, um das Töten von Zivilisten zu vermeiden.
Doch genau das Gegenteil war ja die ausdrückliche Empfehlung des Interim Commitee gewesen[51] – und das wesentliche Ziel des Target Commitee. Wenn auch das Interim Commitee [am 31. Mai 1945] vorgeschlagen hatte, sich „nicht auf einen zivilen Bereich zu konzentrieren“, so lautete sein tatsächlicher Rat, „einen produzierenden Rüstungsbetrieb mit vielen Arbeitern, dicht umgegeben von Arbeiterwohnungen“ anzupeilen.
An der zentralen Idee änderte sich auch nichts, als „Militäreinrichtung“ durch „Rüstungsbetrieb“ ersetzt wurde. Ohne Frage lag es vor wie nach der Modifikation vom 21. Juni im primären und im weitergehenden Interesse sowohl des Interim Committee als auch des Target Committee, eine größtmögliche „psychologische“ Wirkung zu erzielen. Das unterschied sich recht deutlich von dem Ziel, beispielsweise eine Militäranlage zu zerstören (oder, wie Marshall am 29. Mai vorschlug, eine Marineeinrichtung zu vernichten).
Das bedeutete, daß eine große Anzahl von Zivilisten zum Ziel erkoren wurde.» [52]
Die Uran-235-Bombe («Little Boy») war in Hiroshima erprobt worden, und natürlich musste auch die andere, die Plutonium-244-Bombe («Fat Man»), erprobt werden. Doch Nagasaki war nicht das erste Ziel des Fluges, der am 9. August 1945 die zweite Bombe, die Plutoniumbombe, an Bord hatte. Das Ziel war das große Militärarsenal in Kokura, das von Kasernen und den Häusern der Arbeiter:innen umgeben war. Warum ein zweiter Abwurf und nur drei Tage später? Weil es schnell gehen musste und die Leute sehen sollten, dass diese neue Atombombe nicht etwas Experimentelles war, sondern eine neue Serie einsatzfähiger Bomben. Das stimmte nicht ganz, denn es gab vorerst keine Dritte. Und weil es wahrscheinlich nötig schien gegenüber dem Kongress die 400 Millionen Dollar zu rechtfertigen, die seit 1943 für die Plutoniumproduktion in Hanford im nordwestlichen Staat Washington ausgegeben worden waren.
Aber am 9. August 1945 gab es Wolken über Kokura und das Ersatzziel war die Stadt Nagasaki.[53] Nagasaki wo die Niederlande, als einzig erlaubter Staat seit dem XVII. Jahrhundert eine Niederlassung hatte, also die Brücke Japans zum Westen und Wiege des japanischen Katholizismus.
Gar Alperovitz schließt sein Buch wie folgt: «Meine eigene Ansicht hat sich in den letzten Jahren leicht geändert. Anfang der sechziger Jahre stand fest, daß die Konferenz von Potsdam verschoben worden war, damit der Atombombenversuch vor den Verhandlungen mit Stalin durchgeführt werden konnte. Aus Stimsons Tagebüchern ging auch hervor, daß Truman bereits am 16. Mai glaubte, die Vereinigten Staaten hätten „zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich mehre Karten in der Hand als jetzt“, und daß der Präsident am 6. Juni das Treffen der Großen Drei „absichtlich (…) verschoben [habe], damit wir mehr Zeit hätten“. Stimson hatte dem Präsidenten erstmals wegen ihrer Tragweite in der Polenkrise von der Atombombe berichtet. Und der Kernphysiker Leo Szilard berichtete, daß Byrnes Ende Mai die Bombe als ein Mittel betrachtete, die Russen in Europa gefügiger zu machen.
Darüber hinaus hatte Stimson den Zusammenhang zwischen der Atombombe und den Problemen mit Rußland in Europa „sehr vertraulich“ mit Harriman [damals US-Botschafter in Moskau, aber anwesend in Potsdam] diskutiert und schrieb einige Tage später, die Vereinigten Staaten seien „im Begriff, eine Waffe ins Spiel zu bringen, die einzigartig sein wird“ und sollten „Taten statt Worte sprechen lassen. […]“ Unmittelbar nach Hiroshima mußten sich die Außenminister natürlich auch hauptsächlich mit europäischen Angelegenheiten befassen. Bei dieser Gelegenheit stellte Stimson fest: „daß Byrnes sehr gegen jeglichen Versuch einer Zusammenarbeit mit Rußland war. Er hat nur die bevorstehende Außenministerkonferenz im Kopf und rechnet damit, sozusagen mit der Atombombe in seiner Tasche, eine ausgezeichnete Waffe zu haben, mit der er das Ding durchziehen kann. […]“
In den frühen achtziger Jahren war ich von den Forschungsarbeiten beeindruckt, die Robert Messer über Byrnes‘ Interessen durchgeführt hatte – besonders von seinem Nachweis, daß Byrnes, der von Roosevelt den Auftrag bekommen hatte, dem Senat und der amerikanischen Öffentlichkeit das Abkommen von Jalta zu verkaufen, ein starkes Interesse daran hatte, in Osteuropa eine befriedigende Regelung zu erreichen. […]
Byrnes wollte offenbar wirklich, daß Rußland vor Mitte Juli in den Krieg eintrat. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, daß die gleichzeitige Nachricht vom Eingreifen des Kaisers (am 13. Juli) und vom erfolgreichen Atombombenversuch unmittelbar danach (am 16. Juli) richtungsweisend für die endgültigen Entscheidungen waren: Nun konnte der Krieg durch die Bombe vielleicht nicht nur vor einer Invasion, sondern auch vor dem Einmarsch der Roten Armee in die Mandschurei beendet werden.»[54]
12. Fazit
Die Geschichte der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki veranschaulicht den Zynismus und die Verheimlichung des US-Imperialismus. Die Bombe zerstäubte nicht 300.000 Japaner:innen, Männer, Frauen und Kinder, um die japanische Regierung zur Kapitulation zu zwingen, sondern der Krieg wurde verlängert, damit die Bombe bereit war, auf Japan abgeworfen zu werden und um die Sowjetunion einzuschüchtern.
Der „Sklavenhalter“ Jimmy Byrnes aus South Carolina verkörperte Washingtons Anspruch, nach dem Zweiten Weltkrieg absolut hegemonial über die ganze Welt zu sein.
Die Atombomben waren der Gipfel der Flächenbombardierungen von Zivilpersonen im Zweiten Weltkrieg, mit zweifelhafter militärischer Nützlichkeit aber voller politischer Absicht. Am 9. und 10. März 1945 haben die US-Bomber mit konventionellen Bomben allein in Tokyo 100’000 Zivilpersonen getötet. Und schließlich ist die Atombombe ein qualitativer Schritt zur Auslöschung der Menschheit schlechthin.[55]
Die Öffnung der Archive und die Enthüllung der Geheimnisse nur Jahrzehnte später zeigen die unmenschliche Bosheit des tiefen Staates und die Notwendigkeit, jeden Tag daran zu arbeiten und zu kämpfen, um die Hintergründe zu entschlüsseln und um eine demokratische Kontrolle der Produktion und technologischen Entwicklung durchzusetzen. Die Geschichte des Atombombeneinsatzes durch die USA ist aber auch eine Mahnung, die Eskalationslogik der gegenwärtigen Kriege gegen widerständige Bevölkerungen zu verstehen und sich ihr entgegenzustellen. Diese Kriege werden mit konventionellen Waffen, aber mit enormer Zerstörung, geführt.
Referenzen & Anmerkungen
Bildquelle: Foto von Pawel Czerwinski auf Unsplash
[1] Gar Alperovitz, Hiroshima. Die Entscheidung für den Abwurf der Bombe, Hamburger Edition, 1995, Seiten 475 und 476. Alle Zitate stammen aus dieser deutschen Fassung des Buches.
[2] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 483 und 727.
[3] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 365.
[4] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 477.
[5] Gar Alperovitz, a.a.O. Seite 478.
[6] Gar Alperovitz, a.a.O. Seite 479.
[7] Patrick M.S. Blackett, Fear, War, and the Bomb: The Military and Political Consequences of Atomic Energy, Turnstile Press, London, 1948. Gar Alperovitz, op.cit., zitiert Blackett auf Seite 145.
Im Film Oppenheimer ist Blackett der Professor, den sein Student Robert Oppenheimer mit einem Apfel vergiften will.
[8] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 488.
[9] McGeorge Bundy war von 1961 bis 1966 der Nationale Sicherheitsberater der Präsidenten Kennedy und Johnson, der die Bombardierung Vietnams forcierte und den Sturz des südvietnamesischen Präsidenten Ngo Din Diêm im Oktober 1963 organisierte.
[10] Henry L.Stimson, « The Decision to Use the Atomic Bomb », Harper’s Nr.194, February 1947, Seiten 97-107.
[11] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 495.
[12] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 500.
[13] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 508-509.
[14] Gar Alperovitz, The Decision to Use the Atomic Bomb, Vintage Books, Random House, New York, 1996.
[15] Barton J. Bernstein (Hrsg.), The Atomic Bomb: The Critical Issues, Little Brown, Boston, 1976.
[16] Auch : Gar Alperovitz and Martin J. Sherwin, « They Did it Anyway: The US, the Atomic Bomb and Hiroshima », Socialist Project, The Bullet, August 4, 2023, https://socialistproject.ca/2023/08/they-did-it-anyway-us-atomic-bomb-hiroshima/
[17] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 683.
[18] Kristine Phillips, The Washington Post, July 17, 2018.
[19] Gar Alperovitz, a.a.O. Seite 224.
[20] Gar Alperovitz, a.a.O. Seite 236.
[21] François Fejtö, Histoire des Démocraties populaires, 1. L’ère de Staline (Geschichte der Volksdemokratien, 1.Die Ära Stalin), Points Histoire, Le Seuil, Paris, 1952-1969.
[22] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 165.
Leo Szilard, « A Personal History of the Atomic Bomb », University of Chicago Roundtable 601, 25. September 1949.
[23] In Oak Ridge, Tennessee, war 1943 eine riesige, ultrageheime Urananreicherungsanlage mit über 50.000 Beschäftigten gebaut worden, die Strom von der Tennessee Valley Authority, der 1933 im Rahmen des New Deal gegründeten Bundesbehörde für Schifffahrt und Wasserkraft des Flusses Tennessee, nutzte.
[24] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 655-660.
[25] Max Hastings, Finest Years, Churchill as Warlord 1940-1945, HarperPress, London, 2009, Seiten 572-576.
[26] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 43.
[27] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 256-257.
[28] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 41.
Das Office for Strategic Services/OSS, 1942 gegründet, war der US-Nachrichtendienst, Vorgänger der CIA,1947 gegründet.
[29] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 41.
[30] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 322-323.
[31] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 323.
[32] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 40.
[33] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 40.
[34] Gar Aperovitz, a.a.O., Seiten 319-322.
[35] Gar Aperovitz, a.a.O., Seite 33.
[36] Robert Guillain, J’ai vu brûler Tokyo, Arléa, Paris, 1990, Seiten 265-266. Robert Guillain, Korrespondent der Pariser Tageszeitung Le Temps, verbrachte in Japan den ganzen Krieg hindurch.
[37] Jeremy Kuzmarow, Roger Peace, « Was There a Diplomatic Alternative ? The Atomic Bombing and Japan’s Surrender », The Asia-Pacific Journal, Volume 19, Issue20, Number 4, Article ID 5643, Oct. 15, 2021.
[38] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 430 und 687.
[39] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 707.
[40] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 319 und 702.
[41] Offiziell wurde Byrnes erst am 3. Juli als Staatssekretär vereidigt.
Joseph C. Grew (1880-1965) war von 1932 bis 1941 Botschafter in Tokio gewesen. Er war bereits von 1924 bis 1927 unter Präsident Coolidge Unterstaatssekretär gewesen, nachdem er von 1921 bis 1924 Botschafter in Bern gewesen war.
[42] Gar Alperovitz, op. cit., Seite 329.
[43] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 713.
[44] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 284-285.
[45] Charles E. Bohlen (1904-1974) war von 1934 bis 1940 an der US-Botschaft in Moskau tätig und von 1953 bis 1957 selber Botschafter in der UdSSR.
[46] Arnold, Spaatz und LeMay sind Generäle der US Air Force; Nimitz, King und Halsey sind Admirale; MacArthur ist Oberbefehlshaber der Truppen im Pazifik; Strauss ist ein Admiral und Assistent des Marinesekretärs, der mit dem Manhattan Project in Verbindung steht; Ralph A. Bard ist auch Assistent des Marinesekretärs und John McCloy ist der Assistent des Kriegssekretärs und baldiger Hochkommissar in Deutschland. Admiral Lewis Strauss (1896-1974) ist einer der Protagonisten im Film Oppenheimer.
[47] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 703.
[48] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 356.
[49] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 357.
[50] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 578.
[51] Das Interimskomitee/Interim Committee bestand aus Henry Stimson, James Conant, Vannevar Bush, dem Physiker Karl Compton, William L. Clayton, Assistent des Staatssekretärs, Ralph A. Bard, Marineuntersekretär. (Seite 175).
[52] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 574-575.
[53] Gar Alperovitz, a.a.O., Seite 580.
[54] Gar Alperovitz, a.a.O., Seiten 730-732.
[55] Günther Anders, Die Zerstörung unserer Zukunft. Ein Lesebuch. Diogenes, Zürich 2011.