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Die drei Bücher „Das Ende des Kapitalismus“ (Ulrike Herrmann), „Klima X“ (Andreas Malm) und „Die Utopie des Sozialismus“ (Klaus Dörre) haben es in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum zu gewisser Popularität gebracht. Sie erheben den Anspruch einen postkapitalistischen Gesellschaftsentwurf zu liefern, der die ökologische Krise lösen soll. Die ausführliche Rezension beleuchtet die drei Bücher aus einer ökosozialistischen Perspektive und geht der Frage nach, inwiefern sie die Strategiediskussion bereichern können.
Die Klimakrise und die Veränderungen in der Konfiguration des Erdsystems schreiten mit einer solchen Geschwindigkeit voran, dass die Idee einer schrittweisen Transformation des Energiesystems auf Grundlage des Marktes keine Option mehr ist. Der schnellstmögliche Ausstieg aus den fossilen Energien kann nicht anarchischen Marktkräften überlassen werden, deren Ziel darin besteht, aus Kapital mehr Kapital zu generieren. Dieser Zwang zum Profitstreben ist mit den planetaren Belastungsgrenzen des Erdsystems schlichtweg nicht mehr vereinbar. Bei den Treibhausgasen ist diese Entwicklung am dramatischsten. Doch auch hinsichtlich weiterer globaler Umweltbedingungen ist die Stabilitätt des Ökosystems der Erde und damit letztlich die Grundlage der menschlichen Zivilisation in Gefahr. Eine technische Lösung dieser Probleme ist derzeit nicht in Sicht und somit Realitätsflucht. Es muss deshalb schnellstmöglich ein sozialökologischer Um- und Rückbau ganzer Industrien jenseits der kapitalistischen Profitlogik geplant werden.
Drei Bücher, die den Anspruch erheben, dass sich die ökologische Krise mit einem postkapitalistischen Gesellschaftsentwurf lösen lässt, haben es in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum zu einer gewissen Popularität gebracht: „Das Ende des Kapitalismus“ (Ulrike Herrmann), „Klima X“ (Andreas Malm) und „Die Utopie des Sozialismus“ (Klaus Dörre). In diesem Artikel soll aus einer ökosozialistischen Perspektive beleuchtet werden, inwiefern eine Auseinandersetzung mit den genannten Büchern, die Diskussionen um die Lösung der ökologischen Krise bereichern könnte. Dazu werde ich ausgehend von Karl Marx, zunächst einen kurzen Blick auf das ökonomische Wesen der kapitalistischen Produktionsweise werfen. Ich argumentiere, dass die ökologische Krise nur durch die Aufhebung der grundlegenden Widersprüche dieser Gesellschaftsordnung gelöst werden kann. Im ersten Teil des Artikels werden deshalb drei Kriterien entwickelt, von denen ausgehend die genannten Bücher beurteilt werden.
1. Wachstumszwang, Handlungsmacht und das notwendige Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen
In der kapitalistischen Produktionsweise, die wir der Einfachheit halber auch ‚Kapitalismus‘ nennen können, findet Produktion für den Austausch statt. Das Ziel von diesem durch den Markt vermittelten Austausch ist maximaler Profit. Das Profitinteresse als Dreh- und Angelpunkt der Produktion verunmöglicht nicht nur die anstehende Transformation des Energiesystems in der notwendigen Geschwindigkeit, sondern steckt auch hinter dem stetig anschwellenden Teufelskreis der Warenmassen. Werbung, Wegwerfartikel, Plastikflut und Elektroschrott sind nicht nur in ihrer sozialökologischen Dimension eine Katastrophe. Die Notwendigkeit der Profitmaximierung bedeutet aber Produktion um der Produktion willen und damit auch eine stetig wachsende Warenflut. Nicht ganz zufällig handelt der erste Satz in Marx „Kapital“ von der Ware: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform“ (MEW 23, S. 49).
Eine überzeugende Kritik an diesem Zustand müsste nach Marx bei der Ware bzw. der Warenform der Produkte ansetzen. Aber was bedeutet das? „Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Privatarbeiten sind“, heißt es wiederum im ersten Kapitel des Kapitals (ebd., S. 86). Wenn es uns im Umkehrschluss darum gehen soll, Gebrauchsgegenstände in sozial und ökologisch sinnvoller Qualität und Quantität zu produzieren, müssten wir demzufolge die Warenform überwinden, ergo deren Voraussetzungen.
Was meinte Marx mit unabhängig betriebenen Privatarbeiten? Unabhängig bedeutet, dass die Unternehmen blind für den Markt produzieren. Dass es sich dabei eigentlich um gesellschaftliche Arbeit für gesellschaftliche Bedürfnisse handelt, wird im Kapitalismus erst im Nachhinein, über den Markt vermittelt. Privatarbeiten bedeutet den privaten Besitz der Mittel für die Produktion, also der Produktionsmittel, sprich Instrumente, Maschinen usw. Diese gehören heute nicht der Gesellschaft in und für die produziert wird, sondern sie befinden sich in privatem Besitz. In der Praxis besitzen nur noch sehr Wenige Produktionsmittel und alle anderen sind gezwungen, ihre Arbeitskraft an diese Wenigen zu verkaufen. Die Lohnarbeit, die dieses Klassen- und Herrschaftsverhältnis beinhaltet, ist somit ebenfalls immanenter Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Konkret sind es die Lohnabhängigen, die die Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen in ihrem Arbeitsprozess vollführen. Sie tun dies allerdings nicht aus freien Stücken, sondern auf Anweisung des Kapitals. Zweck ihrer Arbeit ist die Anhäufung von Reichtum, auf den sie selbst keinen Zugriff haben.
Folgen wir Marx, ist der Zwang zum Wachstum somit keine Frage privater Gewohnheiten oder einzelner raffgieriger Unternehmen, sondern steckt quasi immanent in der kapitalistischen Warenproduktion. Dies betrifft nicht nur die einzelnen Kapitale. Auch der Staat muss auf Wirtschaftswachstum setzen und richtet seine Politik aus objektiven Gründen am Bedürfnis ‚der Wirtschaft‘ aus. Der Staat ist durch seine Steuereinnahmen, Kreditaufnahmen und Bereitstellung von Infrastruktur Teil der kapitalistischen Produktionsweise. Ebenso wie beim Unternehmen bildet das kapitalistische Eigentum seine Grundlage. Staat und Kapital unterliegen heute denselben Voraussetzungen – dem Privateigentum.
Statt profitgetriebenem Wachstum bräuchten wir Planung. Heute planen die einzelnen Unternehmen intern, um sich auf dem Markt durchzusetzen. Auch die Regierungen oder Staaten planen, um in der Staatenkonkurrenz mitzuhalten. Planung endet somit notwendigerweise dort, wo der Markt beginnt. Auf dem Markt muss jedes Unternehmen versuchen, die Konkurrenz auszustechen um selbst den größtmöglichen Profit zu machen. Ein rational geregelter Stoffwechsel mit der Natur ist auf dieser Grundlage also unmöglich. Es bedarf zwingend einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive, ergo gesamtgesellschaftlichen Planung. Eine Planung im Rahmen der planetaren Belastungsgrenzen ist aber nur jenseits des Wachstumszwangs und damit jenseits des Privateigentums möglich: Denn man kann nur verplanen was einem auch gehört. Grundbedingung für eine Planung ohne Wachstumszwang ist deshalb die Aneignung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft. Dies wäre das erste Kriterium, nach dem die drei Bücher im Folgenden beurteilt werden sollen.
Die biophysikalischen Grenzen des Erdsystems bleiben allerdings nach Aneignung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft unverändert. Wenn man innerhalb dieser Grenzen wirtschaften möchte, bedürfte es deshalb zweitens eines Bewusstseins für die ökologischen Herausforderungen. Sonst könnte passieren, dass die Gesellschaft bei ihrer Planung die ökologischen Herausforderungen nicht hinreichend beachtet. Wer die ökologische Katastrophe aber verhindern will, muss eingestehen, dass zwingend die Qualität des Produzierten an die Stelle der kapitalistischen Quantität treten muss. Das heißt: langlebige Produkte statt Konsum- und Wegwerfwahnsinn, Nutzen statt Lifestyle und keine Identifikation mehr mit und über Besitz. Auch der gegenwärtige Umfang etwa des Flugverkehrs, des motorisierten Individualverkehrs, des Fleischkonsums oder des Häuslebaus kann nicht beibehalten werden. Neben dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln wäre das Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen eine weitere wichtige Voraussetzung sozialökologischer Planung. Hiermit hätten wir auch schon das zweite Kriterium für unsere Beurteilung.
Bliebe als drittes und letztes Beurteilungskriterium die Frage nach dem Subjekt oder Akteur für die notwenige Umwälzung. Das Alltagsbewusstsein landet hier schnell beim Staat. Dies hat zunächst eine gewisse Logik. Immerhin repräsentiert der Staat nicht nur vereinzelte (Kapital)Interessen, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes. Allerdings haben wir bereits gesehen, dass der Staat Teil der kapitalistischen Produktionsweise und damit des Problems ist. Eine Konstellation, in welcher der bürgerliche Staat die Kapitalinteressen grundlegend, das heißt existenziell, angreift, ist damit äußerst unwahrscheinlich. Wenn wir die Herrschaftsverhältnisse dieser Gesellschaftsordnung in Betracht ziehen, müssten wir unser Augenmerk vielmehr auf diejenigen richten, die keine Produktionsmittel besitzen und nichts von den erwirtschafteten Profiten haben. Die Klasse der Lohnabhängigen ist es, welche allein das Wissen und die Fähigkeit dazu hätte, den Produktions- und Reproduktionsprozess dieser Gesellschaft komplett zu revolutionieren. Das dritte Beurteilungskriterium untersucht also, welche Akteure die drei Autor:innen zum Subjekt der Transformation machen.
2. Bücher zum Postkapitalismus!?
A) Hermanns Kriegswirtschaft
Ich beginne mit Ulrike Herrmanns Buch. In gewisser Hinsicht hat Herrmann in der Buchauswahl eine Außenseiterrolle, schließlich ist sie die Einzige, die sich nicht positiv auf das Wort Sozialismus bezieht. Auch Marx kommt in ihrem Buch eher am Rande vor, zumindest nimmt sie ihn nicht als Referenz oder Anhaltspunkt für eine postkapitalistische Gesellschaft. Den Begriff des Ökosozialismus verwirft sie dezidiert mit einigen beiläufigen Bemerkungen zum Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts (Herrmann 2022, S. 255). Trotzdem ist ihr Buch eine Auseinandersetzung wert, nicht nur, weil es im deutschsprachigen Raum eine vergleichsweise große Reichweite hat, sondern auch, weil sie vom Anspruch her den Kapitalismus nicht nur grundsätzlich kritisiert, sondern auch überwinden will. Bereits in der Einleitung heißt es unmissverständlich: „Klimaschutz ist nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen“ (ebd., S. 11). Bereits im Untertitel des Buches wird festgehalten, dass „Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind“. Diese Erkenntnis zieht sich durch das gesamte Buch. Sie erläutert, dass der Kapitalismus wachsen muss und findet dabei auch schon mal drastische Worte: „Der Kapitalismus folgt also der Logik der Krebszelle. Er muss unaufhörlich wachsen und zerstört damit erst seine Umwelt – und dann sich selbst“ (ebd., S. 96).
Obwohl Herrmann aber das Ende des Kapitalismus postuliert, geht es bei ihr nicht um eine gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel. Der private Besitz der Produktionsmittel scheint ihr ebenso wie die Lohnarbeit überhaupt kein (Wesens)merkmal der kapitalistischen Produktionsweise zu sein. Ihre postkapitalistische Perspektive nennt sie „eine Art ‚privater Planwirtschaft‘“. Ihr historisches Vorbild ist dabei die britische Kriegswirtschaft ab 1939: „Der Staat gab vor, was produziert wurde – aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. Firmen, Handwerksbetriebe, Restaurants, oder Läden wurden nicht verstaatlicht, sondern konnten weiterhin selbst entscheiden, wie sie ihre Betriebe führten“ (ebd., S. 237).
In der ‚privaten Planwirtschaft‘ liegt die größte Kurzsichtigkeit des Buches. Das einfach der Staat dauerhaft die gesamte Produktion bestimmen und steuern kann überzeugt nicht. Wenn Herrmann konsequent und beharrlich darauf verweist, dass das Kapital dynamisch ist und wachsen muss, hätte sie den Ursachen auf den Grund gehen müssen. Dabei wäre sie aber früher oder später auf das Privateigentum und die Lohnarbeit gestoßen. Wie gut sich die britische Regierung unter Kriegsbedingungen für einige wenige Jahre über die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Entwicklungstendenzen hinwegsetzen konnte, sei hier einmal dahingestellt. Eine konsistente Erklärung liefert Herrmann jedenfalls nicht. Der dem Kapitalismus inhärente Zwang zum Wachstum soll letztlich unter Beibehaltung von Privateigentum und Profitinteresse einfach vom Staat unterbunden werden: „Die britische Regierung hingegen lenkte die Betriebe indirekt – indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zuteilte. Vor allem Beschäftigte waren so knapp, dass Unternehmen nur produzieren konnten, wenn sie Angestellte zugewiesen bekamen: Das ‚Manpower Budget‘ wurde zum zentralen Steuerungsinstrument der Regierung“ (ebd., S. 238). Dafür, dass die ‚private Planwirtschaft‘ der ‚britischen Kriegswirtschaft‘ das große Vorbild sein soll, ist es erstaunlich, wie wenig wir in dem Buch über deren Funktionsweise erfahren. Auch der kapitalistische Staat wird, genauso wie der Kapitalismus selbst, nicht definiert oder näher bestimmt. Stattdessen wird einfach behauptet: „selbst in normalen Zeiten spielt der Staat eine tragende Rolle, weswegen es jederzeit möglich wäre, wieder in eine Art Kriegswirtschaft zu wechseln, um das Klima zu retten“ (ebd., S. 242). Eine gewagte (Hypo-)These, die wenig zu überzeugen vermag.
Die Stärke des Buches liegt in den Ausführungen darüber, dass ‘grünes Wachstum’ eine Illusion bleiben muss. Auch dass es im Kapitalismus nicht einfach ein degrowth geben kann, legt Herrmann überzeugend dar. Ihrer Ansicht nach haben ‘Wachstumskritiker’ überhaupt keine Ahnung davon, wie sie schwere Wirtschaftskrisen vermeiden könnten. Sinn und Zweck ihrer ‘privaten Planwirtschaft’ ist deshalb ein bewusstes und geplantes „grünes Schrumpfen“. Das Problem ist nur, dass Herrmann hier in ihrer Argumentation ebenfalls nicht konsequent bleibt. Wer Lohnarbeit und Eigentum nicht aufhebt, hat es mit dem Kapital zu tun und somit der rastlosen Verwertung von Wert. Diese rastlose Bewegung kann man nicht auf das Niveau vergangener Jahrzehnte zurück schrumpfen und erst recht nicht dazu zwingen, dort zu verharren.
So nebulös die Voraussetzungen der Planung bleiben, so punktet Herrmann immerhin beim Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen. Hier zeigt sie, dass es ihr keineswegs darum geht, Illusionen zu schüren: „Unter anderem würde es weniger Autos, keine Flüge, weniger Chemikalien, kleinere Wohnungen und keine neuen Bürogebäude oder Logistikzentren mehr geben“ (ebd., S 80). Dazu liefert das Buch Ausführungen etwa zu Stahl, Wasserstoff, der Chemieindustrie, der Bauwirtschaft oder dem Fleischkonsum. Diese Teile des Buches sind lesenswert. Wenn Herrmann bezüglich Eigentums- und Planungsfrage halbherzig und inkonsistent ist, so muss man anerkennen, dass sie bezüglich der ökologischen Krise deutliche Worte findet. Ihr ist klar, dass man mit biophysikalischen Entwicklungen nicht feilschen kann und nimmt diese zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Gedanken. Die Subjekte der Veränderung kommen dabei aber fatalerweise nicht vor. Letztlich ist es einzig der bürgerliche Staat, auf den Herrmann ihre Hoffnungen setzt.
B) Malms Kriegskommunismus
Auch wenn Andreas Malm die britische Kriegswirtschaft nicht erwähnt; seine Gedanken sind gar nicht so weit von denen Herrmanns entfernt. Historisch beruft er sich allerdings auf andere Vorbilder und benutzt ein anderes Vokabular. In der englischen Originalausgabe wird dies – anders als mit dem deutschen „Klima X“ – schon im Buchtitel deutlich: „Corona, Climate, Chronic Emergency. War Communism in the Twenty-First Century“. Der ‚ökologische Kriegskommunismus‘, der Malm für das 21. Jahrhundert vorschwebt, soll dabei als ‚inhaltsreiche Analogie‘ verstanden werden, der von ihm propagierte ökologische Leninismus als ‚Leitstern der Prinzipien‘. Im Buch zeigt Malm einen recht offenen Umgang mit diesen historisch bedeutungsschweren Wörtern. Drei Prinzipien sind es letztlich, die wir von Lenin adaptieren sollten: Erstens, und allem voran „die Krisen der Symptome in Krisen der Ursachen zu verwandeln“, zweitens „Geschwindigkeit als oberste Tugend“ und drittens jegliche Möglichkeit nutzen, „den Staat“ dazu zu drängen „die auf die Katastrophe hinarbeitenden Wirtschaftsbereiche der direkten öffentlichen Kontrolle zu unterstellen“ (Malm 2020, S. 222ff.).
Dass man gegen die Ursachen der ökologischen Katastrophe vorgehen sollte, anstatt nur Symptombekämpfung zu betreiben, kann kaum bezweifelt werden. Ebenso, dass es dabei auf Geschwindigkeit ankommt. Dies dürften allerdings die wenigstens Menschen bezweifeln, die sich näher mit der ökologischen Krise auseinandergesetzt haben, wie auch immer sie dabei zu Lenin oder dem ‚Leninismus‘ stehen. Die eigentliche Diskussion müsste sich deshalb um den letzten Punkt drehen, auf den hier näher eingegangen werden soll. Malm konkretisiert diesen mit „der Verstaatlichung aller privaten Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern, verarbeiten und vertreiben. Zügellosen Konzernen […] muss Einhalt geboten werden, und der sicherste Weg, das zu erreichen, besteht darin, sie entweder durch Akquisition oder – angemessener noch – entschädigungslose Enteignung in öffentliches Eigentum zu überführen“ (ebd., S. 209). Positiv sollte man hervorheben, dass Malm unumwunden die Eigentumsfrage ins Feld führt und dabei auch vor entschädigungslosen Enteignungen nicht zurückschreckt. Statt die Fabriken und Konzerne, wie bei Herrmann, in ‚privater Hand zu belassen‘ geht es Malm um öffentliches Eigentum. Einschränkend muss man allerdings hinzufügen, dass er dabei zunächst nur das Privateigentum im Blick hat, welches von der stofflichen Seite her bzw. mehr oder weniger unmittelbar, mit der ökologischen Katastrophe zu tun hat. Konkret soll der Staat „die Kontrolle über die Handelsströme übernehmen, gegen Wildtierhändler*innen vorgehen, fossile Brennstoffunternehmen verstaatlichen, direkte Luftabschneidung bewerkstelligen [gemeint ist Kohlenstoffabscheidung aus der Luft, Anm. C.H.], eine jährlich beinahe zehnprozentige Emissionssenkung für die Wirtschaft vorsehen und all die anderen notwendigen Dinge erledigen“ (ebd., 250). All diese Maßnahmen wären ohne jeden Zweifel zu begrüßen und tatsächlich hätte man mit ihnen – sollte es jemals so weit kommen – schon einiges erreicht. Von einem rational geregelten Stoffwechsel mit der Natur jenseits der kapitalistischen Produktionsweise wären wir damit trotzdem noch weit entfernt.
Überhaupt geht es Malm wenig um ökonomische Gesetzmäßigkeiten oder die kapitalistische Gesellschaftsordnung als Ganze. Sein Anliegen ist der Staatsapparat. Auch die Akteure kommen nur insofern vor, dass sie ‘Druck ausüben’ sollen. Zugutehalten müsste man Malm, dass der Text im Frühjahr 2020 geschrieben wurde, also unmittelbar während europäische Politiker:innen den ersten Lockdown verhängten und Maßnahmen beschlossen, mit denen seinerzeit in dieser Form wohl fast niemand gerechnet hätte. Genau diese Maßnahmen, die „Intervention des kapitalistischen Staates in einem Moment relativer Autonomie“, in welchem Staaten „den Verzicht auf ‚nicht systemrelevante‘ Produktion und Konsumtion in Kraft“ setzten (ebd., S. 168), empfiehlt Malm als Blaupause im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Bei genauerer Betrachtung waren allerdings selbst die Corona-Maßnahmen, die sich gegen einzelne Kapitalfraktionen richteten, wenig konsequent. Würde Malm den Text heute überarbeiten, seine Einschätzung würde vermutlich weniger euphorisch ausfallen. Wobei ihm auch damals durchaus klar war, dass kein kapitalistischer Staat ‚von sich aus’ zu solchen ökologischen Notstandsmaßnahmen greifen dürfte. Malm fordert stattdessen die „Aufbietung des gesamten Spektrums an der Allgemeinheit zugänglichen Druckmitteln“, um den bestehenden Staat zu zwingen, gegen seine eigenen Grundlagen zu handeln (ebd., S. 219). Seine Faszination für die konkreten Staatsinterventionen während der ersten Phase der Corona-Pandemie geht dabei so weit, dass er trotz aller Lenin- und Trotzkizitate, eine „Abkehr vom klassischen Programm der Zerschlagung des Staates“ einfordert. Er verwirft hier also den zentralen Punkt der bolschewistischen Revolutionäre. Ein solches Programm sei heute so fernab aller Realität, dass „uns nichts anderes übrig [bliebe], als mit diesem desolaten bürgerlichen Staat zu arbeiten, der wie eh und je an die Kreisläufe des Kapitals gekettet ist“ (ebd., S. 228).
Tatsächlich sind die real existierenden politischen Kräfteverhältnisse äußerst ernüchternd. Sollte die gesellschaftliche Stimmung sich aber einstmals so weit drehen, dass es möglich sein sollte, den bürgerlichen Staat punktuell dazu zu zwingen, gegen seine eigenen Intentionen zu handeln, warum dann nicht gleich politisch wirklich nachhaltig handeln? Es ist mehr als fragwürdig, quasi vorauseilend eine Abkehr vom Programm der Überwindung des auf Kapitalinteressen verpflichtenden Staatsapparates einzufordern. Malms Umgang mit der Geschichte ist hier zudem vollkommen unlogisch. Er begeistert sich für die erste Phase des sowjetischen Staates, verwirft aber deren Voraussetzung, also die siegreiche Revolution und den Sturz der alten Macht. Da die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, allerdings gänzlich andere sind als im Zarenreich zum Ende des Ersten Weltkrieges, soll diesen Inkonsistenzen an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden.
Beim Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen ist Malm deutlich konsequenter. Wie bereits zitiert, geht es ihm um die Ursachen der Krisen. Technikgläubige Symptombekämpfung straft er daher zunächst mit Ironie. Diese könne lediglich „Wolken machen und Impfstoffe entwickeln; Sonneneinstrahlung blockieren und die Bewegung von Menschen tracken“ (ebd., S. 223). Auch zu heutigen Konsumformen findet er recht deutliche Worte: Mindestens bis die technische Entwicklung mehr hergibt, geht es um „ein gewisses Maß an Verzicht.“ Es bleibt uns derzeit also nichts anderes übrig, als die „Massenfliegerei einzustellen, Fleisch sowie andere Dinge, die als Teil des guten Lebens betrachtet werden, abzuwickeln; und diejenigen Stimmen innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung und der Linken, die so tun, als müsste nichts davon geschehen, als würde unser Kampf keine Opfer oder Unannehmlichkeiten verlangen“ deutlich zu kritisieren (ebd., S. 245f.). In diesem Zusammenhang zitiert er zustimmend das Salvage Collective und dessen zwei zentrale Forderungen „Renaturierung und Reduktion“ (ebd., S. 247). Zumindest letzteres steht allerdings in Widerspruch zu einer Aussage, die Malm nur ein Kapitel zuvor trifft. Dort setzte er noch recht große Hoffnungen in die direkte Kohlenstoffabscheidung aus der Luft. Das in der Schweiz ansässige Start-up Climeworks nennt er in diesem Zusammenhang gleich „das womöglich […] wertvollste kapitalistische Unternehmen der Welt“ (ebd. S. 210). In Anbetracht der bestenfalls bescheidenden Erfolge, die diese Technologien bisher vorweisen können, eine äußerst gewagte These. Gänzlich unverständlich bleibt, wie hoch er deren Stellenwert mit folgender Formulierung aufwertet: „Die Forderung nach einer Verstaatlichung von fossilen Energieunternehmen und ihre Umwandlung in direkte Luftabschneidungsprogramme [besser Kohlenstoffabschneidung aus der Luft, Anm. C.H.] sollte die zentrale Übergangsforderung für die kommenden Jahre sein“ (ebd., S. 216, Hervorhebung im Original). Es wäre entschieden konsequenter gewesen, die Eigentumsfrage an die bereits zitierte ‚Renaturierung und Reduktion‘ zu koppeln, anstatt unbegründeten Technikoptimismus zu verbreiten. Abgesehen von diesem Ausrutscher ist das Buch allerdings recht deutlich bezüglich der ökologischen Herausforderungen. Im Gegensatz zu Herrmann wird bei Malm auch die Eigentumsfrage stark gemacht. Mit der Fokussierung auf den bürgerlichen Staatsapparat, haben Herrmann und Malm allerdings eine scharf zu kritisierende Parallele. Nicht ganz zufällig fällt diese Staatsgläubigkeit bei beiden in eins mit der Ignorierung der Lohnabhängigen als politischem Subjekt.
C) Dörres Nachhaltigkeitsrevolution
Was die bestehende Gesellschaftsordnung und ihre Überwindung betrifft, ist Klaus Dörre in seiner Utopie des Sozialismus (2021) tiefgründiger als die beiden bereits genannten Bücher. Immerhin geht es ihm darum, dass der Sozialismusbegriff mit neuem Inhalt gefüllt wird. Gelegentlich spricht er diesbezüglich von Ökosozialismus, bevorzugt aber die Spezifizierung ‘nachhaltiger Sozialismus’ (ebd., S. 31). Wie hält es Dörre bei seiner Idee der ‘Nachhaltigkeit’ bzw. der angestrebten ‚Nachhaltigkeitsrevolution‘ mit der Eigentumsfrage? „Das elementare Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit umfasst (a) eine gemeinsame Nutzung der Natur, was private Inbesitznahme natürlicher Ressourcen ausschließt; (b) eine rationale Regulierung des Erdmetabolismus durch frei assoziierte Produzent:innen, die sich an sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitskriterien orientieren, sowie (c) eine Befriedigung gemeinschaftlicher Bedürfnisse, die auch den Bedarfen künftiger Generationen Rechnung trägt“ (ebd., S. 71). Sämtliche natürlichen Ressourcen wären demnach kein privates Eigentum mehr. Außerdem sollen die frei assoziierten Produzent:innen – ein schöner und wichtiger Begriff – den Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln. Bei Marx, wie auch bei Engels, soll dies möglich sein, indem die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse überwunden werden. Sämtliches Privateigentum an den Produktionsmitteln soll dafür in genossenschaftliches, sprich kollektiv-gesellschaftliches Eigentum, überführt werden. Dörre weiß um diese marxsche Sozialismuskonzeption und zitiert sie eingangs mit Verweis auf Engels (ebd. S. 37ff.). Letztlich tut er dies aber nur, um sich dann davon abzugrenzen bzw. diese für überholt oder unzeitgemäß zu verwerfen. Ihm geht es ausdrücklich nicht um eine Überwindung von warenproduzierender Gesellschaft und Markt, sondern „gewissermaßen um echte Marktwirtschaft“ (ebd., S. 130). Zwar muss es in den „Großunternehmen […] zu einem Bruch mit dem kapitalistischen Besitz“ (ebd., S. 124) kommen, nicht aber generell. Neben „öffentlichem Eigentum“ geht es Dörre um „Non-Profit-Organisationen“ und verschiedenste Formen „kooperativ-marktwirtschaftlicher Produktion“. Dabei denkt er allerdings nicht nur an etwaige Nischen einer postkapitalistischen Gesellschaft, sondern gleich an „das untere, klein- und mittelbetriebliche ‚Stockwerk‘ (Fernand Braudel) kooperativ-marktwirtschaftlicher Produktion“ (ebd., S. 95). Zusammengefasst: „Die sozialisisierten Unternehmensnetze stehen in einem demokratisch regulierten Austausch mit der kooperativen Marktwirtschaft kleiner und mittlerer Betriebe“ (ebd., S. 149). Mit der Zielsetzung, dass die assoziierten Produzent:innen einen rationell koordinierten Stoffwechsel mit der Natur organisieren sollen, geht Dörre deutlich über Herrmann und Malm hinaus. Er benennt dadurch die Subjekte der Umwälzung, einen Weg und ein Ziel. Problematisch bleibt allerdings, dass die ‘Assoziation’ eigentlich an die Stelle von bürgerlichen Eigentumsverhältnissen und Staatsparat treten soll. Erst deren Überwindung würde die Assoziation von und als freie Produzent:innen überhaupt möglich und nötig machen. Dörre greift also auf die marxsche Vokabel zurück, ohne an deren Voraussetzungen anzuknüpfen.
Was das Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen angeht, bleibt Dörre in seinem Buch vage. Dies könnte mit seiner Herangehensweise an diese Fragen zu tun haben. Ihm geht es darum, „Massen und Mehrheiten“ davon zu überzeugen, „die Übel der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise bei ihren Wurzeln zu packen“ (ebd., S. 226). Eine vollständige Umgestaltung der Gesellschaft kann nicht von oben erzwungen werden; die Massen müssen hier zwangsläufig nicht nur dabei sein, sondern auch begriffen haben, worum es geht. Dieser Ausgangspunkt, den er mit Verweis auf Engels herleitet, ist zweifelsfrei berechtigt. Bloße Militanz anzurufen und plakativ einen „Ökoleninismus“ zu propagieren, sind eher Ausdruck von Verzweiflung und Hilflosigkeit, als von Radikalität. Wenn Dörre stattdessen für einen ‘labour turn’ in den ökologischen Bewegungen und einen ‘climate turn’ in den Gewerkschaften und deren Umfeld wirbt, ist dies politisch und strategisch ein vielversprechender Ansatz (ebd., S. 227). Es drängt sich beim Lesen allerdings der Verdacht auf, dass Dörre gerade bei gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen nicht anecken möchte und deshalb die ökologischen Herausforderungen etwas herunterspielt. Zwar arbeitet Dörre an mehreren Stellen des Buches heraus, dass die ökologischen Herausforderungen nicht allein durch neue Technik zu meistern sind. Auch kritisiert er Wegwerfartikel und verschwenderischen Konsum und fordert dazu auf, den Blick vor allem auf die Produktion zu lenken. Trotzdem finden sich neben allen diesen wichtigen Punkten auch Formulierungen wie folgende: „Auch in den reichen Ländern ist es keineswegs erforderlich, der Putzfrau die Mallorca-Reise und dem Daimler-Arbeiter das Häuschen zu nehmen“ (ebd., S. 257). Das Anliegen und die Beispiele von Dörre sind nachvollziehbar. Tatsächlich dreht sich der mediale Diskurs in Deutschland vor allem um die „Mallorca-Reise“ von Niedriglohnbezieherinnen und das Häuschen der Facharbeiterarbeiter. Die Mechanismen dieser Produktionsweise, aber auch die katastrophalen Ökobilanzen der Reichen, verschwinden dadurch aus der Schusslinie und die ökologische Frage wird gerade durch solche Beispiele als individuelle Konsumentscheidung entpolitisiert. Auch die Preissteigerungen, die wir bereits jetzt erleben, sind ein sicherer Garant dafür, dass die unteren Einkommensgruppen, die von diesen überproportional getroffen werden, von ökologischen Fragen abgestoßen werden. Mit alledem hat Dörre recht. Trotzdem darf dies nicht dazu verleiten, Mallorca-Flüge oder Eigenheimbau schönzureden oder schönzurechnen. Warum nicht diese Beispiele aus dem Mainstreamdiskurs beiseitelassen und betonen, was die Menschen jenseits des kapitalistischen Hamsterrades des ‚immer schneller und immer mehr‘ zu gewinnen hätten? An anderen Stellen des Buches kommt Dörre durchaus auf diesen sozialen Fortschritt zu sprechen, etwa wenn es um „Bauweise und Städteplanung“ geht (ebd., S. 175) oder um befreite Subjektivitäten und das „Wachstum eigener Fähigkeiten“ (ebd., S. 193).
Dörres Anliegen, den Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution zu liefern – so der Untertitel des Buches – ist hoch. Sein Plädoyer, den Blick auf die Produktion und die Produzierenden zu richten, um die Mehrheit der Lohnabhängigen zu gewinnen und sie aktiv in die Politik zu holen, ist überzeugend. Statt bloßer Staatsgläubigkeit hat er die Subjekte der notwendigen Umwälzung im Blick. Dafür, dass das Buch Utopie des Sozialismus heißt und dem 200. Geburtstag von Friedrich Engels gewidmet ist, enttäuscht allerdings das halbherzige Herantreten an die Eigentumsfrage. Auch was Dörre eigentlich unter ‘Revolution’ versteht, hätte er deutlicher klären sollen. Dass es nur in den Großunternehmen zu einem Bruch mit dem kapitalistischen Besitz kommen soll und ansonsten um die ‚echte Marktwirtschaft‘ geht, wirft diesbezüglich Fragen auf.
3. Resümee bzw. Halbherzigkeiten
Dass die Marktkräfte auf sich gestellt direkt in die ökologische Katastrophe führen, ist der gemeinsame Ausgangspunkt von Herrmann, Malm und Dörre. Alle drei arbeiten die Tatsache heraus, dass es kein ‚grünes Wachstum‘ geben kann. Ihnen ist bewusst, dass es heute, zumindest in den frühindustrialisierten Staaten, ein zu viel an Produktion und Konsumtion gibt. In dieser Hinsicht sind zunächst alle drei Bücher eine Bereicherung.
Eingangs hatte ich allerdings festgehalten, dass es eine Produktion ohne Wachstumszwang nur jenseits der Warenproduktion und ihrer Voraussetzung, dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, geben kann. Wenn die Gesellschaft nur noch Gebrauchsgegenstände in sozial und ökologisch sinnvoller Qualität und Quantität produzieren will, müsste demzufolge die Warenform des Produzierten überwunden werden. Die Aneignung der Produktionsmittel durch die Lohnabhängigen, verbunden mit dem nötigen Bewusstsein über die ökologischen Herausforderungen, wäre demnach der Schlüssel für eine postkapitalistische Gesellschaft, in der die Erde verantwortlich genutzt wird und die Produzierenden ihrer Tätigkeit nicht mehr entfremdet gegenüberstehen. Aus dieser ökosozialistisch-marxistischen Perspektive sind alle drei Bücher eine Enttäuschung, denn eine Überwindung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse kommt bei ihnen nicht vor. Bei Herrmann bleiben die Produktionsmittel gleich privat, der Staat lenkt das Wirtschaftsgeschehen. Bei Malm und Dörre geht es zwar um Enteignung, letztlich aber nur der großen oder zentralen Industrien. Dabei geht es meistwenig um die Menschen und ihre Beziehungen zueinander, sondern hauptsächlich um den Staat.
Eingangs hatte ich zum Staat festgehalten, dass dieser Teil der kapitalistischen Produktionsweise ist. Dafür, dass die Bücher allesamt von Postkapitalismus ausgehen, ist es verwunderlich, dass diese Frage ignoriert wird. Mehr noch: Wenn dem Staat eine so zentrale Rolle zugesprochen wird, dann birgt dies die Gefahr von autoritären Auswüchsen. Schnell könnten Tendenzen entstehen wie wir sie in ähnlicher Form etwa aus dem Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts kennen. So fehlt auch in allen drei Büchern eine Unterscheidung von Vergesellschaftung und Verstaatlichung. Das Wesen der Vergesellschaftung ist die Aneignung durch die Gesellschaft, nicht durch den Staat. Dörre ist hier der Einzige, der nicht komplett der Staatsgläubigkeit verfällt. Er formuliert diesbezüglich immerhin den Anspruch, dass die frei assoziierten Produzent:innen auf Grundlage von Nachhaltigkeitskriterien entscheiden und produzieren sollen. Allerdings konzipiert er dies recht inkonsequent mit kooperativ-marktwirtschaftlichen Verhältnissen die die Warenproduktion fortschreiben und den Zusammenhang von Kapitalismus und Lohnarbeit ausblenden.
Was in der Analyse des Kapitalismus fehlt, fehlt dann auch in den Ideen zu dessen Überwindung. In der ein oder anderen Form steckt in allen drei Büchern letztlich Hoffnung, dass der bürgerliche Staat doch noch zur ‘Vernunft’ kommen könnte. Wo es um die Aneignung der Produktionsmittel durch die Lohnabhängigen gehen müsste, um ihre Selbstermächtigung, geht es wieder und wieder um den Staat. Dass die realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfe so wenig Anknüpfungspunkte für die Diskussion um eine Selbstermächtigung der Lohnabhängigen bieten, ist hierbei sicherlich das größte Problem. Wenn Dörre für einen ‘labour turn’ in den ökologischen Bewegungen und einen ‘climate turn’ in den Gewerkschaften und deren Umfeld wirbt, ist dies immerhin ein Ansatzpunkt, die diesbezüglichen Versuche in der Praxis sind immerhin ein Hoffnungsschimmer.
Die objektive Schwäche der Bewegungen sollte man bei der Bewertung aller drei Bücher nicht unberücksichtigt lassen. Dass sie theoretisch wenig tiefgreifend sind, ist auch ein Ausdruck davon, wie niedrig bisher der gesellschaftliche Diskussionsstand und der Entwicklungsgrad der sozialökologischen Kämpfe tatsächlich ist. Sofern es gesellschaftlich überhaupt Gedanken und Positionen gibt, die nicht davon ausgehen, dass die ökologische Frage eine Privatangelegenheit ist, geht es meist um Appelle an den Staat und Forderungen nach grünen Subventionsprogrammen. So unzureichend diese Vorstellungen auch sind, es wird beim derzeitigen Stand der Dinge nichts bringen, wenn man sie bloß verdammt. Bezüglich unterschiedlichster Vorschläge für einen Green New Deal hat Christian Zeller den Vorschlag gemacht, diese „daran zu messen, inwiefern sie dazu beitragen, die Mobilisierungsfähigkeit der Arbeiter:innenbewegung, der Klimabewegung und anderer fortschrittlicher und sozialer Bewegungen zu stärken und zu ihrer Konvergenz beizutragen“ (Zeller 2023, S. 123). Anders als bei vielen Varianten eines New Deal geht es immerhin in keinem der behandelten Bücher um eine Kooperation mit Teilen der Elite. Da vielmehr alle drei Autor:innen aus der ökologischen Frage eine sozialökologische machen und in der einen oder anderen Form die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse problematisieren, könnten sie zumindest beim derzeitigen Stand der Dinge einen Beitrag dazu leisten, dass die gesellschaftliche Diskussion in die richtige Richtung geführt wird.
Literatur & Referenzen
Dörre, Klaus 2021.Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Matthes & Seitz.
Herrmann, Ulrike 2022. Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Kiepenheuer & Witsch.
Malm, Andreas 2020. Klima X. Matthes & Seitz.
Marx, Karl 1867. Das Kapital. In Marx-Engels-Werke (MEW) 23. Dietz Berlin.
Zeller, Christian 2023. Ökosozialistische Strategie statt Green New Deal. In: Ökosozialismus. Positionen des klassischen Marxismus. Debatten heute. Hrsg.: Foster, John Bellamy et al. Neuer ISP Verlag.