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Unter Ökosozialist:innen ist unbestritten, dass die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden ist. Ohne Bruch mit dem dieser Produktionsweise inhärenten Zwang zur Kapitalakkumulation und Profiterzielung unter Konkurrenzbedingungen wird es nicht möglich sein, die Erderhitzung und das mit dem Verlust an Biodiversität verbundene Massensterben substanziell abzubremsen. Offensichtlich ist auch, dass die Plünderung der Natur, die Ausbeutung der Lohnarbeit, die Kolonisierung reproduktiver Arbeit sowie Imperialismus und rassistische Spaltung unzertrennlich in die kapitalistischen Verhältnisse eingewoben sind.
Seit den 1980er Jahren werden ökosozialistische Perspektiven und Gesellschaftsentwürfe zur Diskussion gestellt. In jüngerer Zeit haben zudem etliche Autor:innen die Notwendigkeit eines tiefgreifenden industriellen Um- und Rückbaus betont. Sie arbeiten an einer Synthese von Degrowth- und ökosozialistischen Perspektiven, befürworten also einen ökosozialistischen Umbruch unter den Bedingungen einer Wachstumsrücknahme (Michael Löwy 2022; Spear und Murphy 2022; Tanuro 2022). So wichtig diese Beiträge auch sind, es gibt eine entscheidende Lücke. Vorstellungen und Strategien des Übergangs sind kaum entwickelt (Zeller 2022; O’Dwyer 2022). Darüber herrscht Ratslosigkeit.
Dieses mangelnde Vorstellungsvermögen wie sich ein antikapitalistischer Bruch durchzusetzen lässt, ist auch Ergebnis der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse seit vielen Jahrzehnten. Die autoritäre stalinistische Degenerierung und die sozialdemokratische Unterordnung unter die Kapitalherrschaft haben bereits früh die Perspektiven auf eine nicht-kapitalistische Entwicklung verblassen lassen. Die lange Aufschwungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg sowie anschließend die neokonservativen und neoliberalen Gegenreformen und der Aufstieg des konzentrierten Finanzkapitals auf die Kommandobrücken der kapitalistischen Akkumulation ab den späten 1970er Jahren, haben diese Perspektivlosigkeit weiter verschärft. Die Vorstellungen, dass sich die Gesellschaften auch jenseits der Kapitalherrschaft organisieren lassen, verblassten. Die Wege zu anderen Organisationsformen der Gesellschaft verloren sich in den Wirren zunehmend schärferer Krisen. Gewerkschaften und soziale Bewegungen unterschiedlichster Motive und Ausrichtungen sind seither damit beschäftigt, in mühsamen Abwehrkämpfen das Schlimmste zu verhindern.
Die Herausforderung der Erderhitzung ist umfassend und historisch einmalig. Ökosozialist:innen stellt sich nicht nur die Aufgabe, die kapitalistischen Herrschafts- und Produktionsverhältnisse zu überwinden. Im Gegensatz zu früheren und mittlerweile historisch überkommenen sozialistischen Bewegungen, stehen sie auch vor der Herausforderung, Strategien zu entwickeln, die es erlauben den gesellschaftlichen Reichtum nicht nur gesellschaftlich demokratisch anzueignen und eine solidarische und emanzipatorische Gesellschaftsentwicklung einleiten. Die gegenwärtige und völlig neuartige Herausforderung besteht auch darin, den bestehenden produktiven Apparat komplett um- und teilweise zurückzubauen.
Die traditionelle sozialistische Vorstellung, dass sich nach Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise die Produktivkräfte umso „befreiter“ vorantreiben ließen, ist überholt, solange diese Produktivkräfte materiell verstanden werden. Selbstverständlich sind weiterhin Möglichkeiten auszuloten, die menschliche Kreativität als Produktivkraft zu entwickeln.
Das heißt, Ökosozialist:innen stehen im Zuge der Entmachtung des Kapitals – und eigentlich bereits vorher – vor der Aufgabe, weite Teile des produktiven Apparates, die Organisation der Produktions- und Innovationssysteme und die Strukturen der internationalen Arbeitsteilung komplett umzugestalten, mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen in kürzester Zeit massiv zu reduzieren, ohne gleichzeitig andere ökologische Zerstörungen hervorzurufen und soziale Verelendungsprozesse auszulösen (Zeller 2020). Ökosozialist:innen können in den frühindustrialisierten imperialistischen Ländern für weite Teile der arbeitenden Klassen nicht mehr einen wachsenden materiellen Wohlstand versprechen. Ein gutes Leben für alle beruht auf einer angemessenen materiellen Grundlage für die ganze Gesellschaft. Allerdings müssen Formen des kollektiven Konsums, gestützt auf eine gute solidarische gesellschaftliche Infrastruktur in den Bereichen der reproduktiven Arbeit, der Gesundheit, Pflege, Sorge aber auch des Transports und der sozialen Sicherheit, die verschwenderischen Formen des individuellen Konsums ablösen. Das verlangt eine offene und kritische Auseinandersetzung über die Bedürfnisstrukturen und Konsummuster der Lohnabhängigen und Unterklassen in der kapitalistischen Gesellschaft.
Die Vergesellschaftung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft, die Demokratisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen sowie die Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums sind unter den Bedingungen der planetaren Grenzen und der Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen innert zwei bis drei Jahrzehnten komplett zu vermeiden, anzupacken. Doch wie ist das möglich, wenn immer noch 80% des weltweiten Primärenergieverbrauchs aus fossilen Energieträgern stammen. Damit muss in dreißig Jahren weitgehend Schluss sein. Der Energiesektor ist so etwas wie der Blutkreislauf eines Organismus. Die energetische Grundlage der Gesellschaft ist auszuwechseln und auf erneuerbare Energien umzustellen. Die komplette Elektrifizierung benötigt aber selbst viel Energie, sie steigert den Wasserverbrauch und führt zu einer Vervielfachung des Verbrauchs zahlreicher mineralischer Ressourcen. Solche strukturellen Gründe lassen erwarten, dass die
Energiepreise eher steigen werden (Kreilinger 2023). Um den energetischen Umbau zu stemmen, müssen die frühindustrialisierten Gesellschaften ihren Energieverbrauch deutlich senken. Diese Herausforderung ist historisch neu, aber die unabdingbare Grundlage eines ökosozialistischen Übergangs (Pirani 2023).
Wer eine revolutionäre ökosozialistische Übergangsperspektive vertritt, muss sich auf zahlreiche Dilemmata gefasst machen. Wie können wir breite Teile der Lohnabhängigen für eine Orientierung begeistern, die einige Sektoren der Wirtschaft weitgehend runterfahren will? Wie entscheiden wir zwischen materiellen Anliegen von Lohnabhängigen, wenn genau diese sich unter ökologischen Zwängen nicht mehr rechtfertigen lassen? Wie können wir die Lohnabhängigen von der zeitlichen Dringlichkeit einschneidender Maßnahmen zur Treibhausgasemissionen überzeugen, auch wenn diese materielle Gewohnheiten in Frage stellen? Wie stellen wir uns den wachsenden reaktionären und sogar faschistischen Organisationen und Parteien entgegen, die zunehmend Befürchtungen viele Lohnabhängiger vor Wohlstandsverlust instrumentalisieren und jeden ökologischen Umbau blockieren wollen? Die demokratische gesellschaftliche Aneignung der Investitionsentscheidungen bietet auch nach einer Entmachtung des Kapitals keine Garantie dafür, dass sozial und ökologisch angemessene Entscheidungen getroffen werden.
Die Diskussionen über ökosozialistische Utopien sind mit einem kollektiven Nachdenken über die Möglichkeiten und Bedingungen eines revolutionären Umbruchs zu verbinden.
Wie könnten ökosozialistische Übergänge aussehen? Auf welche Herausforderungen, Widersprüche und Risiken würden sie wahrscheinlich stoßen? Und wie können Ökosozialist:innen und verbündete Bewegungen am besten strategisch vorgehen, um diesen zu begegnen? Diesen Fragen versucht Michael J. Albert in seinem Artikel „Ökosozialistische Zukünfte: Ausblick und Strategie“ auf den Grund zu gehen. Darin skizziert Albert vier verschiedene Übergangsszenarien und diskutiert deren mögliche Dynamiken, Konflikte und Mechanismen.
Doch jeder ökosozialistische Übergang findet im Rahmen der ruckartigen und beschleunigten Veränderungen im Erd- und Klimasystem statt. Die Situation verschärft sich dramatisch und bereits in wenigen Jahren werden die Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen grundlegend gefährdet sein. Vor diesem Hintergrund, so stellt Christian Zeller fest, findet derzeit ein fossiler Backlash statt. Die fossilen Konzerne sind wieder im Aufwind und verstärken ihre Investitionen in den Aus- und Aufbau fossiler Infrastruktur. Politische Entscheidungsträger:innen unterstützen sie tatkräftig dabei. Zeller macht in seinem Artikel „Fossile Gegenoffensive – Grüner Kapitalismus nicht in Sicht“ deutlich, dass es der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht gelungen ist, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse grundlegend zu verändern und das fossile Kapital zurückzudrängen. Die Konfiguration eines grünen Kapitalismus bleibt ein unwahrscheinliches Szenario. Die erneuerbaren Energien werden auf die fossile Basis zugebaut.
Mit einem konkreten Beispiel untermauert Eva Gelinsky in ihrem Artikel „Grünes Gas für die Energiewende“ diese These: Auch die Landwirtschaft soll ihren Teil zur «Energiewende» beitragen. Dabei geht es nicht nur um die umstrittenen Agrophotovoltaikanlagen auf Äckern, sondern auch um Biogas. Die EU-Kommission setzt auf einen massiven Ausbau, bis 2030 soll sich die Produktion verzehnfachen. Entstehen sollen v. a. Grossanlagen zur Biomethan-Produktion. Die forcierte Biogasproduktion wird jedoch nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die ländlichen Räume, sondern auch auf die Umwelt haben. Dazu wird im derzeitigen «marktliberalen» Modell der Energiewende Biomethan, genauso wie «grüner» Wasserstoff, vor allem zur Legitimierung und Fortschreibung fossiler Infrastruktur genutzt.
Aus einer post-keynesianischen Perspektive fragen Robin Jaspert und Niklas Kullick in ihrem Beitrag „Klimapolitischer Teufelskreis: Wie die herrschende Wirtschaftspolitik die Energiewende blockiert“ nach der Ausgangssituation reformorientierter ökosozialistischer Übergänge. Sie erörtern die strukturellen Zusammenhänge von Energiepreisen und Inflationsraten, der restriktiven Geld- und Fiskalpolitik und den (Un)möglichkeiten einer Bekämpfung der Klimakrise innerhalb dieser Logik. Ob und wie sich angesichts dieser Bedingungen eine radikale und reformistische Strategie unter ökologischen Vorzeichen produktiv vereinbaren lässt, ist eine wesentliche Frage jeder sozialökologischen Transformation.
Jeder Übergang braucht seine Akteur:innen. Doch wer sind diese ökosozialistischen Kräfte und wie können sie sich organisieren, um handlungsfähig zu werden? Welche Rolle können ökosozialistische Ideen für Gewerkschaften, Parteien, Genossenschaften, in sozialen Bewegungen und Basisorganisationen spielen? Diesen Fragen geht Alexander Neupert-Doppler in seinem Artikel „Ökosozialismen und Organisationsfrage“ nach und analysiert Tendenzen und Chancen verbindender Organisierung.
Abseits europäischer Erfahrungen gibt es an anderen Orten der Welt Ansätze ökosozialistischer Organisierung, die bereits eine unmittelbare Praxis entwickelt hat. Auf Mindanao im Süden des philippinischen Archipels. kämpfen Bäuerinnen, Bauern und Indigene seit Jahrzehnten für Land, Ernährungssouveränität, politische und soziale Rechte sowie gegen die Landnahme durch transnationale Konzerne. Die aus der langen Krise der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) hervorgegangene Revolutionary Worker’s Party (RPM-M) und ihre militärische Selbstverteidigungsorganisation Revolutionary Peoples’ Army (RPA) haben eine einzigartige ökosozialistische Praxis entwickelt. Marijke Colle schildert in ihrem Artikel „Ökosozialistische Praxis auf Mindanao“ wie gemeinsam mit Bäuerinnen, Bauern und indigenen Gemeinschaften der Lumad biologisch produzierende Farmen und agrarökologische Netzwerke aufgebaut wurden. Diese schließen auch eine lebensnotwendige gesellschaftliche Infrastruktur mit Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Transportmitteln sowie Bewaffnung zur Selbstverteidigung ein.
Abschließend beleuchtet Christian Hofmann in seinem Artikel „(Post)Kapitalismus und Ökologie“ drei Bücher, die den Anspruch erheben einen postkapitalistischen Gesellschaftsentwurf zu liefern, der die ökologische Krise lösen soll. „Das Ende des Kapitalismus“ (Ulrike Herrmann), „Klima X“ (Andreas Malm) und „Die Utopie des Sozialismus“ (Klaus Dörre) haben es in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum zu gewisser Popularität gebracht. Hofmann beleuchtet die drei Bücher und geht der Frage nach, inwiefern sie die ökosozialistische Strategiediskussion bereichern können.
Literatur & Referenzen
Kreilinger, Verena (2023): Warum die Energiepreise hoch bleiben. emanzipation –
Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 7 (1), S. 23-43.
Michael Löwy, Bengi Akbulut, Sabrina Fernandes und Giorgos Kallis (2022): Ökosozialismus und Degrowth – eine gemeinsame Bewegung. emanzipation – Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 6 (1), S. 61-63.
O’Dwyer, Diana (2022): Wie kommen wir dahin? Gedanken zur ökosozialistischen Taktik und Strategie. emanzipation – Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 6 (6), S. 127-138.
Pirani, Simon (2023): Wind, water, solar and socialism;People and Nature, September 14, 2023. https://peopleandnature.files.wordpress.com/2023/09/peoplenature-wwss.pdf Zugriff: October 17, 2023.
Spear, Jess und Murphy, Paul (2022): Die Notwendigkeit Ökosozialismus und Degrowth zusammen zu denken. emanzipation – Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 6 (1), S. 65-78.
Tanuro, Daniel (2022): Ungerechtes Wachstum oder gerechte Wachstumsrücknahme. emanzipation – Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 6 (1), S. 81-89.
Zeller, Christian (2020): Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. München: Oekom Verlag, 248 S.
Zeller, Christian (2022): Abrupte Wendungen verstehen. Ökosozialistische Strategien auf erhitzter Erde in verdichteter Zeit. emanzipation – Zeitschrift für ökosozialistische Strategie 6 (1), S. 99-125. https://emanzipation.org/2022/03/abrupte-wendungen-verstehen.