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Gemäss der Internationalen Energieagentur (IEA) sind die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen 2022 um 0,9% oder 321 Millionen Tonnen gestiegen und haben damit einen neuen Höchststand von über 36,8 Milliarden Tonnen erreicht. In Deutschland ging der Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase 2022 nur um 1,9% zurück. Notwendig wären aber jährlich 6%, um die Reduktionen von mindestens 65% bis 2030 zu erreichen. Auch die EU ist nicht auf Kurs: zwischen 1990 und 2020 sanken die Emissionen der EU-27 um lächerliche 1.548 Mio.t in CO₂-Äquivalenten (-32%). Die Emissionen gehen also, wenn überhaupt, viel zu langsam zurück; die Warnungen vor einer sich verschärfenden Klimakrise nehmen zu.
Dass die Erderhitzung längst Realität ist, lässt sich in der Landwirtschaft beobachten. Hohe Temperaturen, Trockenheit und Gletscherschwund; bereits 2022 war ein Jahr der Rekorde in Europa. Auch 2023 werden Bäuerinnen und Bauern Ernteverluste hinnehmen müssen. So herrscht bereits jetzt eine extreme Dürre in weiten Teilen Südeuropas, erste Hitzerekorde haben z. B. in Spanien viel früher als sonst zu Waldbränden geführt. Laut dem Europäischen Dürre-Monitor gilt derzeit für 21,6 Prozent der Fläche in der gesamten EU eine Dürrewarnung, 3,2 Prozent sind sogar im Alarmzustand. Nach monatelanger Trockenheit waren Regionen in Norditalien zuletzt von heftigen Regenfällen betroffen. In einigen Gegenden fiel innerhalb von zwei Tagen so viel Regen wie normalerweise in einem halben Jahr. Der Obst-, Wein- und Getreideanbau sowie die Viehhaltung könnten durch die Unwetter noch mehrere Jahre beeinträchtigt sein, Ende Mai stehen allein in der Region um Ravenna noch immer 60.000 bis 80.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche unter Wasser.
Diese Entwicklungen machen einmal mehr klar, dass es für eine schrittweise sozialökologische Transformation keine Zeit und keinen Spielraum mehr gibt. Der weiteren Verschärfung der Klimakrise angemessen sind nur noch Strategien, die einen Bruch mit dem kapitalistischen Wachstumszwang einleiten. Zu den vordringlichsten Maßnahmen, um die Erderhitzung zu bremsen, gehören eine massive Senkung des Energieverbrauchs und ein grundlegender Umbau der Landwirtschaft.
Die Politik reagiert: mit spekulativen Technologien
Die herrschende Politik allerdings verlässt sich, wenig überraschend unter kapitalistischen Verhältnissen, einmal mehr auf Technologien, um die Probleme im Erdsystem und in der Landwirtschaft in den Griff zu bekommen: Carbon Capture and Storage (CSS) und CRISPR/Cas heissen die technologischen Werkzeuge, deren Ausbau und Nutzung gerade mit hohem Tempo vorangetrieben wird. Als «Technofix» besteht ihre Funktion darin, die durch den Wachstumszwang geschaffenen Probleme zu lösen, damit das Wachstum ungestört weiter laufen kann. Welche Folgen werden die Förderung und der Ausbau dieser Technologien haben? Und werden sie überhaupt liefern, was sie versprechen?
Carbon Capture and Storage (CCS)
CCS (siehe Kasten) wurde in den 1950er Jahren von der Ölindustrie entwickelt, um schwer zugängliche tiefe Ölvorkommen zu fördern (Enhanced Oil Recovery (EOR), so die ursprüngliche Bezeichnung). Dabei wird unter Druck stehendes CO2 in Ölreservoirs gepumpt, um Reste aus versiegenden Ölfeldern zu extrahieren oder um anderweitig unzugängliches Öl zu fördern. Eine aktuelle Untersuchung zeigt: Von 12 bestehenden CCS-Projekten in den USA verwenden 11 das abgeschiedene CO2 für die verstärkte Ölgewinnung, also für EOR. Eine umfassende Überprüfung von CCS-Projekten, die zwischen 1995 und 2018 weltweit durchgeführt wurden, ergab, dass «die Mehrheit gescheitert ist». In den letzten Jahren wurden größere Anlagen mit höherer Abscheidungskapazität nach ihrer Testphase beendet oder auf Eis gelegt; in der EU, Australien, Kanada, China und den USA wurden bereits geplante Projekte wieder eingestellt. Das Fazit der Wissenschaftler*innen ist eindeutig: Biologische Methoden zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre – also ein Schutz bestehender Wälder, Aufforstung und die Förderung des Humusaufbaus – wären deutlich effektiver, kostengünstiger und ressourceneffizienter als CCS.
Ungeachtet dessen treiben die Herrschenden in den USA und Großbritannien, in der EU und in Deutschland den Ausbau von CCS voran. Im Net-Zero Industry Act der EU wird die Abscheidung und Speicherung von CO2 als eine Schlüsseltechnologie aufgeführt. Die Verordnung soll rechtsverbindlich regeln, dass bis 2030 eine jährliche Injektionskapazität von mindestens 50 Millionen Tonnenerreicht wird. Nach Schätzungen der Kommission wird der Bedarf an CCS im Jahr 2030 auf 80 Millionen Tonnen CO2 anwachsen und im Jahr 2040 mindestens 300 Millionen Tonnen erreichen. Um die Emissionen auf null zu reduzieren, müsste die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts jährlich bis zu 550 Millionen Tonnen CO2 abscheiden.
CCS
Mit dem Verfahren soll das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe, der Zement- und Stahlproduktion und anderen emissionsreichen industriellen Prozessen emittierte CO2 abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. Das CO2 wird komprimiert und in flüssiger Form per Pipeline transportiert. Unterirdisch gespeichert werden kann es z. B. in ehemaligen Öl- oder Gasreservoirs, salzwasserführenden Gesteinsschichten oder unter dem Meeresboden. Das Verfahren selbst, der Transport und die Speicherung sind energieintensiv, allein das Abscheidungsverfahren erhöht den Energiebedarf z. B. bei der Kohleverbrennung um bis zu 30%. Geolog*innen warnen, dass die Sicherheit der Endlager nicht gewährleistet ist. Die Verpressung von vielen Millionen Tonnen CO2 z. B. in salzwasserführende Gesteinsschichten könnte zur Versalzung des Grundwassers führen. Auch schleichende oder plötzliche Leckagen sind nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch für CO2-Pipelines, in denen das CO2 vom Kraftwerk zum Speicherort transportiert wird. CO2 ist zwar ungiftig, kann aber in hohen Konzentrationen zum Erstickungstod führen. Im Jahr 2020 kam es in den USA zu einem schweren CO2-Pipeline-Unfall.
Anfang März hat Dänemark als erstes Land der Welt eine CO2-Speicherstätte freigegeben. Das abgeschiedene CO2 soll aus Belgien importiert und in ein erschöpftes Ölfeld unter der dänischen Nordsee injiziert werden. Die Kommission möchte weitere solcher Projekte fördern, um das Risiko von Investitionen in CCS zu verringern. Damit soll ermöglicht werden, dass die Technologie in großem Maßstab eingesetzt wird. Nach dem Gesetzesvorschlag der Kommission sollen die Mitgliedstaaten der EU in Zukunft Daten über Gebiete veröffentlichen, in denen CO2-Speicherstätten genehmigt werden könnten, und jährlich über die Fortschritte bei entsprechenden Projekten auf ihrem Gebiet berichten.
Ende 2022 hat die Bundesregierung einen Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speichergesetz vorlegt. Darin heisst es unmissverständlich, dass bereits kurzfristige Anreize für die Abscheidung, Nutzung und den Transport von CO2 aus industriellen Prozessen und der Abfallwirtschaft geschaffen werden sollten, damit notwendige Investitionen zum Aufbau von «nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen» initiiert werden können. Seit Anfang 2023 arbeitet die Bundesregierung an einer Carbon Management-Strategie. In der Strategie sollen Einsatzfelder für die Technologie näher bestimmt sowie die ökonomischen und regulatorischen Rahmenbedingungen für einen möglichen Hochlauf von CCS erarbeitet werden. Im Klartext: Die Strategie soll den Ausbau einer möglichen CO2-Infrastruktur vorbereiten.[1] Diese könnte der heutigen Infrastruktur für Öl ähneln, nur in umgekehrter Richtung: Anlagen fangen das CO2 ein, das über Pipelines transportiert, ggf. in Häfen an speziellen Terminals auf Schiffe gepumpt und dann im Untergrund verpresst wird. Nach den vielen Millionen Dollar bzw. Euro, die bereits in die praktisch wirkungslosen Testanlagen gesteckt wurden, sollen nun weitere Milliardeninvestitionen in diesen Bereich fliessen.
CRISPR/Cas
Das 2012 erstmals beschriebene Verfahren CRISPR/Cas (siehe Kasten) gehört zu den so genannten neuen gentechnischen Verfahren. Die Bundesregierung fördert die Forschung und Anwendung der Verfahren im Bereich der Pflanzenzüchtung seit Jahren mit vielen Millionen Euro. Die mit der Technologie verbundenen Versprechen ähneln jenen, die bereits mit der ersten Generation der Gentechnik verbunden waren. Neben den altbekannten Behauptungen, dass die Verfahren präzise und sichere Eingriffe erlauben, damit die Entwicklung resistenter und ertragreicher Pflanzen ermöglichen und zur Lösung des Welthungerproblems beitragen, wird nun ihr Potenzial zur Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise hervorgehoben. So soll es nun z. B. möglich sein, Pflanzen zu entwickeln, die besser mit Hitze- und Trockenstress zurechtkommen. Zwar wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei CRISPR nicht um DAS Wunderwerkzeug zur Lösung aller Probleme handle; die breite Anwendung der Technologie wird dennoch als unverzichtbar dargestellt.
CRISPR/Cas
Das CRISPR (engl.: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats)/Cas (engl.: CRISPR-associated)-System wird im Labor dazu verwendet, um möglichst zielgerichtete Veränderungen am Erbgut eines Organismus vorzunehmen. Die gentechnische Methode findet vor allem Anwendung in der Pflanzen- und Tierzucht, der medizinischen Forschung und der Grundlagenforschung. Das System besteht aus einem Enzym (auch Nuklease genannt, z. B. Cas9) und aus einer «Guide-RNA», mit deren Hilfe jener Abschnitt auf der DNA angesteuert werden kann, der verändert werden soll. Zunächst muss das System mit Hilfe älterer gentechnischer Verfahren (z. B. Partikelbeschuss) in die Zelle eingebracht werden. Sobald die Guide-RNA «angedockt» hat, trennt das Cas-Enzym den DNA-Doppelstrang auf. Die Zelle aktiviert Reparatursysteme, um den Eingriff zu beheben. Oft kommt es zu Fehlern bei der Reparatur, die zu einer Mutation führen. Auf diese Weise können Basenpaare ausgetauscht, hinzugefügt oder entfernt werden. Gene können stillgelegt oder in ihrer Wirkungsweise verändert werden. Möglich sind zudem komplexere Veränderungen an mehreren Stellen im Erbgut, wenn das Verfahren mehrfach hintereinander angewendet wird («Multiplexing»). Studien zeigen, dass das Verfahren bei weitem nicht so präzise ist, wie der öffentliche Hype suggeriert. Auch bedeutet «präzise» nicht, dass ein Eingriff automatisch sicher ist.
Dabei sind auch Verfahren wie CRISPR nicht unabhängig von den ökonomischen und rechtlichen Strukturen zu haben, unter denen ihre Entwicklung und Anwendung stattfinden. Das Problem der Patentierung macht dies deutlich: Der mit der ersten Generation der Gentechnik auch im Bereich der Pflanzenzüchtung etablierte Patentschutz führt dazu, dass immer mehr pflanzengenetische Ressourcen von Formen des Gemeineigentums in solche des Privateigentums überführt werden. Es ist schon jetzt absehbar, dass die neuen gentechnischen Verfahren diese Entwicklung weiter massiv befördern werden.
Obwohl die Erfolgsbilanz der mittels CRISPR entwickelten Pflanzen bislang äusserst bescheiden ist – auf dem Markt und in Entwicklung sind «blutdrucksenkende» Tomaten (Japan), ein bitterstofffreier Salat (USA) und diverse herbizidresistente Pflanzen (Argentinien) – , will die Kommission die bestehenden Gentechnik-Gesetze «an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen». Geplant ist eine weitgehende Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren.[2] Diese bedeutet faktisch das Ende der gentechnikfreien (konventionellen und ökologischen) Land- und Lebensmittelwirtschaft in der EU. Dabei wäre gerade ein Ausbau der (gentechnikfreien) Biolandwirtschaft ein wirksames Mittel, um die Folgen der Erderhitzung auf die Landwirtschaft zumindest abzumildern. Auch hätte der damit verbundene Humusaufbau eine erhöhte CO2-Speicherung zur Folge; ganz ohne teuren und energieintensiven Aufbau neuer industrieller CCS-Anlagen.
CCS und CRISPR/Cas als «Technofix»
In den kritischen Diskursen über CCS und CRISPR wird völlig zurecht darauf verwiesen, dass ihr Lösungspotential – sofern es überhaupt besteht – äußerst beschränkt ist. Zu kurz kommt meist die Frage, warum der Politik Wahrscheinlichkeiten, Versprechen und Spekulationen reichen, um öffentliche Mittel in Milliardenhöhe zu mobilisieren. Um welche Art von Problemlösung geht es hier also?
In beiden Technologiefeldern schafft die Politik aktuell einen Rechtsrahmen, der Investitionen ermöglichen bzw. erleichtern soll. Technologien wie CCS, egal wie spekulativ ihr Nutzen ist, versprechen eine allgemeine Win-win-Situation: Die Sicherung der Akkumulation, technische Innovationen, mit denen in der internationalen Konkurrenz Wettbewerbsvorteile erwirtschaftet und Maßstäbe gesetzt werden können, profitable Geschäftsfelder für Unternehmen und ein Beitrag zum Klimaschutz. Energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Chemieindustrie können sich dank CCS darauf verlassen, dass sie in Zukunft mindestens ihre «unvermeidbaren Emissionen» bequem kompensieren können. Auch in der Landwirtschaft verspricht CRISPR ein Weiter-so-wie-bisher; der Input-intensive und klimaschädliche «Produktivismus» wird damit festgeschrieben.
Egal wie weitreichend die Folgen der Erderhitzung sind bzw. sein werden; die Sicherung der Akkumulation hat immer höchste Priorität, auch wenn damit weitere fossile Lock-ins und Pfadabhängigkeiten geschaffen werden. Im Fall von CCS ist es gerade die Öl- und Gasindustrie, also jene Branche, die in einem relevanten Ausmaß für die Misere verantwortlich ist, die mit dem geplanten Ausbau einer CO2-Infrastruktur neue Möglichkeiten für profitable Geschäfte erhält. Damit stärkt die Politik Strukturen, die – siehe RWE & Co enteignen – eigentlich zerschlagen und rückgebaut werden müssten. Gleiches gilt für CRISPR: Mit der Deregulierung der neuen Gentechnik erhalten vor allem multinationale Chemie- und Saatgutkonzerne wie Bayer & Co. neue Möglichkeiten, um ihre marktbeherrschende Stellung weiter auszubauen.
Technologien haben also immer auch soziale Wirkungen: Sie sichern bestimmte Interessen, unterdrücken andere und manche machen auch repressive Maßnahmen erforderlich. Gerade CCS erfordert starke, zentralisierte und hierarchische Formen der Entscheidungsfindung durch Expert*innen; partizipative Formen der Mitbestimmung sind ausgeschlossen. Bereits 2010 fanden Proteste gegen ein CO2-Endlager in Brandenburg statt; der nun geplante Ausbau wird hoffentlich neuen Widerstand provozieren. In den USA formiert sich dieser bereits: Hier führt die derzeit durch die Biden-Administration vorgenommene massive Anschubfinanzierung von CCS dazu, dass die Regulierungsbehörden die Flut an Anträgen für CO2-Endlager bzw. Pipelines nicht mehr bewältigen können. Betroffene befürchten, dass die Unternehmen deshalb ohne eingehende Risikobeurteilung Fakten schaffen könnten. Im Fall von CRISPR existiert bis heute praktisch keine Risikoforschung, die diesen Namen verdient. Sollte die Deregulierung der neuen Gentechnik umgesetzt werden, fallen auch sämtliche Haftungsregelungen. Die Konsequenzen für die landwirtschaftlichen Produzent*innen, aber auch die Umwelt werden potentiell weitreichend sein. Einmal mehr gilt also: Während die Unternehmen Profite einstreichen, muss die Gesellschaft für die Schäden aufkommen.
Der Glaube, dass Technologien die Lösung sind, ist in der Politik wie in weiten Teilen der Gesellschaft offenkundig unerschütterlich; mit der Klimakrise nimmt der kapitalistische Technikfetischismus allerdings neue, aberwitzige Dimensionen an. Für die Klimabewegung muß klar sein: Beide Technologien blockieren die wirklich wichtigen und dringlichen Umbaumaßnahmen. Daher sind ihr weiterer Ausbau und ihre finanzielle Förderung entschieden zu bekämpfen und so schnell wie möglich zu beenden.
Referenzen
Diesen Artikel ist in einer Kurzfassung in der aktuellen Ausgabe der analyse & kritik erschienen.
Bildquelle: Foto von Paul Hanaoka auf Unsplash
[1] Darüber hinaus soll die Strategie regeln, welche Branchen «unvermeidbare Emissionen» erzeugen, die in Zukunft zwingend über Technologien wie CCS zu kompensieren wären.
[2] Der am 15. Juni geleakte Verordnungsentwurf der EU-Kommission bestätigt dies.