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Die Umweltkrise besteht aus vielen miteinander verbundenen, aber jeweils spezifischen Krisen. Jede dieser Krisen löst kollektive Kämpfe und damit auch Lernprozesse von betroffenen Menschen aus. Juanjo Lvarez und Martin Lallana argumentieren, dass solche nicht-linearen Prozesse die Möglichkeit eines antikapitalistisches Bruchs eröffnen. (red.)
Das politische, ökonomische, soziale und auch kulturelle Leben einer ganzen Generation wird von der gegenwärtigen Krise geprägt. Inmitten all der Ungewissheit bleibt die einzige Gewissheit, dass es keine Rückkehr zu den unbeschwerten Jahren der Vergangenheit geben wird. Dass wir einer unsicheren und prekären Zukunft entgegengehen, scheint hingegen ausgemacht. Die ökologische Krise ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Szenarios und verdeutlicht, dass die Welt, in der wir leben, nicht mehr die ist, in der wir einst zu leben glaubten. Sie zeigt uns, dass die Umweltzerstörung bereits so weit fortgeschritten ist, dass man nicht mehr darüber hinwegsehen kann und dass das Unwahrscheinlichste bald zum Alltag gehören wird.
Der unbestreitbare Temperaturanstieg und das immer häufigere Auftreten von Extremwetterlagen führen dazu, dass der Klimawandel unmittelbar nahe gerückt ist und von immer mehr Menschen wahrgenommen wird. Dadurch wird es objektiv unter anderem einfacher, dass die Umweltbewegung Massenmobilisierungen anstoßen und besonders Teile der Jugend erreichen kann. Die Arbeit von mehreren Jahrzehnten beginnt sich auszuzahlen und hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Die offizielle Politik wird sich der Bedeutung des Umweltschutzes allmählich bewusst und der Umweltschutz beansprucht einen festen Platz in der Politik. Die Belange des Umweltschutzes und besonders des Klimanotstands rücken neuerdings in den Mittelpunkt der Politik. Alle politischen Parteien versuchen sich als Umweltschützer zu profilieren, alle Gruppierungen sind gezwungen, Stellung zu beziehen, und die Umweltdebatte erlangt eine bisher kaum vorstellbare Aufmerksamkeit.
Um in dieser Situation eindeutig Stellung zu beziehen, muss man sich des Ausmaßes der Krise bewusst sein. Es handelt sich weder um eine konjunkturelle noch um eine sektorielle Krise, die sich auf die „offiziell anerkannten“ Umweltfragen beschränkt. Die ökologische Krise ist eng mit dem Wirtschaftswachstum verbunden. Jede „Stoffwechselstörung“ (abnehmende Bodenfruchtbarkeit, Erschöpfung der Ressourcen und Energiequellen) verdeutlicht, dass die ökologischen Grenzen des Planeten erreicht sind und der Kapitalismus einfach nicht damit umgehen kann. Die Dynamik des Kapitals besteht in der erweiterten Reproduktion desselben, während das Gebot zur Bewältigung dieser Krise darin besteht, der Primat des Wirtschaftswachstums zu beschneiden. Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Es bedarf eines Bruchs, einer tiefgreifenden und dauerhaften Transformation des gesamten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Systems.
Natürlich ist eine solch grundlegende Transformation nicht nur durch eine „punktuelle“ Revolution zu erzielen, zumal eine Revolution kein punktuelles Ereignis sein kann. Um es provokativ zu formulieren: Die Einnahme des Winterpalastes war faktisch von geringerer Bedeutung. Jetzt geht es darum, eine Allianz für eine neue Gesellschaft und eine andere Welt zu schmieden, wie dies in den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten erfolgt ist. Daneben ist die Schaffung neuer Utopien und Alternativen in jedem Konflikt der Kristallisationspunkt, um den herum ein neuer sozialer Konsens als Katalysator der Transformation entsteht.
Die Polarisierung im Augenblick tiefer Krisen ist der Nährboden für das Entstehen historischer Brüche, in denen die Gesellschaft einen Kurswechsel vollzieht. Der Ökosozialismus hat die Verantwortung, sich als emanzipatorisches Projekt zu konstituieren, das in solchen Momenten eine Alternative bieten kann. Das politische Projekt des Umweltschutzes kann nur ein revolutionäres Projekt sein.
Die Umweltkrise richtig verstehen
Zuvor müssen wir uns aber unbedingt darüber im Klaren werden, wie die bevorstehenden Szenarien der massiven Umweltzerstörung zu verstehen sind. Natürlich liegt es nicht in unserer Macht, das Verfahren zu wählen, das uns am besten geeignet erscheint. Wir sind jedoch der Ansicht, dass es innerhalb einer objektiven, durch biophysikalische Kriterien definierten Situation unterschiedliche Interpretationen gibt, wie dieser Klimawandel beschaffen ist und welchen Stellenwert politische und soziale Prozesse dabei haben, was für uns entscheidend ist.
- Unseres Erachtens ist die Lage, die gemeinhin als Umweltkrise bezeichnet wird, als eine Abfolge mehrerer, aufeinander folgender und miteinander verbundener Krisen zu verstehen. Wir müssen uns von einem linearen Verständnis freimachen, wonach wir unweigerlich auf die schlimmstmögliche Katastrophe zusteuern, so wie es von gewissen „kollapsionistischen“ Kreisen vorhergesagt wird, zugleich aber auch reformistischen Positionen Vorschub leistet.
- Jede dieser Krisen weist spezifische Merkmale auf und dreht sich oft um Belange, die weit von den zugrunde liegenden ökologischen Ursachen entfernt zu sein scheinen. Dies bedeutet, dass jede Krise entlang ihrer spezifischen Parameter angegangen werden muss, die in den meisten Fällen eng mit der sozialen, politischen und territorialen Situation zusammenhängen.
- Jede dieser Krisen birgt das Potential eines Bruchs mit dem System, und die kollektiven Kämpfe, die dabei entstehen, haben Einfluss auf unsere Fähigkeit, die folgende Krise zu bewältigen. Wir gehen von einem kumulativen Szenario aus, bei dem das politische und soziale Engagement in jeder Phase dafür ausschlaggebend sein wird, ob wir unsere Gesellschaft transformieren können. Gerade die zunehmenden Konfliktsituationen, in die weite Teile der Bevölkerung involviert werden, ermöglichen einen Lernprozess und ein Verständnis der globalen Phänomene, was wiederum Fortschritte beim Aufbau einer Alternative ermöglicht.
- Keineswegs wird diese fortschreitende massive Umweltzerstörung und Ressourcenerschöpfung dazu führen, dass ein politisches Engagement für eine freie und gerechte Gesellschaft nicht mehr möglich sein wird. Wie schlimm und brutal es auch kommen mag, ändert dies für uns nichts daran, einen kollektiven Kampf führen zu können und zu müssen, um die Lebensbedingungen der besitzlosen Klassen zu verbessern.
Diese Sichtweise auf die anstehenden Herausforderungen erlaubt uns folgende Feststellung: Auch wenn wir mit einer geschichtlich beispiellosen globalen Menschheitskrise konfrontiert sind, wird sich jede dieser aufeinander folgenden und miteinander verwobenen Krisen in konkreten politisch-historischen Prozessen niederschlagen, aus denen wir jeweils Lehren ziehen können. Wir müssen uns der Umweltkrise Punkt für Punkt annehmen und die Zeit für revolutionäre Politik ist nicht vorüber, sondern hat sich nur beschleunigt und intensiviert.
Formen der Gegenwehr
Eine der offensichtlichsten Folgen der Umweltkrise ist ihre Fähigkeit, soziale Konflikte zu entfachen und zuzuspitzen. Die Wucht dieser Krisen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu sozialen Explosionen. Damit jedoch eine revolutionäre Situation erfolgreich genutzt werden kann, brauchen wir mehr als solche Grenzüberschreitungen, nämlich ein bewusstes politisches Subjekt, das wir aufbauen müssen, damit das System nicht nur in Frage gestellt, sondern gestürzt werden kann.
Einige der zahlreichen Krisen infolge der Umweltzerstörung werden sich wahrscheinlich zu einer organischen Krise auswachsen, in der das Versagen des herrschenden Systems zu Tage tritt. Dies führt zum Legitimationsverlust des Staates und einer zunehmenden Diskrepanz zwischen den Erwartungen großer Teile der Bevölkerung und der offiziellen Politik. Eine solche organische Krise kann entstehen, wenn das System im Zuge der Umweltkrise gegenüber den Folgen von Extremwetterereignissen versagt oder die Verknappung der Ressourcen mit Massenentlassungen oder Abbau öffentlicher Dienstleistungen auf die Bevölkerung abwälzt.
Die soziale Realität ist heute gekennzeichnet durch Atomisierung, Zerrissenheit und zunehmende Ungleichheit. Insofern werden sich diese organischen Krisen vermutlich in Form von Revolten vollziehen. Spontane Massenausbrüche ohne ein klares politisches Ziel und ohne zwischengeschaltete Strukturen, die über das hinausgehen, was zur Mobilisierung oder Reaktion auf unmittelbare Herausforderungen notwendig ist. Die Revolte spiegelt den gesellschaftlichen Antagonismus wider und schwächt den Staat, zerschlägt ihn aber nicht. Sie ist somit zugleich Ausdruck sozialer Stärke als auch politischer Schwäche.
Insofern muss eine ökosozialistische Strategie eine Antwort darauf geben können, wie aus der Revolte und den organischen Krisen, die daraus entstehen und die infolge der Umweltkrise immer schärfer werden, revolutionäre Krisen werden, in denen die Massen bewusst handeln, indem sie sich der bestehenden Macht entgegenstellen und ihre eigene Volksmacht errichten. Fehlt eine solche Strategie, werden die Revolten scheitern oder in blutigen Konterrevolutionen erstickt werden. Daher kann man nicht darauf vertrauen, dass massenhafte Formen der Selbstorganisation, Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle spontan entstehen, wenn sie nicht zuvor erlernt worden sind.
Es müssen zunehmend Erfahrungen gesammelt werden und Kräfte heranreifen, damit eine neue Legitimität begründet werden kann. Auf diese Weise werden soziale Funktionen im Alltagsleben übernommen, die sich innerhalb der Gesellschaft eine eigene Geltungsmacht gegenüber dem bestehenden System verschaffen. Dies wird vor dem Hintergrund der Umweltkrise umso wichtiger werden, da immer deutlicher zutage treten dürfte, wie der Kapitalismus die ungerechten Folgen der Krise und die Krise selbst weiter verschärft und wie die Unfähigkeit des Staates, diese Entwicklung zu korrigieren, immer mehr zunimmt. Daher müssen wir eben diese strategischen Aufgaben in den Mittelpunkt unserer ökosozialistischen Agenda rücken. Dies beinhaltet, jeden Konflikt zu schüren und zuzuspitzen und politische Kader zu gewinnen, die in der einfachen Bevölkerung verankert und in der Lage sind, in bewegten Zeiten flexibel zu agieren. Außerdem müssen wir kollektive Strukturen als Keim einer Gegenmacht aufbauen, die in der Lage sein muss, unsere Gesellschaft tiefgreifend zu verändern.
Zur Staatsfrage
Über all diesen strategischen Überlegungen thront die Staatsfrage. Angesichts der Umweltkrise und des bereits stattfindenden Klimawandels ist es umso dringlicher, uns darüber Klarheit zu verschaffen.
Beginnen wir mit dem real existierenden kapitalistischen Staat. Innerhalb der Linken haben sich in den letzten Jahrzehnten mehrheitlich Konzepte durchgesetzt, die den Staat als einen Gemischtwarenladen begreifen, in dem sich das Kräfteverhältnis des Klassenkampfes kristallisiert, also als eine Ansammlung gewissermaßen neutraler Apparate, die besetzt und für jeden beliebigen Zweck genutzt werden können. Dem wollen wir widersprechen, erst recht wenn es um die Lösung der Umweltkrise geht.
Im Neoliberalismus neigt der Staat noch mehr dazu, zugunsten der Kapitalakkumulation zu intervenieren und soziale Aspekte dabei hintanzustellen. Fand früher in einigen Teilen der Welt, insbesondere in Westeuropa, noch eine gewisse Umverteilung im Sinne eines sog. „Wohlfahrtsstaats“ statt, so schwindet dies zunehmend. Somit haben wir es mit einer Verwaltung, Bürokratie und einer Arbeiterschaft zu tun, die in denjenigen Bereichen geschwächt und mitunter gar verkümmert ist, die uns in der Zeit des ökosozialen Wandels am meisten interessieren. Darüber hinaus schränkt ein Geflecht von Freihandelsabkommen, Stabilitätspakten und Schulden bei den Finanzmärkten den politischen Gestaltungsraum des Staates deutlich ein.
Wir sind der Ansicht, dass die herrschenden kapitalistischen Staatsapparate nicht in der Lage sein werden, die tiefgreifenden Veränderungen vorzunehmen, die zur Bewältigung der Umweltkrise erforderlich sind. In vielen Fällen wäre nicht einmal eine kapitalistische Konterrevolution notwendig, um einen solchen Wandel zu verhindern, da bereits die bestehenden Regierungs-, Gesetzgebungs-, Regulierungs- und Finanzstrukturen ausreichende Hindernisse auf diesem Weg darstellen. Daher brauchen wir in den Bereichen eine eindeutige Strategie, die für uns beim ökosozialen Wandel von größtem Interesse sind.
Das bedeutet nicht, dass wir als Ökosozialist*innen bei unserem Engagement dem Staat den Rücken kehren sollen. Vielmehr dürfen wir bloß dort keine Hoffnungen auf ihn setzen, wo er sie aller Voraussicht nach nicht erfüllen wird. Eine linke Regierung mit einem eindeutig antikapitalistischen Programm kann vielleicht Entwicklungen und Möglichkeiten eröffnen, die nicht bloß durch Mobilisierungen von unten erzielbar sind, und damit als Hebel fungieren. Aber gerade weil eine solche Regierung nicht in der Lage ist, der Tendenz zur Kapitalakkumulation entgegen zu wirken, darf ihre programmatische Umsetzung keinesfalls zulasten der selbsttätigen Organisation der Bevölkerung gehen, weil nur diese allein die Überwindung des kapitalistischen Machtapparats und den Aufbau eines ökosozialistischen Systems bewerkstelligen kann. Eine solche Regierung müsste materielle Fortschritte und Errungenschaften zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung erbringen und die kapitalistische Wirtschaft durch Vergesellschaftungs- und Selbstverwaltungsmaßnahmen in den strategischen Schlüsselsektoren so weit als möglich schwächen.
Gleichzeitig muss von außerhalb der Institutionen die Bevölkerung dazu motiviert werden, ein Höchstmaß an Selbstorganisation und Selbstermächtigung in den sozialen Bewegungen zu erreichen. Davon wird abhängen, inwieweit es möglich sein wird, Druck auf den Staat auszuüben, den ökosozialen Wandel anzupacken. Von der Stärke der autonomen und organisierten Volksbewegung wird es abhängen, ob die organischen Krisen in revolutionäre umgewandelt werden können. Somit können auch hinreichend Erfahrungen und Legitimität erworben werden, um den Bruch mit dem kapitalistischen System überhaupt angehen zu können. Denn gerade dann, wenn die Organe des alten Staatsapparates gelähmt, zerschlagen und unfähig sind, ihre Funktion zu erfüllen, kommt die soziale Legitimität der autonomen Strukturen und Institutionen ins Spiel, mit denen die ausgebeuteten Klassen die Herausforderungen und Bedürfnisse des Alltags zu bewältigen suchen und so ihre soziale Autorität begründen.
Die Begründung des Klassenbewusstseins
In diesem Prozess ist es absolut unumgänglich, dass nach und nach Erfahrungen gesammelt werden und die ausgebeuteten Klassen wirkmächtig werden. In erster Linie geht es dabei um die Schaffung eines politischen Subjekts, das sich als solches erkennt und sich durch seine Organisierung seines Potentials bewusst wird. Zweitens müssen weite Teile der Bevölkerung begreifen, wie ausgedehnt und tief die Umweltkrise ist, und davon überzeugt sein, dass diese Krise nur durch einen Bruch mit dem herrschenden Wirtschaftssystem bewältigt werden kann. Drittens muss das Bewusstsein reifen, dass nur die zum Subjekt gewordene Klasse diesen Bruch vollziehen und eine freie Gesellschaftsordnung errichten kann, die die einzelnen Krisen sozial gerecht angeht.
Bei diesem Punkt muss ergänzt werden, dass man sich über die berechtigten Aussichten bewusst werden muss, einen solchen Bruch und Wandel auch vollziehen zu können. Dies ist gar nicht so banal, wenn man bedenkt, dass in heutigen Zeiten unter den gegebenen politischen Umständen die revolutionäre Perspektive eher wie ein flüchtiges Relikt aus dem letzten Jahrhundert daherkommt.
Wie rasch und dauerhaft wir diese Ziele erreichen können, ist eine Frage des ernsthaften Engagements und der Zuspitzung der multiplen und interdependenten Krisen. In jedem Fall stehen uns höchst ungewisse und instabile Zeiten bevor, die uns zu der Annahme berechtigen, dass ein augenscheinlich langwieriger Prozess doch sehr viel schneller vonstatten gehen kann, als angenommen. Und zwar gibt es zwei Bereiche, in denen sich Konflikte deutlicher herausschälen und zu einer Reifung der angesprochenen Kräfte führen können. Dies sind einerseits die multiplen Verwerfungen in dem gemeinhin so genannten Konflikt zwischen Kapital und Allgemeinwohl und andererseits die Arbeitswelt, besonders dort, wo enge Zusammenhänge mit den Achsen des ökologischen Umbaus bestehen. (Siehe hierzu den nachfolgenden Artikel von Jeremy Anderson in dieser Ausgabe der internationale).
Was den ersten Bereich angeht, werden wir erleben, wie die kommenden Krisen zu einer Zuspitzung des Konflikts zwischen Kapital und Allgemeinwohl führen werden. Weil der Kapitalismus außerstande ist, die gewohnten Profitraten zu erzielen, und der Finanzsektor nur sehr bedingt unabhängig von der Realwirtschaft funktionieren kann, wird das Kapital weiter in bisher unerschlossene Bereiche vordringen. Dies wird sich zeigen in zunehmender Kommodifizierung, Privatisierung und Kapitalakkumulation durch Enteignung. Die sichtbaren Folgen davon sind bspw. Wohnraumverknappung, Abbau öffentlicher Dienste, Investitionen der Fondsgesellschaften im Energie- oder Agrarsektor oder das Aufkaufen fruchtbarer Böden durch Kapitalanleger*innen. Die Schäden, die das Kapital anrichtet, werden dadurch noch stärker erfahrbar, was die politische Schlussfolgerung nahelegt, die Welt zu ändern. Solche Konflikte rufen organisierte Gegenwehr hervor und diese Prozesse sind entscheidend dafür, dass die Kräfte reifen können.
Der andere Bereich, die Arbeitswelt, macht für überwiegende Teile der Bevölkerung erfahrbar, wie sich die Klimakrise auf ihr Alltagsleben auswirkt. Dies gilt nicht nur für die Lohnarbeit, sondern findet seine Entsprechung auch in der Reproduktionstätigkeit. Es liegt auf der Hand, dass die Stellennachfrage in Zeiten knapper Ressourcen zunehmen und zu noch größerer Benachteiligung der Frauen führen kann, wenn dies nicht sozial gerecht geregelt wird. Außerdem werden wir starke Einbrüche bei den Arbeitsplätzen mit Betriebsschließungen und Massenentlassungen in den von der Umweltkrise am stärksten betroffenen Sektoren erleben. Die Kämpfe, die in diesen zentralen Konflikten entstehen werden, werden ausschlaggebend sein bei der Schaffung einer allfälligen ökosozialistischen Alternative.
Insofern ist es auch essentiell, dass eine solche ökosozialistische Alternative über die bisherige Umweltbewegung hinausgeht. Sie muss stattdessen zu einem Sammelbecken werden, wo die Umweltbewegung nur Teil des großen Ganzen ist, das die Gewerkschaften, Umweltschützer*innen, sozialen Bewegungen und Parteien einbezieht.
Die Kraft der Utopie
Zu den strategischen Aspekten einer ökosozialistischen Alternative gehört auch, eine Perspektive und eine konkrete Utopie aufzuzeigen. Ansonsten wird es schwer fallen, den dafür erforderlichen Elan aufzubringen. Dafür müssen wir eine Zukunft skizzieren, die sich grundlegend von der Gegenwart unterscheidet und erstrebenswert ist, und die entsprechenden Forderungen umreißen, die von den unmittelbaren Zielen ausgehend in die Zukunft weisen.
Es ließe sich lang und breit darlegen, wie eine ökosozialistische Gesellschaft beschaffen sein muss, die sich von der Welt des Überflusses, die bisher Grundlage unseres Denkens war, radikal unterscheidet. Was wir brauchen, ist eine Welt, in der die Reichtümer und die Arbeit so verteilt werden, dass die Umweltkrise sozial gerecht bewältigt werden kann und eine ökonomische und ökologische Planung die Folgen der Ressourcenverknappung weitestgehend auffängt. Nur so kann sich unsere Gesellschaft wieder in die biophysikalischen Grenzen des Ökosystems einfügen.
Zwei wesentliche Aspekte einer solchen Perspektive liegen in der Umverteilung und Aufwertung der Sorgetätigkeiten im Alltag und in der Freisetzung zeitlicher Ressourcen für ein lebenswerteres Leben. Dabei dürfen wir die psychosozialen Verheerungen, die der kapitalistische Mahlstrom (nordatlantische Wirbelströme von gewaltiger Sogwirkung [A. d. R.]) anrichtet, auf keinen Fall unterbewerten. Je breiter der sich nämlich auswächst, desto stärker wachsen Ungewissheit, Prekarität und Instabilität. Neben den politischen Zielen und der ökosozialistischen Perspektive spielen diese Elemente eine große Rolle, um eine Utopie vom Guten Leben zu entwerfen, das für alle erstrebenswert ist und für das es sich zu kämpfen lohnt.
Die konkreten Kämpfe und Auseinandersetzungen der Gegenwart müssen immer mit der von uns angestrebten Perspektive verknüpft werden. Ansonsten verfallen wir in strategische Verwirrungen und taktischen Opportunismus. Nur wenn wir diese Richtschnur einhalten, können wir wegweisende politische Kämpfe initiieren. Und nur so gelingt – mit wachsenden Erfahrungen und zunehmender Organisierung des politischen Subjekts – der revolutionäre Sprung, wenn das System ins Wanken gerät und radikale Umbrüche anstehen.
Um diese Verknüpfung herzustellen, müssen wir Vorschläge erarbeiten, die einerseits den ökologischen Wandel abbilden, anderseits für die Mehrheit der Bevölkerung Verbesserungen bringen. In jeder Forderung, jedem Kampf und jeder Errungenschaft muss ein Korn enthalten sein, das in den kommenden Auseinandersetzungen Früchte tragen kann. Wir müssen genau aufzeigen, wie unsere politischen Ziele einen materiellen Fortschritt beinhalten, an dem die einfache Bevölkerung von Beginn an teilhaben kann. Insofern müssen unsere Forderungen zuvörderst Probleme thematisieren wie die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in Branchen, in denen die Beschäftigten ihre Existenz bedroht sehen, oder das öffentliche Verkehrswesen und der garantierte Zugang zu Wohnraum und Grundversorgung.
Fazit
Das revolutionäre Engagement für den Ökosozialismus wird umso plausibler, je mehr sich die Umweltkrise zuspitzt. Wie dargelegt, sind dabei die einzelnen Zwischenschritte und Prozesse nicht beliebig und es gibt keine Abkürzungen. Die Dringlichkeit der ökologischen Krise mag Zweifel aufwerfen, ob die von uns skizzierte Transformation rechtzeitig durchsetzbar ist. Insofern wollen wir zunächst darauf verweisen, dass Geschichte niemals gradlinig verläuft und dass es in instabilen Zeiten Sprünge, Brüche und Verwerfungen gibt, die zuvor unvorstellbare Chancen eröffnet. Zweitens glauben wir, dass gerade die Dringlichkeit und Tragweite der obwaltenden Krise uns dazu verpflichtet, uns solche Ziele aufzuerlegen. Weil uns nur wenig Zeit bleibt, können wir nicht länger damit warten, eine breite ökosozialistische Front in der Bevölkerung aufzubauen, die mit dem unterdrückerischen und umweltzerstörerischen System Schluss machen kann. Keineswegs soll dies heißen, dass wir deswegen untätig darauf warten, dass der Kapitalismus zusammenbrechen wird. Vielmehr müssen wir entschlossen in alle sich bietenden Konflikte, Kämpfe und politischen Schlachten eingreifen – taktisch flexibel, aber strategisch bestimmt.
Last but not least wollen wir unterstreichen, dass dieser Kampf international geführt werden muss und dass auch das revolutionäre Subjekt in all seiner Breite und Diversität international aufgestellt sein muss. Vermutlich werden sich etliche der oben skizzierten Ausbrüche, Revolten und organischen Krisen zuerst in peripheren oder semiperipheren Regionen des kapitalistischen Weltsystems entwickeln. Die daraus entstehenden Fortschritte und Erfolge bereiten den Boden für unsere Aussichten andernorts.
Dieser Text ist zuerst im Original im August 2021 auf Viento Sur erschienen und wurde von der ISO ins Deutsche übersetzt.