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Um die Lebensgrundlagen der Menschheit steht es schlecht – und die wissenschaftlichen Befunde dazu werden immer alarmierender. Jüngst hat der „planetare Gesundheitscheck“ des Planetary Boundaries Science Lab erneut bestätigt, dass die Erde weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus beansprucht wird. Laut dem aktuellen Bericht sind inzwischen sieben von neun planetaren Grenzen überschritten – eine mehr als im Vorjahr. Die sogenannten planetaren Grenzen markieren kritische Belastungsgrenzen des Erdsystems, also absolute biophysikalische Limits, deren Überschreitung das physische Überleben von Milliarden Menschen gefährdet. Zu den nunmehr überschrittenen Grenzen zählen der Klimawandel, die Integrität der Biosphäre, die Veränderung der Landnutzung, die Veränderung des Süßwasserkreislaufs, die Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe, das Eindringen menschengemachter Chemikalien und Materialien in die Natur sowie seit Kurzem auch die Ozeanversauerung. Die Hauptautorin des Berichts, Levke Caesar, hält diesbezüglich fest: „Die zunehmende Versauerung geht vor allem auf Emissionen aus fossilen Brennstoffen zurück und wirkt sich zusammen mit Erwärmung und Sauerstoffrückgang auf Küstenökosysteme wie auch auf den offenen Ozean aus. Damit verbunden sind weitreichende Folgen für Ernährungssicherheit, Klimastabilität und menschliches Wohlergehen.“ Ergo: Soziale und ökologische Fragen sind schlichtweg nicht mehr voneinander zu trennen und stellen sich mehr und mehr in einer transnationalen Perspektive. Das Risiko von irreversiblen Veränderungen und in diesem Zusammenhang von Kipppunkten im Erdsystem erfordert sofortiges und konsequentes Handeln.
Es ist kaum fünf Jahre her, da wurde um diese Dramatik weit mehr geredet und gerungen. Dies war seinerzeit das Verdienst der damals noch aufstrebenden Klimabewegung. Was dieser leider nicht gelang, war unter breiten Schichten der Lohnabhängigen Anklang zu finden und eine substanzielle Programmatik für eine sozialökologische Umwälzung zu erarbeiten. Was stattdessen folgte war ein massiver fossiler Backlash auf internationaler Ebene und der damit einhergehende Durchmarsch rechter und rechtsradikaler Akteur:innen. Putin, Trump und Netanjahu verkörpern nur die Speerspitze dieser katastrophalen Entwicklung.
Doch so finster die Lage auch ist, Aufgeben ist keine Option. Gesellschaftliche (Kräfte)verhältnisse können sich drehen und auch ein ökologischer Kollaps ist noch immer nicht unausweichlich. Tatsächlich formieren sich gerade, vor allem in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems, große und vor allem junge Protestbewegungen. In den Philippinen, in Kenia, in Nepal, Peru, Madagaskar, Marokko, Indonesien aber auch Serbien – in allen diesen Ländern strömen gerade Massen auf die Straßen. In allen Fällen geht es zunächst um die Korruption und Verschwendung der Herrschenden, in vielen Fällen gekoppelt an Dürre und Naturkatastrophen. Die jungen Protestierenden rebellieren also gegen soziale Verelendung und fordern Grundbedürfnisse ein – etwa sauberes Wasser und Energieversorgung. Die globale Protestwelle kommt in dieser Form recht unerwartet und es ist schwer abzuschätzen, wie sie sich weiterentwickeln könnte. Allerdings gab es bereits die ersten Erfolge. Spannend ist, dass die Bewegungen sich gegenseitig inspirieren und voneinander lernen. Vieles erinnert an die globale Revolte nach der Weltwirtschaftskrise, die sich ab 2010 entwickelte. Den Anfang machten damals vor allem gut ausgebildete junge Menschen in Nordafrika, bevor die Proteste sich wie ein Lauffeuer in der arabischen Welt ausbreiteten und später in Form der Occupy-Bewegung auf die Metropolen des Weltsystems zurückschlugen. Frust, Empörung und Wut haben sich auch heute wieder massenhaft aufgebaut. Nun stellt sich die strategische Frage, inwiefern diese gerade aufbrechenden Bewegungen – auch wenn sie das bisher nicht explizit einfordern – dazu beitragen können, die Entmachtung des fossilen Kapitals und des Kapitals überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Wie könnte etwa die Forderung nach einer radikalen Energiewende umgehend wieder an Einfluss gewinnen?
Darüber hinaus müsste endlich gelingen, was weder in den Dynamiken ab 2011 noch im jüngsten Aufschwung der Klimabewegung gelang: den Fokus der Proteste auf die kapitalistische Produktionsweise zu richten, diese grundlegende gesellschaftliche Struktur die notwendigerweise soziale Verelendung und das ökologische Desaster produziert. Es braucht dringend eine ökosozialistische Perspektive, denn ein besseres, gesünderes und freieres Leben ist nur jenseits der kapitalistischen Profitlogik möglich.
