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In einem offenen Brief an Friedrich Merz haben sieben ukrainische und deutsche Umweltorganisationen dazu aufgerufen, den begonnenen Ausstieg der EU aus der Nutzung russischen Erdgases zu vollenden. Dabei sehen sie Deutschland – als größtes gasverbrauchendes Land der EU – in einer besonderen Verantwortung. Die im Brief geschilderten Sachverhalte sind ein Skandal. „Hier in der Ukraine, wo wir täglich unter Raketen- und Drohnenangriffen auf unsere Städte leiden, wird der Preis für die Fehler der Vergangenheit in Form von verlorenen Menschenleben und noch nie dagewesener Zerstörung bezahlt“, mahnt Svitlana Romanko, Geschäftsführerin von Razom We Stand, in der Pressemitteilung zum Offenen Brief. Tatsächlich hat die EU, allen voran Deutschland, jahrzehntelang auf billiges russisches Erdgas gesetzt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurde ein rascher Ausstieg und eine Ende dieser Energieabhängigkeit angekündigt Während die Gasimporte damals deutlich reduziert wurden, kam es 2024 zu einem starken Anstieg beim Flüssigerdgas LNG. Besonders auffällig ist dabei die Rolle des deutschen Staatskonzerns SEFE. Dieser war einst eine Tochter der russischen Gazprom, wurde aber nach dem Einmarsch in die Ukraine von der deutschen Regierung verstaatlicht. Wozu eigentlich fragt man sich jetzt. Die russischen LNG-Lieferungen des Staatskonzerns sind von 8 Ladungen im Jahr 2023 auf 49 Ladungen im Jahr 2024 sprunghaft angestiegen. Und auch 2025 wird SEFE bislang Rekordmengen an russischem LNG beziehen. Ein deutscher Staatskonzern trägt nun zu Putins stark wachsenden Einnahmen aus dem LNG-Geschäft bei, die inzwischen die Summe übersteigen, die die Ukraine als humanitäre Hilfe von der EU erhält. Die Autor:innen des Offenen Briefes fordern zu Recht, diese zumindest indirekte Unterstützung des russischen Angriffskrieges zu beenden.
Dennoch bleibt der Brief halbherzig, nicht nur was die lammfromme Form betrifft. Vielmehr fehlt es ihm auch inhaltlich an ökologischer und internationalistischer Konsequenz. Seit der versuchten Abkehr vom russischen Gas setzt Deutschland auf eine überdimensionierte LNG-Infrastruktur. Ökologisch ist dies verheerend, da Flüssiggas besonders treibhausgasintensiv ist und durch die hohen Investitionssummen ein klares Signal gesetzt wird, noch auf Jahrzehnte auf fossile Energieträger zu setzen. Auch (geo)politisch war das ganze LNG-Projekt von Anfang an ein Desaster. Denn neben Russland sind es vor allem die USA und die Golfstaaten, die Flüssiggas exportieren und dieses Geschäftsmodell nun ausbauen wollen. Auf der Suche nach weniger Energieabhängigkeit steht die EU nun vor der Wahl, entweder bei Putin, Trump oder den Scheichs und Emiren am Golf einzukaufen.
Dieser Wahnsinn könnte noch übertroffen werden von einem Szenario, das der Offene Brief ebenfalls benennt. Zuletzt wurden Pläne bekannt, wonach der US-Milliardär Stephen Lynch die teilweise intakten Röhren von Nord Stream 2 aufkaufen will, um dem Mega-Pipeline-Projekt neues Leben einzuhauchen. Erste CDU-Politiker:innen sollen bereits mit dieser Idee liebäugeln und es machte ein Zitat die Runde, dass man sich das Projekt künftig unter US-Kontrolle vorstellen könne. Praktisch, dann würden die fossilen Kriegstreiber:innen ganz offen gemeinsame Sache machen.
Die einzige Möglichkeit, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen, ist ein konsequenter Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft, der unweigerlich eine Reduktion des Energieverbrauchs bedeuten muss. Hier trifft eine konsequent ökologische und internationalistische Perspektive fast zwangsläufig auf eine sozialistische. Um eine Politik der Energiereduzierung mehrheitsfähig zu machen, wären drakonische Einschnitte in die bürgerlichen Eigentumsrechte notwendig. Nur so wäre ein egalitärer Wohlstand planbar, der nicht den Lebensstandard der Werktätigen senkt, sondern zu Lasten der kapitalistischen Profitmaschinerie geht. Ein erster Schritt einer solchen ökosozialistischen Orientierung: sofortiger Stopp aller LNG-Importe – und das endgültige Aus für Nord Stream.