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1. Wirtschaftliche Beziehungen und bewusst inkonsequente Sanktionen
Die Regierungen der USA und vor allem der EU betreiben seit Beginn der russischen Großinvasion eine inkonsistente und inkonsequente Sanktionspolitik gegen Russland. Zahlreiche europäische Staaten unterhalten weiterhin enge wirtschaftliche Beziehungen mit Russland und nutzen Staaten in Zentralasien und in der Kaukasus-Region als Zwischenstationen.
Deutschlands Handel mit den Staaten Kirgistan, Georgien und Armenien explodierte ab März 2022 förmlich. Ebenso nahm der Handel dieser Staaten mit Russland stark zu. Die Exportstatistiken von Polen, Italien, der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten verraten ähnliche Muster. In der Handelsstatistik und bei den Zollbehörden Kirgistans erscheinen diese Vorgänge aber nicht gleichermaßen als Importe. Viele Waren überqueren die Grenzen gar nicht. Kirgistan fungiert nur als Platzhalter auf den Lieferscheinen und Rechnungen um die Sanktionen zu umgehen. Die wahre Destination ist Russland. Zusammengenommen gleichen diese Ausfuhren etwa ein Drittel des Rückgangs der direkten EU-Ausfuhren nach Russland aus. Sie bilden also ein wichtiges Schlupfloch für Waren aus EU-Staaten, die nach Russland exportiert werden.[1]
Die deutschen Exporte nach Kirgisistan waren in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 1300 % höher in den gleichen drei Monaten des Jahres 2019, also dem Zustand vor der russischen Großinvasion gegen die Ukraine.[2] [3] Die deutschen Ausfuhren von Autos und Autoteilen nach Kirgistan waren Mitte 2023 um 5500% (Ende 2023 um 5100 %), nach Kasachstan um 720%, nach Armenien um 450% und nach Georgien um 340% höher als 2019, also vor dem Krieg und der Covid-Pandemie. Es ist offensichtlich, dass diese Waren auf keinen Fall für den kirgisischen Markt bestimmt sind. Sie gehen nach Russland.[4] [5] Das geschieht nun bereits seit Kriegsbeginn. Daran stößt sich in Deutschland kaum jemand. Schließlich profitiert die heilige Autoindustrie.
Britische Unternehmen steigerten ihre Exporte nach Kirgistan nach der russischen Großinvasion um mehr als 1100%. Ein ähnliches, aber weniger massives Wachstum verzeichnen auch die britischen Exporte nach Armenien. Das betrifft vor allem Maschinen und Fahrzeuge, also jene Warengruppen, die von Sanktionen belegt sind. Die EU und G7-Staaten bezeichnen bestimmte Waren als „Common High Priority Items“. Dazu zählen 45 Warengruppen, die für Russland wichtig sind und zur Waffenproduktion eingesetzt werden können. Die britischen Exporte dieser Warengruppen nach Kirgistan, Georgien und Usbekistan stiegen nach Kriegsbeginn um über 500% an. Ein ähnliches, aber weniger massives Wachstum verzeichnen auch die britischen Exporte nach Armenien.[6]
Auch Italien, Polen und die Tschechische Republik umgehen die Sanktionen gegen Russland, indem sie Waren tatsächlich oder auch nur zum Schein über die Zwischenstation Kirgistan exportieren.[7] Geradezu in astronomische Höhen trieben Unternehmen in Serbien ihre Exporte nach Kirgistan.[8] Serbiens Exporte nach Kirgisistan stiegen im Vergleich zur Zeit vor der Invasion um absurde 6200 %.[9] Exportsprünge nach Kirgistan verzeichnen auch Österreich und Spanien.[10] Auch Georgien nimmt eine zentrale Rolle bei der Umgehung der Sanktionen ein. Einerseits stiegen die direkten Exporte nach Russland in den letzten Jahren deutlich an, allerdings mit großen Schwankungen. Doch die Exporte aus Georgien nach Armenien, Kasachstan und Kirgisistan explodierten förmlich seit Kriegsbeginn und übertreffen mittlerweile die Direktexporte nach Russland. Auch diese Daten zeigen, dass ein Großteil des potenziell illegalen Handels nicht direkt mit Russland, sondern über Drittländer abgewickelt wird.[11]
2. Unternehmen umgehen Sanktionen und finanzieren damit den russischen Krieg
Seit Beginn der russischen Großinvasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 verhängte die EU massive Sanktionen gegen Russland. „Zu den Sanktionen gehören gezielte restriktive Maßnahmen (individuelle Sanktionen), Wirtschaftssanktionen, diplomatische Maßnahmen und Visamaßnahmen. Mit den Wirtschaftssanktionen soll dafür gesorgt werden, dass Russlands Handlungen schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen und Russlands Möglichkeiten zur Fortsetzung der Aggression wirksam vereitelt werden.“[12] Diese sind aber bewusst inkonsequent und lückenhaft konzipiert. Die EU hat beispielsweise den Import von Erdgas nicht in die Sanktionen integriert.
Die Sanktionspolitik der EU und der USA ist weitgehend Heuchelei. Weite Teile der Industrie organisieren sich Schlupflöcher, indem sie Waren mit fingierten Rechnungen scheinbar oder tatsächlich in einige Nachbarländer der russischen Föderation in Zentralasien und in der Kaukasus-Region exportieren, die diese Waren dann nach Russland liefern.
Studien haben ergeben, dass das russische Militär diese Schlupflöcher ausgenutzt hat, um an wichtige westliche Militärtechnologie zu gelangen. Einem Bericht des Royal United Services Institute zufolge wurden in russischen Waffen, die in der Ukraine gefunden wurden, mehr als 450 im Ausland hergestellte Komponenten entdeckt.[13] Der sprunghafte Anstieg der Importe Kirgistans von Mikroelektronik weist in dieselbe Richtung.[14]
Das deutsche Kapital macht seit Jahrzehnten gute Geschäfte mit den russischen Partnern. Die deutsch-russische Energiepartnerschaft seit den frühen 1970er Jahren war ein zentraler Pfeiler der deutschen Wettbewerbspolitik, auch wenn sie sich als „Entspannungspolitik“ mit der UdSSR und später als „Wandel durch Handel“ mit dem Putin-Regime darstellte.[15] Auch im Rahmen der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen Zeitenwende halten weite Teile des deutschen Kapitals ihre Geschäftsbeziehungen mit ihren russischen Partnern aufrecht. Das deutsche Kapital unterstützt damit die Kriegsmaschinerie des Putin-Regimes. Putin ist zwar nicht länger ein nützlicher Gendarm für westliche Interessen.[16] Aber Russland ist immer noch ein Geschäftspartner, von dem man sich auch in Zukunft lukrative Potentiale erhofft.
Jene Linken, die mit der abstrakten und aus dem historischen Kontext gerissenen Floskel „der Hauptfeind steht im eigenen Land“ und dem Verweis auf den imperialistischen Charakter der NATO dem ukrainischen Widerstand die Unterstützung verweigern, müssten nun gegen diese Praxis des deutschen Kapitals Sturm laufen. Das tun sie aber nicht. Einige schätzen Putin im Rahmen der imperialistischen Rivalität als den schwächeren Part und damit als das kleinere Übel ein. Sie lehnen Sanktionen gegen sein Regime ab, weil sie Teil des Wirtschaftskrieges des „Westens“ seien und primär die Lohnabhängigen in Russland träfen. Was hierzu demokratische und sozialistische Oppositionelle in Russland sagen, nehmen sie nicht wahr. Einige lehnen Sanktionen ab, weil sie meinen, diese schädigten primär die deutsche Wirtschaft und damit auch die deutschen Lohnabhängigen. In dieser Frage scheinen Kapital, Regierung, Gewerkschaften und weite Teile der Linken nicht allzu weit entfernt voneinander zu liegen.
Die wirtschaftliche Unterstützung der russischen Kriegsführung weist auf ein grundsätzliches Problem hin. Solange das Putin-Regime durch den Verkauf von Gas, Öl und weiterer Rohstoffe beträchtliche Exporteinnahmen erzielt, wird es auch in der Lage sein, die benötigten und militärisch wichtigen Güter zu importieren. Viele europäischen Unternehmen sind gerne bereit der russischen Nachfrage nachzukommen, obgleich auf Umwegen. Der Export fossiler Treibstoffe ist für Russland also ein zentraler Pfeiler der Kriegsführung. Darum sollte der Import fossiler Energieträger aus Russland international gestoppt und grundsätzlich der Verbrauch aller fossiler Energieträger runtergefahren werden.
3. Die chinesische Führung ist zentrale Stütze des Putin-Regimes
Die wohl wesentlichste Stütze des Putin-Regimes ist die chinesische Parteidiktatur. Ohne ihre wirtschaftliche und politische Unterstützung könnte Putin seinen Zerstörungskrieg nicht lange durchhalten. Im Gegenzug dafür erhalten die Herrscher Chinas weiteren Einfluss in Zentralasien und Zugang zu russischer Hafeninfrastruktur. Chinas Ausfuhren von Transportequipment nach Russland stiegen im April 2024 auf einen historischen Höchststand und lagen 1000 % über dem Niveau vor der Großinvasion. [17]
Die russische Industrieproduktion hat sich von zivilen Gütern auf Waffen verlagert. Russland benötigt selbstverständlich weiterhin zivile Güter. Da springt China ein und liefert diese. Ohne diese Importe wäre das Putin-Regime nicht in der Lage, den Krieg fortzusetzen. China glich nach Kriegsbeginn den Rückgang der G7-Exporte nach Russland mehr als aus. China ist Putins wichtigster Partner, um den Krieg fortzusetzen.[18]
Wer glaubt, man müsse China überzeugen, damit es Druck auf Putin ausübe, einem Deal mit der Ukraine zuzustimmen, muss die Frage beantworten, welches Interesse China an einem Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine haben sollte. Die Herrscher Chinas profitieren von der aktuellen Situation. Sie erhalten günstige fossile Treibstoffe und andere Rohstoffe aus Russland sowie Zugang zu russischer Infrastruktur. Im Gegenzug können sie einen Teil ihrer Überproduktion nach Russland exportieren und somit das Problem der Überakkumulation abschwächen. Zugleich sind die Rivalen USA und in Europa politisch, materiell und militärisch in der Ukraine gebunden. Bis auf Weiteres ist diese Konstellation nicht zum Nachteil Chinas. Die USA und die EU sind aufgrund der eigenen Akkumulationsschwäche nicht in der Lage, China ein attraktives Angebot zu machen, so dass dieses die Allianz mit Russland überdenken würde.
4. EU-Staaten haben ihre LNG-Importe aus Russland gesteigert
Am 9. Juli 2025 richtete eine Allianz von über 100 europäischen und ukrainischen Organisationen wie Razom We Stand einen offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments.[19] Sie fordern völlig zu Recht ein Embargo russischen Gases bis Ende 2024.
„Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Krieges gehören die EU-Mitgliedstaaten durch den Handel mit fossilen Brennstoffen mit Russland (gefolgt von China und Indien) aufgrund unvollständiger Sanktionspakete mit Schlupflöchern und fehlender Durchsetzungsmechanismen nach wie vor zu den größten Beitragszahlern der russischen Kriegsmaschinerie. Die Schlupflöcher brachten dem Kreml schätzungsweise 1,13 Milliarden Euro an direkten Steuereinnahmen ein.
Die EU war im Mai der viertgrößte Abnehmer russischer fossiler Brennstoffe; ihre Einfuhren machten 13 % (1,9 Mrd. EUR) der fünf wichtigsten Abnehmer aus. Der größte Anteil der EU-Käufe fossiler Brennstoffe aus Russland entfiel auf Pipelinegas (45 %), gefolgt von Flüssiggas (27 %) und Rohöl über Pipelines (22 %). Diese Zahlen übersteigen die für die Ukraine geleistete Unterstützung.“
Im Juni 2024 waren die EU-Staaten zusammen der größte Importeur von russischem Flüssiggas. Sie kauften 54% alle russischen LNG-Exporte, gefolgt von China (22%) und Japan (18). Belgien, Spanien und Frankreich bezogen im Juni 2024 ausschließlich LNG aus Russland. Die Slowakei war innerhall der EU der größte Importeur russischer fossiler Brennstoffe und überwies für Rohöl 149 Mio. EUR und für Pipelinegas 82 Mio. EUR an die russischen Exporteure. Auf dem zweiten Platz ist Belgien, das für 223 Mio. EUR fossile Treibstoffe importierte, allerdings bloß Flüssiggas, gefolgt von Spanien mit 182 Mio. EUR und Frankreich mit 151 Mio. EUR ebenfalls für Flüssiggas. [20]
Die EU hat bislang 14 Sanktionspakete gegen Russland und das Putin-Regime verabschiedet.[21] Der Import von Steinkohle ist seit dem 11. August 2022 verboten, ebenso jener von russischem Erdöl auf dem Seeweg seit Dezember 2022. Schließlich folgte im Februar 2023 das Importverbot für raffinierte Erdölprodukte. Der Handel mit russischem Gas jedoch unterlag bis Juni 2024 keinerlei Sanktionen. Auf politischen Druck hin verschärfte die EU ihre Sanktionen am 24. Juni 2024 leicht. Das 14. Sanktionspaket der EU verbietet Umladedienste für russisches Flüssigerdgas (LNG) auf dem Gebiet der EU zum Zwecke der Umladung für Drittländer sowie Investitionen für die Fertigstellung von im Bau befindlichen LNG-Projekten. Die Bestimmungen treten aber erst am 26. März 2025 in Kraft und geben somit Russland und den involvierten Unternehmen viel Zeit sich neu zu orientieren. Bezeichnenderweise enthalten die Sanktionen aber kein Importverbot russischen Flüssiggases für Länder der EU. Das heißt, es gibt weiterhin keinerlei Importbeschränkungen für den eigenen Verbrauch.[22]
Da die EU-Staaten weiterhin Gas importieren wollen, hat die EU russisches Erdgas von den Sanktionen ausgenommen. Österreich auch in den ersten fünf Monaten von 2024 weiterhin über 90% seines Erdgases von Gazprom.[23] Um den Zahlungsverkehr für das Gas aufrechtzuerhalten, bleiben auch einige Banken von den Sanktionen ausgenommen. Infolgedessen wurden die Finanzströme nach Russland einfach über nicht-sanktionierte Banken umgeleitet.[24]
Im Jahr 2023 bezogen die EU-Staaten 30,3% des Erdgases aus Norwegen (87,8 Mrd. m³), 19,4% (56,2 Mrd. m³) aus den USA (nur LNG) und 14,8% aus Russland (8,7% bzw. 25,1 Mrd. m³ Pipelinegas und 6,1% bzw. 17,8 Mrd. m³LNG). Der Gasanteil aus Russland belief sich 2021 auf 40%. Das heißt, der Anteil des Pipelinegases sank zwar massiv, doch zugleich wurde Russland 2023 hinter den USA der zweitgrößte LNG-Lieferant der EU.[25]
Russland verdiente seit dem Großangriff gegen die Ukraine weiterhin viele Milliarden Euro mit dem Export von fossilem Gas in die EU. In den zwei Jahren seit dem 24. Februar 2022 haben die EU-Staaten den Import von Flüssiggas aus Russland sogar deutlich auf 31,4 Millionen Tonnen (Mt) gesteigert. In den zwei Jahren vor Beginn der Großinvasion waren es lediglich 23,3 Mt.
Im ersten Quartal 2024 gingen 90% des Erdgases der Halbinsel Yamal in der russischen Arktis in die EU oder wurden in EU-Staaten umgeladen. Haupteinfuhrhäfen des russischen Flüssiggases sind Zeebrugge in Belgien, Montoir und Dunkerque in Frankreich, Bilbao, Mugardos, Huelva, Sagunto, Barcelona und Cartagena in Spanien sowie in geringerem Maße Rotterdam. Hier wird das Gas umgeladen oder gasifiziert durch Pipelines an weitere Zielländer geliefert.[26] Insbesondere Belgien und Spanien haben ihre Flüssiggasimporte massiv ausgeweitet.
Die internationale NGO Global Witness dokumentierte kürzlich das Ausmaß des Handels mit russischem Flüssiggas in Zeebrugge und Dunkerque anhand von Daten des Handelsanalyseunternehmens Kpler.[27] Der belgische Gaskonzern Fluxys trug seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 dazu bei, russisches Flüssiggas im Wert von schätzungsweise 10,7 Milliarden Euro zu exportieren. Die LNG-Terminals von Fluxys in Zeebrügge und Dunkerque haben seit der Invasion am 24. Februar 2022 22,1 Milliarden Kubikmeter russisches LNG erhalten. Mehr als ein Drittel des von Fluxys in Zeebrügge und Dünkirchen in diesem Zeitraum umgeschlagenen LNG kam aus Russland. Dies lässt darauf schließen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen des Unternehmens aus der Erbringung von Dienstleistungen für LNG-Verlader aus russischen Ladungen stammt.
94 % der russischen Exporte, die Fluxys in diesem Zeitraum abwickelte, stammten aus dem Yamal-LNG-Produktionsprojekt in Nordwestsibirien. Yamal befindet sich mehrheitlich im Besitz des russischen Unternehmens Novatek und zu 20 % im Besitz des französischen Unternehmens TotalEnergies. Fluxys schloss 2015 mit Yamal einen langfristigen Vertrag über die Wartung von Ladungen mit russischem LNG ab. Dieser beinhaltet auch die Lagerung des Brennstoffs und den Transfer von Schiff zu Schiff, was die Weiterfahrt in Drittländer erleichtert. Der Vertrag garantiert Fluxys Zahlungen aus dem Yamal-Projekt in Höhe von 1 Milliarde Euro über einen Zeitraum von 20 Jahren, selbst wenn das Unternehmen keine LNG-Ladungen von Yamal erhält.
Eine frühere Untersuchung von Global Witness ergab, dass das von beiden Unternehmen produzierte Gas mit russischen Militärlieferketten verbunden war. Novatek, dessen CEO ein enger Verbündeter von Wladimir Putin ist, wird beschuldigt, Söldner für die russische Armee in der Ukraine zu rekrutieren und zu bezahlen.
Für Russland sind die LNG-Exporte in die EU wichtig zur Finanzierung des Krieges und der enormen Investitionen von Novatek in den Ausbau der LNG-Infrastruktur. Russland will ein Global Player im LNG-Geschäft werden und den LNG-Export bis zum Jahr 2030 verdreifachen. Sebastian Rötters von Urgewald schreibt zurecht: „Die EU macht sich hier zum willigen Handlanger des russischen Regimes und ermöglicht durch diese Kooperation einen Großteil der Yamal-Exporte nach Asien.“
Russlands wichtigster LNG-Produzent Novatek ist weitgehend auf die Exportmöglichkeiten nach Europa angewiesen und Gazprom hat Schwierigkeiten genügend andere Abnehmer für sein Pipelinegas zu finden. Der Gasverbrauch in der EU ging in den letzten zwei Jahren deutlich zurück. [28] Die Einspar- und Reduktionspotentiale sind groß. Um die CO2– und Methan-Emissionen zu reduzieren, muss der Verbrauch von Erdgas ohnehin runtergefahren werden.
Die deutsche Politik „für“ die Ukraine ist besonders scheinheilig und inkonsequent. Deutschland hat härtere Sanktionen gegen Russland stets abgelehnt und bekräftigte diese Haltung bei den Verhandlungen für das 14. Sanktionspaket der EU. Andere Verhandlungsführer:innen bezeichneten Deutschland als das „neue Ungarn“, also als eine Art Verteidiger russischer Interessen.[29] Selbstverständlich verteidigt das deutsche Kapital damit seine eigenen Interessen. Es verfügt immer noch über riesige Vermögenswerte in Russland und will verhindern, dass Russland diese beschlagnahmt. Wie andere Staaten versucht auch Deutschland die Energiekosten niedrig zu halten. Importbeschränkungen aus Russland widersprechen diesem Ziel.
Insgesamt bezog Deutschland 2023 das meiste Erdgas (ohne LNG) aus Norwegen mit einem Anteil von 43 %. An zweiter und dritter Stelle folgten die Niederlande (26 %) und Belgien (22 %). Die größten LNG-Lieferanten Deutschlands im Jahr 2023 waren die USA (79 %), Angola (9 %), Trinidad und Tobago (4 %) und Norwegen (4 %). Doch ein genauer Blick ergibt, dass ein erheblicher Teil des Pipelinegases aus Belgien ursprünglich russisches Flüssiggas war, das in belgischen Häfen wieder gasifiziert und in Pipelines geleitet wurde. Die belgische Umwelt-NGO Bond Beter Leefmilieu schätzt den Anteil des russischen LNG an den gesamten Gaslieferungen von Belgien nach Deutschland für das Jahr 2022 auf 6 bis 11%. Dieser Anteil stieg 2023 deutlich an, da der Hafen Zeebrugge 41% mehr russisches LNG umschlug, die nach Deutschland exportierte Menge aber etwa stabil blieb.[30]
Eine intensive Energiepartnerschaft mit Russland betreibt auch Frankreich, und zwar im Nuklearbereich. Das staatliche russische Unternehmen Rosatom ist weltweit der größte Anbieter von angereichertem Uran und verfügt über einen Anteil von 44% an den weltweiten Anreicherungskapazitäten. Die Exporte beliefen sich 2023 schätzungsweise auf 2,7 Milliarden USD. Rund 30% des von Unternehmen und Staaten der EU und 23% des von US-Unternehmen gekauften angereicherten Urans stammen von Rosatom. Zugleich weiteten sich die Exporte nach China massiv aus. Frankreich ist mit seinen 56 Kernkraftwerken einer der größten Kunden von Rosatom.[31] Frankreich importierte 2022 von Russland angereichertes Uran im Wert von 359 Millionen Euro. [32] Umgekehrt steckt in den Kernkraftwerken, die Rosatom exportiert eine gehörige Portion französische Technologie. Das betrifft Steuerungs- und Kontrollsysteme der Firma Framatome, die sich in Mehrheitsbesitz des staatlichen französischen Konzerns EDF befindet.[33]
5. Fossile Treibstoffe aus Russland boykottieren und generell aussteigen
Die EU, die nationalen Regierungen, ganz besonders die deutsche und österreichische, setzen sich dafür ein, dass weite Teile des Kapitals weiterhin wesentlich die fossilen Erweiterungsinvestitionen in Russland mitfinanzieren. Sie füttern mit ihrem Bezug russischen Erdgases Putins Kriegskasse. Die Gasverbraucher:innen tun das auch, unfreiwillig und unbewusst. Mit ihrer Tolerierung des (teilweise nur scheinbar) indirekten Exports nach Russland sorgen sie dafür, dass Russland etwa ein Drittel seines Importvolumens aus der EU vor Kriegsbeginn trotz Krieg und Handelssanktionen weiterhin realisieren kann.
Weder in der gesamten EU noch in Deutschland und in Österreich werden diese Sachverhalte von den Gewerkschaften und der klassischen Linken aufgegriffen. Frappierend ist die Situation in Österreich, wo Anfang 2024 über 90% des Gases aus Russland stammten. Die Co-Finanzierung des russischen Krieges gegen die Ukraine durch die Gasverbraucher:innen ist trotz zahlreicher Medienberichte bislang kaum ein Thema der politischen Auseinandersetzung geworden. Die Klimabewegung ist leider überall aus dem Tritt gekommen und vermag derzeit die Kräfteverhältnisse nicht zu verändern. Der Import von LNG aus den USA wird zurecht kritisiert, kaum aber der Bezug von Pipeline- und Flüssiggas aus Russland. Im Energiebereich scheint sich eine langjährige implizite Überschneidung der Interessen bestimmter Kapitalfraktionen mit einer geopolitisch geprägten Interpretation der „Weltlage“ von Teilen des linken Spektrums und dem klassenübergreifenden Wunsch nach billigen Energieträgern ergeben zu haben, die bis heute andauert. Diese stille –unökologische und unsolidarische – Interessensgemeinschaft hat zu einer breiten Tolerierung fossiler Treibstoffe aus Russland geführt.
Bei den Wirtschaftssanktionen gegen Exporte nach Russland besteht eine ähnlich breite nationale Einigkeit zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals und weiten Teilen der Linken. Das Kapital stellt sich nur selektiv politisch offen gegen die Sanktionen, umgeht und hintertreibt diese aber im Einverständnis mit den Regierungen wirksam. Etliche Linke sprechen sich mit dem Argument gegen Sanktionen aus, dass diese Teil eines imperialistischen Wirtschaftskrieges gegen Russland seien, letztlich aber vor allem der heimischen Wirtschaft und damit auch den Lohnabhängigen schadeten. In diesem Zusammenhang ist angebracht, sich die politischen und wirtschaftlichen Wirkungen des sehr diversen und facettenreichen Boykotts gegen das rassistische Regime Südafrikas in den 1970er und 80er Jahren in Erinnerung zu rufen.
Zum Abschluss mache ich nochmals auf den Aufruf verschiedener Nichtregierungsorganisationen aus der Ukraine für ein vollständiges Embargo des Imports fossiler Energieträger aus Russland aufmerksam. Svitlana Romanko, Gründerin und Direktorin von Razom We Stand, bekräftigt diese Forderung:
„Wir können nicht zulassen, dass europäische Blutgelder weiterhin die Zerstörung der Ukraine und den scheinbar endlosen Verlust unschuldiger Menschenleben finanzieren, wie wir es letzte Woche bei der tragischen Bombardierung des Okhmatdyt-Kinderkrankenhauses in Kiew gesehen haben. Mit der Verhängung eines vollständigen Embargos von Importen fossiler Brennstoffe aus Russland, insbesondere von Flüssiggas, bis Ende 2024 kann das Europäische Parlament endgültig gegen Putins Kriegsmaschinerie Stellung beziehen und wichtige Schritte zur Erreichung der globalen Energiesicherheit und der Klimaziele machen. Wir müssen jetzt handeln, um sicherzustellen, dass das Geld der Steuerzahler der EU-Mitgliedstaaten nicht weiterhin Kriegsverbrechen und die sich verschlimmernde Klimakrise finanziert“ [34]
Der Forderung nach einem Stopp des Bezugs fossiler Energieträger – sowie angereicherten Urans – aus Russland sollten sich die Klimabewegung, Gewerkschaften und linke Organisationen anschließen. Ihre breite Abstützung wäre ein starkes Zeichen der Solidarität mit den angegriffenen Menschen in der Ukraine. Diese Forderung bringt die Klimabewegung in ganz Europa zusammen und verbindet sie mit den Solidaritätsinitiativen für den ukrainischen Widerstand. Ein breites europaweites Bündnis kann sie durchsetzen. Das würde Putins Kriegsmaschinerie schwächen und wäre eine wichtige Hilfe für den ukrainischen Widerstand. Diese Forderung ist zu verbinden mit der Orientierung auf eine generelle Überwindung der fossilen Wirtschaft.
Literatur & Referenzen
Bildquelle: Foto von Parvesh Kumar auf Unsplash
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[2] Brooks, Robin 7. Mai 2024 on X, https://x.com/robin_j_brooks/status/1787879237120086510
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[4] Brooks, Robin 2. Dezember 2023 on X, https://x.com/robin_j_brooks/status/1731003784027939181
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[6] Conway, Ed (2024): British firms’ exports are almost certainly bolstering Russia’s war machine in Ukraine, Sky data analysis finds. sky news. https://news.sky.com/story/british-firms-exports-are-almost-certainly-bolstering-russias-war-machine-in-ukraine-sky-data-analysis-finds-13077660 Zugriff: 16 July 2024; EdConwaySky, 21. Februar 2024 on X https://x.com/EdConwaySky/status/1760348210193703188
[7] Brooks, Robin 16. Juli 2024 on X, https://x.com/robin_j_brooks/status/1813311120335335853
[8] Brooks, Robin 29. Mai 2024 on X, https://x.com/robin_j_brooks/status/1795801019244228658
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[9] Brooks, Robin 28. Mai 2024 on X, https://x.com/robin_j_brooks/status/1795552945586495985
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[17] Brooks, Robin 19. Mai 2024 on X https://x.com/robin_j_brooks/status/1792214576617955700
[18] Brooks, Robin 14. Juli 2024 on X https://x.com/robin_j_brooks/status/1812514378043850800
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[20] Katinas, Petras (2024): June 2024 — Monthly analysis of Russian fossil fuel exports and sanctions, 12 July, CREA Centre for Research on Energy and Clean Air: Helsinki. https://energyandcleanair.org/june-2024-monthly-analysis-of-russian-fossil-fuel-exports-and-sanctions/ Zugriff: 22 July 2024.
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[29] FAZ (2024): Kanzleramt bremst bei neuen Russland-Sanktionen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni. https://www.faz.net/aktuell/politik/ukraine/russland-sanktionen-der-eu-das-kanzleramt-tritt-auf-die-bremse-19787876.html Zugriff: 14. Juni 2024.
[30] Urgewald (2024): 2 Jahre russischer Überfall: Deutschland füllt weiter Putins Kriegskasse, 22. Februar. https://www.urgewald.org/medien/2-jahre-russischer-ueberfall-deutschland-fuellt-putins-kriegskasse Zugriff: 15. Juli 2024.
[31] Ridgwell, Henry (2024): West Reliant on Russian Nuclear Fuel Amid Decarbonization Push. Voice of America, March 26. https://www.voanews.com/a/west-reliant-on-russian-nuclear-fuel-amid-decarbonization-push-/7543132.html
[32] Dolzikova, Darya (2023): Catch-235: Western Dependence on Russian Nuclear Supplies is Hard to Shake. 12 April, Royal United Services Institute (RUSI) https://rusi.org/explore-our-research/publications/commentary/catch-235-western-dependence-russian-nuclear-supplies-hard-shake
[33] Jack, Victor (2023): French-Russian nuclear relations turn radioactive. POLITICO April 20. https://www.politico.eu/article/french-russian-nuclear-relations-radioactive-rosatom-sanctions/
[34] B4Ukraine, July 15, 2024: European Union must end Russian fossil fuel imports. https://b4ukraine.org/whats-new/eu-must-ban-russian-gas-and-oil