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Ökosozialistische Perspektiven und Gesellschaftsentwürfe werden seit mehreren Jahrzehnten diskutiert. Doch wie können ökosozialistische Übergänge aussehen? Auf welche Herausforderungen, Widersprüche und Risiken würden sie wahrscheinlich stoßen? Und wie können Ökosozialist:innen und verbündete Bewegungen am besten strategisch vorgehen, um diesen zu begegnen? Der vorliegende Artikel versucht diese Fragen zu beantworten, indem er vier verschiedene Übergangsszenarien vorstellt und deren mögliche Dynamiken, Konflikte und Mechanismen erörtert.
Eine wichtige Aufgabe für Ökosozialist:innen ist es, aussagekräftige Entwürfe für glaubwürdige ökosozialistische Zukünfte zu entwickeln. Dies erfordert theoretisch und empirisch fundierte Überlegungen zu möglichen Konstellationen des kapitalistischen Zusammenbruchs in einem Zeitalter sich überschneidender ökologischer, finanzieller, energetischer, ernährungsbezogener und geopolitischer Krisen. Es braucht Überlegungen zu den Organisationsstrategien und Mechanismen des Umbruchs, durch die Ökosozialist:innen die Zentrumsstaaten erfolgreich in eine ökosozialistische Richtung transformieren könnten. Und nicht zuletzt ist es nötig, einen fundierten Blick auf die spezifischen Hindernisse, Herausforderungen und Formen der Gegenreaktion, mit denen diese Bewegungen in unterschiedlichen Kontexten konfrontiert wären, zu werfen. Marxistische Analysen postkapitalistischer Zukünfte waren schon immer unzureichend entwickelt – was zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass Marx und Engels ihr Augenmerk eher darauf legten, die Widersprüche der Gegenwart zu analysieren, als über die Gestalt zukünftiger Entwicklungen zu spekulieren – und diese Tendenz ist auch in der wachsenden Literatur zum Ökosozialismus und den mit ihm verbündeten Degrowth-Bewegungen offensichtlich.
Zweifelsohne haben sich Ökosozialist:innen in letzter Zeit verstärkt damit befasst, postkapitalistische Zukünfte zu erforschen, was eine wachsende Abkehr vom traditionellen marxistischen Tabu der utopischen Spekulation signalisiert. Doch die bestehenden Ansätze weisen nach wie vor erhebliche Schwächen und Grenzen auf.
Erstens neigen diese Ansätze dazu, sich bei der Vorstellung ökosozialer Alternativen auf den idealen Endpunkt der ökosozialen Transformation zu konzentrieren und nicht auf den Übergangsprozess. Es ist so gut wie unbestritten, dass ökosozialistische Revolutionen eine langwierige Übergangsphase mit sich bringen, in der die entstehende Ordnung “noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt”, wie Marx es ausdrückt [1]. Den möglichen Dynamiken, Konflikten und Mechanismen des (r)evolutionären Umbruchs während der Übergangsperiode wird jedoch weit weniger Beachtung geschenkt als dem utopischen Endzustand, obwohl diese zweifellos dringendere Aufmerksamkeit erfordern [2].
So konzentrieren sich Troy Vettese und Drew Pendergrass in ihrer Skizze des «Half-Earth Socialism» ausschließlich darauf, was nach der sozialistischen Weltrevolution geschieht, während sie wenig bis gar nichts darüber sagen, wie wir dorthin gelangen [3]. In ähnlicher Weise konzentrieren sich Chris Williams und Fred Magdoff auf das erhoffte utopische Ziel – eine Welt, in der “Nationalstaaten und nationale Grenzen verschwinden und durch regionale Vereinigungen ersetzt werden, die nationale Grenzen nicht mehr kennen” -, ohne zu erörtern, wie eine solche Welt zustande kommen könnte und welche Hindernisse dem entgegenstehen [4]. Einige, wie Joel Kovel, schenken dem revolutionären Prozess mehr Aufmerksamkeit, allerdings auf eine Art und Weise, die an magisches Denken grenzt: In seinem Szenario schließen sich “Zehntausende von lokalen und regionalen Experimenten” zu einer weltweiten Revolution zusammen, alternative Versorgungssysteme organisieren sich spontan selbst, um die Bedürfnisse der Aktivist:innen zu befriedigen, und nationale Armeen und Polizeikräfte laufen massenhaft über, um sich der Revolution anzuschließen, weil die Aktivist:innen sich “geistig überlegen” verhalten [5]. Im Gegensatz dazu brauchen wir realistischere Szenarien und Theorien des Übergangs, die eine ökosozialistische Strategie leiten können.
Zweitens denken Ökosozialist:innen und Degrowth-Anhänger:innen selten über eine implizite Konfliktlinie innerhalb ihrer Programme nach: zwischen der Forderung, dass ökosoziale Übergänge im globalen Norden mit einer Reduzierung des gesamten Material-Energie-Durchsatzes einhergehen müssen und dass sie gleichzeitig durch “demokratische Planung” gestaltet werden müssen. Kurz gesagt, was ist, wenn die Bevölkerungen der reichen Welt dem Degrowth nicht demokratisch zustimmen? Michael Löwy, zum Beispiel, wirft nicht die Frage auf, ob es ein Spannungsverhältnis zwischen partizipativer Planung und den (implizit nicht verhandelbaren) biosphärischen Grenzen gibt, innerhalb derer ökosozialistische Gesellschaften den Konsum einschränken müssen [6]. Auf der Gegenseite argumentiert Matthew Huber, dass Degrowth unmöglich die Grundlage für eine mehrheitsfähige gegenhegemoniale Politik im globalen Norden sein kann. In seinen Worten: “Es ist nicht klar, wie ein politisches Programm, dessen übergeordnetes Narrativ mit «weniger» einhergeht, die große Mehrheit der Gesellschaft ansprechen soll, die bereits täglich damit zu kämpfen hat, immer weniger zum Überleben zu haben” [7]. Befürworter:innen eines ökosozialistischen Degrowth müssen sich dieser Herausforderung stellen. Wie Hubert Buch-Hansen es ausdrückt: “Das Degrowth-Projekt genießt bei weitem nicht das Ausmaß und die Art der Zustimmung, die es braucht, wenn seine Programme durch demokratische Verfahren umgesetzt werden sollen” [8]. Doch anstatt sich mit den möglichen Spannungsfeldern zwischen Demokratie und biosphärischen Grenzen auseinanderzusetzen, weicht Huber ihnen aus, indem er letztere völlig ignoriert. Stattdessen brauchen wir eine gründlichere und ehrlichere Diskussion über verschiedene mögliche Wege zum Ökosozialismus, über die Zielkonflikte, die sie mit sich bringen würden, und darüber, wie diese Zielkonflikte in der Praxis kreativ gelöst werden könnten.
Zu diesem Zweck, so argumentiere ich, brauchen wir einen “realistisch-utopischen” Ansatz, der die Frage nach möglichen ökosozialistischen Zukünften systematischer angeht – insbesondere die Übergangsprozesse, Mechanismen und Strategien, durch die sie hervorgebracht werden könnten; die Trade-offs, mit denen sie konfrontiert wären; und die Risiken, die ökosozialistische Bewegungen antizipieren müssen [9]. Dieser Ansatz ist zum Teil von Erik Olin Wright inspiriert, der vorschlägt, dass wir eine “Theorie der strukturellen Möglichkeiten” brauchen, die sowohl die “möglichen Ziele” ausgehend von der gegenwärtigen Konjunktur hin zum (Öko-)Sozialismus aufzeigen kann, als auch “alternative Routen”, die uns dorthin bringen könnten, um eine langfristige Strategie der sozialen Transformation zu entwickeln [10]. Das Konzept ist auch von der Tradition der Zukunftsforschung beeinflusst, die wahrscheinliche, mögliche und wünschenswerte Zukünfte erforscht, um strategische Planung in der Gegenwart zu untermauern [11]. Praktisch jede mächtige Akteurin in der heutigen Welt – seien es Regierungen, Unternehmen, Militärs, Banken usw. – betreibt eine Form der strategischen Vorausschau, um die Konturen der Zukunft zu antizipieren und zu beeinflussen. Es wäre töricht, wenn Ökosozialist:innen und verbündete Bewegungen nicht dasselbe täten.
Aufbauend auf meiner früheren Arbeit zum ökosozialistischen Realismus [12] sowie auf meinem in Kürze erscheinenden Buch über die globale Polykrise und postkapitalistische Zukünfte [13] werde ich im Folgenden eine Reihe von Szenarien skizzieren, um abzuschätzen, wie ökosozialistische Übergangsprozesse aussehen könnten und mit welchen Herausforderungen und Trade-offs sie voraussichtlich einhergehen würden. Dabei erhebe ich keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit: Der zukünftige Möglichkeitsraum ist unerschöpflich komplex, aber wir können eine Reihe möglicher “idealtypischer” Szenarien identifizieren, die eine Grundlage für weitere Diskussionen und strategische Analysen darstellen können. Ich werde mich hauptsächlich auf ein Szenario konzentrieren, das ich “ökosozialistische Degrowth-Metamorphose” nenne [14]. In diesem Szenario erwachsen Ökosozialismus und Degrowth nicht aus einem entschlossenen revolutionären Bruch – ein äußerst unwahrscheinliches Szenario im globalen Norden angesichts der Stärke, der Legitimität und der allgegenwärtigen Sicherheitsapparate der “liberalen” demokratischen Staaten -, sondern aus einem chaotischen und langwierigen Übergangsprozess, in dem die Kombination aus Aufständen der Basis von unten und radikalisiertem Krisenmanagement der Eliten von oben die reichen Länder in eine zunehmend ökosozialistische Richtung drängt [15].
Dieses Szenario dient nicht dazu, unsere Hoffnungen auf eine ideale Zukunft zu befriedigen – in der Tat wäre es bei weitem nicht perfekt, und anhaltende Ungerechtigkeiten würden als ständige Quelle von Kämpfen fortbestehen -, sondern es soll eine realistischere Vorstellung davon vermitteln, wie so etwas wie ein ökosozialistisches Degrowth angesichts der gegenwärtigen Konstellation von sich verschärfenden Systemkrisen und einer immer noch historisch schwachen (wenn auch stetig erstarkenden) antikapitalistischen Linken entstehen könnte. Dieses Szenario nimmt an, wie William Robinson es beschreibt, dass der Ökosozialismus aus den Bemühungen den Kapitalismus durch radikalisierte grün-keynesianische oder Green New Deal-Strategien zu reformiern,”lawinenartig hervorgehen” könnte [16]. Anschließend werde ich kurz drei weitere mögliche Wege zum Ökosozialismus skizzieren: einen kurzfristigen (d. h. zwischen 2030 und 2045) “ökomodernistischen Sozialismus”, der sich auf technologische Innovationen stützt, um die gegenwärtigen Konsumweisen aufrechtzuerhalten, ein langfristiges (d. h. nach der Mitte des Jahrhunderts) “Rettung durch Degrowth”-Szenario, in dem sich Inseln von Degrowth-Gesellschaften inmitten eines breiteren Zusammenbruchs des kapitalistischen Weltsystems selbst erhalten, und ein längerfristiges Szenario des “rettenden ökomodernistischen Sozialismus”, in dem technologische Innovation und Geoengineering dazu beitragen, sozialistische Gesellschaften unter den Bedingungen einer sich verschärfenden Klimakrise und des ökologischen Zusammenbruchs zu erhalten.
Ökosozialistische Degrowth-Metamorphose
Ich gehe davon aus, dass ökosozialistische Degrowth-Übergänge am wahrscheinlichsten durch Übergangsprogramme eines radikalisierten grünen Keynesianismus eingeleitet werden könnten. Wie ich in meinem demnächst erscheinenden Buch zeige, wird das kapitalistische Weltsystem in den späten 2020er oder frühen 2030er Jahren wahrscheinlich mit noch nie dagewesenen und sich gegenseitig verstärkenden Klima-, Energie-, Inflations- und Finanzkrisen konfrontiert werden [17]. Der Grund dafür ist, dass die aktuellen Maßnahmen auf die geopolitische, energiewirtschaftliche und ernährungspolitische Krise 2022-23 (u.a. verstärkte Investitionen in erneuerbare Energien und fossile Infrastruktur, die Rückholung und Verlagerung in «befreundete Länder» von Lieferketten für erneuerbare Energien und Halbleiter, der verschleppte Umbau hin zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem unter Vorgabe von “Ernährungssicherheit” und die Erhöhung der Zinssätze) die der Krise zugrunde liegenden Widersprüche eher verdrängen als auflösen. Wenn links-grüne Bewegungen schwach bleiben, dann werden die herrschenden Antworten auf diese Krisen wahrscheinlich kaum mehr als dürftige Reformen bieten, die die Infrastruktur für fossile Brennstoffe weiter ausbauen und die kapitalistische Macht zementieren. Wenn sich diese Basisbewegungen jedoch zunehmend gut organisieren, koordinieren und populär werden, dann könnte dies die Wahl linker Regierungen ermöglichen, die radikalere grüne keynesianische oder “Green New Deal (GND)”-Programme umsetzen. Diese können progressive CO2-Steuern und Klimageld, Moratorien für neue Lizenzen zur Förderung fossiler Brennstoffe, höhere öffentliche Ausgaben für die Infrastruktur erneuerbare Energien, stärkere soziale Sicherheitsnetze, ein besserer Arbeitsschutz und mehr Mitspracherechte sowie in einigen Fällen die Verstaatlichung fossiler Unternehmen und Stromversorger beinhalten.
Wie also könnte sich dieses Szenario in Richtung ökosozialistisches Degrowth weiterentwickeln? Während GNDs von Ökosozialist:innen oft kritisch bewertet wurden, werden sie von anderen zu Recht als vielversprechende Übergangsprogramme angesehen, die zu einer Senkung der Emissionen führen und gleichzeitig die Position der Arbeiter:innen gegenüber dem Kapital verbessern könnten [18]. Die Befürworter:innen erläutern jedoch nicht, wie die GNDs die Bedingungen für eine längerfristige postkapitalistische Transformation schaffen könnten.
Als möglichen Wirkmechanismus deutet für mich vieles darauf hin, dass die GNDs die Widersprüche des globalen Kapitalismus in einer Ära sich gegenseitig verstärkender Krisen eher vertiefen als lösen, was zu einer langanhaltenden Periode stagnierenden Wachstums und umfassender Inflation führt. Dafür gibt es mindestens drei Gründe. Erstens werden ambitioniertere klimapolitische Maßnahmen sehr wahrscheinlich inflationssteigernde Auswirkungen haben, indem sie vormals vernachlässigte “externe Kosten” “internalisieren”, wodurch kurzfristig höhere Kosten für Verbraucher:innen und Unternehmen entstehen (z. B. für den Aufbau von Stromspeicher- und -übertragungsinfrastrukturen, die Nachrüstung von Häusern, den Austausch von Gaskesseln gegen Wärmepumpen) und zugleich die Nachfrage nach Mineralien für die Energiewende in einem Ausmaß ansteigen lässt, die das Angebot übersteigt (wie die Internationale Energieagentur prognostiziert) [19].
Insbesondere die Energiekosten könnten in dieser Zeit erheblich steigen, da ein erheblicher Teil der Energie und des Kapitals von anderen Wirtschaftssektoren auf Aktivitäten im Zusammenhang mit der Energiewende verlagert werden muss (z. B. Herstellung von Solarmodulen, Windturbinen und Batterien, Installation neuer Energieanlagen, Abbau der erforderlichen Rohstoffe, Ausbau energieineffizienter Kohlenstoffabscheidung und grüner Wasserstoffanlagen) [20]. Das Ergebnis wird wahrscheinlich ein “grüner Inflationsschock” sein, der sich auf ein breites Spektrum von Verbrauchspreisen in der gesamten Weltwirtschaft auswirkt. Zweitens dürften die derzeitigen Tendenzen zur Rückverlagerung von Lieferketten und zur Priorisierung einer umweltfreundlichen Industriepolitik die Verhandlungsmacht der Arbeiter:innen im globalen Norden stärken, so dass sie Forderungen nach höheren Löhnen durchsetzen können [21]. Das liegt daran, dass die Flexibilität des Kapitals bei der Suche nach Arbeitsarbitrage eingeschränkt wird; der anhaltende Arbeitskräftemangel in “grünen” und anderen Branchen wird die Macht der Beschäftigten zusätzlich stärken. Die Kapitalist:innen reagieren auf solche Schwierigkeiten bereits mit Investitionen in die Automatisierung [22], doch vor dem Hintergrund des langsamen Fortschritts bei KI und Robotik wird es wahrscheinlich zumindest ein Zeitfenster stärkerer Arbeiter:innenmacht geben, um radikalere Zugeständnisse zu fordern ( das bedeutet, in Verbindung mit immer stärker organisierten und kohärenten Allianzen zwischen Arbeiter:innen, Gewerkschaften und Umweltaktivist:innen). Drittens werden die – wiederum sowohl durch die Klimapolitik als auch durch die Rückverlagerungen angetriebenen – Bestrebungen in der EU und den USA die Infrastruktur für erneuerbare Energien und den heimischen Bergbau auszubauen zu verstärktem Widerstand in den lokalen Gemeinden führen. Der Widerstand gegen Solar- und Windparks, Lithium- und Seltene-Erden-Minen sowie neue Stromtrassen ist in Europa und den USA schon jetzt stark ausgeprägt [23]. Wenn sich die Energiewende beschleunigt und weiterhin in einer Art und Weise vorangetrieben wird, die lokale Bedenken nicht berücksichtigt, könnte dies zu einer Quelle sich verschärfender populistischer Unruhen werden.
Ökosozialist:innen und verbündeten Bewegungen müssen diese Herausforderungen antizipieren. Deren Zusammenwirken könnte die grün-keynesianischen Ansätze zu Stagnation und Rückschritt verdammen. Aber wenn diese Herausforderungen mit der Stärkung links-grüner Kräfte von unten einhergehen, könnten sie auch die Bedingungen für einen radikaleren Umbruch schaffen. Immerhin wird in den späten 2020er und 2030er Jahren die Verschärfung des Klimanotstandes für die meisten Menschen immer offensichtlicher werden. Vor diesem Hintergrund werden links-grüne Bewegungen in einer starken Position sein, um zu argumentieren, dass das Problem nicht die Energiewende selbst ist, sondern die Art und Weise, wie sie unter kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen umgesetzt wird. Sie werden in der Lage sein zu argumentieren, dass das Problem nicht die Klimapolitik ist, sondern eine Wirtschaft, in der das Leben zuallererst «etwas kostet» und in der zentrale Entscheidungen über lebenswichtige Infrastrukturen von nicht rechenschaftspflichtigen Eliten getroffen werden [24]. Bei Bevölkerungsgruppen, die unter wiederholten Lebenskostenkrisen leiden, könnten solche Narrative auf größere Resonanz stoßen und es links-grünen Bewegungen ermöglichen, eine breitere Unterstützung für eine radikale ökosoziale Politik zu gewinnen – einschließlich universeller öffentlicher Dienstleistungen und/oder eines Grundeinkommens, der Ablöse des Bruttoinlandsprodukts durch alternative Wirtschaftsindikatoren, die sich auf das «Wohlergehen» konzentrieren, und eines stärkeren kollektiven oder öffentlichen Eigentums an der Energieinfrastruktur (ein wesentlicher Ansatz, um die Unterstützung von ansonsten skeptischen lokalen Gemeinschaften zu gewinnen).
Auf diese Weise könnte eine Krise des grünen Keynesianismus – in Verbindung mit einer Stärkung der Basisbewegungen – die Voraussetzungen für eine tiefgreifendere postkapitalistische Transformation schaffen. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass dies zwangsläufig zu einer Wachstumsrücknahme im globalen Norden führen würde. Wir können die Hypothese aufstellen, dass in einer besonders tiefen und schweren Krise des grünen Keynesianismus – z.B. wenn sich die Energie- und Mineralienknappheit als unlösbar oder endgültig erweist, wie pessimistische Einschätzungen zur Energiewende voraussagen [25] – dies eher zu Degrowth im Ergebnis führen würde. Wenn, wie E.O. Wright sagt, “der Kapitalismus in eine anhaltende Periode einer endemischen Krise mit der langfristigen Aussicht auf eine Verschlechterung eintritt” [26], dann werden die meisten Menschen in der Tat mit tiefen Einschnitten beim Verbrauch und bei ihrem Lebensstandard konfrontiert sein. In einem solchen Szenario würden wahrscheinlich immer mehr Menschen die Aussicht auf mehr wirtschaftliche Sicherheit im Austausch für eine Reduzierung des privaten Konsums – insbesondere des Fleischkonsums, des Flugverkehrs, des privaten Autobesitzes und des Stromverbrauchs – für sinnvoll erachten. Aber im Falle einer weniger schwerwiegenden Krise, in der durch Fortschritte im Bereich der erneuerbaren Energien und des Recyclings eine schwerwiegende Energie- und Mineralienknappheit abgewendet werden kann, und somit die heutigen Konsumgewohnheiten für die Mittelschichten des globalen Nordens erreichbar bleiben, würde Matthew Hubers ökomodernistische sozialistische Politik des “Mehr” wohl eher zum Durchbruch kommen [27]. Freilich können wir keine deterministischen Behauptungen über die technologische Entwicklung und die Schwere künftiger Krisen aufstellen. Wie schon heute wird es innerhalb der links-grünen Bewegungen widerstreitende Fraktionen geben – die einen treten für Degrowth ein, die anderen für einen linken Ökomodernismus -, und die letztendliche Entwicklung der sich herausbildenden Ökosozialismen wird von den anhaltenden gegenhegemonialen Kämpfen bestimmt werden: erstens und vor allem zwischen den links-grünen Kräften und den herrschenden Klassen; und zweitens zwischen den verschiedenen Fraktionen der links-grünen Bewegungen, die um die Gunst der Menschen kämpfen.
Während eine verschärfte Krise des Grünen Keynesianismus dem ökosozialistischen Degrowth zwar zuträglich sein kann, würde sie zugleich auch die akute Gefahr einer Gegenreaktion von rechts mit sich bringen. Daraus ergeben sich Herausforderungen für die Linke: Während wir kurzfristig für einen radikalisierten grünen Keynesianismus oder GNDs kämpfen müssen, haben wir uns auf die möglichen Krisen und Formen der Gegenreaktion vorzubereiten, auf die diese Programme höchstwahrscheinlich stoßen würden. Auf diese Weise werden ökosozialistische Bewegungen besser in der Lage sein, sich im Kampf um die Meinungsmacht gegen reaktionäre Erzählungen durchzusetzen, die unweigerlich Umweltaktivist:innen und Klimapolitik für die Inflation und Arbeitslosigkeit verantwortlich machen werden. Stattdessen müssen wir die breite Öffentlichkeit davon überzeugen, dass das Hauptproblem eine Wirtschaft ist, die sich auf endloses Wachstum stützt, und dass die Lösung darin besteht, eine gerechtere postkapitalistische Wirtschaft zu erschaffen, die nachhaltigen Wohlstand ohne Wachstum anstrebt. Ein zentrales Ziel muss es sein, über das Dogma hinauszugehen, dass die GNDs “mehr Wachstum liefern müssen”, um so alternative Visionen eines gemeinsamen Wohlstands zu fördern. Wie Jason Hickel erklärt: “Wenn der GND am Ende, aus welchen Gründen auch immer, dem Wirtschaftswachstum entgegenwirkt, dann wäre er nach unseren eigenen Kriterien gescheitert und würde aus diesen Gründen angreifbar sein” [28]. Auch wenn Hubers Argument, dass Degrowth die Arbeiter:innenklasse nicht überzeugen kann und wir mehr Konsum in Aussicht stellen müssen, nachvollziehbar ist, so ignoriert es nicht nur die biosphärischen Grenzen, sondern ist angesichts des möglichen Einbruchs des Wirtschaftswachstums in einer Zeit, in der sich die Krisen des globalen Kapitalismus immer weiter verschärfen, auch selbst ein riskantes Unterfangen.
Darüber hinaus wäre selbst im besten Fall, in dem Ökosozialist:innen an die Macht kommen oder grün-sozialdemokratische Parteien in eine radikalere ökosozialistische Richtung drängen können, dies nur der Anfang des Übergangsprozesses. Die Macht der Kapitalist:innenklasse würde zwar zunächst beschnitten, aber nicht abgeschafft werden, und sie würde nicht kampflos untergehen. Wie Andreas Malm und das Zetkin-Kollektiv vorhersagen, würde die fossile Industrie zusammen mit Teilen des Finanzkapitals wahrscheinlich ein Bündnis mit der extremen Rechten eingehen, um die entstehenden links-grünen Regimes mit allen Mitteln zu stürzen [29]. Selbst wenn eine starke Unterstützung in der Bevölkerung es den entstehenden ökosozialistischen Regimes ermöglicht, solche Angriffe zu überstehen, besteht ein erhebliches Risiko, dass diese Regimes dadurch in eine autoritärere Richtung gedrängt werden. Künftige Ökosozialismen werden möglicherweise nicht dem historischen Muster entgehen, wonach nationale sozialistische Experimente in autoritäre “Notstandsregime” umschlagen, um die Revolution gegen reaktionäre Kräfte zu verteidigen [30]. Anstatt auf einen reibungslosen Übergang zu einem ökosozialistischem Degrowth zu hoffen, sollten Ökosozialist:innen daher systematischer über die nationalen und internationalen Bedrohungen nachdenken, mit denen sie wahrscheinlich konfrontiert wären, wenn sie jemals die Macht übernehmen würden – einschließlich Kapitalflucht, bewaffnetem Widerstand von rechtsextremen Milizen, Cyberangriffen und Desinformationskampagnen (verstärkt durch soziale Medien, Deepfakes und generative KI) – und darüber, wie sie darauf reagieren könnten, um die Institutionalisierung einer “Notstandsregierung” zu vermeiden.
International müsste es eine kritische Masse von links-grünen Staaten geben, die Kapitalverkehrskontrollen, Handels-, Sicherheits- und Industriepolitik koordinieren können, um gemeinsam reaktionäre Angriffe abzuwehren und gleichzeitig die politisch-ökonomische Stabilität und demokratische Rechenschaftspflicht zu wahren. Ökosozialistisches Degrowth in nur einem Staat wird sehr wahrscheinlich scheitern – es sei denn, es wird von mächtigen Staaten und/oder ökosozialistischen Umwälzungen anderswo unterstützt. Im Inland muss jeder Fortschritt in der demokratischen Kontrolle des Volkes über die Kapitalist:innenklasse weitere demokratische Fortschritte anstoßen. So könnte sich durch die Ausweitung universeller öffentlicher Dienstleistungen oder eines Grundeinkommens ein zunehmender Teil der Bevölkerung der Disziplinierung durch die Arbeitsmärkte entziehen, so dass sie (zumindest im Prinzip) mehr Zeit und Energie für politische Aktivitäten und die Beteiligung an neu entstehenden Formen des demokratischen Gemeinwesens hätten (wozu auch partizipatorische Budgets, Energie in Gemeineigentum, agrarökologische Netzwerke, ökologische Sanierung, solidarische Gesundheitskliniken und andere Aktivitäten der Solidarwirtschaft gehören könnten). Da jeder Vorstoß in Richtung mehr demokratischer Kontrolle über die Wirtschaft zu Gegenangriffen von Kapitalist:innen, Konservativen und Rechtsextremen führen wird, können solche Angriffe nur abgewehrt werden, indem immer mehr Teile der Bevölkerung für die Schaffung und Verteidigung einer partizipatorischeren, gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaft politisch mobilisiert werden.
Mit anderen Worten: In diesem Szenario würde der demokratische Ökosozialismus nicht durch einen einzigen revolutionären Bruch entstehen, sondern durch den kontinuierlichen Zugewinn an gesellschaftlicher Kontrolle über politische und wirtschaftliche Entscheidungen. Das bedeutet, dass der Übergang nicht in Form einer binären Konstellation Kapitalismus/Ökosozialismus zu denken ist – getrennt durch eine revolutionäre Negation oder einen revolutionären Bruch -, sondern dass der Übergangsprozess sehr viel wahrscheinlicher Verschiebungen zwischen mehreren ” Gleichgewichtszuständen” beinhaltet, wobei jedes Gleichgewicht eine neue Konfiguration der Beziehungen zwischen Staat, Kapital und Gesellschaft in Richtung einer größeren gesellschaftlichen Kontrolle bedeutet [31]. Wenn die gesellschaftliche Mobilisierung von unten nicht kontinuierlich stärker wird – und eine “Doppelmacht” entsteht, die zunehmend unabhängig von Staat und Kapital ist [32] – dann wird sich die Staat-Kapital-Gesellschaft-Konfiguration höchstwahrscheinlich in Richtung einer Stärkung der kapitalistischen Macht zurückbilden. Die konkrete Ausprägung dieser Gleichgewichte oder Staat-Kapital-Gesellschaft-Konfigurationen würde sich in den verschiedenen nationalen Kontexten aufgrund der jeweils eigenen Geschichte und des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen unterscheiden. Ein wichtiges Ziel für Ökosozialist:innen sollte es sein, zu analysieren, wie diese Gleichgewichte in verschiedenen Kontexten aussehen könnten – mit anderen Worten, was sind realisierbare Übergangsstadien, die in naher Zukunft erreicht werden können, und welche die Bedingungen für radikalere Stadien auf dem weiteren Weg schaffen könnten?
Ökomodernistischer Sozialismus und “Rettungs”-Ökosozialismus/men
Im obigen Szenario führen ehrgeizige grün-keynesianische Programme in den späten 2020er oder frühen 2030er Jahren zu einer sich verschärfenden Stagnation und grünen Inflation; zunehmend organisierte, kohärente und populäre rot-grüne Bewegungen nutzen diese Krise, indem sie das Narrativ verbreiten, dass das Problem in der Wachstumsabhängigkeit (und nicht in der Klimapolitik) liegt und dass die Lösung eine gerechtere postkapitalistische Wirtschaft ist.
Langanhaltende Engpässe bei Energie und Mineralien sowie ein verstärktes Engagement für globale Solidarität führen zu einer wachsenden Unterstützung für Degrowth im globalen Norden, wobei eine deutliche Reduktion des Material- und Energiedurchsatzes mit einer breit angelegten Steigerung der wirtschaftlichen Sicherheit und des Wohlstands einhergeht. Im Laufe der Zeit führt jeder weitere Sieg der Arbeit über das Kapital zu einer kapitalistischen Gegenreaktion und zu politisch-wirtschaftlichen Verwerfungen, mobilisiert aber auch größere Teile der Bevölkerung, was es rot-grünen Regierungen ermöglicht, Staaten allmählich zu radikaleren Formen des demokratischen Ökosozialismus zu drängen.
Dies ist vielleicht das beste Szenario unter dem Gesichtspunkt globaler Klimagerechtigkeit, aber es ist bei weitem nicht das einzig mögliche ökosozialistische Szenario. Es geht davon aus, dass Degrowth im globalen Norden nur unter den Bedingungen besonders schwerer und anhaltender Krisen möglich wäre, die der Bevölkerung der reichen Welt Degrowth in irgendeiner Form unvermeidlich erscheinen lassen. In einem anderen Szenario führt eine moderatere Krise des grünen Keynesianismus (Anfang oder Mitte der 2030er Jahre) zu ökomodernistischen Varianten des Sozialismus, in denen technologische Innovationen (z. B. in den Bereichen Kohlenstoffabscheidung, grüner Wasserstoff, Kernenergie, im Labor gezüchtetes Fleisch, nachhaltige Flugzeugtreibstoffe) anstelle einer Reduktion des Verbrauchs zur Bewältigung der Klimakrise eingesetzt werden. Dieses Szenario entspräche in etwa den Ausführungen von Matthew Huber, Holly Jean Buck, Leigh Philips und anderen, die eher techno-moderne Formen des (Öko-)Sozialismus befürworten [33]. Es ist aus zwei Gründen viel wahrscheinlicher als ein ökosozialistisches Degrowth: 1) die Krisen des grünen Keynesianismus werden wahrscheinlich nicht die Heftigkeit erreichen, die ich für Degrowth-Übergänge im globalen Norden für notwendig erachte, zumindest nicht bis 2040; und 2) die meisten Menschen im globalen Norden würden es gegenwärtig vorziehen, ihre aktuellen Konsumgewohnheiten beizubehalten, die auf Autobesitz, Flugreisen, hohem Stromverbrauch, fleischlastiger Ernährung und Bequemlichkeit statt Sparsamkeit beruhen. Aber es gäbe auch andere Herausforderungen und Widersprüche. Zum einen würden aufgrund des höheren Material- und Energieverbrauchs im Vergleich zum Degrowth-Szenario die Emissionen und andere ökologische Auswirkungen langsamer zurückgehen, was die Klimaschäden vergrößert und das Risiko erhöht, ökologisch destabilisierende Kipppunkte zu überschreiten [34]. Infolgedessen wären sie eher unter Druck, wenn nicht gar gezwungen, auf solares Geoengineering und Techniken zur Kohlenstoffabscheidung zu setzen – mit allen damit verbundenen Risiken. Die erhofften Fortschritte bei diesen neuen Technologien könnten jedoch ausbleiben oder sich nur langsam und schrittweise einstellen, so dass weitere Emissionen unvermeidbar oder die Gesellschaften gezwungen wären, den Verbrauch auch in den “schwer zu reduzierenden” Sektoren zu senken. Wenn es den reichen Ländern nicht gelingt, den Material- und Energiedurchsatz zu verringern und die Emissionen schneller zu senken, würden sie weiterhin den “ökologischen Spielraum” unverhältnismäßig beanspruchen, der sonst dem globalen Süden zur Verfügung stünde [35]. Gleichzeitig würde der im Vergleich zum Degrowth-Szenario erhöhte Energiebedarf einen verstärkten Abbau von entsprechenden Rohstoffen erfordern, was zu “grünen sacrifice zones” führen würde, deren soziale und ökologische Verheerungen weiterhin am stärksten den globalen Süden treffen würden [36]. Dieses Szenario würde also unweigerlich dazu führen, dass entweder die materielle Ungleichverteilung und der ungleiche Tausch zwischen dem globalen Norden und dem Süden fortbestehen, oder dass sich die Verbrauchsniveaus zwischen beiden angleichen – was ökologisch verheerend wäre. Es gibt Möglichkeiten, die rückschrittlichen sozialen und ökologischen Folgen abzufedern – z. B. durch verstärkte öffentliche Investitionen in das Recycling und die Sicherstellung von Entschädigungen für die vom Bergbau betroffenen lokalen Gemeinschaften. Wir sollten diese Szenarien, die einem kapitalistischen Katastrophenszenario weit überlegen wären, nicht von vornherein ablehnen. Aber sie würden im Vergleich zu den Degrowth-Szenarien mit Sicherheit mehr Ungerechtigkeit beinhalten.
Eine andere Kategorie von Szenarien beinhaltet das, was wir als “Rettungsökosozialismus(en)” bezeichnen könnten und auf der Arbeit des Salvage Collectives aufbaut [37]. Dabei handelt es sich um längerfristige Szenarien, in denen links-grüne Bewegungen in den kommenden Jahrzehnten schwach bleiben, jedoch ab Mitte des Jahrhunderts an Stärke gewinnen. In diesem Fall würden Ökosozialist:innen die Macht auf einem turbulenten 2ºC+ Planeten erlangen. Wie bei den zuvor beschriebenen Szenarien sind mindestens zwei grundlegende Varianten denkbar: 1) Inseln eines “rettenden Degrowth”, die im Gefolge des Zusammenbruchs der kapitalistischen Wirtschaft entstehen und zu einer stärker lokalisierten Wirtschaft führen, die von dezentraler erneuerbarer Energieerzeugung und agrarökologischer Nahrungsmittelproduktion getragen wird; und 2) “rettende ökomodernistische Sozialismen”, die sich auf technologische Innovationen und Geoengineering stützen, um den sich verschärfenden ökologischen Ausnahmezustand zu verwalten. Auch hier wäre jedes Szenario mit unterschiedlichen Herausforderungen und Abwägungen verbunden. So wäre es zum Beispiel wahrscheinlicher, dass Zonen ökosozialistischen Degrowth eine partizipatorische Demokratie ermöglichen, da sie sich auf dezentralere Energie-, Nahrungsmittel-, medizinische und andere Infrastrukturen stützen würden, die einer lokalen Kontrolle eher entsprechen. Sie wären auch gut aufgestellt, um sich an groß angelegten Programmen zur Renaturierung zu beteiligen, die zur Stabilisierung und Gesundung der planetaren Ökologie beitragen könnten [38]. Es ist jedoch zumindest fraglich, inwieweit eine ökologische Landwirtschaft und andere “Low-Tech”-Methoden die Lebensgrundlage in einer 2ºC+ Welt sichern könnten – insbesondere im globalen Süden, wo extreme Hitze die landwirtschaftliche Arbeit im Freien zunehmend unmöglich machen wird [39].
Ökomodernistische Varianten des «Rettungssozialismus» hingegegen, könnten besser in der Lage sein, die Energie-, Nahrungsmittel-, Medizin-, Digital- und andere Infrastrukturen sicherzustellen, die für die soziale Reproduktion auf einem zunehmend unwirtlichen Planeten erforderlich sind. Sie werden auch eher die Kapazitäten zur Durchführung von Geo-Engineering-Maßnahmen haben, wie z. B. dem Management der Sonneneinstrahlung, der groß angelegten direkten CO2-Abscheidung aus der Luft und der beschleunigten Verwitterung von Gestein (welche der Atmosphäre CO2 entzieht), sowie der Stabilisierung von Eisschilden [40]. Aber sie würden auch eher zu Machtasymmetrien zwischen technokratischen Bürokratien und der breiten Bevölkerung sowie zwischen den reichen Ländern und der Peripherie des Weltsystems führen, da es äußerst schwierig ist, planetarisches Geo-Engineering, groß angelegte Kohlenstoffabscheidung und Kernenergie mit demokratischer Kontrolle in Einklang zu bringen [41]. Alle Linken müssen für sich selbst beurteilen, in welcher Form eines rettenden Ökosozialismus sie lieber leben möchten. Wenn es den Ökosozialist:innen tatsächlich nicht gelingt, die Macht zu erlangen und das Weltsystem bis nach der Mitte des Jahrhunderts zu transformieren – bis zu diesem Zeitpunkt wäre eine Form von katastrophalem Klimawandel und ökologischem Kollaps vorprogrammiert -, dann werden die Debatten darüber, welcher «Pfad der Rettung» eingeschlagen werden sollte, eine große Dringlichkeit erlangen.
Schlussfolgerung
Diese Ausführungen sollen lediglich eine kurze und schematische Analyse verschiedener möglicher Pfade zum Ökosozialismus sowie der unterschiedlichen Kompromisse und Herausforderungen darstellen, mit denen jeder dieser Pfade einhergehen würde. Ich sollte auch betonen, dass diese Szenarien lediglich Idealtypen sind, die die wichtigsten Unterschiede aufzeigen sollen (z. B. zwischen kurzfristigen und langfristigen Szenarien sowie zwischen Degrowth- und Ökomodernismus-Varianten), und dass jede reale ökosozialistische Zukunft wahrscheinlich geografisch uneinheitliche und komplexe Mischformationen mit sich bringen würde, die sich in noch unbekannte Richtungen weiterentwickeln. Dieser Artikel kann nur an der Oberfläche kratzen, und es bedarf weitaus mehr ökosozialistischer Zukunftsanalysen, um diesen Möglichkeitsraum zu beleuchten und ökosozialistische Strategien in der Gegenwart zu formulieren. Auch wenn viele von uns auf ein baldiges ökosozialistisches Degrowth hoffen, so ist dies doch auch der am wenigsten wahrscheinliche Fall, der in der Praxis eintreten wird. Daher ist es notwendig, sorgfältig und strategisch über verschiedene mögliche Wege zum Ökosozialismus nachzudenken, auch über solche, die vom Standpunkt der globalen Klimagerechtigkeit aus weit weniger erstrebenswert sind. Wir müssen auch realistischere Theorien des Umbruchs entwickeln, die uns helfen können zu verstehen, wie der Ökosozialismus in der Praxis tatsächlich entstehen könnte. Abstrakte utopische Ansätze – die sich auf den idealen Endpunkt der Transformation konzentrieren, anstatt zu erklären, wie wir dorthin gelangen könnten – haben ihre Berechtigung. Aber für sich allein genommen sind sie nicht in der Lage, den ernsthaften Glauben an das Potenzial einer alternativen postkapitalistischen Zukunft wiederzubeleben, und sie können auch nicht dabei helfen, eine ökosozialistische Praxis durch das Chaos des Übergangsprozesses zu lotsen.
Vermutlich werden sich diese Utopien nicht verwirklichen lassen. Aber wir werden in den kommenden Jahrzehnten eine Ära der Verwerfungen und noch nie dagewesenen sozial-ökologischen Krisen erleben, und damit auch eine Ära, in der die Bedingungen für antikapitalistischen Widerstand heranreifen (wobei diese Bedingungen leider auch dem Neofaschismus förderlich sein werden). Es ist daher unerlässlich, dass Ökosozialist:innen und verbündete Bewegungen radikale Formen der Analyse von Zukunftsszenarien entwickeln, um zu antizipieren, wie sich die politischen Möglichkeitsräume weiter entwickeln können, und um strategische Überlegungen für die kommenden Herausforderungen und Chancen anzustellen. Wir sollten uns fragen: Glauben wir wirklich, dass Ökosozialist:innen eines Tages an die Macht kommen könnten? Wenn die Antwort “Ja” lautet, dann ist eine gründliche Zukunftsanalyse und strategische Weitsicht unabdingbar. Andernfalls steuern wir blind in eine Zukunft, ohne eine Landkarte oder einen Kompass, der uns den Weg weist, und reagieren nur auf die Ereignisse, die auf uns zukommen. Keine ernstzunehmende mächtige Akteurin, die beabsichtigt, die Zukunft zu gestalten, würde das Gleiche tun.
Literatur & Referenzen
Bildquelle: Wie kommen wir zum Ökosozialismus? Besser als auf Hellseherei zu setzen, ist es den Artikel von Michael J. Albert zu den Übergängen & Möglichkeiten ökosozialistischer Zukünfte zu lesen.
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[1] Karl Marx, 1875: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (bekannt als „Kritik des Gothaer Programms“), online unter https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/randglos.htm
[2] Diese Kritik habe ich hier entwickelt: Michael Albert, ‘Ecosocialism for realists: transitions, trade-offs, and authoritarian dangers’, Capitalism Nature Socialism 34:1 (2023), 11-30.
[3] Troy Vettese & Drew Pendergrass, Half-Earth Socialism: A Plan to Save the Future from Climate Change, Extinction, and Pandemics (London: Verso, 2022), 94-95.
[4] Fred Magdoff and Chris Williams, Creating an Ecology Society: Toward a Revolutionary Transformation (New York: Monthly Review Press, 2017), 298.
[5] Joel Kovel, The Enemy of Nature: The End of Capitalism or the End of the World? Second Edition (London: Zed Books, 2007), 267-268.
[6] Michael Löwy, Ecosocialism: A Radical Alternative to Capitalist Catastrophe (Chicago: Haymarket Books, 2015)
[7] Matthew Huber, Climate Change as Class War (London: Verso, 2022), 126.
[8] Hubert Buch-Hansen, ‘Prerequisites for a Degrowth Paradigm Shift: Insights from Critical Political Economy’, Ecological Economics 146 (2018), 160
[9] Wie ich in einem früheren Artikel argumentiere, vgl. Albert, ‘Ecosocialism for realists’
[10] Erik Olin Wright, Envisioning Real Utopias (London: Verso, 2010), 70.
[11] Zum Beispiel: Heikki Patomakki, ‘A Realist Ontology for Future Studies’, Journal of Critical Realism 5:1 (2006), 1-30; John Urry, What is the Future? (Cambridge: Polity Press, 2016).
[12] Albert, ‘Ecosocialism for realists’.
[13] Michael Albert, Navigating the Polycrisis: Mapping the Futures of Capitalism and the Earth (Cambridge: MIT Press, demnächst).
[14] Zum Unterschied zwischen revolutionärem Bruch und Metamorphose siehe E.O. Wright, Envisioning Real Utopias, 211, 228.
[15] Dies wäre vergleichbar mit dem utopischen Szenario, das in Kim Stanley Robinsons Klima-Fiction-Roman Ministry for the Future (Denton: Orbit Press, 2019) beschrieben wird.
[16] William Robinson, Global Capitalism and the Crisis of Humanity (Cambridge: Cambridge University Press, 2014), 233.
[17] Vgl. Albert, Navigating the Polycrisis, Kapitel 4
[18] Z.B.. Kate Aronoff, Alyssa Battistoni, Daniel Aldana Cohen, und Thea Riofrancos, A Planet to Win: Why We Need a Green New Deal (London: Verso, 2019).
[19] Vergleiche z.B. Jean Pisani-Ferry, ‘Climate Policy is Macroeconomic Policy, and the Implications Will Be Significant’, Peterson Institute for International Economics (2021); oder auch Isabel Schnabel, ‘A new age of energy inflation: climateflation, fossilflation and greenflation’, Speech at The ECB and its Watchers XXII Conference (2022),verfügbar unter https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2022/html/ecb.sp220317_2~dbb3582f0a.en.html accessed December 5 2022; IEA, The Role of Critical Metals in Clean Energy Transitions (Paris: IEA, 2021).
[20] Inigo Capellan-Perez, Carlos de Castro, and Luis Javier Gonzalez, ‘Dynamic Energy Return on Energy Investment (EROI) and material requirements in scenarios of global transition to renewable energies’, Energy Strategy Reviews 26: 1-26; Andrew Jackson & Tim Jackson, ‘Modelling energy transition risk: The impact of declining energy return on investment’, Ecological Economics 185 (2021), 1-27;
[21] Vgl. Kate MacKenzie & Tim Sahay, ‘A new foreign policy’, Phenomenal World (2023), verfügbar unter https://www.phenomenalworld.org/series/the-polycrisis/ aufgerufen am 1. Juni 2023; Delphine Strauss, ‘Global economy: will higher wages prolong inflation?’, Financial Timess (2023). Verfügbar unter https://www.ft.com/content/0097fbd7-96ae-4a75-876d-8df4d4379651?emailId=2810d7ad-a563-4bbc-ac9b-04715092dcf9&segmentId=22011ee7-896a-8c4c-22a0-7603348b7f22 aufgerufen am 1 Juni 2023.
[22] Leo Lewis, ‘The politics of deglobalisation favours the robots’, Financial Times (2023), verfügbar unter https://www.ft.com/content/cc7ecf4d-4661-4756-bbee-376f58c2179d aufgerufen am 1. Juni 2023.
[23] Nichola Groom, ‘Special Report: US solar expansion stalled by rural land-use protests’, Reuters (2022), verfügbar unter https://www.reuters.com/world/us/us-solar-expansion-stalled-by-rural-land-use-protests-2022-04-07/ aufgerufen am 11.April 2022; Kate Abnett, ‘EU plans one-year renewable energy permits for faster green shift’, Reuters (2022), verfügbar unter https://www.reuters.com/business/sustainable-business/eu-plans-one-year-renewable-energy-permits-faster-green-shift-2022-05-09/ aufgerufen am 28. Januar 2023.
[24] Charles Stevenson & Ellen Helker-Nygren, ‘Degrowth can end the cost of living crisis’, Resilience (2022), verfügbar unter https://www.resilience.org/stories/2022-12-14/degrowth-can-end-the-cost-of-living-crisis/?mc_cid=6615e38c73&mc_eid=cbfbf13f15 aufgerufen am 29. Januar 2023.
[25] Z.B. Richard Heinberg & David Fridley, Our Renewable future: Laying the path for one hundred percent clean energy (Washington D.C: Island Press, 2016).
[26] Wright, Envisioning Real Utopias, 221.
[27] Matthew Huber, Climate Change as Class War (London: Verso, 2022),
[28] Jason Hickel, ‘A response to Pollin and Chomsky: We need a Green New Deal without growth’, Resilience (2020), verfügbar unter https://www.resilience.org/stories/2020-11-05/a-response-to-polllin-and-chomsky-we-need-a-green-new-deal-without-growth/ abgerufen am 21. Mai 2022.
[29] Andreas Malm & The Zetkin Collective, White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil Fascism (London: Verso, 2021).
[30] James Petras und Frank Fitzgerald, ‘Authoritarianism and Democracy in the Transition to Socialism’, Latin American Perspectives 15(1) (1985), 93-111.
[31] Diese Art, über den Übergang nachzudenken, ist zum Teil E.O. Wright sowie Alex Williams zu verdanken. Siehe Alex Williams, Political Hegemony and Social Complexity: Mechanisms of Power After Gramsci (Abingdon: Routledge, 2020).
[32] In Murray Bookchins Worten bezieht sich die Doppelmacht auf “libertäre Institutionen direkt-demokratischer Versammlungen, die sich dem Staat entgegenstellen und ihn ersetzen würden”. Siehe Murray Bookchin, ‘Thoughts on Libertarian Municipalism’, Anarchist Library (2000), verfügbar unter https://theanarchistlibrary.org/library/murray-bookchin-thoughts-on-libertarian-municipalism , aufgerufen am 1. Juni 2023.
[33] Z.B. Matthew Huber, Climate Change as Class War; Holly Jean Buck, After Geoengineering: Climate Tragedy, Repair, and Restoration (London: Verso, 2018); Leigh Philips & Michael Roszworski, ‘Planning the Good Anthropocene’, Jacobin (2017), verfügbar unter https://jacobin.com/2017/08/planning-the-good-anthropocene aufgerufen am 1 Juni 2023.
[34] Degrowth- Befürworter:innen zeigen, dass die zur Erreichung der Pariser Ziele erforderlichen Emissionssenkungsraten unter den Bedingungen fortgesetzten Wachstums – und ohne massivem Kohlenstoffentzug aus der Atmosphäre – so gut wie sicher unerreichbar sind. Z.B. Giorgos Kallis & Jason Hickel, ‘Is green growth possible?’, New Political Economy 25:4 (2020), 469-486; Auch Kevin Anderson & Dan Calverley, ‘How alive is 1.5C? Part one – a small budget, shrinking fast’, Climate Uncensored (2022), verfügbar unter https://climateuncensored.com/how-alive-is-1-5part-one-a-small-budget-shrinking-fast/ aufgerufen am 10 April 2023.
[35] Wie Hickel zeigt, wäre eine durchschnittliche Reduktion des materiellen Fußabdrucks im globalen Norden um 40-60% notwendig, damit alle Staaten innerhalb eines “sicheren und gerechten Handlungsspielraums” agieren können, der die Grundbedürfnisse befriedigt und die Überschreitung der planetaren Grenzen vermeidet. Jason Hickel, ‘Is It Possible to Achieve a Good Life for All Within Planetary Boundaries?’, Third World Quarterly 40 (2018), 18–35.
[36] Christos Zografos & Paul Robbins, ‘Green Sacrifice Zones, or Why Green New Deals Cannot Ignore the Cost Shifts of Just Transitions’, One Earth 3 (2020), 543-547.
[37] Salvage Editorial Collective, ‘The tragedy of the worker: towards the Proletarocene’, Salvage (2020), verfügbar unter https://salvage.zone/the-tragedy-of-the-worker-towards-the-proletarocene/ abgerufen am 1 Juni 2023.
[38] Vettese & Pendergrass, Half-Earth Socialism.
[39] Luke Parsons et al, ‘Global labor loss due to humid heat explosure underestimated for outdoor workers’, Environmental Research Letters 17 (2022), 1-12.
[40] Wie von linken Ökomodernist:innen wie Buck, Parenti, Leigh Philips behauptet wird.
[41] Bronislaw Szerszynksi et al, ‘Why solar radiation management geoengineering and democracy won’t mix’, Environment and Planning A 45 (2013), 2809-2816.