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Ökofeministische Ansätze erheben den Anspruch, jenseits von Naturzerstörung, von sozialen Ungleichheiten und Ungleichgewichten, jenseits von Gewalt und Krieg, jenseits von kapitalistischen Krisen und sozialer Ungerechtigkeit Alternativen anzubieten, welche Universum, äußere Natur und Menschen – ausgehend von der Kraft der Frauen – harmonisieren. Aktuell sollen diese Ansprüche mit einer «neuen Patriarchatskritik» und «neo-matriarchalen» Alternativen1 zum «Aufbruch aus dem Patriarchat» und zu «Wege[n] in eine neue Zivilisation» führen.
Kapitalismuskritik erscheint hier als Kritik am «kapitalistischen Patriarchat», das die «Schöpfung aus Zerstörung» zum Höhe- und Endpunkt treibe2 und einen Paradigmenwechsel verlange. Alternatives Ziel ist die bereits länger bekannte «Subsistenzperspektive»3 (Bennholdt-Thomsen, Mies und von Werlhof 1988; Mies/Shiva 1995; Bennholdt-Thomsen und Mies 1997), welche durch neuere Ergebnisse der Matriarchatsforschung und durch Technikkritik ergänzt und einer angestrebten planetaren Bewegung zugunsten einer Rettung der «Mutter Erde» untergeordnet wird. Gesteuert wird dieses Projekt durch ein Primat der Ökologie. Dieses Projekt bedeutet eine neue Stufe ökofeministischer Kritik an der Ausbeutung von Frauen und Natur. Während die «Subsistenzperspektive» sich hauptsächlich darauf bezog und bezieht, die Diskriminierung und Unterbewertung der Arbeit von Frauen aufzuheben, beansprucht die «neo-matriarchale Alternative» für die gesamte «Zivilisation» zu gelten, indem sie die Kritik an Frauenunterdrückung und Naturzerstörungen zu einer übergreifenden Kritik an der heutigen Gesellschaftsordnung zu erweitern versucht. Dieses anspruchsvolle Anliegen wird vor allem im Umkreis von ÖkofeministInnen diskutiert. Der vorliegende Artikel fragt danach, ob und inwieweit dieses Projekt tatsächlich «den Weg in ein völlig neues Paradigma» (von Werlhof 2009b: 7) ansteuert und ob dieser eine soziale Gleichstellung der Geschlechter und schließlich die Erhaltung der natürlichen Umwelt und der Lebensgrundlagen erringen kann. Es soll auch danach gefragt werden, inwiefern sich damit feministische, ökologische und ganzheitliche gesellschaftliche Ansätze treffen oder auch nicht. Dabei soll geprüft werden, ob der vom Projekt in den Mittelpunkt gestellte Gegensatz zwischen «kapitalistischem Patriarchat» und «neo-matriarchaler» Alternative aus einer ganzheitlichen Sicht nachvollziehbar ist.
«Matriarchat» versus «kapitalistisches Patriarchat» als Grundwiderspruch?
Die «Kritische Patriarchatstheorie» – bezeichnet als eine neue «Metatheorie» (Behmann: 2009a) – beinhaltet eine veränderte Sicht auf das «Patriarchat», mit dementsprechenden praktischen Konsequenzen. Von Werlhof (2006: 5) sieht im Patriarchat «die Zusammenschau der real existierenden Probleme gesellschaftlicher Entwicklung(en)». Sie betrachtet das «Patriarchat» als ein «theoretisches Grundkonzept für das Verständnis der Herkunft, Entwicklung und Zukunft unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung weltweit» (von Werlhof 2006: 3). Das «kapitalistische Patriarchat» wird im Sinne einer «Gesellschaftsordnung» aufgefasst4, die auf den «neuen Zivilisationsbegriff» des ökofeministischen Projekts bezogen wird, der zwischen «matriarchaler» und «patriarchaler» Zivilisation unterscheidet. Zentrale Aussagen finden sich in «einem bestimmten Begriff von Zivilisation und Patriarchat» (von Werlhof 2006: 5). Von Werlhof schreibt an anderer Stelle: «Damit ist ein neuer Patriarchatsbegriff formuliert, der neben dem historischen Patriarchat auch die aktuelle Zivilisation dem Patriarchat und einem Kontinuum vom Matriarchat zum Patriarchat zuordnen kann» (von Werlhof 2009a: 2). Im «Kapitalismus als Weltsystem», als «bisher letzte, rabiateste Periode des Kapitalismus» gipfele das Patriarchat. Es stoße «jetzt an die Grenzen seiner weiteren Entfaltung» (von Werlhof 2006: 2, 5). Deshalb sei die Abschaffung des «Patriarchats» der Ausweg aus der Zivilisationskrise.
Die Abschaffung des «Patriarchats» mag auf den ersten Blick als ein radikales wie ganzheitlich orientiertes Anliegen erscheinen. Sie zielt ausdrücklich auf eine totale Betrachtung ab und bezieht dabei die feministische Ökonomiekritik der letzten 30 bis 40 Jahre, die «Weltsystem»-Kritik, die Analyse und Kritik der neoliberalen Globalisierung, den Ökofeminismus, die feministische Technikkritik, wie auch die «moderne Matriarchatsforschung» ein. Daraus schlussfolgert von Werlhof (2006: 5): Auf der Tagesordnung stehe damit (zum erstenmal global) die Frage: «welche Alternative(n) zum Patriarchat – und nicht nur zum Kapitalismus – gefunden werden kann/können». Diesem Anliegen wäre sofort zuzustimmen, wenn «kapitalistisches Patriarchat» tatsächlich die Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit umfassen würde, weil es ja um das Überschreiten patriarchalischer Klassenverhältnisse geht. Das ist aber schon allein durch den Bezug auf das «kapitalistische Patriarchat» zweifelhaft. Von Werlhof negiert auch eine solche Orientierung, indem sie ihre Alternativen allein aus der Matriarchatsforschung ableitet. Damit enthält das beabsichtigte totale Herangehen faktisch die Tendenz, gesellschaftliche Verhältnisse auf einen Ausschnitt, nämlich die sozialen Geschlechterverhältnisse, zu projizieren und diese wiederum auf (lebenszerstörende) «Männerherrschaft» versus (lebensfreundliches) «Frauen-Reich» zu reduzieren.
Von Werlhof erklärt «Matriarchat» wie folgt: «Unter Matriarchat verstehen wir eine Zivilisation, die nicht etwa von Frauen beherrscht wird, … Sondern Matriarchate sind, … im Wesentlichen geprägt von lebens- und naturfreundlichen, egalitären, kooperativen, gewaltfreien und verantwortungsvollen Verhältnissen, die sich über lange Zeiträume auch unter schwierigen Umweltbedingungen bewährt haben» (von Werlhof 2009a: 1). Sie stützt sich dabei neben Renate Genth (2009) auf die bekannte Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth, die ebenfalls das Matriarchat als Alternative sieht (Göttner-Abendroth 2005). Solche Zusammenhänge sind allerdings bisher für die Wirklichkeit weder in der Vergangenheit noch in heutigen «matriarchalen Kulturen» im Sinn einer ausbalancierten Gesellschaftsordnung nachgewiesen. Sie betreffen eher Ausschnitte aus größeren Zusammenhängen. In der Vorankündigung für den Weltkongress der Matriarchatsforschung 2003 in Luxemburg wurde die «matrilineare/matrifokale/matriarchale Gesellschaftsform» wie folgt charakterisiert: «Diese Gesellschaft … ist eine Gesellschaft in Balance, die den Grundsatz von komplementärer Egalität, das heißt der Gleichwertigkeit, bei natürlichen Unterschieden (von Männern und Frauen, von Alten und Jungen etc.) verwirklicht hat. Gleichzeitig ist sie eine gewaltfreie, nicht ausbeuterische, alles Leben auf der Erde respektierende Gesellschaftsordnung»5. Insgesamt entsteht so das Bild einer romantischen Sehnsucht nach harmonischen Kulturen, die mit ihren friedlichen, ökologischen und menschen- sowie naturfreundlichen Spiritualitäten eine Balance zwischen Kosmos, Erde, Natur und Gesellschaft herzustellen in der Lage seien, welche als Alternative ausgegeben wird.
Aus «matriarchaler» Sicht wird «Patriarchat» als «Negation des Matriarchats» durch ein «Kriegssystem» verstanden6. Von Werlhof betont: «Dabei steht im Mittelpunkt der Gedanke, die Natur zu transformieren. Das ist überhaupt der zentrale Gedanke patriarchaler Gesellschaft. … Man lebt von Natur, vom Natur-Reich, man lebt von dem, was die Frauen hervorbringen, vom Frauen-Reich» (von Werlhof 2002: 3, 4). Die «matriarchale Zivilisation» erscheint hier als Alternative. Im Zentrum steht die Rolle der Mütter für das Überleben der früheren Sippengemeinschaften – als den Hervorbringerinnen des Lebens unter dem Motto: «Am Anfang war die Frau». Dieser Zusammenhang ist jedoch strittig, denn für «Leben» und «Lebensgrundlagen» ist dieser «Anfang» notwendig, aber nicht hinreichend.
Was ist aus Sicht der «neuen Patriarchatskritik» «Leben» und was sind «Lebensgrundlagen»?
Ökofeministinnen greifen eine ganze Reihe von Herausforderungen auf, die auch von Feministinnen anderer Richtungen gesehen werden, wie z. B. Erhaltung von Lebensgrundlagen, notwendiger Paradigmenwechsel, antikapitalistische Positionen und Einbeziehung der äußeren Natur. Sind zwar die Fragestellungen auf der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen ähnlich, so fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus. Nicht zuletzt geschieht das in Abhängigkeit davon, wie «Leben» und «Lebensgrundlagen» jeweils gefasst und worauf sie bezogen werden.
Aus «matriarchaler» Sicht steht «Leben» in einem engen Zusammenhang zu Frauen und Natur als Hervorbringerinnen des Lebens. So betont Heide Göttner-Abendroth im Interview mit Tanja Braumann: «In Matriarchaten … [sind] die gesamte Natur, Kosmos und Erde, … die göttliche Kraft, die als weiblich vorgestellt wird, weil sie Leben hervorbringt» (Göttner-Abendroth/Braumann 2004).
Von Werlhof betont ebenfalls das «natur- und seinsverbundene Leben» als Merkmal «matriarchaler Verhältnisse» und hebt das «Mutter-Kind-Verhältnis» hervor: «Das Gemeinsame innerhalb der möglichen Vielfalt matriarchaler Kulturen ist … ‹die Pflege› des Lebens. So kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es die lange Geschichte des Mutter-Kind-Verhältnisses war, die eine ‹Evolution› des und zum Matriarchat möglich gemacht hat» (von Werlhof 2003: 7f).
In «matriarchalen» Vorstellungen erscheint somit «Leben» primär unter dem Aspekt des Hervorbringens und damit der Beziehungen von äußerer Natur und Frauen. Lebensgrundlagen werden vorwiegend aus der Sicht einer Balance unterschiedlicher tatsächlicher oder gedachter Lebensformen behandelt, die sich als Bestandteile des Universums treffen und harmonisieren – aktuell in der Erhaltung des Planeten Erde. Letzten Endes bedeutet eine solche Harmonisierung tatsächlich eine Unterordnung der Menschen unter die äußere Natur, denn sowohl der Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch der Hervorbringung von freiheitlichen Spielräumen sind hier enge Grenzen gesetzt.
Historisch gesehen, könnten diese Vorstellungen auf kulturelle Ausdrucksformen in ursprünglichen Aneignungsgesellschaften (Wildbeutergesellschaften) zurückgeführt werden, weil sie solchen Merkmalen am meisten entsprechen, wie den relativ egalitären Verhältnissen, der Balance mit der äußeren Natur, allerdings unter der realitätsfernen Voraussetzung, dass Männer nichts Belangvolles zur Lebenserhaltung der Mitglieder von Gemeinwesen beigetragen haben. Dass Frauen und Männer arbeitsteilig unterschiedliche Tätigkeiten verrichten und damit teilweise verschiedene Reproduktionsbereiche besetzen, dient in relativ egalitären Gemeinschaften dem Überleben als Gruppe. Alle Tätigkeiten sind gleich wichtig in dem Sinne, dass auf keine verzichtet werden kann, ohne das Überleben zu gefährden. Nur bedingte damals die noch fast ausschließliche Abhängigkeit von der Natur wenige Spielräume für verfeinerte Ausgestaltungen der Verwandtschaftsbeziehungen und zugleich meist ein hartes Leben. Zudem liegen recht spärliche archäologische und ethnologische Untersuchungsergebnisse vor. Jedenfalls zeigen sich deutliche Ungereimtheiten bei der Interpretation des historischen «Matriarchats». Göttner-Abendroth zum Beispiel spricht von einem «Matriarchat», wenn matrilineare und matrilokale Kulturen auf folgenden vier gesellschaftlichen Ebenen vertreten sind: auf der ökonomischen, der strukturellen, der politischen und der weltanschaulichen Ebene (Göttner-Abendroth o. J.: 2–5). Damit stehen kulturelle Kriterien im Zentrum, «Gesellschaftsordnung» wird faktisch in kulturelle Beziehungen aufgelöst. Die «klassischen Matriarchate», die gemäß Göttner-Abendroth ab etwa dem 10. Jahrhundert v. u. Z. in Verbindung mit den «Ackerbaukulturen» entstanden, befinden sich aber auch im Widerspruch zu den vorgegebenen Kriterien, z. B. einer ökonomischen Ebene. Das betrifft vor allem die Existenz von Produktion, etwa in Gestalt der Ackerbauproduktion, der Töpferei, häuslicher handwerklicher Produktion, künstlerischer Produktion und dem Bau von Städten und Bewässerungsanlagen. Produktion enthält von Anfang an die Tendenz zu gesellschaftlichen Beziehungen, welche gegen «matriarchale» Kriterien, wie Egalität, Balance mit der Natur, Herrschaftsfreiheit, ausgleichender Verteilung etc. wirken oder zumindest beginnen zu wirken. Wie ein Mensch nicht «ein bisschen tot» sein kann, so kann auch eine verhältnismäßig egalitäre Gemeinschaft auf Dauer nicht «ein bisschen» Produktion aufweisen, ohne die ursprünglichen Gemeinschaftsbeziehungen auszuhöhlen und schließlich umzuwälzen. Die historischen Belege für die «matriarchalen» Gleichgewichtsverhältnisse beziehen sich bei näherer Betrachtung überwiegend auf die Entstehungsgeschichte der Produktion, auf den Beginn des Jahrtausende dauernden Übergangs von der einfachen Aneignung von Naturkräften und -ressourcen durch die Menschen zur Produktion von Mitteln zum Leben. Dabei liegt es im Charakter von Übergängen, dass in der Regel sowohl Anzeichen vorhanden sind, die als das «Neue» interpretiert werden können als auch solche, welche zugunsten des «Alten» sprechen. Der Charakter dieser Perioden als Übergänge und deren Inhalte werden aber zu wenig berücksichtigt7. Zudem sind matrilineare Verwandtschaftsverhältnisse sowohl für weniger als auch für stärker entwickelte hierarchische Verhältnisse und auch für patriarchalische Verhältnisse aufnahmefähig. Bereits die wenigen Beispiele zeigen, dass es den von den MatriarchatsforscherInnen angeführten Kriterien für die Existenz von «Matriarchaten» an Schlüssigkeit mangelt.
Deshalb nehme ich an – und das ist vielfach belegbar – dass die Vorstellungen «matriarchaler» Gesellschaften sowohl auf «urgesellschaftliche» Beziehungen als auch auf spätere Zeiten zurückgreifen, in denen die ursprünglichen egalitären Gesellschaften mit dem Übergang zur Produktion von Mitteln zum Leben schon in Auflösung begriffen waren. Das Hervorbringen von Leben bedeutet ja noch keineswegs, dass es auch erhalten werden kann und seine Lebenszeit und -qualität entwickelt. Historisch brachte dafür die Herausbildung der Produktion von Mitteln zum Leben zuverlässigere materielle Voraussetzungen hervor. Es geht deshalb nicht allein darum, wer Leben hervorbringt («am Anfang war die Frau»), sondern was alles zum Leben und zu seiner ständigen Reproduktion gehört und des Weiteren wie dies jeweils gesellschaftlich organisiert ist und welche Folgen es hat. Das zeigt sich aber nicht im «Leben» schlechthin, sondern in der «Reproduktion des Lebens», weil Menschen ohne ständige Reproduktion ihres Lebens nicht existieren könnten. Das ist vielleicht eine Binsenweisheit, aber sie hat Konsequenzen. Es geht um die Lebensgrundlagen der Gesellschaft, schon weil Menschen erst in Gemeinschaft entstehen und sich entwickeln konnten und können und, weil sie Lebensmittel brauchen. Als Lebensgrundlagen erweisen sich somit alle Erscheinungen und Prozesse, die über das Zusammenwirken der Menschen sowie mit der äußeren Natur den Prozess der Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit bewirken.
Ausgangspunkt für eine Berücksichtigung der Lebensgrundlagen können Ausführungen von Marx und Engels über die Reproduktion des Lebens sein (Marx 1846: 20, 28–30; Engels 1884: 27f.). Diese wurden u. a. bereits von Ursula Beer aus feministischer Sicht ausgewertet (Beer 1990: 229), führten aber bisher noch kaum zu einem alternativen Ansatz. Darauf aufbauend ergibt sich, dass eine Analyse der Lebensgrundlagen weder aus der Sicht der unmittelbaren Reproduktion des Lebens allein (wie das bei einem Primat «matriarchaler» oder patriarchalischer Verhältnisse der Fall ist), noch aus der Sicht der Produktion von Mitteln zum Leben allein (wie beim Primat der Produktions- und Austauschverhältnisse) eine realitätsbezogene Auskunft geben kann (Braun 2004, 2005). Das heißt, als Teil einer «kulturellen Ordnung» wären «Matriarchate» zu akzeptieren8, als «Gesellschaftsordnung» aber keineswegs9.
Aus der Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit folgt, dass es die Lebenskräfte sind, welche die Reproduktion des Lebens jeweils am meisten beeinflussen. Sie setzen sich aus den Produktivkräften im Marx’schen Sinne und den unmittelbaren Lebenskräften zusammen. In der unmittelbaren Reproduktion des Lebens gehören dazu Bereiche, wie Betreuung und Pflege, Gesundheitswesen, Erziehung, Bildung, Kunst und Wissenschaft, egal, ob in Haushalten organisiert oder vergesellschaftet. Wie sich die Lebenskräfte entwickeln, hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen ab, die in den Lebenskräften selbst eine Entwicklungsschranke besitzen, denn sie stoßen spätestens an Grenzen, wenn sie beginnen, Lebenskräfte systematisch zu zerstören. Dann ist ein Paradigmenwechsel herangereift. Wenn gefragt wird, wie die Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit jeweils gesellschaftlich organisiert wurde und wird, wären historisch drei große Entwicklungsphasen zu erkennen:
Erstens: Die Dominanz der äußeren Natur (im weiteren Sinne, also einschließlich des Universums) über die Reproduktion des Lebens der Menschen. Dies wären die relativ egalitären Verhältnisse, unter denen Menschen sich allmählich herausentwickelten und ihr Überleben durch mehr oder weniger bloße Aneignung der Natur (sog. Wildbeutergesellschaften) sicherten. Dabei eigneten sie sich allmählich Fähigkeiten und Fertigkeiten an, die einen Überschuss an materiellen Gütern und an Zeit hervorbrachten, welche für andere als für bloße Überlebenszwecke verfügbar wurden. Die relativ egalitären Verhältnisse kannten eine Trennung zwischen Produktion und unmittelbarer Reproduktion des Lebens noch nicht. Der Übergang zur Produktion über einen historisch sehr langen Zeitraum im Neolithikum führte zur Entstehung des Patriarchats und von Klassen und Staat.
Zweitens: Die Dominanz der (auf Mehrprodukt und Mehrwert orientierten) Produktion von Mitteln zum Leben über die Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit. Beim Übergang dorthin trennten sich unmittelbare Reproduktion des Lebens und Produktion von Mitteln zum Leben schließlich, besonders soweit letztere arbeitsteilig und für andere vorwiegend von Männern betrieben wurde. Mit der Entstehung von Produktion veränderten sich viele Tätigkeiten in den Gemeinwesen. Die von Frauen gehandhabte Produktion blieb meist enger mit den Haushalten und damit mit den Tätigkeiten der unmittelbaren Reproduktion des Lebens verbunden. Da vor allem haushaltsferne Produkte, die arbeitsteilig meist von Männern hergestellt wurden (wie Werkzeuge, Rohmaterialien, Viehaufzucht), in den Austauschbeziehungen zwischen Gemeinwesen dominierten und Männern zudem traditionell die Außenbeziehungen zukamen, führte ihre Macht über den Warenaustausch allmählich zur Zunahme ihrer Macht innerhalb des jeweiligen Gemeinwesens. Die Haushalte traten gegenüber der wachsenden Produktion und dem Austausch von Waren allmählich in ihrer Bedeutung zurück. Selbst über das Lebensnotwendige hinausgehende häusliche Leistungen wurden in Warenreichtum angelegt, was die Position der Mütter/Frauen veränderte. Während der Austausch von Produkten zwischen den Gemeinschaften schließlich zur Herausbildung von Warenbeziehungen führte, stellte sich nach Versuch und Irrtum (vgl. ethnologische Berichte, u. a. von Godelier 1987; Glowczewski 1989, Diemberger/Hazod/Schicklgruber 1989) schließlich heraus, dass Warenbeziehungen für die unmittelbare Reproduktion des Lebens nicht adäquat, da zerstörerisch, waren. Sie musste, sollte sie gedeihen, aus Warenbeziehungen herausgehalten werden. Patriarchalische Regelungen hielten Warenbeziehungen in direkter Form (bis hin zum Beginn der «Postmoderne») fern von der unmittelbaren Reproduktion des Lebens. So entstand in einem langen Übergangsprozess das Patriarchat, in dem Frauen, die für die notwendige unmittelbare Reproduktion des Lebens verantwortlich waren, unter die Erfordernisse der Produktion von Mitteln zum Leben gerieten, welche vor allem über die Warenbeziehungen zumeist Männern Macht verschafften. Dadurch nahmen die Tätigkeiten, die zur Reproduktion des Lebens notwendig waren, faktisch den Charakter von Zwang, das heißt von «Arbeit» für die Frauen an. Das hieße, die Entstehung des Patriarchats ist also als Folge des Übergangs zur Produktion und nicht als Ursache der Naturzerstörung zu sehen, wie in der «neuen Patriarchatskritik» behauptet wird. «Patriarchat» bedeutet damit keine bloße «Definition» oder «Imagination», sondern reale Reaktion auf veränderte Gegebenheiten.
Es sind also letzten Endes endogene Ursachen, welche zur gesellschaftlichen Institution des Patriarchats führten und keineswegs Raubzüge und Kriege, mit denen von Werlhof und andere ausschließlich die Entstehung des Patriarchats und seine «Schöpfung durch Zerstörung» behaupten. Diese förderten allerdings seine Verbreitung.
Drittens: Die Dominanz einer Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit, welche die Produktion auf die Bedürfnisse der unmittelbaren Reproduktion des Lebens umorientiert. Diese werden in einer allgemeinen Gleichstellung ausgedrückt und materiell fundiert: Jede/r leistet einen tendenziell gleichen Beitrag zur ganzheitlichen notwendigen Reproduktion des Lebens (bezogen auf das Individuum und seine Stellung zur jeweiligen selbstorganisierten Gruppe/zum Kollektiv). Diese Gleichstellung ermöglicht und erfordert es, dass allgemeine zivilgesellschaftliche Freiheiten zum Ziel und zur Entwicklungstriebkraft werden. Das bedeutet faktisch eine Umorientierung auf gleiche Menschenrechte für alle, die möglich werden kann, wenn Menschen, die heute in der Kapitalverwertung gebundenen und dadurch ihr Überleben bedrohenden, sich neuartige Ressourcen (wie Informations- und Kommunikationstechnik, Biotechnologie, Reproduktionstechnologie, Umwelttechnologien, Automatisierung) in allgemein gleichheitlicher und allgemein freiheitlicher Selbstorganisation aneignen und damit eine Harmonisierung ihrer Bedürfnisse mit der äußeren Natur und der Produktion anstreben, die ständig wiederhergestellt werden muss. Diese Umorientierung bedeutet eine Konsistenzbedingung, unter der es möglich werden könnte, Lebensgrundlagen zu erhalten.10
«Schöpfung aus Zerstörung»
Von Werlhof bezeichnet in einem Interview die «westliche Moderne» als eine Illusion, «weil das Projekt der Moderne ein Weltzerstörungsprojekt ist: die Produktionsweise, die Technik, die Politik». Hierbei beurteilt sie die «Moderne» nicht aus ihrem Übergang zur «Postmoderne» heraus, in der sich die «Moderne» auf vielen Gebieten in ihr Gegenteil verwandelt und in systematische Zerstörung von Lebensgrundlagen übergeht, sondern sieht dieses «Zerstörungsprojekt» als Höhepunkt patriarchaler Entwicklung. Von Werlhof betont, «dass das Zerstörungsproblem … angefangen hat … mit der Entstehung des Patriarchats vor 5000 bis 7000 Jahren. Damals hat sich die Idee einer ‹Schöpfung aus Zerstörung› durchgesetzt. Im Gegensatz zum realen Lauf der Dinge, wo weibliche Gestalten Ursprung des Lebens sind, haben die Männer begonnen, sich als Schöpfer des Lebens, des Reichtums, des Wohlstands zu definieren. Ich nenne das das alchemistische Prinzip». In der Neuzeit trete dieses «als neue Naturwissenschaft in Erscheinung, als weltweites Schöpfung-aus-Zerstörung-Programm» (von Werlhof 2010).
Zur «patriarchalen Schöpfung» zählt von Werlhof auch Waren- und Kapitalbeziehungen, den «ökonomischen Fortschritt», «die Geld- und Profitwirtschaft» und den Kapitalismus (von Werlhof 2005: 8). «Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie bilden inzwischen eine ‹Blockstruktur› und sind in dem Sinne patriarchal, als sie faktisch die Hauptinstrumente der möglichst umfassenden … angeblich schöpferischen ‹Ersetzung› der matriarchalen Zivilisation sein sollten und gewesen sind» (von Werlhof 2008: 5). Was von Werlhof hier dem «Patriarchat» zuschreibt, gilt tatsächlich der Entstehung der Produktion und der von ihrer Entfaltung und Ausbreitung verursachten Veränderung ehemals relativ egalitärer Verhältnisse hin zu patriarchalischen Klassenverhältnissen. Damit stellt sie gesellschaftliche Verhältnisse auf den Kopf.
Die patriarchale «Schöpfung aus Zerstörung» begreift von Werlhof bis hin zur Eliminierung des «Matriarchats»: «Das Ergebnis dieses ‹alchemistischen Projekts› … in dem die Frauen und die lebendige Natur lediglich als zu transformierendes, also zu tötendes bzw. ‹totes› Material, als ‹Mutter-Materie› gelten, wäre gewissermaßen ein ‹reines Patriarchat›, das nichts Matriarchales mehr an sich hätte und weder der Frauen, noch der Natur mehr bedürfte» (von Werlhof 2003: 13). Von Werlhof weiter: «Diese Hybris, die Bereitschaft, das gesamte Leben auf der Erde aufs Spiel zu setzen, bildet das wahre ‹Geheimnis› des Patriarchats» (von Werlhof 2003: 15). Von Werlhof ordnet auch hier die Technik und die Zerstörungswucht z. B. der Militärtechnik der «Alchemie» des Patriarchats zu sowie ihrem Glauben an die Technik als eigentlichen Verursacher. Das aber verwischt die Ursachen für diese Gefährdungen, mystifiziert die Dinge und behindert damit das Suchen nach Alternativen. Der Begriff des «Patriarchats» wird hier seines Sinnes entleert.
Hintergründe einer «Schöpfung aus Zerstörung»
Hinter einer anscheinend radikalen Kapitalismuskritik im Interesse der Erhaltung des Lebens verzichtet von Werlhof tatsächlich darauf, die Hintergründe der Entwicklung zu beleuchten. In der Konsequenz läuft ihre Kritik auf eine Kritik an der Entstehung von Produktion überhaupt hinaus. So setzt die «patriarchale Schöpfung» die Existenz von Produktion voraus, die letztendlich mit Zerstörung gleichgesetzt wird. Wie auch die Beschreibung des «reinen Patriarchats» durch von Werlhof zeigt, speise sich die «Schöpfung aus Zerstörung» aus der «Annihilation» von äußerer Natur und Frauen. «Matriarchale» Gedankengänge zu Ende gedacht, stünde hinter der «Annihilation» der Natur die Veränderung der ursprünglichen Natur durch Eingriffe der Produktion. Hinter der «Annihilation» von Frauen stünden oder sollten wohl dort stehen: Leben/Lebensgrundlagen. Das heißt, die Kritik an der patriarchalen «Schöpfung aus Zerstörung» müsste letztendlich auf die Beziehungen zwischen Produktion (in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Formen) und Lebensgrundlagen zurückgehen. Die Beziehung zwischen Produktion und Lebenskräften/Lebensgrundlagen wird aber von der «neuen Patriarchatskritik» in einen vorgeblichen (kulturellen, zivilisationsbezogenen)11 Gegensatz zwischen «Patriarchat» und «Matriarchat» umgedeutet und damit unsichtbar gemacht. Aus der «neuen Patriarchatskritik» heraus ist eine Verbindung zu diesem Grundverhältnis überhaupt nicht herstellbar. Weiter vorne in diesem Beitrag habe ich bereits betont, dass die jeweiligen gesellschaftlichen Beziehungen in der Produktion und in der unmittelbaren Reproduktion des Lebens ein Grundverhältnis darstellen, welches über Zerstörung oder Erhaltung von Lebensgrundlagen entscheidet.
Angesichts der sich unübersehbar ausbreitenden Zerstörung von Lebensgrundlagen in der heutigen Gesellschaft geht es darum, einen Paradigmenwechsel durchzusetzen, welcher beide Seiten der Reproduktion des Lebens zu einer Ganzheit zusammenführt. Jedoch ist das «kapitalistische Patriarchat» keinesfalls mit der (profitorientierten) Produktion von Mitteln zum Leben gleichzusetzen und «Matriarchat» nicht mit der unmittelbaren Reproduktion des Lebens! Das heißt sie bilden weder einzeln noch zusammen (z. B. Patriarchat mit dem «Matriarchat») die Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit ab. Beide Begriffe sind ursprünglich im Bereich der unmittelbaren Reproduktion des Lebens angesiedelt. Selbst der «neue Patriarchatsbegriff», den von Werlhof einführt, charakterisiert entgegen ihrer Behauptung keinesfalls die «Gesellschaftsordnung» des «kapitalistischen Patriarchats», also keine ganzheitliche Gesamtschau, sondern eine über die unmittelbare Reproduktion des Lebens hinaus ausgeweitete «Männerherrschaft». Diese bleibt aber den ihr eigentlich zugrunde liegenden Verhältnissen rein äußerlich.
Daraus lässt sich folgende Hypothese ableiten: «Matriarchat» und «Patriarchat» beziehen sich in der «neuen Patriarchatskritik» primär auf durch Kulturleistungen geprägte gesellschaftliche Positionen, ausgehend von der Hege und Pflege, welche Frauen den Kindern und später dem Acker/der Natur zukommen ließen. Dem stehen Gewalt, Rohheit, Zerstörung u. ä. gegenüber, welche Männern als soziales Geschlecht zugeschrieben werden und die wiederum eine andere Art und Weise des Handelns – in Richtung von «nicht zivilisiert» – ausdrücken. Die nach Männern und Frauen in einander ausschließender Weise differenzierten Kulturelemente nehmen den Vorrang bei der Beschreibung der «matriarchalen» und «patriarchalen» Verhältnisse ein. Die Kultur (und die «Zivilisation») bilden faktisch die Resonanzebene, auf welche «Patriarchat» und «Matriarchat» als Geschlechterkampf projiziert werden (können), denn sie sind unscharf, vielen Veränderungen von Gegebenheiten anpassbar und angepasst. Zudem lassen sie unberücksichtigt, warum Menschen etwas tun, mit welchem Ziel, mit welchen Triebkräften und welchen daraus resultierenden Regeln/Mechanismen und unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen sie handeln. Durch eine solche Herangehensweise entsteht in letzter Konsequenz eine aus «matriarchaler» Sicht wünschenswerte «Alternative», die nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch illusionär ist, weil allein aus einer Seite von umfassenderen Prozessen die Wirklichkeit nicht verändert werden kann, zumal die vorgestellten Veränderungen sich nicht mit den Ursachen (dem «Warum?») der Zerstörung von Lebensgrundlagen treffen. Das «kapitalistische Patriarchat» erscheint so für die Erklärung dieser Ursachen nicht hinreichend. In diesem Sinne setzt von Werlhof die spiritualistisch geprägte «Verbundenheit allen Seins», die sie als «deep feminism» ausdrücklich als zentral ansieht, an die Stelle einer ganzheitlichen Reproduktion des Lebens. Um die jeweiligen Situationen überhaupt interpretieren zu können, müssten die hinter Matriarchat/Patriarchat steckenden gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen wieder sichtbar gemacht werden!
Die Zerstörung von Lebensgrundlagen geht genau genommen, nicht auf Produktion an sich zurück, sondern auf die Dominanz der Produktion, in ihrer profitorientierten Form, in der nach Klassen und Schichten differenziert wird und sowohl Männer als auch Frauen in gemeinsamen sowie unterschiedlichen Tätigkeiten ihren Anteil haben. Diese Dominanz besteht aber der Möglichkeit nach mit Entstehung der Produktion von Anfang an – Subsistenzproduktion würde diese Dominanz unter bestimmten Bedingungen zeitweilig aufhalten können, um den Preis persönlicher Unfreiheiten für die Mehrheit und von Schranken für die Entwicklung ihrer Lebenskräfte. Die Dominanz der Produktion konnte sich vor allem deshalb durchsetzen, weil die Produktivkraft der Menschen entwicklungsfähig ist, weil die Bedürfnisse nach Mitteln zum Leben über sehr lange Zeiten hinweg gewachsen sind und weil die Produktion im Gefolge ihrer Organisation als profitorientierte Warenproduktion sich gegenüber der unmittelbaren Reproduktion des Lebens verselbstständigte und diese schließlich systematisch zu zerstören begann.
Die Produktion von Mitteln zum Leben ermöglichte eine Verlängerung der Lebenszeiten der Menschen, höhere Überlebensraten, eine bessere Lebensqualität u.ä. m. Wegen der Knappheit von Anfang an und mit Fehlsteuerungen durch Profitziele war dies immer mit Ungleichheiten, Kriegen und Krisen verbunden. Mit der Produktion entstanden in einem langen konfliktreichen Übergangsprozess patriarchalische Klassenverhältnisse als Reaktion auf die der Produktionsentwicklung adäquaten Veränderungen in Eigentums-, Aneignungs- und Verteilungsverhältnissen, die Entstehung von Warenbeziehungen und Warenproduktion. Deren Entwicklungsprozesse lassen sich mit «Patriarchat» versus «Matriarchat» aber keinesfalls fassen. Von Werlhof spricht u. a. über die «direkt materielle Patriarchalisierung», insbesondere «in Gestalt der Maschinentechnik» (von Werlhof 2003: 15). Sie will damit eine unkritische Bewertung der Entwicklung von Produktivkräften anklagen (von Werlhof 2009a: 2). Wenn «technischer Fortschritt» und «Produktivkräfte» auf «Maschine» reduziert und dementsprechend dann als konstruiertes Feindbild kritisiert werden, bleiben die sachlichen Zusammenhänge auf der Strecke. Bei einem ganzheitlichen Ansatz der Reproduktion des Lebens würden die Produktivkräfte von vornherein an dieser orientiert sein. Da die Produktion und ihre Bedingungen stets zusammenwirken, ist es unmöglich, nur die guten, lebensfreundlichen Seiten ihrer Entwicklung festzuhalten und die ungünstigen, zerstörerischen Seiten zu eliminieren. Es kommt darauf an, die Produktion umzuorientieren und ihre Bedingungen zu verändern. Dafür wiederum signalisieren die Veränderungen in den Warenbeziehungen – würden sie denn analysiert werden – aktuellen Handlungsbedarf, nämlich danach, Warenbeziehungen durch allgemein gleichheitliche und allgemein freiheitliche Selbstorganisation zu ersetzen. Die von der «neuen Patriarchatskritik» ausgerufene «neomatriarchale Alternative» beinhaltet solche grundlegenden Konsequenzen nicht, weil sie die Warenbeziehungen patriarchalisiert.
«Patriarchat» und «Kapitalismus» treffen sich im «patriarchalischen Kapitalismus» als die gesellschaftliche Form, die die Reproduktion des Lebens in seiner Ganzheit seit der Neuzeit angenommen hat und in der sich patriarchalische und Klassenbeziehungen bei Frauen und bei Männern in unterschiedlichen Gemengelagen kombinieren. Warenbeziehungen beeinflussen beide: Klassenausbeutung wie Patriarchat. Inzwischen beginnt die aktuelle Tendenz zur totalen Kommerzialisierung Lebensgrundlagen systematisch zu zerstören, indem sie unmittelbare Reproduktion des Lebens unter (fiktive) Warenbeziehungen12 setzt. Der Verwertungsprozess des Kapitals kann nur über Warenbeziehungen funktionieren, aber indem er diese seit etwa dem letzten Drittel des 20. Jahrhundert dynamisch und massenhaft auf Gebiete erweitert, die – wie die unmittelbare Reproduktion des Lebens – über Waren und Warenwerte nicht reproduzierbar sind, zerstört er zugleich Lebensgrundlagen systematisch. Ausdruck dessen sind vor allem Substanzverzehr, abnehmende «Gratisdienste» der Natur, der unbezahlten Reproduktionsarbeit von Frauen, der «allgemeinen Arbeit» nach Marx, wie sie besonders in der Wissenschaft, Kunst, zivilgesellschaftlichen Kommunikation u. v. m. bestehen; neue Balanceprobleme zwischen Wertschöpfung und Umverteilung; aufgestaute Reproduktionskrisen mit einer noch immer anhaltenden Spirale nach unten. Die schon bisher von Krisen und Kriegen begleiteten klassischen Mechanismen des patriarchalischen Kapitalismus funktionieren auf Grund dieser Tendenzen immer weniger. Der Charakter einer Umbruchperiode prägt sich zunehmend deutlicher aus. Die bisherige Dominanz der Produktion droht zur tendenziellen Totalität (über das Streben zur totalen Kommerzialisierung) zu werden, zu einem umfassenden Reich der Produktion – und damit der Notwendigkeit. Da derzeit auch die unmittelbare Reproduktion des Lebens dynamisch und massenhaft über Profitorientierung quasi zur Produktion wird, gehören dazu auch neue Lebensrisiken, wie Organhandel, die Ware «Leihmutterschaft» u.ä. m.
Auch das Patriarchat wird durch diese Art von Kommerzialisierung teilweise ausgehöhlt, verändert seine Formen, verschärft sich besonders für unterprivilegierte Frauen – einschließlich «Hausfrauisierung» der Arbeitsverhältnisse wenig qualifizierter und langzeiterwerbsloser Männer. Das von Werlhof und anderen beschworene Ende des «kapitalistischen Patriarchats» ist nicht nur deshalb wenig hilfreich. Denn: Wie diese Umbruchperiode verläuft und ob sie zu einer Übergangs- oder zu einer Stagnationsperiode wird oder auch zurück zu einer Subsistenzproduktion führt, hängt ab von wirklich in Gang gesetzten alternativen Veränderungen. Heute bestehen Chancen, mit einem Paradigmenwechsel, welcher die – inzwischen der Möglichkeit nach – tradierte Dominanz der (profitorientierten) Produktion von Mitteln zum Leben zugunsten der Erhaltung der Lebensgrundlagen überwindet, die Harmonisierung einer ganzheitlich organisierten Reproduktion des Lebens, der äußeren Natur und damit der Erde selbst, auf eine neue Grundlage zu stellen – wenn denn die Notwendigkeit des Paradigmenwechsels erkannt und entsprechend gehandelt wird. Die Notwendigkeit alternativen Handelns steht außer Frage, auch weil zunehmend technische und gesellschaftliche Prozesse außer Kontrolle zu geraten drohen oder bereits geraten sind. Dennoch steckt in der Möglichkeit von Alternativen auch die Hoffnung auf emanzipatorisch orientierte Übergänge. Diese neuen Möglichkeiten befinden sich zurzeit noch vorwiegend in einem Suchprozess (Notz 2010).
Ein umfassendes «Reich der Produktion» würde bedeuten, dass (profitorientierte) Warenbeziehungen total die Lebenstätigkeiten und damit das Leben ergriffen hätten. Das wäre das hypothetische Ende sowohl von Patriarchat als auch von «Matriarchat»13. Es ist eine Horrorvision, aber es ist möglich. Wer hätte z. B. noch in den 1980er Jahren gedacht, dass sich – wie heute – große Teile der zivilgesellschaftlichen Freiheiten bereits faktisch in Ökonomie (durch Privatisierung und Kommerzialisierung) verwandelt haben und sich noch weiter in dieser Richtung verändern?
«Neo-matriarchale» Alternativen?
Zusammenfassend stellt sich das Ergebnis der «neuen Patriarchats- und Zivilisationskritik» als eine Anklage gesellschaftlicher Übel bis hin zur drohenden Zerstörung der «Mutter Erde» dar, welche das Ende dieser Zivilisation beschwört und Alternativen einfordert und einbringen will. Gewissermaßen als «Grundwiderspruch» wird der Gegensatz zwischen «kapitalistischem Patriarchat» und «Matriarchat» benannt, der im Grunde genommen auf den Primat der Ökologie hinausläuft14. «Matriarchalisch» geprägte Spiritualität plus ebenso ausgerichtete Politik soll diese Zerstörungen überwinden, indem ein neues «Matriarchat» eingeführt wird. Jedoch sind die Handlungsmotivationen und die Auswege aus den derzeitigen aufgestauten Reproduktionskrisen nicht schlüssig, da patriarchalische Klassenverhältnisse als «Fehlentwicklung» unanalysiert bleiben und das Gegensatzpaar «Matriarchat» – «Patriarchat» Ausgangspunkt bleibt und durch Ökologie sowie Technikkritik «aktualisiert» wird, ohne ein Hinausgehen über patriarchalische Klassenverhältnisse überhaupt anzusprechen15.
Die «neue» «matriarchale» Alternative will letztendlich durch «matriarchales» Bewusstsein und durch Spiritualität die Welt verändern, ohne genauer wissen zu wollen, was sie zur gegenwärtigen Welt gemacht hat und warum. Zudem wären angenommene «Subsistenzgesellschaften» eine Pseudoperspektive, welche weder dauerhaft die Lebensgrundlagen erhalten kann (weil sie in sich die Möglichkeiten trägt, die Entwicklung patriarchalischer Klassengesellschaften wieder von vorn zu beginnen), noch den Menschen die Möglichkeit gäbe, auf dem gegenwärtigen Kulturniveau allgemeine zivilgesellschaftliche Freiheiten zu erkämpfen. Es gäbe nur «Freiheit in der Notwendigkeit». Von der zivilisatorischen/kulturellen Seite müsste daher zum Gesamtprozess der ganzheitlichen Reproduktion des Lebens und seiner Regelungs-/Regulierungsmechanismen weitergegangen werden. Paradigmenwechsel bleibt auch hier eine Herausforderung. Indem hinter «Männerherrschaft» endogene Ursachen für Zerstörungen von Lebensgrundlagen verborgen bleiben, entgehen der «neuen Patriarchatskritik» auch die Chancen, die sich seit etwa dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts im Gefolge weitgehender Sättigung mit der Produktion notwendiger Mittel zum Leben – vor allem in Industrieländern, aber nicht nur dort – für allgemein gleichheitliche und allgemein freiheitliche Emanzipation herausgebildet haben. Und nicht nur das – die Durchsetzung einer emanzipatorischen «Alternative» könnte die Vorwegnahme andere Möglichkeiten sein: Ein Zusammenbruch patriarchalischer kapitalistischer Verhältnisse, Weltbürgerkriege mit ihren zerstörerischen Folgen für Menschen und Natur, bis sich lokale Strukturen schließlich als rettende Überlebensinseln erweisen – und im optimistischen Falle alles von vorn beginnt.
Anmerkungen
- Diese Vorstellungen wurden von dem von Claudia von Werlhof initiierten und betreuten Forschungsprojekt «Zivilisationspolitik» in den letzten Jahren vorgelegt. Schon der Titel eines der aus dem Forschungsprojekt hervorgegangenen Bücher weist explizit auf den Anspruch hin: Aufbruch aus dem Patriarchat – Wege in eine neue Zivilisation (Frankfurt/M.: Peter Lang Verlag, 2009).
- «Matriarchat» wird hier in der von der Projektgruppe verwendeten Bedeutung gebraucht. Es bedeutet: nicht Frauenherrschaft, sondern Frauen prägen die Gesellschaft, matrilineare und matrilokale Verwandtschaftsverhältnisse, Konsensgesellschaften, egalitäre Gesellschaften. Nach Göttner-Abendroth sind diese Gesellschaften «frauenzentriert». Als Beispiel dienen die Ackerbaugesellschaften des späten Neolithikums. Obwohl ausdrücklich von «matriarchaler Gesellschaftsordnung» gesprochen wird – u. a. bei von Werlhof und Göttner-Abendroth – ist die Gleichsetzung mit einer «Gesellschaftsordnung» nicht schlüssig, weil vor allem die Verwandtschaftsverhältnisse und andere Kulturaspekte herausgearbeitet werden und viele Inkonsistenzen aufscheinen. Ich plädiere deshalb dafür, diese Verhältnisse als «matristisch» zu bezeichnen, denn «matriarchal» ist missverständlich. Nach Humberto R. Maturana soll dieser Begriff nichthierarchische Beziehungen zwischen Frauen und Männern ausdrücken, wäre also relativ egalitären Verhältnissen eher angemessen.
- Ähnlich auch: «living democrazy» – Vandana Shiva oder «Solidarökonomie» – Porto Alegre.
- Allerdings ist von Werlhof darin nicht ganz konsequent, indem sie an anderer Stelle im benannten Vortrag wiederum über «die patriarchal-kapitalistische Gesellschaftsordnung» – also faktisch jetzt ohne Anspruch auf umfassende Einbettung in das Patriarchat – spricht.
- In der Vorankündigung zum 1. Weltkongress für Matriarchatsforschung 2003 in Luxemburg. Hervorhebungen im Original (Göttner-Abendroth 2006).
- Im Anschluss vor allem an Katastrophentheorien, welche die Entstehung des Patriarchats aus Naturkatastrophen, besonders Klimaveränderungen und folgenden Völkerwanderungen mit Gewalt und Raubzügen ableiten (u. a. DeMeo 1998 und Gimbutas 1996).
- Göttner-Abendroth z.B. betont, dass «Matriarchate» keine Akkumulation zulassen, bezieht sich aber an gleicher Stelle auf große Bewässerungssysteme, frühe Städte u.ä. m., welche ohne Akkumulation – also einen Überschuss über das Lebensnotwendige – überhaupt nicht möglich gewesen wären. Ebenfalls sieht sie gesellschaftliche Arbeitsteilung und Sippeneigentum mit «matriarchalen» Verhältnissen vereinbar. Zudem haben sich matrilineare Verwandtschaftssysteme über lange Zeiten hinweg an entstehende Klassenverhältnisse und patriarchalische Verhältnisse angepasst, wurden durch diese ausgehöhlt, wie das Beispiel der Irokesenstämme zeigt, ehe sie zu patriarchalischen Verwandtschaftsverhältnissen übergingen. Eine «Konsensgesellschaft» z. B. konnte durchaus Entscheidungen über die Aufnahme von Warenbeziehungen oder über faktische Herrschaftsbeziehungen treffen. Auch die «matriarchale Spiritualität» stand in der Gefahr, durch diese Entwicklungen ausgehöhlt zu werden, denn «Produktion» ist durch die «Göttin, die schöpft», nicht mehr interpretierbar.
- Beschreibungen von «lebenden Matriarchaten» beziehen sich u. a. auf die Minangkabau auf Sumatra, die Marktfrauen von Juchitan in Mexiko (vgl. Bennholdt-Thomsen 1997), die Khasi und Nayar in Indien, die Irokesen in Nordamerika, die Mosuo in China, die Goajiro-Arawak in Kolumbien und Venezuela, die Yanomami im venezolanisch-brasilianischen Grenzgebiet, die Kabylen in Nordafrika. Als Kriterien gelten vor allem matrilineare Abstammungsregeln, manchmal auch noch Matrilokalität, wobei selbst diese oft ausgehöhlt sind im Gefolge der Beziehungen zu bereits in der «Moderne» angekommenen Familien und Gemeinwesen. Zum Teil haben sich – wie in Juchitan – nur noch Reste ehemals matrilinearer Beziehungen erhalten. Überwiegend handelt es sich eher um noch existierende kulturelle Überlieferungen, die keine Rückschlüsse darüber zulassen, ob «Matriarchate» historisch als Gesellschaftsordnungen existiert haben.
- Die Lebensgrundlagen werden in ihrer Entwicklung zwar von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen geprägt, aber von ihnen nicht außer Kraft gesetzt. Wenn diese Verhältnisse gegen Lebensgrundlagen wirken, indem sie diese z. B. zerstören, verschwindet entweder menschliches Leben oder die Verhältnisse werden verändert. Insofern bilden Lebensgrundlagen gewissermaßen ein allgemeines objektives Kriterium für die Wirksamkeit der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Reproduktion des Lebens.
- Dieser Punkt enthält ein noch weiter zu führendes Diskussionsangebot und trägt den Charakter einer «konkreten Utopie».
- Daher auch die Einschränkung auf die «Moderne», anstatt den «patriarchalischen Kapitalismus» zu analysieren.
- Leistungen, die als «Waren» gehandelt werden, die aber über den Kauf und Verkauf von Waren allein nicht erbracht werden können, wie gesundheitliche, wissenschaftliche, künstlerische u.ä. Leistungen.
- Das «reine Patriarchat» bei von Werlhof entspricht keineswegs einem allumfassenden «Reich der Produktion», denn es verdrängt deren gesellschaftliche Organisationsformen und -strukturen. Es bleibt den ganzheitlichen Lebensprozessen äußerlich.
- Bei Mathias Behmann (2009a) läuft alles auf eine Ökologiekrise hinaus, welcher er den Primat einräumt.
- Hierbei wird unterstellt, dass in der «Subsistenzproduktion» als eines der Merkmale «matriarchaler Kulturen», sich bereits Klassenverhältnisse zu entwickeln begannen.
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