Share This Article
Sri Lanka befindet sich mitten in einem politischen Umbruch, nachdem eine sich zuspitzende Wirtschaftskrise zu weit verbreiteten Massenprotesten und Streiks gegen die Regierung geführt hat. Am 9. Mai trat der damalige Premierminister Mahinda Rajapaksa zurück und war gezwungen, sich auf einen Marinestützpunkt in Trincomalee zu flüchten, um dem Zorn seines Volkes zu entgehen. Zu diesem Zeitpunkt schien es nur noch eine Frage von Tagen zu sein, bis auch sein Bruder und Präsident Gotabaya Rajapakse zum Rücktritt gezwungen sein würde. Gotabaya Rajapakse lud jedoch Ranil Wickremesinghe, den ehemaligen Premierminister und Vorsitzenden der United National Party, ein, Premierminister zu werden.
Der Präsident hat auch das Militär angewiesen, die Proteste zu unterdrücken und wichtige Aktivist:innen der Bewegung zu inhaftieren. Zwar hat die Dynamik des Widerstandes aufgrund dieser Faktoren nachgelassen, doch die Forderung nach dem Rücktritt von Rajapakse wird täglich lauter, ebenso wie die Proteste gegen Sparmaßnahmen und steigende Lebenskosten.
Nagesh Rao sprach mit Nimanthi Rajasingham über die Wurzeln der Krise und die Art der Proteste. Dr. Rajasingham lehrt Englisch und Frauenforschung an der Colgate University und kehrte kürzlich von einem Besuch in Sri Lanka zurück. Sie ist die Autorin von Assembling Ethnicities in Neoliberal Times: Ethnographic Fiction and Sri Lanka’s War.
Nagesh Rao: Erzählen Sie uns etwas über die Proteste, die scheinbar im ganzen Land ausgebrochen sind.
Nimanthi Rajasingham: Die Proteste halten nun schon seit über 50 Tagen ununterbrochen an. Der größte Schauplatz war das Galle Face Green (ein 500m langer Grünstreifen entlang der Küste – Anm. red.) im Herzen von Colombo, aber es gibt Proteste im ganzen Land, besonders im Süden. Es ist ähnlich wie bei der Occupy-Bewegung in den Vereinigten Staaten. Es begann am 8. und 9. April, als sich Menschen vor dem Haus von Präsident Gotabaya Rajapaksa in Mirihana versammelten und riefen: “Gota go home!” Gegen die Menschen, die sich friedlich vor seinem Haus versammelt hatten, gab es heftige Repressionen; die Polizei wurde eingesetzt und viele Menschen wurden verhaftet. Die Menschen waren darüber verärgert, weil sie mit so vielen wirtschaftlichen Entbehrungen konfrontiert waren. Kurz darauf beschlossen die Menschen, nach Galle Face Green zu kommen. Es sollte ein 48-stündiger Protest sein, und das Ziel war, eine Million Menschen zu versammeln mit der Forderung “Gota go home!”, aber auch “Rajapaksas go home”.
Am 1. Mai kamen eine Million Menschen. An anderen Tagen kamen Studierende, oder die Mütter der im Krieg Verschwundenen. Verschiedene Gruppen kamen und schufen einen kollektiven Raum geeint unter der allgemeinen Forderung, dass wir das Ende dieses Regimes wollen. Galle Face Green hat sich organisch zu einem kontinuierlichen Protestort entwickelt. Deshalb sage ich, es ist wie bei Occupy. Die Menschen errichteten Zelte, eine Bibliothek, ein Künstlerzelt, einen Aufführungsort; sie begannen dort zu leben. Der Ort wurde GotaGoGama genannt, oder Gota Go Village, und ist ein wirklich fröhlicher Ort. Und das ist wichtig, weil die Situation in Sri Lanka so schlimm ist. Manchen Angaben zufolge liegt die Inflation bei 74 Prozent. Gasflaschen, die wir zum Kochen verwenden, kosteten im Dezember 2021 beispielsweise 1200 Rupien, und jetzt kostet eine Flasche 5000 Rupien, und sie sind schwer zu bekommen. Einmal gab es einen Leichenzug mit einem Sarg, der ein Bildnis von Gotabaya trug. Die Menschen folgten ihm und tanzten bei seiner Beerdigung. Die Menschen spüren eine große Erleichterung, wenn sie zusammen sind.
Es war auch ein sehr sicherer Raum für Frauen. Ich habe eine Frau gesehen, die über Korruption gesungen hat und darüber, wie die Arbeiter:innenklasse seit mehreren Generationen unterdrückt wird, und sie hat Call-and-Response-Sessions mit Tausenden von Menschen durchgeführt. Die Beteiligung von Frauen an diesen Veranstaltungen war also ein entscheidender Faktor für deren Erfolg.
Am 6. Mai gab es einen eintägigen Generalstreik, der das ganze Land lahmlegte. Die Gewerkschaften drohten mit einem unbefristeten Generalstreik ab dem 11. Mai, falls Gotabaya nicht zurücktreten würde. Daraufhin verhängte der Premierminister den Ausnahmezustand und karrte Schlägertrupps ran, um die friedlichen Proteste aufzulösen. Sie drangen in Galle Face ein und verbrannten Zelte. Doch Tausende von Menschen kamen auf den Platz, um ihn zurückzuerobern, und lösten damit einen weit verbreiteten Widerstand von noch nie dagewesenem Ausmaß aus.
Im Anschluss an diese großen Proteste gegen die Unterdrückung setzte Präsident Gotabaya Rajapkse das Militär ein und befahl, auf die Demonstrant:innen zu schießen. In Colombo und im ganzen Land gab es Panzer und Kontrollpunkte des Militärs. Seitdem hat der Staat eine Reihe von wichtigen Anführer:innen der Protestbewegung verhaftet, um sie zu zerschlagen. Dies hat bei vielen Menschen große Angst ausgelöst.
Gotabaya lud zunächst den Oppositionsführer Sajit Premadasa ein, Premierminister zu werden und eine Allparteienregierung zu bilden. Premadasa war dazu nur bereit, wenn der Präsident zurücktreten würde. Entsprechend lud Gotabaya dann den extrem unpopulären und neoliberalen Liebling Ranil Wickremesighe ein, Premierminister zu werden. Es sei darauf hingewiesen, dass Ranil, als er sich bereit erklärte, Premierminister zu werden, das einzige Mitglied seiner Partei war, das über das Verhältniswahlsystem überhaupt einen Sitz im Parlament innehatte. Während seiner Amtszeit als Premierminister von 2015 bis 2019 drückte er bei Korruptionsskandalen wie dem Anleihenbetrug in der Zentralbank ein Auge zu. Außerdem gilt er bei internationalen Investor:innen als äußerst freundlich gegenüber neoliberalen Reformen und als jemand, der bereit ist, einige der unpopulärsten Forderungen des IWF u.a. zu erfüllen.
N. Rao: Können Sie uns kurz etwas zu den politischen Parteien in Sri Lanka sagen?
N. Rajasingham: Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948 gibt es zwei große Parteien. Die United National Party (UNP) ist eine städtische, unternehmerische, rechtsgerichtete Partei. Die Sri Lanka Freedom Party (SLFP) beanspruchte den Mantel des Sozialismus für sich, war aber auch ethno-nationalistisch und verantwortlich für die erste Institutionalisierung des Staates als singhalesisch-buddhistischer Staat. Seit 1977, als der Neoliberalismus im Lande eingeführt wurde, haben beide Parteien auf die eine oder andere Weise marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt. Beide Parteien haben auch weiterhin Krieg gegen Minderheiten geführt, obwohl sie politische Lösungen für das ethnische Problem versprachen. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind also nicht mehr eindeutig.
Gotabayas Bruder, Mahinda Rajapaksa, war zwei Amtszeiten lang Präsident, als er 2015 von der UNP gestürzt wurde. Dann kamen die Bombenanschläge zu Ostern 2019, bei denen mehrere Kirchen in die Luft gesprengt wurden und eine muslimische fundamentalistische Gruppe dafür verantwortlich gemacht wurde. Mahinda hatte zu diesem Zeitpunkt eine kleine Partei namens Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP) wiederbelebt, die im Volksmund als Pohottuwa-Partei bekannt ist, und Gotabaya startete seine islamfeindliche und rassistische Kampagne direkt nach diesen Bombenanschlägen, indem er sich als starker Mann darstellte, der die Singhalesen vor muslimischen Fundamentalisten schützen würde. Sowohl die tamilische als auch die muslimische Bevölkerung hat die Hauptlast seines Strebens nach Macht zu tragen. Die Familie Rajapaksa hat fünf Brüder und Söhne in Schlüsselpositionen der Macht und eine ganze Reihe von Verwandten in anderen wichtigen Positionen in der Regierung, was den Slogan “Rajapaksas go home!” erklärt.
Als die UNP vor einigen Jahren unterlegen war, löste sich Sajit Premadasa, dessen Vater von 1989 bis 1993 Präsident war und den eskalierenden Krieg gegen die tamilische Bevölkerung anleitete, von der UNP und gründete eine andere Partei, die Samagi Jana Balawegaya oder United People’s Power Party. Er steht heute an der Spitze der parlamentarischen Opposition.
Die jüngste und hoffnungsvollste Formation ist die Jathika Jana Balavegaya oder National People’s Power (NPP), eine Koalition aus verschiedenen linken Parteien, Intellektuellen und Gewerkschaften. Sie kann vielleicht mehr Hoffnung bieten als die beiden anderen.
N. Rao: Erzählen Sie uns mehr über die Ursachen der Krise und ihre Auswirkungen auf das Leben der Menschen.
N. Rajasingham: Die unmittelbare Krise wurde dadurch verursacht, dass der srilankischen Regierung die Devisen für die Einfuhr von Grundbedarfsgütern wie Treibstoff ausgingen. Die Menschen müssen stundenlang für Benzin anstehen; es herrscht ein gravierender Mangel an Medikamenten. Eine Reihe großer Krankenhäuser hat alle medizinischen Dienstleistungen eingestellt, mit Ausnahme von Notoperationen usw. Immer wieder kommt es zu Stromausfällen. Die Währung ist stark gesunken. Im April betrug der Kurs 200 Rupien pro Dollar, heute sind es 364, und verliert jeden Tag weiter an Wert, so dass die Menschen ihre Kaufkraft in einem unglaublichen Tempo verlieren.
N. Rao: Wie kam es dazu?
N. Rajasingham: Kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 begann der damalige Präsident Mahinda Rajapaksa mit diesen massiven Infrastrukturprojekten und lieh sich all dieses Geld von Geschäftsbanken, die exorbitante Zinssätze haben. Fünfzig Prozent der Schulden Sri Lankas stammen aus Geschäftskrediten. Es handelte sich also um unhaltbare Kredite, die mit dem Versprechen aufgenommen wurden, dass sich Sri Lanka schnell entwickeln würde, dass diese Kredite das Land modernisieren und es Singapur ähnlicher machen würden. Während das neoliberale Erfolgsrezept lautet, dass Sri Lanka eine erstaunliche Import-Export-Wirtschaft haben wird, in der wir Kleidung aus Freihandelszonen exportieren, und dass unser Tourismus und unser Tee zu großem Reichtum führen werden, ist dies nicht wirklich geschehen. Das Land ist mit 52 Milliarden US-Dollar verschuldet und ist kürzlich mit der Rückzahlung seiner Kredite in Verzug geraten, weil es einfach nicht genug Devisen hat.
Hinzu kommt, dass sich die Bombenanschläge an den Ostertagen 2019 negativ auf die Tourismusbranche auswirkten und dass COVID-19 den Verlust von Geldüberweisungen von Arbeiter:innen bedeutete, die als Hausmädchen und Arbeiter:innen im Nahen Osten arbeiten. Normalerweise leben und arbeiten zu jeder Zeit fast 2 Millionen Arbeiter:innen im Ausland und schicken Geld nach Hause. Sie schicken jedes Jahr zwischen 500 und 800 Millionen US-Dollar zurück. Viele von ihnen verloren ihre Arbeit und wurden während der Pandemie nach Hause geschickt. Das bedeutete enorme Einbußen für die Sektoren mit hohen Devisenerträgen: Tourismus, Auslandsüberweisungen, Bekleidungs- und Teeexporte.
Ein weiterer wichtiger Grund für die Krise ist, dass Gotabaya Rajapaksa im vergangenen Jahr beschlossen hat, die Landwirtschaft Sri Lankas innerhalb eines Jahres zu 100 Prozent auf ökologischen Anbau umzustellen. Er stoppte die Einfuhr sämtlicher chemischer Düngemittel mit der Begründung, die Landwirt:innen seien zu abhängig davon. Trotz der Warnungen verschiedener führender Politiker:innen, dass dies scheitern könnte, wenn er es nicht schrittweise umsetzt, stellte er die Einfuhr von Düngemitteln einfach ein. Infolgedessen sollen etwa 70 Prozent der Landwirtschaft ausgefallen sein. Die Landwirt:innen in Sri Lanka sind in der Regel Kleinbauern und -bäurinnen, und Reis ist ein Grundnahrungsmittel. Wenn wir uns also beim Reisanbau zu 90 Prozent selbst versorgen konnten, haben wir jetzt einen totalen Mangel an Reis. Auch in diesem Jahr wurden aufgrund fehlender Mittel nicht genügend Düngemittel für den Anbau eingeführt. Das hat zu Nahrungsmittelknappheit und -unsicherheit geführt.
Wirtschaftswissenschaftler:innen wie Ahilan Kadiragamar haben darauf hingewiesen, dass die Regierung in den letzten zwei Jahren, als sich die Krise anbahnte, nichts unternahm. Sie hat sich nicht darauf vorbereitet, indem sie die Einfuhr von Luxusgütern wie Autos oder anderen nicht lebensnotwendigen Gütern gestoppt hätte. Das Ergebnis ist, dass wir jetzt nicht einmal mehr das Geld haben, um das Nötigste zu kaufen.
Abschließend möchte ich sagen, dass diese Krise seit vier Jahrzehnten im Entstehen begriffen ist und nicht auf Korruption oder einfaches Missmanagement zurückzuführen ist. Es ist der Glaube an eine neoliberale Wirtschaft, die auf einem Import-Export-Modell basiert, mit wenig Industrialisierung, abgesehen etwa von der Bekleidungsindustrie, und mit wenig Regulierung. Ich würde sagen, dass die heutige Globalisierung uns mit dem Weltmarkt verbunden und uns dessen Tendenzen ausgesetzt hat, ohne dass wir dabei besonders geschützt sind. In gewissem Sinne sehen wir das Endergebnis der freien Märkte, wir sind überhaupt nicht frei, sondern hungern buchstäblich. Die jüngsten Krisen haben die Situation noch verschlimmert, aber das war schon lange abzusehen.
N. Rao: Wie haben Indien und China darauf reagiert? Was ist mit dem IWF? Welche Lösungen werden angeboten, und wie stehen die Linken zu diesen Optionen?
N. Rajasingham: China ist in der Vorstellung vieler Menschen ganz offensichtlich der Feind. Zum einen finanzierte und bewaffnete China in der Endphase des Bürgerkriegs 2008-2009 das Rajapaksa-Regime. Sowohl China als auch Indien blockierten auch viele Versuche, die Handlungen des Staates bei den Vereinten Nationen zu verurteilen. Außerdem gab China dem damaligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa nach dem Krieg Geld für den Bau eines riesigen Hafens in Hambantota, seiner Wahlheimat. Dieser Hafen war ein weißer Elefant (Bezeichnung für eine Investitionsruine – red.) und brachte keine Schiffe ein. Er wurde nun für 99 Jahre an China verpachtet, weil der Staat das Darlehen dafür nicht zurückzahlen kann. Mit chinesischem Geld hat der Staat auch den Flughafen von Mattala gebaut, der angeblich ein internationaler Flughafen sein sollte, aber völlig unbrauchbar ist. China hat auch Kredite für Autobahnen und Infrastrukturen vergeben, die, wie die anderen Projekte auch, in Wirklichkeit eine enorme Korruption ermöglicht haben. Die Mautgebühren für diese Straßen sind für normale Menschen zu teuer, so dass sie den Reichen dazu dienen, schnell an Orte zu gelangen, aber die meisten Menschen nutzen sie gar nicht. Dadurch wird die Mobilität nach Klassen stratifiziert. China führt diese Art von Infrastrukturprojekten weltweit durch, um sich Einfluss in der Welt zu verschaffen. Aber die Schulden gegenüber China machen nur 10 Prozent der Schulden Sri Lankas aus. Sie sind also unpopulär und werden beschuldigt, aber ein großer Teil der Schulden liegt bei den Banken der Wall Street.
Auch Indien möchte aus strategischen Gründen die Kontrolle über den Hafen von Trincomalee erlangen, und diese Schuldenrunden könnten dabei helfen, sie zu bekommen. Indien hat Sri Lanka seit Januar Überbrückungskredite in Höhe von etwa 3 Mrd. USD zur Verfügung gestellt, um die Krise zu bewältigen. Diese werden jedoch damit einhergehen, dass Vermögenswerten als Rückzahlung verpachtet werden.
Gegenwärtig führt die Regierung Gespräche mit dem IWF über weitere Kredite. Der IWF könnte sie gewähren, allerdings nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Eine dieser Bedingungen ist die weitere Privatisierung von Staatsbetrieben. Sie argumentieren, der öffentliche Sektor sei verschwenderisch, die staatlichen Industrien seien nicht rentabel. Aber die Aufgabe des Staates ist es auch, den Menschen Arbeit zu geben, damit sie in Würde leben können. Stellen Sie sich vor, Sie würden öffentliche Güter privatisieren und viele Menschen entlassen, und das zu einer Zeit, in der die Menschen aufgrund der Inflation bereits Schwierigkeiten haben, ihre Lebensmittel zu bezahlen. Das bedeutet, dass die Arbeiter:innenklasse und die Armen, die keine Schuld an dieser Krise tragen, für sie bezahlen und die Hauptlast der Fehler der Eliten tragen sollen. Eine weitere Bedingung ist, dass der Staat alle Preiskontrollen aufgibt. Der IWF will zwar Gotabayas Steuersenkungen für die Reichen rückgängig machen, aber gleichzeitig eine höhere Mehrwertsteuer einführen, die die Lohnabhängigen unverhältnismäßig stark belastet.
Die Linke hat diese Lösung in gewissem Maße abgelehnt. Auch wenn die Linke das IWF-Rettungspaket nicht vollständig ablehnt, steht sie diesen Bedingungen kritisch gegenüber, die die Arbeiter:innenklasse zwingen, nicht nur die Last der Korruption, sondern auch der neoliberalen Veränderungen zu tragen, von denen die Elite in den letzten vier Jahrzehnten bei weitem profitiert hat. Es gab auch Argumente, die besagten, dass wir unsere Kredite nicht zurückzahlen und über andere Lösungen außerhalb des kapitalistischen Rahmens nachdenken sollten. Das ist ein Teil der Diskussion gewesen.
N. Rao: Waren die Minderheiten in Sri Lanka bei diesen Protesten willkommen? Wie unterschiedlich sind die Menschenmassen?
N. Rajasingham: In der Linken wird viel darüber diskutiert, ob die Protestbewegung die anderen Probleme in Sri Lanka in Bezug auf Minderheiten und die staatliche Gewalt gegen diese angehen wird. Es ist wirklich wichtig zu erwähnen, dass sich Sri Lanka immer noch von einem massiven ethnischen Konflikt erholt, der 2009 für die tamilische Bevölkerung sehr schlimm endete und bei dem am Ende des Krieges eine große Zahl tamilischer Zivilist:innen getötet wurde. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gotabaya Rajapaksa zu dieser Zeit Verteidigungsminister war. Unter seiner Leitung wurden zum Beispiel tamilische Zivilist:innen aufgefordert, in Flugverbotszonen zu kommen, die dann von der Armee bombardiert wurden, obwohl versichert wurde, dass es sich um humanitäre Schutzzonen handelte. Wir müssen uns also fragen, wie es dazu kommen konnte, dass die Menschen eine Partei und einen Führer gewählt haben, der solche Gewalt orchestriert hat.
N. Rao: Inwieweit ist diese Diskussion über Minderheiten Teil des öffentlichen Diskurses auf den Straßen?
N. Rajasingham: Das ist mir unklar. Bei den Protesten sieht man Zeichen der Solidarität. Im April kamen Ramadan, Ostern und das singhalesisch-tamilische Neujahrsfest zusammen, und man sah, wie muslimische Menschen unter Singhales:innen das Fasten brachen und das Essen teilten. Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges im Jahr 2009 wurde auf dem GotaGoHome-Gelände der Ermordung von Tamil:innen während des letzten Krieges gedacht. Aber spiegelt der Ort des Protests das Bewusstsein wider, dass die Minderheiten seit Jahrzehnten mit dem konfrontiert sind, was die Singhales:innen jetzt erleben? Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, es gibt hoffnungsvolle Zeichen, aber sie sind nicht explizit vorhanden.
N. Rao: Was können die Menschen in den USA im Sinne der Solidarität tun? Wie gehen die Menschen damit um, und was können wir tun?
N. Rajasingham: Es gibt Websites, auf denen Geld gesammelt wird, um Medikamente nach Sri Lanka zu schicken usw. Wenn Sie also etwas spenden wollen, gibt es dafür Möglichkeiten.
Darüber hinaus denke ich, dass die notwendige Solidarität darin besteht, von den globalen Institutionen zu verlangen, dass sie einer bereits angeschlagenen Bevölkerung keine Sparmaßnahmen aufzwingen. Warum müssen die einfachen Menschen die Hauptlast der von der Elite geschaffenen Probleme tragen? Wenn man den Aufstieg extremistischer und rechtsgerichteter politischer Führer verhindern will, muss man daran denken, die Armen nicht zu bestrafen. Immer wieder, wenn Sparmaßnahmen durchgeführt werden und die Menschen in größere Armut gezwungen werden, führen diese Bedingungen zu Extremismus, der Minderheiten zum Sündenbock macht und den Nationalismus verstärkt. Die Singhales:innen haben typischerweise die Minderheiten für ihre Probleme während des Krieges verantwortlich gemacht und das Land als ein Land nur für singhalesische Buddhist:innen bezeichnet. Diese Tendenzen werden sich nur verschlimmern, wenn die Ungleichheiten zunehmen. Stattdessen sollte man sich auf einen Schuldenerlass konzentrieren, vor allem auf einen Plan, damit der srilankische Staat diese toxischen Kredite mit hohen Zinsen nicht mehr bezahlen muss. Innerhalb Sri Lankas sollte die Besteuerung der Reichen und damit die Umverteilung des Reichtums Priorität haben.
Das Interview ist im Original auf Englisch bei Tempest Magazine erschienen und lässt sich dort nachhören.