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In den 80er und 90er Jahren wurden – wie so vielen Ländern des globalen Südens – auch Ägypten durch den IWF und die Weltbank sog. «Strukturanpassungen» auferlegt. Die Regierung strich Subventionen für Lebensmittel und privatisierte den öffentlichen Sektor. Es gab weniger staatliche Stellen und viele – vor allem jüngere, gebildete Angehörige der unteren Mittelschicht – wurden bzw. blieben arbeitslos. Stattdessen legte die ägyptische Regierung mit tatkräftiger Förderung der US-Entwicklungsagentur USAID und der Weltbank vor allem in Großstädten wie Kairo und Alexandria Kreditprogramme für junge Arbeitslose auf. «Statt Nahrungsmittelsubventionen und öffentlich geförderter Arbeit bot man ihnen Schulden an», so Paul Amar, Professor für Internationale Beziehungen an der University of California, in seiner vielbeachteten Analyse zur Revolte in Ägypten (Amar 2011).
An Universitäten und in Seminaren von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) propagierten Weltbank-Mitarbeiter die neue Selbstständigkeit. Die «Generation der Strukturanpassung » wurde einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen, so die Anthropologin Julia Elyachar, die mehrere Jahre in Kairo zum Thema geforscht hat. «Sie sprachen von den großen Chancen, die der Markt bietet, vom Internet, vom Wettbewerb», aber bis auf wenige Ausnahmen hätten die Jugendlichen «den Markt nicht finden können». Die Anthropologin illustriert das am Beispiel eines ehemaligen jungen Staatsbediensteten, der mit Hilfe eines Minikredits eine Marketing-Agentur für Kleinstunternehmer eröffnet hatte. «Er hatte zwei Schreibtische, zwei Telefone und keine Aufträge», lautet ihre kurze, aber aussagekräftige Beschreibung. Der junge Mann war keine Ausnahme. Viele dieser Kleinstunternehmen scheiterten wegen Überschuldung und fehlender Aufträge (Elyachar 2005: 50, 11). Vor allem die Mehrfachverschuldung zu Zinssätzen von 20% und mehr war und ist bei Kreditnehmern in Ägypten keine Seltenheit (Tobin 2005: 86).
In wohlklimatisierten Konferenzräumen internationaler Hotelketten brachten USAID-Mitarbeiter arabischen Direktoren von Nichtregierungsorganisationen bei, dass «die Familie ein Kleinstunternehmen ist und man letzteres brauche, um eine «starke, vom Staat unabhängige Zivilgesellschaft» aufzubauen (Elyachar 2005: 26). Über die Kleinstkreditprogramme, die Elyachar in Kairo untersuchte, «wurde den ‹Kunden› vermittelt, die Wahlmöglichkeiten ihres Lebens als eine Aneinanderreihung von finanziellen Entscheidungen zu betrachten und für das Einkommen ihrer Familien die Sprache der Buchhaltung zu benutzen» (Elyachar 2005: 194) (…)