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Dieser Beitrag ist bereits 2014 in Emanzipation erschienen. Leider ist er heute aktueller denn je.
Die Wurzeln des Konflikts in der Ukraine liegen weit zurück
Es geschieht nicht selten, dass unter den Gründen für einen aktuellen Konflikt auch alte historische Ereignisse aufgeführt und zu Mythen umgearbeitet werden, um ein günstiges Klima für Krieg zu schaffen und die wirklichen Gründe für ihn zu verbergen. Der jüngste und bekannteste Fall ist der Kosovo. Diesen stellte die Akademie der Wissenschaften in Belgrad als ein ausschließlich serbisches Territorium dar, das nur wegen eines im fernen Jahr 1389 begangenen Verrats perfider, mit dem Sultan verbündeter, Albaner verloren wurde. Vergeblich weist man daraufhin, dass es damals noch kein serbisches oder albanisches Nationalbewusstsein gab und dass auf beiden Seiten sowohl Albaner als auch Serben kämpften, je nach Parteinahme ihrer jeweiligen Feudalherren. Vergeblich, weil der mit solchen Legenden künstlich genährte Konflikt ohnehin ausbricht und latent fortbesteht, wie zuletzt die Ereignisse im Zusammenhang mit einem Fußballspiel in Belgrad gezeigt haben.
Der mythische Ursprung Russlands
Auch über die Ukraine werden die verschiedensten Interpretationen verbreitet. Eine russisch-nationalistische Strömung hat immer behauptet und behauptet weiterhin, die Ukraine sei stets ein integraler Bestandteil Russlands («Kleinrussland») gewesen, sie stützt sich dabei auf die Bezeichnung Rus, die seit dem 9. Jahrhundert im Gebrauch ist und ein ausgedehntes Territorium bezeichnet, das von einer Waräger-Dynastie (von Wikingern) vorübergehend vereint wurde. Aber die Sprache, die dort überwiegend gesprochen wurde, war ein Altslawisch, aus dem sich nach und nach sowohl das Russische wie das Ukrainische und Weißrussische entwickelten. Die Hauptstadt war seit 988 Kiew, auf der Route zwischen dem warägischen Norden und Konstantinopel gelegen und bedeutender Bezugspunkt seit der Annahme des Christentums. Moskau gab es noch gar nicht (es wird 1147 zum erstenmal erwähnt). Im Verlauf der folgenden zwei Jahrhunderte beseitigten die Einfälle der Mongolen und Tataren den Kiewer Staat und unterwarfen das Fürstentum von Susdal, in dem Moskau seinen Aufstieg begann, während ein Teil der heutigen Ukraine Polen und Litauen um Hilfe ersuchte und sich damit der römischen Kirche zuwandte. Lange Zeit vor dem Konzil von Brzesc (Brest-Litowsk) 1596, das die unierte (griechisch-katholische) Kirche schuf, wurde die Kirchenhierarchie der WestUkraine vom Moskauer Patriarchat selbständig. Die Ost-Ukraine und Kiew weigerten sich jedoch, der neuen Kirche beizutreten, da sie ihnen als Werkzeug Polens erschien. Die
Religionsfrage wurde in der Folge zu einem ständigen Element der Auseinandersetzung.
Zur selben Zeit hatten die Kosaken – ursprünglich freie Bauern, die vor den Feudalherren geflohen waren und sich als Jäger oder Briganten in Grenzgebieten niedergelassen hatten – in den östlichen Gebieten links des Dnepr eine autonome Struktur (Saporoshskaja Setsch) errichtet, das die höchst fruchtbaren Gebiete gegen das Tataren-Khanat auf der Krim verteidigte und zugleich mit polnischen und litauischen Feudalherren zusammenstieß, die diese bewaffneten Banden nicht tolerierten, da sie ihren Bauern, die auf der Flucht waren oder rebellierten, Schutz anboten. Die Konflikte waren auch religiös motiviert, durch die Konfrontation sowohl mit den islamischen Tataren als auch mit den katholischen polnischen Feudalherren.
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschärften sich die Konflikte.
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